TANZ LUTSCHER.
Da alles beim Alten bleibt, werden die ökonomisch Schwächeren wieder über die Klinge springen und wer hat, wird noch mehr haben. Auf diesem Holzweg zum Himmel, ist unsere Spezies auf jeden Fall zum Untergang verurteilt und so besiegt das Haben das Sein, denn wer nichts hat, wird auch nichts sein. Wer dann nicht in Ruhe ruhen will, geht mit den Pferden und reitet weit hinter den Horizont. Mein Pferd ist mein bester Freund und mein Kater mein König und wer nicht selber bestimmen will, tritt einen Schritt zurück und hält Abstand. Über den Traum gepeilt, bleiben die Schäfchen nicht am Himmel und wer die Seite wechseln kann, behält es sich vor. Da gibt es keine Flucht nach vorne mehr, wer kauft wird nicht selig und fliegende Händler besorgen sich eine Lizenz, denn Hoffnung kann man nicht von einem Ort zum anderen tragen, ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Beamten war sehr freundlich, sie bestaunten die mehrere Meter lange Wandtapete, mit Goyas nackter Maja in unserem Flur. Ich hatte das Bild vor ein paar Jahren, im Zuge einer Werbekampagne völlig kostenlos erworben und in den Sommersemesterferien, als die gesamte Wohngemeinschaft ausgeflogen war, mit Hilfe eines Freundes den Flur renoviert und mit dem Bild der nackten Maja verschönert. Der Effekt war überwältigend und gut gelaunt aus den Sommersemesterferien zurück gekehrt, erhob die Wohngemeinschaft keinen Einspruch gegen meine Renovierungsmaßnahmen. Der lange, schmale Flur präsentierte sich überaus elegant, vorm Bild der Maja stand nur Oma Fannys zierlicher, glänzend schwarz lackierter Biedermeiertisch mit dem Telefon. Das blieb zwar nicht lange so, aber erst mal sah es sehr gut aus. In Caucas spärlich eingerichtetem Zimmer hielten die Kriminaler sich nicht lange auf, aber dafür untersuchten sie Tobis Zimmer ganz genau. In der Küche herrschte glücklicherweise das große Chaos, etwas gewöhnungsbedürftig für die beiden Beamten und ich quatschte sie einfach weiter voll. Mittlerweile war mir klar geworden, dass es ganz bestimmt besser sein würde, wenn das kleine Zimmer hinter der Küche, nicht von den beiden Kripobeamten untersucht werden würde. In dem kleinen Zimmer befand sich Tobis Telefonanschluss und außerdem hatte er dort den großen Karton verstaut, den er von seinem nächtlichen Ausflug mit dem Kommilitonen, der in der Stabi arbeitete untergebracht. Das Chaos in unserer Küche war wirklich bemerkenswert und überwältigte die beiden Kriminaler sichtlich. Ich mischte mich dabei nicht ein, sondern quatschte fröhlich weiter und als sie mich fragten, was sich denn hinter der Tür am Ende der Küche befinden würde, antwortete ich natürlich nicht, Tobis kleines, zweites Zimmer, sondern ich lächelte die Beamten an und meinte, wir nennen es das Ufo an unserer Wohnung. Sie verzichteten darauf, dass Ufo in Augenschein zu nehmen und zogen ab. Tobi war am Boden zerstört und mir sehr dankbar dafür, dass ich ihn versteckt hatte und dann auch noch die Durchsuchung des kleinen Zimmers hinter der Küche verhindert hatte. So erfuhr ich denn, dass sich dort ein Kartendruckgerät befunden hatte, das Tobi und sein Kommilitone aus der Stabi entwendet hatten. Solche Geräte können nicht einfach gekauft werden, sie sind Registrierungspflichtig, denn letztendlich kann man Scheckkarten damit herstellen. Zwei Wochen später konsultierte Tobi einen Anwalt und stellte sich freiwillig. Wie sich heraus stellte, war das nicht unbedingt der beste Rat, den sein Anwalt ihm gegeben hatte, denn Tobi war nicht in Hamburg gemeldet und wurde fast einen Monat lang, in einem Gefängnistransporter quer durch Deutschland, bis nach Baden-Württemberg, wo er gemeldet war, transportiert. Was ihm den Hals gebrochen hatte, war allerdings nicht das abhanden gekommene Kartendruckgerät, sondern ein mehrere Jahre alter Hinweis aus Baden-Württemberg, im Zusammenhang mit der Fälschung von Kraftfahrzeugpapieren. Letztendlich hatte Tobi nicht das geringste damit zu tun gehabt, aber die Fälschung von Kraftfahrzeugpapieren, ist im Autoland ein unverzeihliches Delikt.
Wo wünschen nicht hilft, hilft wüten noch weniger.
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HAAR KARTEN.
Seit es Wechseldatenträger gibt, ist es nicht mehr völlig anrüchig die Seite zu wechseln und wer einen Wechsel unterschreibt, hat sowieso schon verloren. Mit einer Wechseljacke kommt man dann vielleicht schon ein wenig weiter, aber in der Wechselstube wird es nicht richtig gemütlich werden. Wahre Wechselwähler wählen den Wildwechsel und wechseln sich ganz bestimmt nicht ab, denn Wechseljahre sind nicht für Warmduscher und Weicheier. Bäumchen wechsel dich, Frauentausch war gestern, was wir brauchen ist Kontotausch. Da gehen dann selbst die skrupellosesten Privatsender in die Knie, denn nichts ist so intim wie das eigene Wechselgeld. Wir wechseln das Thema und die Tonlage und wer wirklich weiter kommen will, verliert sein Gedächnis. Doppelt gemoppelt hält deswegen weder besser noch länger und Nasenpopel sollte man nicht in die Länge ziehen, denn was man sich aus der Nase zieht, bleibt in der Luft hängen.
Jeden Mittwoch traf Tobi sich am frühen Abend mit einem Kommilitonen, der als studentische Hilfskraft in der Stabi arbeitete. Diese Treffen fanden allerdings nicht in der Wohngemeinschaft statt und so lernten wir den Kommilitonen nie kennen. Tobis Erzählungen konnte ich entnehmen, dass der Kommilitone mindestens genauso begeistert vom Internet war, wie Tobi selbst, ebenfalls einen Gummianzug für den Telefonhörer nutze und das die beiden ein großes Ding planten, mit dem sie schnell reich werden wollten. Mit meinen nächtlichen Besuchen, den kleinen, ausgelassenen Partys zu später Stunde, hatte Tobi nach wie vor Probleme, nach den Erfahrungen der Nacht, in der ich ihn ausgelacht hatte, hielt er sich jedoch zurück. Seine Versuche, mir meine schrägen und ausgeflippten Freunde und Bekanntschaften madig zu machen, endeten regelmäßig damit, dass wir wieder feststellen mussten, dass er ein Normalo und Spießer war. Tobi und ich kamen miteinander aus, aber glücklich waren wir miteinander nicht. Die Poesie völlig sinnloser, aber wunderbarer Unternehmungen blieb ihm fremd, er konnte die Welt nicht singen hören, für Tobi musste alles einen irgendwie gearteten Gewinn abwerfen, weswegen ich ihn einen Mehrwertfetischisten nannte und er mich blauäugig. Sein schlimmstes rotes Tuch war Tommy, ein ausgesprochen liebenswerter und hochintelligenter Junkie, der ständig mit seiner Sucht rang. Ich liebte die Gespräche mit Tommy und manchmal saßen wir bis zum Morgengrauen in der Küche und Tommy erzählte mir von seinen Reisen auf Wolke Sieben, aber als Tommy sich an Daddys Portemonnaie vergriff, schmiss ich ihn raus, obwohl Daddy sogar Mitleid mit ihm hatte. Dann kam Tobi eines Nachts mit seinem Kommilitonen, der in der Stabi arbeitete und einem großen Karton nach hause. Die beiden waren sehr aufgeregt und verschwanden sofort im kleinen Zimmer hinter der Küche, wo sich auch Tobis Telefonanschluss befand. Am nächsten Tag lud Tobi Cauca, Daddy und mich ins „Romana“ ein, er bestellte Wein und wir konnten uns aussuchen, was wir essen wollten. Es wurde eine lange Nacht und wir feierten ausgelassen, ich hatte Tobi noch nie so locker erlebt. In den folgenden Wochen kam Tobi immer besser drauf, er redete viel von seiner Vision einer ökologischen Stadt, von Windkraft und Sonnenenergie, von Fahrrädern und alternativer Mobilität und eines Nachts redete er sogar mit Tommy. Ich war überrascht und noch überraschter war ich, als es ein paar Tage später der Tür klingelte und zwei Kripobeamte vor mir standen, mit einem Haftbefehl für Tobi in der Hand. Gerade eben noch bekam ich mit, dass Tobi in meinem Zimmer verschwand. Ich bat die Beamten herein und ließ sie erst mal den langen Flur bewundern, wohl wissend, dass Tobi sich wahrscheinlich hinter einem von Omas großen, alten und sehr wuchtigen Sesseln in meinem Zimmer verstecken würde. Ich fasste die Kriminaler ins Auge, quatschte sie voll und so wie ich sie anschaute, schauten sie mich an. Die Klippe in meinem Zimmer umschifften wir, aber der große Rest der Wohnung stand uns noch bevor.
Zur Hölle kann man nicht fahren, nur segeln.
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DAMAST REVOLTE.
Wenn ich als Überschrift so etwas lese, wie „Der Ehrgeiz der Frau von der Leyen“, dann weiß ich schon, dass ich im falschen Film bin. Wer bitte, in den öffentlich/rechtlichen, aus Steuermitteln produzierten Medien, denkt sich solchen Mist aus. Wenn Frau von der Leyen den Umweltschutz, in unser aller Interesse, voran bringen will, dann sollte das nicht so dummerhaftig kommuniziert werden. Die Umwelt betrifft uns alle, mehr noch als alle anderen Themen und wer das nicht begreift und Blödsinn kommuniziert, macht sich wirklich schuldig. Wir sind Fluchttiere, wie Pferde und Rehe und wie alle Fluchttiere, werden wir auf der Flucht untergehen, denn vorm Klimawandel kann man nicht flüchten. Den Finger auf die Wunde, werden unsere öffentlich/rechtlichen Kommentatoren und Kommentatorinnen aber ganz bestimmt nicht legen, denn dann würden sie ja ihren eigenen Ast absägen.
Nach seinem nächtlichen Auftritt, legte Tobi sich mächtig ins Zeug, um nicht wieder als Oberspießer aufzufallen. Er war freundlich zu Cauca und Daddy und wenn Daddy, die früh zu Bett gehen musste schon lange schlief, denn die Arbeit auf ihrer Lehrstelle, dem Botanischen Garten in Klein Flottbek, begann in aller Herrgottsfrühe, mitten in der Nacht, hätte Tante Gugu gesagt und Cauca mit ihren schwierigen Beziehungspartnern beschäftigt war, verwickelte er mich gerne in anspruchsvolle, intellektuelle Diskussionen, die sich weit in die Nacht hinein zogen. Tobi war nicht blöd, ein bisschen Umwelt bewegt und sehr Technik affin. Er hatte ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie er in der Zukunft leben wollte und dafür brauchte er Geld. Das gerade erst aus der Taufe gehobene Internet faszinierte ihn ungemein und in den völlig ungeordneten Weiten der virtuellen Welt, sah er seine Chance schnell reich zu werden. Um ins Netz zu gehen, bedurfte es damals noch eines so genanten Modems, das aus einer Art Kunststoff Überzug für den Telefonhörer bestand. Natürlich besaß Tobi so ein Teil, aber der wirklich relevante Teil, der Abenteuer im Netz, bestand in den Telefonkosten. Die Abrechnung über den Gebührenzähler gestaltete sich seit eh und je schwierig, wenn ein Großverbraucher oder eine Großverbraucherin nicht pünktlich zahlte, wurde es eng und die Abschaltung unseres Anschlusses durch die deutsche Bundespost hatte schon mehrmals angestanden. Ich untersagte Tobi den Gebrauch seines Telefonkondoms, zwecks Ausflügen in das Internet, woraufhin Tobi auf einen eigenen Telefonanschluss bestand. Glücklicherweise war unsere Wohnung mit Telefonbuchsen richtig gut ausgestattet, denn einer meiner ehemaligen Liebhaber hatte bei der Post gearbeitet und mich und meine Mitbewohner großzügig mit seinen Kenntnissen und dem dazugehörigen Material bedacht. In fast allen Zimmern befand sich eine Telefonbuchse, die wir wenn sie offiziell gewesen wären, teuer hätten bezahlen müssen. So bekam Tobi denn seine eigene Nummer und seinen eigenen Apparat, zog den Gummianzug über den Telefonhörer und startete durch. Das wurde dann richtig teuer für ihn und Tobi dachte nach. Er untersuchte den kleinen Verteilerkasten fürs Haus, unten im Erdgeschoss neben der Treppe genau und stellte fest, dass es einen ungenutzten Anschluss gab. Fortan schlich er jede Nacht zu später Stunde die Treppe hinunter und klemmte den Anschluss um. Wieder oben angekommen, zog er das Gummiteil über seinen Telefonhörer und war bis zum Morgengrauen beschäftigt. Bevor er zu Bett ging, schlich er noch mal runter und sorgte für Ordnung am Verteilerkasten. Ich saß vor meiner, damals noch nicht mal elektrifizierten Reiseschreibmaschine und fand das alles ein bisschen merkwürdig, aber letztendlich war es mir egal und Tobis Ding. Seinem piependen Telefonkondom konnte ich nichts abgewinnen, aber seine Erzählungen über die die phantastischen Möglichkeiten der virtuellen Welt fand ich durchaus faszinierend.
Auf der ganzen Linie kann man liegen ohne zu siegen.
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REIZ PILZE.
Eine gesunde Skepsis ist ja nicht unbedingt falsch und deswegen gibt es mittlerweile nicht nur Klimaskeptiker, Impfskeptiker und Hygieneskeptiker, sondern auch Verschwörungsskeptiker. Das wer glaubt, Chancen hat selig zu werden, soll hiermit nicht bezweifelt werden und wer immer noch keine passende Verschwörung gefunden hat, hat selber schuld. Wo es Placebos gibt, gibt es wahrscheinlich auch Placebo Wahrheiten, aber das, was man für bare Münze nimmt auch wirklich Bargeld ist, soll hier nicht behauptet werden. Wetterfrösche, kleine, grüne Männchen, Osterhasen und weiße Mäuse werden davon nicht tangiert und ob der Wolf Rotkäppchens Großmutter wirklich gefressen hat, oder umgekehrt, wird wohl noch lange im Reich der Märchen bleiben. Ein kluger Mann mit Namen Bruno Bettelheim, hat mal behauptet, dass Kinder Märchen brauchen, aber mir scheint, Erwachsene brauchen sie noch viel mehr.
Als HaHe auszog, ließ er drei Frauen in der Wohngemeinschaft zurück. HaHe war es zu viel geworden, mit dem lustigen Leben in der Wohngemeinschaft, den langen, gemeinsamen Abendmahlzeiten, den ausufernden Gesprächen, den spontanen Partys, dem Nachtleben und den wechselnden Freunden seiner Mitbewohnerinnen, samt damit verbundenen Dramen, er strebte ernsthaft einen Doktortitel an und wollte seine Ruhe haben, die er denn auch in einer schönen Altbauwohnung am Schlump fand. Die Vorstellung mit drei Frauen zusammen zu leben, war sicherlich durchaus reizvoll, aber uns war schon bewusst, das unser neuer Mitbewohner nicht nur recht locker, sondern auch Lärm resistent sein sollte und über ein stabiles Nervenkostüm verfügen musste. Bei sämtlichen Vorstellungsgesprächen, wiesen wir immer wieder darauf hin, dass es mit der Nachtruhe in der Wohnung nicht so gut bestellt sei und wer zum Schlafen Ruhe benötigen würde, völlig fehl am Platz sei. Nach langem hin und her entschieden wir uns für Tobi aus Süddeutschland. Tobi war nicht blöd und leidlich witzig, er studierte Maschinenbau und versicherte uns hoch und heilig, dass er komplett Lärm resistent sei. Ein paar Wochen ging alles gut, im Gegensatz zu HaHe konnte Tobi zwar nicht kochen, aber er hörte gerne und verständnisvoll zu, doch dann besuchten mich ein paar Jungs aus der Wohngemeinschaft meines Bruders. Auf dem großen, alten Bauernhof, mussten sie keine Rücksicht nehmen und sie waren entsprechend laut. Natürlich wollten sie was erleben und wir zogen runter zur „Bar Central“ und später ins „Picken Pack“. Weit nach Mitternacht war keiner der Jungs mehr besonders nüchtern und als wir wieder in der Wohngemeinschaft ankamen, feierten wir in der Küche weiter. Cauca, die noch wach war, schloss sich spontan unserer Party an und Daddy war verreist, was mir sehr zupass kam, denn so konnte ich die Jungs in ihrem Zimmer für die Nacht einquartieren. Hoschi, der dem Koma schon recht nahe war, legte sich sofort ab. In der Küche machte eine Tüte nach der anderen die Runde und die Stimmung stieg entsprechend, bis Tobi, nur mit Unterhose bekleidet und wirrem Haupthaar, wie ein Gespenst in der Küchentür stand und sich furchtbar aufregte. Er war fürchterlich anmaßend im Ton und den Jungs gefiel das gar nicht, sie stritten sich immer heftiger, aber eh irgendjemand handgreiflich werden konnte, fing ich an zu lachen, erinnerte Tobi an unsere Abmachung und empfahl ihm Oropax. Tobi fand das gar nicht zum lachen, aber zu seinem Wort musste er dann doch wohl oder übel stehen. Das Hoschi den Papierkorb in Daddys Zimmer mit der Toilette verwechselte, war dann mein Problem. Natürlich erfuhr Daddy nie von der Sache mit dem Papierkorb, Hoschi war sein Missgeschick furchtbar peinlich und wir sorgten dafür, dass der Schaden komplett beseitigt wurde. Hoschi musste sich allerdings noch etliche Jahre immer wieder anhören, er möge bitte nicht den Papierkorb mit der Toilette verwechseln.
Theoretisch ist alles möglich.
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SAHNE SCHLITTEN.
Das wichtigste zum Schluss, Kalifornien brennt. In welcher Märchenwelt leben wir eigentlich, wenn schon die goldene Brücke in feuerrote Luft gehüllt ist. Mag irgendjemand endlich mal die Wahrheit aussprechen, der Kapitalismus hat die Welt ruiniert. Letztendlich ist die allgegenwärtige Blödheit das Problem, aber die stirbt noch lange nicht aus. Unterm Strich tummeln sich Freigeister und fröhliche Mackenkrieger, denn eine Norm für das unbekannte Neuland gibt es nicht. Trotzdem braucht das Land neue Ideen und die Liebe will nicht in der toten Ecke enden. Um die Ecke denken deswegen aber nur Fehlgeleitete, Erbsenzähler, Verschwender, Küchenteufel, Pfennigpfutscher und alle möglichen anderen Abweichler und das Weiche wird das Harte sowieso besiegen. Wenn es denn hart auf hart kommt, schwimmen die Engel mit dem Strom und Schmetterlingsfänger flicken ihre Netze, damit der Wind seine Heimat finden kann.
Zu den größten Heldinnen meiner Kindheit gehörte die Geheimagentin Emma Peel, aus der englischen Fernsehserie, „Mit Schirm, Charme und Melone“. Emma Peel wurde zwar nicht nur von der Schauspielerin Diana Rigg verkörperte, aber keine andere Schauspielerin blieb so sehr als Emma Peel in Erinnerung, wie Diana Rigg. An der Seite von Patrick Macnee, als Geheimagent John Steed, veränderte die heute, im Alter von zweiundachtzig Jahren verstorbene Diana Rigg, dass Frauenbild der sechziger Jahre nachhaltig. Als Meisterin der Kampfkunst, war sie schön, mondän, gebildet und geistreich, zeigte ausgeprägtes technisches Verständnis und Können und war obendrein durchaus in der Lage auf sich selbst aufzupassen. Zwar rettet ihr Serienpartner John Steed sie immer wieder aus äußerst sexy arrangierten Notlagen, aber im Gegenzug rettet sie ihn auch. Ihre hautengen Leder und Vinyl Anzüge, lösten auf der einen Seite Begeisterungsstürme und auf der anderen Seite überaus heftige Ablehnung aus. Aber Diana Rigg war nicht nur Emma Peel, sondern auch das einzige Bond Girl, dass den 007 Agenten im Dienst ihrer Majestät heiratete und obendrein, nach ihrem Filmtod, als „Contessa Teresa di Vincenzo“, von eben diesem James Bond zu tiefst betrauert wurde. Zu ganz spätem Ruhm kam sie dann auch noch, als „Lady Olenna Tyrell“, in „Game of Thrones“ der neben „The Wire“, derzeit berühmtesten und weltweit erfolgreichsten Serie. Wahrscheinlich wäre mittlerweile, eine so schillernde und ambivalente Rolle und von daher auch politisch keineswegs immer korrekte Figur wie Emma Peel, nicht mehr möglich. Das ist sehr traurig, denn Emma Peel regte ganz bestimmt nicht nur meine kindliche Phantasie, zu wilden Ausflügen in den Ozean der unendlichen Möglichkeiten an, sondern auch die etlicher anderer kleiner Mädchen. Nach Emma Peel war dann erst mal Schluss und ich behalf mich, wie die die meisten abenteuerlich veranlagten kleinen Mädchen, mit männlichen Rollenvorbildern. Ich ritt mit den Musketieren als d'Artagan oder edler Graf Athos, durch das Frankreich der Fronde und des Sonnenkönigs, ich segelte mit Errol Flynn, im Dienste ihrer Majestät, der englischen Königin Elisabeth der Ersten, als Pirat um die Welt und wieder ritt ich, mit Cowboys und Indianern durch den wilden Westen, aber niemals als Frau. Mit den Kindern aus der Siedlung zog ich hinaus in die Feldmark und wir waren Winnetou oder Old Shatterhand, aber niemals Winnetous ermordete Schwester Nscho Tschi. Bis heute liebe ich Ponyhöfe, aber für kleine Mädchen ist das Leben in Wirklichkeit immer noch kein Ponyhof. Das Geschlecht ist ein Fluch und statt immer mehr Geschlechter zu schaffen, wären wir vielleicht besser beraten, uns darauf zu besinnen was wir wirklich sind, einfach nur Menschen, egal welchen Geschlechts. Ins Netz muss man trotzdem nicht gehen und Netzaktivisten kümmern sich besser um ihre Vernetzung.
Das Herz braucht keine Hose.
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ZAHLEN TIERE.
Das Pilze letztendlich zu den erfolgreicheren Lebensformen zählen, ist nicht erst seit der Coronakrise bekannt. So kommen denn im Zuge dieses selbstverursachten Desasters, die seit einigen Jahren sinnvollerweise verbannten Heizpilze, wieder auf den Plan. Ökonomisch mag das vielleicht ein wenig Sinn machen, aber ökologisch sind die Wärmepilze eine Umweltkatastrophe. Indien ist überall, die einen gehen raus weil sie sonst verhungern müssten und die anderen zerstören die Umwelt munter weiter, weil sie sonst pleite gehen würden. Letztendlich ist es eine einzige spirituelle, soziale und ökonomische Pleite und die Menschheit wird an ihrer eigenen Blödheit zu Grunde gehen. Blöd nur, dass wir das eventuell mit erleben müssen und die, die es wesentlich mit verursacht haben, schon vorher einen friedlichen Tod gestorben sind. Gänzlich falsch allerdings die Annahmen einiger Vertreter und Vertreterinnen der jüngeren Generation, dass sie von Schuld frei seien, ganz im Gegenteil, viele von ihnen haben schon jetzt ein erheblich viel größeres Klimakonto, als etliche Angehörige der älteren Generation, die niemals geflogen sind.
Die U und S-Bahn Station Sternschanze wurde über mehrere Jahre umgebaut, während derer Heerscharen von Touristen und genervte Anwohner durch eine ziemlich unübersichtliche Baustelle stolpern mussten. Mittlerweile ist es möglich, trockenen Fußes von der S-Bahn zur U-Bahn zu gelangen, was vorher nicht ging. Von der alten Bahnstation Sternschanze aus dem Kaiserreich, einstmals genauso imposant, wie die viktorianische Treibhausarchitektur des Dammtor Bahnhof und des frevlerisch abgerissenen Bahnhof Altona, steht nur noch der imposante Torbogen des Eingangs zum S-Bahn Bahnhof Sternschanze. Bis vor ein paar Jahren konnte man dort zu den Gleisen hoch gehen, aber weiter ging es nicht. Wer zur U-Bahn Station Sternschanze wollte, musste den Weg unter freiem Himmel, unterhalb des Bahndamms nehmen. Der Hang ist noch heute wild bewachsen und die Strecke zwischen dem Eingang zur S-Bahn und dem zur U-Bahn, ist immer noch bei allen möglichen Schnorrern und Künstlern, die dort dem Publikum auflauern, oder die Passanten mit künstlerischen Darbietungen der verschiedensten Art beglücken, außerordentlich beliebt. Es wird aber nicht nur um Geld und Applaus gebeten, sondern auch um unverbindliche Drogenspenden und in einsameren Nächten, mittlerweile sehr selten, lauert dort auch manchmal ein eher schüchterner Exhibitionist, der jedoch sofort das Weite sucht, wenn man ihm etwas forscher entgegen tritt. Dem Eingang zur U-Bahn gegenüber liegt der Schanzenpark und kaum ein Teil der Schanze verweigerte sich der Gentrifizierung, so wie der Park. Trotz der Übernahme des Wasserturm durch den Mövenpick Konzern und die Luxussanierung, leistete der Park stillschweigenden Widerstand. Wie ein Raumschiff aus der Welt des blutsaugerischen Geldadels, steht der Turm mit seiner wundervoll renovierten Fassade und den schönen, im Sonnenlicht glänzenden Kupfer Beschlägen, auf der Anhöhe im Park, unverdrossen umgeben vom Prekariat, das sich mit seinen schlecht erzogenen Kindern und Hunden, auf den Grünflächen in der Sonne aalt. Immer noch werden überall im Park Drogen verkauft, Obdachlose schlafen in den Hütten des Spielplatzes und kein halbwegs vernünftiger Polizist würde sich, trotz des Vereinshauses des Sportclubs der Polizei Hamburg, am Rand des Parks, in das muntere Treiben einmischen. Im Park lebt der Geist der alten, widerständigen Schanze weiter und wartet geduldig darauf, dass das Rad des Schicksals sich weiter dreht. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller das Mövenpick Hotel, nicht mit einem Zaum zu Park abzugrenzen, sondern mit ein paar mannshohen Gebetsmühlen, denn nur so könnte sich der Zorn der missbrauchten Zeit eventuell ein wenig beschwichtigen lassen.
Rot kann man nicht beten.
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AEROBOWLE.
Ob mundtot machen und nichts anderes meint das schnöde Wort „Cancel Culture“, nun wirklich der richtige Weg ist, wage ich stark zu bezweifeln. So wird Minderheiten auf die Dauer nicht zu ihren Rechten verholfen, sondern nur den Rechten zum Sieg. Die alte Wahrheit der Anarchisten, dass wir mit den Methoden unserer Gegner, wie unsere Gegner werden, hat nichts an Gültigkeit verloren. Mittlerweile stehen Anglizismen wie Cornern, das Anwohner Terrorisierung meint und Cancel Culture, das Mundtot machen bedeutet, stark unter verdacht, Missstände zu beschönigen. Wer den Teufelskreis der Wutmenschen durchbrechen will, muss tief in die Trickkiste der Traumfänger greifen und einen Troll aus den Fängen seiner Ignoranz befreien. Wir schlagen einen weiten Bogen, mit dem man zwar nicht schießen kann, aber durchaus weiter kommen, denn schon Isis spannte den Bogen ihrer Existenz über den gesamten Horizont.
Mit dem „Witwenball“, der in die Räumlichkeiten des ehemaligen „Schachcafe“, eine der letzten Bastionen des alternativen Lebens auf der Schanze, zog, etablierte sich auch die höherpreisige Gastronomie endgültig in der Weidenallee. Zwar war das Essen im „L'Incontro“, einem seit langen in der Weidenallee ansässigen italienischem Restaurant, schon immer ein bisschen teurer gewesen, aber auch mehr als ein bisschen besser, die Pizzen des „L'Incontro“ gehörten zu den wenig wirklich genießbaren Pizzen weit und breit, aber ansonsten hoben sich die Preise in der „Gaststätte Bodega“ einem portugiesischem Lokal und der „Trattoria Leandro“ einem weiteren italienischem Restaurant, nicht von denen der Gastronomie im Viertel ab. Das gastronomische Angebot wurde mittlerweile durch das „Cafe Estrella“ und das „Cafe 35“, sowie das „Quan27“ ein Restaurant mit vietnamesischer Küche ergänzt. Der jüngste Neuzugang ist das „SomeDimSum“, kurz vor der großen Kreuzung bei der U-Bahn Station Christuskirche, wo man sich seine Dim Sums, Teigtaschen die mit allem möglichen Zutaten gefüllt sein können, von vegan bis zu echtem Fleisch, selber zusammen stellen kann. Dazu werden wirklich pikante Soßen gereicht und leckeren Nachtisch gibt es auch. Aber erst mit der „Juvelier Expressobar“, deren Name ein wenig in die Irre führt, zog vor ein paar Jahren die anspruchsvollere Gastronomie in die Weidenallee ein. Das Essen im „Witwenball“ wird seinen Preisen in etwa gerecht, die Speisekarte ist sehr überschaubar, was meistens der Qualität des Angebots zu Gute kommt, aber auf die Dauer ist es denn doch ein wenig eintönig und müsste, um dem preislichen Anspruch stand zu halten, öfter mal wechseln. Die Weinkarte ist üppig, der Wein sehr lecker und sehr teuer. Im „Witwenball“ tauschen sich ältere Geschäftsfrauen mit Raubvogelgesichtern, über die Qualitäten ihrer erheblich jüngeren Liebhaber aus, gut verdienende Mitarbeiter, der im Viertel ansässigen Werbe und Eventagenturen belegen größere Tische, ältere Herren bewirten schöne Frauen, die ihre Töchter sein könnten, Gäste des Hotels im ehemaligen Wasserturm genießen ein pseudoalternatives Straßenambiente und verliebte Pärchen und besser situierte Anwohner leisten sich ein gutes Essen unter blühenden Straßenbäumen. Die obdachlosen Zeitungsverkäufer und Verkäuferinnen von „Hinz und Kunz“, werden meistens ein Exemplar los und auf dem breiten Bürgersteig flaniert immer noch das Prekariat vorbei. Hinter der Kreuzung Weidenallee / Altonaer Straße, findet der gehobene Tourismus dann ganz schnell ein Ende und die Schanze in all ihrer Härte schlägt wieder zu. Schwer liegt der Geruch von Frittenfett, Dönertaschen und halben Hähnchen über der Strecke zwischen der Kreuzung Weidenallee / Altonaer Straße und der S-Bahn Station Sternschanze, deren Vorplatz ohne die allgegenwärtigen Schnapsleichen irgendwie nackt wäre. Lange Jahre rauh und spröde und nicht zugänglich für die kapitalistische Vermarktungsmaschinerie, wurde die Schanze mittlerweile komplett verdaut und vernichtet. Einzig ihre Rauheit blieb und mutierte zu einer unsäglichen Ballermannisierung.
Lieber singend in den Morgen, als singend zum Morden.
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PHRASEN SCHUTZ
Das Grönlandeis schmilzt unwiderruflich und wenn dann, in durchaus absehbarer Zeit, der grönländische Eisschild abgeschmolzen ist, ist der weltweite Meeresspiegel um sieben Meter gestiegen. Den Hamburger Hafen und die schöne Insel Sylt gibt es nicht mehr. Land unter, Schwamm drüber. Zur Kenntnis nehmen will das natürlich noch nicht mal ein ungefragtes Schwein und selbst ausgewiesene Apokalyptiker tun sich schwer, denn der Abschied von langjährigen Gewohnheiten ist kein Kindersprung. Wo der Wolf die Schuhe der Kinder frisst, können die Kinder nicht mehr in die große, weite Welt ausschwärmen, aber der Wolf frisst weder Kreide noch Schuhe und flüchtet stattdessen in den dunklen Wald. Nun ist der Wald aber auch nicht mehr, was er mal war und stirbt, bevor der Wolf wieder richtig Fuß fassen kann. Mit der Füßen sollte man ja sowieso nicht abstimmen und wo der Wolf wieder kommt, sollte er willkommen geheißen werden.
Unter den hohen, alten Bäumen tanzten die letzten Mücken des Spätsommers, die Dämmerung war schon lange herein gebrochen und wir machten uns auf den Rückweg. An der Kreuzung bei der U-Bahn Station Christuskirche entschieden wir uns für die Weidenallee. Noch vor ein paar Jahren eine eher windige und unwirtliche Rennstrecke für eilige Autofahrer, ist die Weidenallee mittlerweile mächtig aufgehübscht worden. Die Fahrspur wurde schmaler und gewundener, der Verkehrsfluss beruhigt und etliche Parkbuchten, dem neu gepflasterten und schon vorher recht breiten Bürgersteig zu geschlagen. Diese Maßnahme kam hauptsächlich der ortsansässigen Gastronomie zu gute, die ihre sogenannten Sommerterrassen mächtig ausweiten konnte, was vom Publikum dankbar angenommen wurde. Die Stadt spekulierte dabei aber keineswegs auf die Anwohner, sondern eher auf die betuchten Touristen aus dem ehemaligen Wasserturm, für die der Ballermann Tourismus am Schulterblatt nicht in Frage kam. Etliche kleine Geschäfte mit überflüssigen Schnickschnack für den gehobenen Bedarf, siedelten sich zwischen den Gastronomiebetrieben und dem wenigen noch verbliebenem Gewerbe, wie „Hörgeräte Weber“, dessen Mitarbeiter dort seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ihre durchaus kompetenten Dienstleistungen anbieten, die von mir auch schon seit über dreißig Jahren in Anspruch genommen werden, an. Der schon seit langen ansässigen, italienischen Weinhandlung, gesellte sich ein Fachgeschäft für Craft Beer zu, bereits das dritte im Umfeld der Schanze. Die Baulücken wurden mit Mehrfamilienhäusern gefüllt, deren Eigentumswohnungen sich durch besonders großzügige Balkone auszeichnen und viele alte Fassaden erstrahlen mittlerweile in neuem, farbigen Glanz. Den Schnickschnack Läden bekam die Coronakrise nicht so gut, ein paar von ihnen mussten bereits schließen, aber die Gastronomie mit ihren großzügigen Sommerterrassen brummt schon wieder. Wenn ich wehmütig werde, stelle ich mir vor, was die Schanze ohne Tourismus wäre. Das was Ivo unser St. Pauli nannte, ein Freiraum für selbstbestimmtes Leben in alten Häusern, die ganz langsam und organisch und im Einklang mit ihren Bewohnern und Bewohnerinnen saniert werden. Nun ruiniert Geld leider die Welt und auch unser St. Pauli blieb nicht verschont davon. Wo die Mieten erhöht werden können, werden sie erhöht, auf Teufel komm raus und wenn der Teufel dann wirklich raus kommt, ist das Gejammere groß. Ungerechtigkeit erzeugt Hass und Hass ist letztendlich tödlich. Zwischen der Bellealliancestraße und der Altonaer Straße, zeugen immer noch unzählige Aufkleber an den Wänden der Häuser, von einem ausgeprägten, politischen Bewusstsein, für genau diese Zustände, aber leider sind ihre Protagonisten entsetzlich intolerant und dulden keine anderen Meinungen. Nun ist die Meinungsfreiheit aber die Kronprinzessin der Demokratie und ohne sie geht es nicht.
Der Widerstand wird immer wieder wiedergeboren.
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