STUSS
     MUND

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29.09.19 26.09.19 23.09.19 20.09.19 17.09.19 14.09.19 11.09.19 08.09.19 05.09.19 02.09.19
CHARME FLORA.

Trotzdem aus einem Imbisswagen Essen auf Rädern angeboten wird, handelt es sich nicht um Essen auf Rädern und obwohl Essen auf Rädern ein Bringservice ist, so ist ein Bringservice doch etwas anderes, selbst wenn die Pizza auf zwei oder vier Rädern bis vor die Haustür geliefert wird. Um die Verwirrung der mobilen Esskultur auf die Spitze zu treiben, gibt es seit neustem sogenannte Food Trucks, dabei handelt es sich um ziemlich aufgemotzte und überdimensionierte Imbisswagen, SUV Imbisswagen sozusagen, die aber keine Imbisswagen mehr sein wollen, sondern eben Food Trucks. Zum Führen eines Food Trucks bedarf es nicht nur eines gültigen Führerscheins, sondern auch zwingend eines Vollbartes und eines hippen Hütchens. Kochkenntnisse müssen nicht zwingend vorhanden sein, denn wo Food draufsteht, braucht eben nur Food raus kommen. Wer denn nun Food Manager werden will, kauft sich erst mal ein hippes Hütchen und lässt sich einen Vollbart stehen, Rübezahl musste ja schließlich auch nicht kochen.

Der Garten des „Das Peace“, das sich mit vollem Namen Peacetanbul nennt und in seinem Inneren mit einem großen Gemälde von Jesus, Krishna und drei wohl Krishna zuzuordnenden Damen schmückt, die allesamt mit Kopfhören bewaffnet sind und außer der mittleren Dame auch mit Plattenspielern, wird von der Karolinenstraße freigiebig mit Lärm beschallt. Wir suchten uns ein ruhiges Eckchen im hintersten Winkel des Garten, möglichst weit weg vom stetigen Brausen des Verkehrsfluss auf der Karolinenstraße. Hinter uns befanden sich nur noch ein paar Bierbänke und ein Stehtisch. In dieses tote Eck waren einst unter Drogen und Alkoholeinfluss zusammengebrochene Besucher der Diskothek geschleppt worden, um sie zu beruhigen oder wiederzubeleben. Wer Glück hatte wurde von kompetenten Personen, mit an der Außenfassade oder einer Bank hochgelegten Beinen rigoros auf den Boden drapiert, bis der Kreislauf sich wieder stabilisierte. Schwieriger zu behandeln waren mit Paranoia, Hysterie oder akutem Größenwahn befallene Konsumenten und ganz schlimm wurde es, wenn jemand anfing laut zu schreien und sich gar nicht mehr beruhigen wollte. Heute brüllen im Peacetanbul nur noch die alternativen Kinder alternativer Eltern. Wir hatten Glück, die Brüller befanden sich mehr im Bereich zur Karolinenstraße und ihr Geschrei wurde fast vollständig vom Lärm der Autos verschluckt. Während wir die lange, aber im Grunde, wegen des dominanten Krautsalat, nicht sehr abwechslungsreiche Speisekarte studierten, wehte uns mit einmal ein stechender Geruch nach Scheiße an. Im ersten Moment dachte ich, dass auf dem Bürgersteig zur Marktstraße ein Hund sein Geschäft erledigt hätte, aber dann sah ich die alternative Mutter, die ihrem gar nicht mehr so kleinen Sprössling auf einer der Bänke hinter uns die voll geschissene Windel wechselte. So richtig Appetit anregend war das nicht, aber des allgemeinen Peace wegen hielten wir uns die Nasen zu und warten ab, bis der Gestank verflogen war. Das Essen kam und während ich die Kleinigkeiten um das Krautsalatgebirge in der Mitte des Tellers aß, musste ich daran denken, wie Klaus, Caucas Freund hier einst kollabiert war. Klaus war Typ 1 Diabetiker, groß, dünn und mit einem wahren Vogelnest blonder Locken auf dem Kopf unterwegs. Bei den Frauen kam er gut an, aber mit seiner Erkrankung kam er überhaupt nicht gut zurecht. Schon ein paar mal hatte er morgens ohnmächtig in Caucas Bett gelegen und sie ganz furchtbar erschreckt. Mittlerweile wusste Cauca was sie zu tun hatte, wenn Klaus Zuckerwerte wieder mal in den Keller gefallen waren, aber trotzdem hatte sie jedes mal wieder Angst, dass Klaus nicht mehr zu sich kommen würde. Es war unmöglich mit ihm über sein Verhalten zu sprechen, er blockte total ab und trank nur noch mehr. Cauca litt furchtbar und wir wünschten uns, dass sie Klaus den Laufpass geben würde, aber sie war mindestens so furchtbar verliebt in Klaus, wie sie unter seinem Verhalten litt. Obwohl er nicht in Hamburg, sondern in Bremen wohnte und dort auch studierte, war er ziemlich häufig bei uns zu Besuch und wohnte gerne mal zwei Wochen am Stück mit bei Cauca im Zimmer. Er war wie ein Mitbewohner, den wir uns nicht ausgesucht hatten und auch nicht ausgesucht hätten und außerdem hatte er Heidi und mich angebaggert, was wir Cauca aber nicht erzählten. HaHe konnte ihn überhaupt nicht leiden, er hielt Klaus für eine weinerliche Heulsuse und außerdem hatte er auch schon mitbekommen, dass Klaus notorisch andere Frauen anbaggerte, aber auch er hielt Cauca zu liebe die Klappe.

Wer sich in Schale wirft, sollte nicht mit Schalen werfen.

SCHISS TRAUEN.

Das man sein Klima Konto nicht ohne irreversible Folgen überziehen kann, leuchtet den Kindern das Kredit Kapitalismus natürlich nur schwer ein. Es gibt keine Minuszinsen, nur Umweltkatastrophen, die noch mehr Minus produzieren und im Minus sind wir sowieso schon sehr lange. Wer wirklich ins Plus will, minimiert konsequent und hinterfragt den Wachstumswahn gründlich, denn Plus wird es lange nicht mehr geben. Plus gibt es nur noch für Minus, für weniger ist mehr, für weniger Gewinn und mehr Gleichheit. Am Wachstum scheitert letztendlich alles und nur wer das Wachstum bändigt und in Gleichgewicht verwandelt, wird langfristig überleben. Auf diesem Planeten sind schon etliche Kulturen, seien sie nun bakteriell, pflanzlich oder humanoid, an ihren ausufernden Wachstum gescheitert, denn wer seinen Wirt zerstört stirbt. Den Planeten stört das nicht wirklich auf seiner Reise durch die Unendlichkeit.

Gegenüber vom Fernsehturm, der seit fast zwanzig Jahren nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich ist, geht es dann über eine gemauerte Treppe oder die Betonrampe für Rollstuhlfahrer, runter zu Planten & Blomen. Der Blick reicht von der Teichlandschaft im Eingangsbereich, bis zur großen Wiese und ist ganz bezaubernd, nur leider war es im Park noch voller als im Viertel. Von der ungewöhnlich warmen Septembersonne mobilisiert, tummelte sich jede Menge Volk auf den Wiesen und am Wasser und fast jeder der weißen Gartenstühle war besetzt. Auf der hölzernen Sonnenterrasse am Kiosk war kein Tisch mehr frei und die Schlange vorm Kiosk wand sich einmal um die gesamte Terrasse. Wir hielten uns linker Hand, Richtung Apothekergarten, in der Hoffnung dort ein stilles Eckchen zu finden, aber selbst die unspektakulären und sonst eher vernachlässigten Heilpflanzen, waren gut besucht. Von der voll besetzten Orchestermuschel schallte es herüber und wer noch kein Eis in der Hand hatte, stand darum an. Zwischen Apothekergarten und großer Wiese, fanden wir dann im Schatten der großen, alten Bäume endlich ein halbwegs stilles Plätzchen. Zwar war der Lärm schwer auszublenden, aber beim Blick in das schon leicht verfärbte Laub der hohen Kronen, entfaltete das Altweibersommerlicht dann doch noch seine ganze Magie. Lichtflecken tanzten über den Boden, im Gebüsch glitzerten die langen Fäden reisender Spinnen und ab und an huschte ein Eichhörnchen vorbei. Auf der Nachbarbank stritt sich lautstark ein junges Pärchen und animierte zwei Eichhörnchen dazu, es ihnen gleich zu tun. Übermütig jagten die Eichkater die Baumstämme hinauf und wieder hinunter, im Abfalleimer neben unserer Bank raschelte es verdächtig und als das streitende Pärchen sich dann auf den Weg machte huschte eine Maus aus dem Abfalleimer und verschwand ganz schnell im Schatten zwischen den Bäumen. Über den picknickenden Großfamilien und turtelnden Pärchen, den tobenden Kinderhorden, den schreienden Babys, den Federballspielern, dem unermüdlich posendem Jungvolk und nicht mehr ganz so jungem Volk, unten auf der großen Wiese am zentralen See, kreisten unzählige Möwen und landeten immer wieder, völlig unbeeindruckt von dem unübersichtlichen Getümmel, mitten zwischen den Besucherhorden und schnappten sich alle möglichen Essensreste. Hier finden auch von Mai bis September die allabendlichen Wasserlichtspiele statt und wenn man sich einen Schietwettertag unter der Woche für den Besuch aussucht, kann es sogar ganz schön sein. Goldene Septembertage sind nun allerdings nicht der beste Zeitpunkt für einen Besuch bei Planten & Blomen. Auf den Wegen durch den Park, herrschte Verkehr wie auf dem Dom und am sonst so idyllischen, japanischen Teepavillon ballte sich eine Menschentraube. Wir verließen Planten & Blomen beim Ausgang an den Gerichten und an der Ecke Marktstraße / Karolinenstraße beschlossen wir tollkühn, eine uns unbekannte Lokalität mit dem Namen „Das Peace“ auszuprobieren. Da wo das „Das Peace“ heute schwer Krautsalat lastige Gerichte unters Volk bringt, ging es Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre hoch her. Die Wände der Mini Diskothek waren mit Postern der Woodstock Ikonen gepflastert, der Platz zwischen den Postern mit psychedelischen Motiven bemalt und mit Spiegelscherben beklebt. Die Musik war ebenfalls sehr psychedelisch und auf den Tischen lagen kleine Zettel, die dringend empfahlen Brief und Handtaschen nicht aus den Augen zu lassen. Im Garten kreisten fette Tüten, der Laden war total verrufen, denn auf den Toiletten und im Garten wurden streng verbotene Substanzen erst verkauft und dann konsumiert.

Schuld ist kein Haben.

KLIMA KOTZEN.

Zigarettenwerbung ist ja nun schon seit einigen Jahren verboten, aber solche Schadstoffschleudern wie Autos, dürfen immer noch überall beworben werden, obwohl sie dem Klima erheblich schaden. So ganz erschließt sich mir die Logik solcher Regelungen nicht, zumal der Autoverkehr uns alle und das Klima schädigt, derweil rauchende Personen durchaus überschaubarer, sich selbst und ein eingrenzbares Umfeld schädigen. Warum eigentlich wird der Individualverkehr in unseren großen Städten nicht einfach verboten, eine Maßnahme die dann wirklich mal was bringen würde und im Gegenzug, die Pendlerpauschale bis vor die Tore der Städte angemessen erhöht, denn all die Menschen die durch steigende Mieten gezwungen wurden, weit weg von ihren Arbeitsplätzen zu wohnen, sollten nicht Opfer einer wirksamen Klimapolitik werden. Umweltschädliche Produkte zu bewerben, sollte jedoch grundsätzlich verboten werden, wegen aktiver Förderung umweltschädlichem Verhaltens.

Gar nicht wüst und leer war es heute Nachmittag im Viertel. Das zauberhafte Septemberwetter hatte uns raus gelockt und zu einem spontanen Ausflug zu Planten & Blomen animiert, aber nicht nur uns. Unten auf dem Bürgersteig tummelten sich Horden spärlich und geschmacklos gekleideter Menschen, die ihre nicht immer besonders gelungenen Tatoos zur Schau trugen. Mit fragwürdigen Getränken „To go“ in Aluminiumdosen bewaffnet, leisteten sie ihren persönlichen Beitrag zur Klimawende, produzierten unüberhörbaren akustischen Müll und verstopften das Viertel. Am Pferdemarkt war es grauenhaft, der Weg durch die Beckstraße brachte ein wenig Erleichterung, aber auf dem Stück zwischen Sternstraße und Marktstraße waren sie dann alle schon wieder da. Hinter der Schlachthofpassage bogen wir ab in die Laiszstraße, eine wahre Oase der Ruhe und fast komplett frei von vagabundierenden Touristenhorden. Unter strahlend blauem Himmel und herbstlich verfärbten Bäumen, wandelten wir am Backstein Mauern mit verblassten Graffiti bis zur Ecke Vorwerkstraße und dort an der Rückseite des Vorwerkstift weiter Richtung Planten und Blomen. Außer ein paar Anwohnern war niemand unterwegs, wunderbar verschlafene, sonntägliche Stille herrschte auf unserem Weg durch die kleinen Straßen des Karoviertels zwischen den Bahngleisen und der Messe. Manche Häuser sehen noch genauso aus, wie damals als Alex, Basti und Clemens in den besetzten Häusern an der Marktstraße wohnten und Totenkopf Dirk, im schon lange abgerissenen Haus an der Ecke Laiszstraße / Marktstraße residierte. Hier auf der Rückseite des Schlachthofviertels hatte mein Kater Robert sich rum getrieben, bis er mit zwölf Jahren zu alt für das unstete Leben in einem besetzten Haus geworden war und Basti ihn zu mir brachte und Robert mich noch mit neun Jahren seiner Gesellschaft beschenkte. Auch wenn die Baulücken mittlerweile mit modernen Gebäuden geschlossen worden sind, die erheblich viel luxuriöser sind als die alten Bauten aus dem neunzehnten Jahrhundert, ist es ein wenig so, als wäre die Zeit dort vor der Jahrtausendwende stehen geblieben und böte den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Asyl. An der Ecke Flora-Neumann-Straße / Karolinenstraße, holte uns die Gegenwart dann ganz schnell mit dem Lärm der mehrspurigen Verkehrsachse und den architektonischen Gräueltaten der Messehallen wieder ein. Der breite Bürgersteig vor den Hallen ist eine Wüste, weit und breit nichts was dem Auge schmeicheln könnte, im Sommer kein Sonnenschutz, nur Hitze und grelles Licht und graue Steine. Wenn kein Sommer ist, fegen Wind und Regen oben von der Kreuzung, wo Verbindungsbahn, Schröderstiftstraße und Karolinenstraße aufeinander treffen und das Hotel Mercure, mit seiner futuristischen Fassade wie ein aus Versehen auf der Erde gelandetes Ufo steht, bis runter zur Musikhalle am Johannes-Brahms-Platz. Auf dem Weg die Karolinenstraße hoch Richtung Fernsehturm und Planten & Blomen, steht am der Ecke Lagerstraße / Karolinenstraße ein schönes altes Backsteingebäude, dass zwar nicht für die Messehallen abgerissen wurde, aber dafür einfach überbaut. Umzingelt von Scheußlichkeit, liegt es dort unter dem Dach der Messe in einem Dornröschenschlaf und wenn dann der Sturm das Dach der Messe hinweg getragen hat, wird es vielleicht aus seinem Schlaf erwachen.

Markt macht mobil.

ZWERG PREDIGT.

Gegen Ende Februar vor achtunddreißig Jahren, demonstrierten an die hunderttausend Menschen in der Wilstermarsch gegen das geplante Atomkraftwerk Brockdorf. Es war bitterkalt und der größte Teil der Demonstrationsteilnehmer musste bei eisigen Temperaturen und scharfem Wind, an die fünf Kilometer zu Fuß bis zum geplanten Standort der Kernkraftwerks laufen. Viele Teilnehmer waren von weit her gekommen und hatten sehr kreativ Straßensperrungen umfahren, obwohl es noch kein Internet gab und ob sich heutzutage noch an die hunderttausend Demonstranten, ohne zu Hilfenahme des Internets, bei eisigen Temperaturen zusammen finden würden, wage ich zu bezweifeln. Auch befallen mich Zweifel am Willen zur Veränderung, wenn Teilnehmer einer Klimaschutz Demonstration mit Getränkedosen aus Aluminium, auf eben dieser Demonstration mitlaufen. Grün wählen ist ja ganz schön, aber nur grün handeln hilft wirklich.

Anlässlich eines Länderschwerpunktes im Abaton, sahen wir „By By Brazill“. Der Film, eine französisch-brasilianisch-argentinische Koproduktion, entstand 1979 unter der Regie des Brasilianers Carlos Diegues und landete ganz schnell in Europas Programmkinos.. Der farbenprächtig, ebenso poetische wie grausame Film, faszinierte uns mit seiner Exotik und der ganzen Tragik einer fantastischen Welt, deren Untergang durch die moderne Zivilisation unübersehbar war. Heute kann man sagen, dass der Film sehr prophetisch war. Wir diskutierten Nächte lang über den Film und sahen ihn uns dann noch zweimal an. HaHe organisierte ein Filmplakat, das auf wundersame Weise aus seinem Schaukasten entkommen war und wir hängten das Plakat im Badezimmer über der Badewanne auf, wo es dann etliche Jahre hängen blieb und Badeschaum gekrönte Träume beflügelte. Nach den Vorführungen im Abaton, gönnten wir uns gerne noch eine Pizza, flankiert von Bier oder Wein im Kino eigenen Lokal. Die im zweiten Stock neben dem Kino gelegene Pizzeria konnte über eine Treppe von der Straße aus betreten werden, aber auch durch den Hintereingang direkt vom Kino aus. Im Abaton gab es zwei Vorführräume, das große und das kleine Kino, wobei die Leinwand des kleinen Kino in etwa so groß war, wie ein etwas überdimensionierter, moderner Fernseher, aber auch das große Kino war nicht wirklich groß. Am Wochenende reichte die Schlange vorm Kassenhäuschen, selbst wenn beide Kassen besetzt waren, oft die ganze Treppe bis auf den Bürgersteig hinunter. Wer versuchte sich vor zu drängeln, musste mit heftigen, verbalen Maßregelungen rechnen und oft hieß es, noch während die Schlange bis zum Bürgersteig runter reichte, dass die Vorstellung jetzt ausverkauft sei. Wer Karten vorbestellt hatte, kam tunlichst rechtzeitig, denn noch nicht abgeholte Karten wurden, in Anlehnung an das akademische Viertel, rigoros eine viertel Stunde vor Beginn der Vorstellung weiter verkauft. Diese gnadenlos durchgezogene Regel des negativen akademischen Viertels, zog manches Mal heftige Proteste nach sich und wer allzu ausfallend oder laut wurde, musste mit Kinoverbot rechnen. Wer dann glücklich einen der Kassenschalter oben an der Treppe erreicht hatte und mehrere Karten erstehen wollte, wurde im ungünstigsten Fall damit konfrontiert, dass es nicht mehr genügend Karten für alle Mitglieder der Gruppe gab. Das Abaton lief blendend und war oft ausverkauft. Im Titel ohne By By, von der Thematik aber völlig anders und Jahrzehnte in die Zukunft versetzt, gefiel uns ein paar Jahre später, der Film Brazil von Terry Gilliam. Die Mischung aus Orwellscher Science Fiktion, Groteske und schwarzem Humor war einfach gelungen und auch Brazil enthält einige ziemlich prophetische Momente. Was wir uns damals ganz bestimmt nicht hätten träumen lassen, ist der Enthusiasmus, mit dem wir knapp fünfzehn Jahre später auf die Errungenschaften der modernen Informationsgesellschaft einlassen würden, die letztendlich auch nur dazu dienen, uns genauso zu kontrollieren, wie die Protagonisten des Films Brazil. Der Preis des Komforts ist Kontrolle und ob der Komfort wirklich Komfort ist, ist auch noch lange nicht geklärt. Die Umwelt wird sowieso immer zerstört, in „By By Brazil“ jeden Tag, mit dem die sogenannte Zivilisation immer weiter in das Amazonasgebiet eindringt und in Brazil ist es, wie in allen anderen Dystopien schon lange geschehen. Hinter den Mauern der Zivilisation ist die einstmals wilde und wundervolle Welt wüst und leer geworden.

Ruhe gibt es nicht mal im Karton.

DRACHEN MAUT.

Ich kaufe also bin ich und wer nicht kauft lebt nicht. Die Priester und Priesterinnen des Produkts haben uns den Kopf mit Plastikmüll zugeschissen und wir haben es wohlwollend erlaubt. Irreführende Werbung gehört mit lebenslangem Werbeverbot bestraft. Strafe muss zwar nicht sein und was eine Strafe ist, richtet sich sowieso immer nach den Umständen und der herrschenden Meinung. Andererseits hat Strafe allerdings sehr viel zu tun mit Verhältnismäßigkeit und dazu gehört, dass die Höhe von Strafzahlungen keinesfalls für alle gleich sein kann, sondern sich nach der Höhe des Einkommens oder Vermögens richten muss, wenn die Strafe denn halbwegs gerecht sein soll. Dummerweise ist unsere Gesellschaft nicht gerecht und deswegen kann sie auf Dauer auch nicht wirklich funktionieren. Schafrechtler und die, die mit dem Wolf tanzen wissen das schon lange und wählen einen andern Weg.

Ein paar Jahre später fand das Abendprogramm dann nicht mehr vorm Fernseher statt, sondern in Diskotheken, auf abendlichen Treffen im Freundeskreis und auf Partys. Ein Wochenende ohne Party war kaum vorstellbar und mein Fernsehkonsum beschränkte sich auf den frühen Freitag Abend und den frühen Sonntag Nachmittag. Wenn ich am Freitag zwischen halb sechs und sechs Uhr abends, endlich von der Schule nach hause kam, standen meine beiden kleinen Schwestern meistens schon oben an der Treppe vorm Fernsehzimmer und mir schallte die Aufforderung entgegen, mich schnellst möglich nach oben zu begeben und mit ihnen „Männer ohne Nerven“ zu sehen. „Männer ohne Nerven“, von mir in Gedanken stets um den Zusatz und Frauen ohne Gewissen ergänzt, bestand aus Zusammenschnitten alter Stummfilme, wie „Dick und Doof“, „Die kleinen Strolche“ und etlichen, eher Slapstickartigen Westernsequenzen. Manchmal traten auch Charlie Chaplin oder Buster Keaton auf und wir lachten uns regelmäßig halb tot. Was meine Schwestern, die meistens schon in ihren Schlafanzügen steckten, von ihrem Abendbrot nicht essen wollte, übernahm ich diskret, zur Freude meiner Schwestern und meiner Mutter. Das meine Schwestern schon ihre Schlafanzüge trugen, bedeutete allerdings nicht, dass sie schon bald ins Bett gehen würden, im allgemeinen war es noch ein langer, harter Weg bis dahin. Sie litten furchtbar Durst, sobald sie im Bett lagen und wenn der Durst gestillt war, mussten sie schon bald noch mal zur Toilette. Die zweite Fernsehsession fand dann am Sonntag gegen drei Uhr nachmittags statt. Nach einer langen Party oder Disko Nacht, schlief ich gründlich aus und schaffte es mit meinem Frühstücksteller gerade noch rechtzeitig, zur Ausstrahlung der Serie “Pan Tau“ vor den Fernseher, wo meine Schwestern schon auf mich warteten. Der hintergründige Humor des melancholischen Zauberers aus der Tschechoslowakei, mit der schwarzen Melone auf dem Kopf, hatte es mir sehr angetan. Als ich nach Hamburg zog, nahm ich den uralten, tragbaren, schwarzweiß Fernseher meiner Mutter mit. Er hatte nicht viel zu tun und kam hauptsächlich zum Einsatz, wenn ich krank im Bett lag. In der Wohngemeinschaft war Fernsehen dann schon eher verpönt, denn am Küchentisch liefen sowieso die spannenderen Diskussionen und außerdem gingen wir mindestens einmal die Woche ins Abaton. Im Abaton liefen die angesagtesten Filme, wir sahen „Das Messer im Kopf“ mit Bruno Ganz, ein Film der mich schwer beeindruckte und viele, sehr kontroverse Diskussionen am Küchentisch der Wohngemeinschaft nach sich zog. Den Iffland Ring hat Bruno Ganz schon allein wegen diesem Film verdient. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, nach der Erzählung von Heinrich Böll, verfilmt von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, führte zu endlosen Diskussionen über die etwas hysterische Reaktion der Staatsorgane auf den Terror von Links. Während einer langen Nacht im Klick, hatte eine mit Maschinengewehren bewaffnete Polizeieinheit, aus welchem Grund auch immer, das Kino gestürmt. Wir mussten uns mit erhobenen Händen an die Wände des Kinos stellen und wurden nach Waffen abgetastet. Außer ein paar verbotenen Rauschmitteln fand sich nichts, aber die Erfahrung war unangenehm und prägte sich ein. Auf der, ebenfalls wegen Terrorismusfahndung komplett gesperrten Autobahn, wurden wir angehalten und wieder mit Maschinengewehren bedroht. Die Hysterie war allgegenwärtig.

Wer zaudert zaubert nicht.

FLUCH TICKET.

Anstatt Feiertage zu streichen, sollten wir wieder mehr Feiertage einführen, denn wer feiert arbeitet nicht. Nun ist feiern aber nicht gleich feiern, Feierbiester wissen das und zur Schonung der Umwelt taugt feiern als reiner Selbstzweck gar nicht. Besser ist es da schon die Umwelt zu feiern, um Bewusstsein zu schaffen, für die Schonung der Umwelt, man nennt es dann Umweltbewusstsein. Den Bäumen ein Tag, den Blumen ein Tag, den vier Elementen jeweils eine Woche und der erste arbeitsfreie Monat ist voll. Nun zürnen die Götter ja schon, mit Monsterstürmen, Monsterwellen und Monsterfluten, denn wer die Umwelt nicht schont, wird in Monster Schwierigkeiten geraten und wer die Signale nicht hören will, muss die Folgekosten tragen. Sicher ist auch nicht mehr sicher und Versicherungen versichern nur noch was sowieso sicher ist, damit ihnen ihr Gewinn sicher ist, bis die Sicherungen raus fliegen.

Lange vor Hansi Kraus, begeisterten mich Diana Rigg und Patrick Macnee, als Emma Peel und John Steed, in der Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“. Bis heute ruft mir die Titelmelodie unweigerlich das Bild der Agentin Emma Peel, in ihren Catsuit aus schwarzem Leder vors Auge. Emma war einfach toll und das ganze exzentrisch luxuriöse Ambiente des schwarzweiß Films auch. Obwohl sie mit ihrem in rosa Tönen gehaltenen, Bauch freiem Haremskostüm, wirklich ein völlig anderes Frauenbild verkörperte, begeisterte mich Barbara Eden, als bezaubernde Jeannie in der gleichnamigen Serie, nicht weniger. Ich litt mit ihr, wenn Larry Hagman, ihr geliebter Major Toni Nelson, sie mal wieder in der Flasche eingesperrt hatte und fand es durchaus angemessen, wenn sie ihn bestrafte und mit ihren Zauberkräften in unglaubliche Situationen versetzte, aus denen sie ihn dann in letzter Sekunde rettete. Einmal mit den Augen gezwinkert, die Wohnung war aufgeräumt und auf dem gedeckten Tisch stand ein Essen. Jeannie galt als Kinder kompatibel und ich durfte die Serie sehen. Zum Kostümfest ging ich dann als Bezaubernde Jeannie. Ebenfalls in der Mitte der sechziger Jahre, wurde im deutschen Fernsehen erstmals die Serie „Simon Templar“ mit Roger Moore in der Hauptrolle ausgestrahlt. Ich war sehr angetan, von dem aristokratischen Gentleman, Abenteurer und Hobby Detektiv, der rund um den Globus, umschwirrt von schönen Frauen Kriminalfälle löste und obendrein auch noch gelegentlich edle Robin Hood Allüren an den Tag legte. Natürlich durfte ich die Serie eigentlich nicht sehen, aber da meine Eltern ein reges Partyleben pflegten und ziemlich oft außer Haus waren, standen meine Chancen die Serie zu sehen sehr gut. Unser Babysitter, Isches sechzehnjährige Schwester Gabrielle, nur Elle genannt, hatte keinerlei Interesse daran, meinen kleinen Bruder und mich bei unserem Hobby zu stören. Wir störten sie dafür nicht bei ihrem Hobby, den Treffen mit ihrem Freund im Haus meiner Eltern. Um den Couchtisch standen drei sehr moderne, lindgrüne Sofas. Das große, dreisitzige Sofa konnte nur schwer verrückt werden, aber die beiden Zweisitzer standen auf Rollen und konnten ohne weiteres durch die Gegend geschoben werden. Wir navigierten die Sofas vor den Fernseher, der im Sidebord untergebracht war, Elle verschwand im Haus und wir machten es uns mit Tüten voller Knabbergebäck vorm Bildschirm gemütlich. Meistens schliefen wir irgendwann vorm immer weiter laufenden Programm ein. Als dann Anfang der siebziger Jahre „Die 2“ mit Roger Moore und Tony Curtis in den Hauptrollen ausgestrahlt wurde, waren meine Eltern bereits geschieden und ich durfte schon öfter mal offiziell mit vorm Fernseher sitzen. Natürlich ist Roger Moore auch in dieser Serie wieder in der Rolle eines sehr reichen, englischen Lord, mit dem Namen Brett Sinclair zu sehen und Tony Curtis spielt den noch reicheren, amerikanischen Selfmade Millionär Danny Wilde. Die anfangs zwangsweise zusammen gekoppelten Hauptdarsteller, tummeln sich, wie immer umgeben von attraktiven Frauen, gerne an den luxuriösesten Lokalitäten der französischen Mittelmeerküste, wie Cannes, Nizza oder Monte Carlo. Die Synchronisation der Serie legte den beiden Hauptdarstellern, jede Menge ziemlich flapsige Sprüche in den Mund, was meinem Vater und mir besonders gut gefiel. Meine Stiefmutter war nicht so begeistert davon und rächte sich gerne mit einem Tränen reichen, Taschentuch bewehrten „Sisi“ Marathon, oder den damals außerordentlich beliebten abendlichen Showprogrammen von Joachim Kulenkampff und Vico Torriani. Das der Kandidat neunundneunzig Punkte hat, habe ich bis heute nicht vergessen.

Für das Klima streiken ist gut, für das Klima streiten noch besser.

MOBIL BRATEN.

Wer während einer Schulstunde, von einem dringenden, natürlichen Bedürfnis überfallen wurde, bat in der Regel darum, austreten zu dürfen und in der Regel wurde der Bitte statt gegeben. Allzu lange auszutreten, nährte den Verdacht unerlaubter Aktivitäten in den Sanitärräumen und gleichzeitiges Austreten mehrerer Personen war nicht erlaubt. Dem Wiedereintritt in die Klassenräume stand in der Regel nichts im Wege, denn anders als Vampire, müssen Schüler nicht extra gebeten werden einzutreten. Die Toilettenkabinen wurden regelmäßig gründlich gefilzt, um versteckte, prüfungsrelevante Unterlagen aufzuspüren. Austreter sollten aber nicht mit Aussteigern verwechselt werden, denn aussteigen bedeutet nicht unbedingt auch aufsteigen und warum man in Züge ohne weiteres einsteigen kann und in Häuser auf keinen Fall einsteigen sollte, erschließt sich nicht mal Austretern.

Nach diesem langen, nächtlichen Ausflug ins Reich pornografischer Kunstfilme reichte es mir erst mal. Ich musste daran denken, wie ich im Alter von zehn Jahren, auf der Suche, nach den im Schlafzimmer meiner Eltern versteckten Weihnachtsgeschenken, in der hintersten Ecke des Kleiderschranks einen Stapel der St. Pauli Nachrichten entdeckte. Ich fand die Bilder in den Heften ziemlich merkwürdig und mir war klar, dass ich die Hefte besser ganz schnell wieder in der Dunkelheit des Schranks verschwinden lassen sollte, was ich dann auch tat. Das die Hefte in der Druckerei des Verlags, dem mein Vater vorstand, gedruckt wurden, gehörte zu den Dingen, die lieber totgeschwiegen wurden, ich durfte ja noch nicht mal die Bravo lesen, die dort auch gedruckt wurde. Lieber schmückte mein Vater sich mit den Abenteuern, die er zusammen mit dem Porsche fahrenden Auftraggeber für den Druck der St. Pauli Nachrichten, der mit Rätselheften reich geworden war, in Hamburg erlebte. Zwar hätte er weder meine Mutter und geschweige denn meinen Bruder oder mich, zu diesem guten Kunden mitgenommen, aber er ließ sich immer wieder gerne von Alfons zum Essen einladen und anschließend auf die Reeperbahn. Was er dort erlebte, gab er dann im Freundeskreis zum besten und die anwesenden Kinder rauchten nicht nur mit, sondern wir hörten auch aufmerksam zu. Genauso aufmerksam hatten wir auch den, in den Keller verbannten Frau Wirtin Schellack Singles gelauscht und uns den Inhalt von Ische, der Nachbarstochter, die schon ein paar Jahre älter war, erläutern lassen, bis mein Vater mit hochrotem Kopf herein stürmte und die fragwürdigen Kunstwerke beschlagnahmte. Durch die Studentenbewegung der später sechziger Jahre und das Medien taugliche Wirken der Kommune 1 mit Uschi Obermaier und Fritz Teufel, hatte die sexuelle Revolution ordentlich Fahrt aufgenommen, was sich in den wüsten, außerehelichen Knutschereien, auf jeder gelungenen Party im Freundeskreis meiner Eltern äußerte. Erotische Literatur und sexuelle Ratgeber, wurden nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren versteckt, sondern standen mehr oder weniger sichtbar, im Bücherregal. Wegen der Kinder, waren die Abenteuer von Fanny Hill und Josephine Mutzenbacher, oder der Ratgeber, „Sechsundsechzig Fragen über Sex, die Sie schon immer wissen wollten“, zwar im obersten Bord des Bücherregals untergebracht, aber mit Hilfe eines Stuhls, gut zu erreichen. 1967 erschien der erste Film, aus der Reihe „Die Lümmel von der ersten Bank“, mit Theo Lingen und Hansi Kraus in den Hauptrollen. Fast alle Mädchen meiner Altersklasse fanden Hansi Kraus ganz toll. In den Lümmel Filmen ging es nicht mehr ganz so verklemmt zu, die Schüler zogen sich aus um ihre altmodischen Lehrer zu schocken und manchmal sah man sogar eine nackte Brust, ie sexuelle Revolution war auch an der Schule nicht spurlos vorbei gegangen. Drei Jahre später erschien dann der erste von insgesamt dreizehn Schulmädchenreporten, mit etwas zweifelhaftem wissenschaftlichen Anspruch. Nur weil Alfred Charles Kinsey, ein amerikanischer Zoologe, seine statistischen Erhebung über das Sexualverhalten von Menschen, „Kinsey-Report“ nannte und mit diesem Buch die sexuelle Revolution ausgelöst haben soll, ist nicht überall wo Report drauf steht, auch Wissenschaft drin. Dem Schulmädchenreport folgte eine Flut von Hausfrauen und Krankenschwestern Reporten, die einfach nur Pornofilme waren.

Besser in die Hocke gehen, als vom Hocker fallen.

MAUE EMINENZEN.

Wie viele hundert Meter über dem Meeresspiegel die Füße in Zukunft trocken bleiben werden, steht ja immer noch nicht fest, aber wer auf Nummer Sicher gehen will, lässt die norddeutsche Tiefebene hinter sich und zieht auf den höher gelegenen Rücken des Mittelgebirges. Ganz und gar Gottheit, gibt und nimmt das Meer, so wie es kommt und so wie es geht. Momentan verseuchen wir die Brühe ganz schön und es wäre mit Sicherheit besser, mal ganz schnell auf die Bremse zu treten. Tretboote tun es ja auch und wer der Tretmühle wirklich entkommen will, tritt ein wenig zurück. Tretroller schonen die Umwelt sowieso mehr als E-Roller und E ist auch kein Synonym für Absolution. Grün wählen heißt ja auch noch lange nicht grün leben, aber schön wäre das schon, auch wenn man schon lange nicht mehr grün hinter den Ohren ist. Das kleine grüne Männchen grün sind, weil sie Grünkohl gefressen haben, ist nicht verifiziert.

Der nächste Film, „Im tiefen Tal der Superhexen“ von Russ Meyer, war laut den Aussagen von X das Highlight des Abends. Ich hatte bis zu dieser langen Filmnacht im Klick noch nie von Russ Meyer gehört und war völlig unvorbereitet auf das, was dann kam. Sämtliche weiblichen Hauptrollen waren mit Frauen besetzt, deren Brüste man wirklich nur als Superatombusen bezeichnen konnte. Das Super des Titels und der Brüste fand sich auch in den Vornamen aller weiblichen Hauptdarstellerinnen wieder, die dann Super Angel, Super Haji, Super Cherry, Super Soul, Super Eula oder Super Vixen heißen, bei der es sich allerdings um die anfänglich ermordete und später wieder auferstandene Super Angel handelte. Die Handlung besteht im wesentlichen darin, dass der fälschlicherweise des Mordes an seiner Freundin Super Angel verdächtigte Hauptdarsteller, auf der Flucht ständig durch Superfrauen sexuell belästigt wird. Er bemüht sich, seiner zu Beginn des Films ermordeten Freundin Super Angel treu zu bleiben, was ihm aber nicht immer gelingt, Super Soul, die anscheinend nicht nur mit Superbrüsten, sondern auch mit Superkräften ausgestattet ist, vergewaltigt ihn. Als der Hauptdarsteller dann endlich, die als Super Vixen reinkarnierte Super Angel wieder findet, seht ihrem Glück nur noch der super fiese und brutale Polizist im Wege, der Super Angel zu Beginn des Films ermordet hatte, weil sie ihn wegen seiner Impotenz ausgelachte. Der Super Schurke wird dann auch noch super um die Ecke gebracht und dem Super Glück der beiden Hauptdarsteller steht nichts mehr im Wege. Ich war super verwirrt und fand den Film überhaupt nicht super, eher super gestört und super brutal, was ich X ziemlich deutlich mitteilte. Obendrein ist das Ambiente super billig und super schmuddelig und überall liegen gebrauchte Socken rum. Obwohl mir klar war, dass diese ganzen super Übertreibungen einer gewissen super Komik nicht entbehrten und unter Umständen sogar als Kritik an Pornofilmen verstanden werden könnten, gefiel mir der Film deswegen keinen Deut besser, ich war einfach nur angeekelt. X hielt den Film für einen Super Kunstfilm und wir diskutierten immer noch heftig, als der dritte Film anfing. Der Vollständigkeit wegen, blieb ich sitzen und gab der langen Pornonacht eine letzte Chance. Die Hauptdarsteller, des mit einfachsten Mitteln gezeichneten Zeichentrickfilms der nun folgte, waren sprechende Penisse, die auf zwei Stummelbeinchen über die Leinwand hoppelten. Die sprechenden und hoppelnden Penisse waren auch die einzigen Darsteller des Films, sie redeten ohne Unterlass und die teilweise fast schon bizarren Dialoge, erinnerten ein wenig an manche Woody Allen Filme. Der Film war trotz seiner total reduzierten Optik wirklich komisch, ich musste lachen und entspannte mich wieder. Auf dem Nachhauseweg erzählte X mir, von dem ersten Pornofilm den er gesehen hatte. Im Alter von vierzehn Jahren hatte er sich zusammen mit einem Freund, einem Film mit den Titel “Mörderische Brüste“ angeschaut. Gemeinsam hatten sie es, natürlich ohne das Wissen ihrer Eltern, irgendwie in die Vorstellung geschafft, um dann völlig paralysiert dabei zuzuschauen, wie die Hauptdarstellerin ihre Liebhaber zwischen ihren mörderisch großen Brüsten erstickte. Der Film hatte die beiden Jungs damals nachhaltig verwirrt. Ich wagte zu bezweifeln, dass Russ Meyer der geeignete Therapeut für dieses Trauma sei.

Über das Wetter kann man nicht mehr sprechen.

GEIL MELDUNG.

Von England lernen heißt zwar nicht siegen lernen, aber zumindest wissen wir jetzt, dass nicht nur auf den Plena besetzter und ehemals besetzter Häuser abgestimmt wird bis der Arzt kommt, sondern auch im englischen Flunkerhaus. Der Ton und die Stimmung ähneln sich ebenfalls, man ist laut, ruft dazwischen und macht dumme Witze auf Kosten der gegnerischen Gruppe. Leider handelt es sich laber nicht, um einen gelebten Fall von Basisdemokratie, denn die Herrschaften im englischen Flunkerhaus vertreten nicht nur sich selbst. Nur sich selbst vertritt ihr Leithammel, der lallerdings mehr einem tobsüchtigen Stier ähnelt, als einem Staatenlenker. Ob es am Linksverkehr liegt wissen wir nicht, denn die Lenkung der Leitung funktioniert nicht mehr. Leithammel haben sowieso ausgedient, aber Leierkastenmänner wird es immer geben und alte Lieder kann man immer wieder singen. Wer denn nun aus allen Wolken fallen will, braucht kein Sprungtuch mehr.

Zu allem Überfluss weigerte Regina sich, Georg seine Aktentasche mit den durchweichten Prüfungsunterlagen zurück zu geben und wurde handgreiflich. Sie schrie und fluchte, bis ihr Mitbewohner sich einmischte und sie Georg gemeinsam hinaus schmissen. Georg war am Boden zerstört, er fürchtete sich vor Regina und traute sich nicht, nochmal um die Rückgabe seiner ramponierten, aber dringend benötigten Unterlagen zu bitten. Als HaHe von der Uni nach Hause kam und die Geschichte hörte, musste er erst mal lachen, aber dann setzte er sich aufs Rad und fuhr rüber ins Karo Viertel. Dort verlangte er die sofortige Herausgabe von Georgs Aktentasche, samt den durchnässten Unterlagen. Regina zickte rum und ihr Mitbewohner wollte sich HaHe in den Weg stellen, wofür er eine Ohrfeige kassierte und Regina, die genau wusste, dass sie die nächste Ohrfeige einfangen würde, gab HaHe ganz schnell Georgs Aktentasche. HaHe riet ihnen noch, Georg nicht daran zu hindern seine restlichen Sachen abzuholen und dann machte er sich wieder auf den Weg ins Schulterblatt. Obwohl der Inhalt der Aktentasche nicht besonders appetitlich war, trocknete Georg seine Unterlagen so vorsichtig wie möglich und rettete, was noch zu retten war. Ein paar Tage später stand Georgs Auto mit abgebrochenen Seitenspiegeln und Scheibenwischern am Straßenrand, außerdem befanden sich tiefe Kratzer im Lack, die Kotflügel und das Dach waren eingedellt und insgesamt sah der Wagen so aus, als wäre jemand mehrfach mit Eisenschuhen über das Auto gelaufen. Georg verzichtete darauf Anzeige zu erstatten und bat HaHe darum seine restlichen Sachen bei Regina abzuholen. Mittlerweile hatte sich auch heraus gestellt, dass Regina und ihr Mitbewohner sehr wohl, wie schon von HaHe vermutet, ein Verhältnis hatten, denn die Beiden waren meinem damaligen Freund und mir, anlässlich einer langen Filmnacht im Klick Kino über den Weg gelaufen und hatten einen ziemlich verliebten Eindruck gemacht. Die langen Nächte im Klick erfreuten sich großer Beliebtheit und fanden regelmäßig am Freitag Abend, mit wechselndem Themenschwerpunkt statt. Meistens begann die Filmnacht gegen elf Uhr Abends und endete zwischen drei und fünf Uhr Morgens. Zu meiner ersten langen Filmnacht, mit dem Themenschwerpunkt Pornografie, hatte X, mein damaliger Freund, mich eingeladen. Zwar hätte ich lieber „Vom Winde verweht“ oder „1900“ gesehen, Filme mit denen man durchaus auch eine Nacht verbringen kann, aber das wäre doch ein wenig provinziell rüber gekommen. Die reihe wurde eröffnet mit „Fritz the Cat“, einem Zeichentrick Film nach dem Comicstrip von Robert Crumb, der die erotischen Abenteuer eines sozial etwas gestörtem Katers behandelt. In jeder Wohngemeinschaft die etwas auf sich hielt, gab es ein paar Comics von Robert Crumb und Fritz the Cat war mir durchaus ein Begriff, weswegen ich den Film für vertretbar hielt. Nach den Abenteuern des sexsüchtigen und Bomben legenden Katers war dann erst mal Pause, aber zum Rauchen brauchten wir nicht raus gehen, denn im Kino wurde sowieso geraucht, gegessen und getrunken, obwohl das alles offiziell nicht erlaubt war, aber darum scherte sich niemand. Zu den ungeschriebenen Gesetzten des Klick gehörte außerdem, dass regelmäßig kurz vor Beginn der Vorstellung ein paar Punker Eintritts frei reingelassen wurden, die dann direkt auf dem Boden vor der Leinwand Platz nahmen und eine dicke Tüte nach der anderen anzündeten.

Minister werden ist nicht schwer, Minister sein dagegen sehr.

WITZ KRIEG.

Wer denn nun wirklich glaubt, die Welt sei nicht magisch, sollte sich fragen warum Wirbelstürme Namen haben, aber weder Wilma, noch Katrina waren gewillt zu gehen, stur zogen sie ihre Bahn und hinterließen eine Schneise der Zerstörung. Benennen heißt halt nicht beherrschen und erst recht nicht begreifen und auch wenn der Sturm ein Auge hat, so sollte man besser nicht hinein fallen. Stürme sind Künstler oder Künstlerinnen und um neu zu gestalten, zerstören sie was ihnen im Wege steht. Der aktuelle Wirbelsturm trägt einen besonders schönen Namen und erinnert damit an einen genialen Künstler, der wegen seiner sexuellen Präferenzen verfemt wurde und in bitterer Armut sterben musste. Sturm drüber und sowieso wird wer Umweltzerstörung sät, ungeahnte Unwetter ernten. Wir ziehen uns warm an, im Zweifelsfall auch einiges aus, trinken Tee und warten ab, das der Sturm vorüber zeiht, aber er kommt ganz bestimmt wieder.

Ein paar Jahre bevor Robert, als damals zwölfjähriger Kater mit allerhand Lebenserfahrung in mein Leben trat, wohnte Georg bei uns. Nachdem Cauca ausgezogen war, zog er in das mittlere Zimmer und wenn er zu später Stunde aus dem Picken Pack quer über die Straße gewankt war und die Treppe zum zweiten Stock mit Müh und Not bewältigt hatte, konnte er mit dem Essen gar nicht mehr warten. Mit der Regelmäßigkeit eines gut geölten Uhrwerks verwüstete er die Küche, um den überschüssigen Alkohol in seinem Magen mit Unmengen von Lebensmitteln zu besänftigen. Georg hatte auf Lehramt studiert und befand sich im Referendariat, in der Woche blieb er abstinent, aber am Wochenende holte er all die versäumten Biere in Windeseile nach. Mit seinen blonden Locken und weichen Gesichtszügen kam er gut an beim weiblichen Geschlecht und genauso regelmäßig wie er die Küche demolierte, brachte er seine nächtlichen Bekanntschaften mit nach hause. Es war mir völlig rätselhaft, was die Frauen an Georg fanden, der sie nur noch an lallen konnte, seine Redefähigkeit war schon lange im Bier ertrunken und noch viel rätselhafter war mir, was sie mit ihm anfingen, denn er war jedes mal sturz betrunken und wusste am nächsten Morgen oft nicht mal, wie die Frau, die da neben ihm im Bett lag hieß. Gewöhnlicherweise blieb es auch bei dieser erst Begegnung, aber eines Nachts brachte Georg Regina von der Piste mit nach hause. Regina war noch keine zwanzig Jahre alt, außerordentlich temperamentvoll, extrem trinkfest und sah wirklich gut aus, wie HaHe anerkennend fest stellte und vom ersten Moment an hing sie wie eine Klette an Georg. Georg reagierte sehr geschmeichelt und verbrachte schnell viel Zeit mit Regina, die bis vor kurzem in einer betreuten Wohngemeinschaft gewohnt hatte und mittlerweile, bei einem sehr viel älterem, ziemlich exzentrischen Künstler im Karoviertel untergekommen war, mit dem sie nach eigenen Angaben allerdings kein Verhältnis hatte, was HaHe von Anfang an bezweifelte. Als die Sommerferien kamen, fuhren sie mit Georgs Auto nach Italien und Georg gab sich alle Mühe Regina, die eine sehr schwere Kindheit gehabt hatte, zu helfen. Schnell stellte sich heraus, das Regina nicht nur sehr besitzergreifend war, sondern auch extrem eifersüchtig, sie misstraute jedem weiblichen Wesen, dass sich in Georgs Nähe wagte und verlangte ständig nach Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite ließ sie sich jedoch von jedem männlichen Wesen, das in ihre Nähe kam hofieren und gierte nach Komplimenten. Sie schlief nicht besonders gerne bei uns, denn HaHes kritische Art gefiel ihr gar nicht und so landete ein nicht unerheblicher Teil von Georgs Sachen bei Regina. Als Georg mit einem blauen Auge nach hause kam, riet HaHe ihm dringend dazu, das Verhältnis mit Regina zu beenden, aber Georg entschuldigte Reginas immer deutlicher werdende Neigung zur Gewalttätigkeit mit ihren traumatischen Kindheitserfahrungen. Als das Referendariat sich dem Ende zu neigte und Georg ziemlich intensiv für die anstehenden Prüfungen lernen musste, spitzte sich die Situation zwischen ihm und Regina immer mehr zu. Georg schlief wieder häufig zu hause, weil er in Ruhe lernen musste und als Regina vorbei kam und ihm ein Szene machte, setzte HaHe sie umstandslos vor die Tür. Am folgenden Wochenende schlief Georg wieder bei Regina und als er am Montag Morgen zur Schule aufbrechen wollte, pisste Regina in seine Aktentasche mit den Prüfungsunterlagen.

Ein Stück vom Kuchen ist nicht die Hälfte des Himmels.