FARBEN KÄMPFE.
Das niemand die Zeichen an der Wand lesen will, ist ja nichts neues, aber mittlerweile doch sehr fatal. Das unendlich mutierende Virus erweist sich, dem grenzüberschreitendem Tourismus, als explizit wenig wohlgesonnen und besteht darauf, dass insbesondere der interkontinentale Flugverkehr, seiner Ausbreitung Tür und Tor öffnet. Heute hier, morgen dort und so geht das immer weiter. Solange nicht Tür und Tor und alle Flughäfen geschlossen werden, wird auch das Virus sich immer wieder ausbreiten, mutieren und eventuell sogar sehr tödlich werden. Wir haben es grenzenlos übertrieben und das Virus weist uns darauf hin. Nun muss aber wer nicht nachdenken will und nichts ändern will, dann mit den Konsequenzen leben und die werden wahrscheinlich recht unangenehm sein, denn die letzte Möglichkeit sich aus der Affäre zu ziehen, ist schon lange verflossen. Wir machen uns ganz locker und setzten eine Runde aus.
Am Strand von Naxos Hafen und Hauptort, war es auszuhalten, aber nicht im entferntesten so spektakulär, wie die Dame im Reisebüro in Piräus, es uns beschrieben hatte. Ich musste sowieso nicht jeden Tag zum Strand runter, in der Hitze des griechischen Hochsommers, wurde die Temperatur erst am späten Nachmittag halbwegs erträglich. Zum Frühstück reichte mir eine normale, tiefrote, griechische Tomate, von der Größe einer Grapefruit und bis zur blauen Stunde trieb ich mich lieber im Schatten ein paar kleiner Läden mit kunstgewerblichen Artikeln für Touristen herum, oder ruhte mich auf dem Bett unseres Zimmer aus. Ich fand einen Laden für Silberschmuck, dessen Exponate nach Jahrtausende alten Vorlagen gefertigt wurden und verliebte mich in ein Armband, dessen Mittelstück aus zwei Delphinen in klassischer Yin und Yang Position bestand. Das Armband selber war in einer uralten Flechttechnik hergestellt worden, wie sie schon in den Ausgrabungen der prähistorische Kykladenkultur gefunden worden waren, allerdings nicht in Fäden aus 925 Sterling Silber, wie der Besitzer des Ladens immer wieder versicherte, sondern aus Bronze. Eigentlich sprengte der Preis des Armbands meinen finanziellen Rahmen, aber auf der Überfahrt nach Naxos hatte ich zum ersten Mal Delphine springen sehen und trotzdem ich wusste, dass HaHe ausflippen würde, kaufte ich mir das Delphinarmband und trug es viele Jahre lang, bis es auseinanderfiel. HaHe war erheblich Hitze resistenter als ich, ging auf Exkursion und wanderte am langen Strand von Naxos Hauptort entlang, bis dieser an einer kleinen Landzunge endete. Mit ein bisschen Aufwand konnte die Landzunge überquert, oder mit nassen Füssen umrundet werden, danach öffnete sich die nächste Bucht und so ging das immer weiter. Die Buchten wurden Menschen leerer und irgendwann war kein Mensch mehr zu sehen, bis HaHe Agia Ana erreichte und endlich den Strand fand, den die Dame im Reisebüro in Piräus uns versprochen hatte. Der Kilometer lange, schneeweiße, extra breite Sandstrand, nur für Eingeweihte. In Agia Ana lebten ein paar Hippies in selbst gebauten Hütten am Strand und ein paar etwas wohlhabendere Hippies, hatten sich die wenigen dort vorhanden, kleinen Häuser gemietet. Strom gab es in Agia Ana nur aus Generatoren und die standen in drei Tavernen, die sich über den langen Strand verteilten und einer vierten im Hinterland. HaHe war begeistert und am nächsten Tag schleppte er mich mit nach Agia Ana. Der Weg war ein wenig beschwerlich, aber am schlimmsten war die Stelle mit den riesigen, schwarzen Käfern, die bedrohlich durch die Lüfte und um meinen Kopf taumelten. Obwohl sie mit Flügeln ausgestattet waren, blieben die Käfer doch recht unfähig ihre Flugrichtung zu steuern und trieben mit dem Wind herum. Es half wenig, dass HaHe mir versicherte, dass die Käfer völlig ungefährlich seien, in meinen Haaren wollte ich sie trotzdem nicht haben.
Wieselflink heißt nicht Virus frei.
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SCHMOLL IDIOTEN.
Letztendlich wird nichts dazu gelernt und sogenannte Realos treten den ökologischen und sozialen Fortschritt immer wieder in die Tonne. Nach Jutta geht Anton und die Grünen den Weg der staatstragenden Anpassung. So wird das Klima nicht gerettet und die soziale Gerechtigkeit verreckt auf der Schnellautobahn der Liberalen. Regierungsgeilheit ist nicht der Weg, der wirklich zu Veränderungen führt, denn wer sich zu sehr anpasst, verpasst die Ausfahrt ins Glück. Nun war Glück keinesfalls überall vorgesehen und Glücksmomente kann man sowieso kaum planen. Auch wenn der Plan vielleicht ein anderer war, steht er doch für die Idee eines Planes, der in die richtige Richtung weist, denn der Markt regelt zwar alles, aber nicht zum Besten. Ganz und gar Umweltschädlich wird es, wenn der Markt dann auch noch liberal wird und das Gemeinwohl komplett aus den Augen verliert.
Obwohl ich mich noch gerne ein bisschen weiter gestritten hätte und HaHe bewiesen, dass Frauen schon seit Jahrtausenden unterdrückt wurden, kam mir die Disko doch ganz recht. In der Disko tanzten die Hippies, zum scheppernden Sound eines Kassettenrecorders, auf dem kreisrunden Mosaik einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Am Strand war es dann einfach nur schön, ein paar bunte Lichter, Wellengeplätscher, vom Wind vorbei getragene Töne und ein bisschen Kiff, das strengstens verboten war. Die Griechen rauchten ihre Tüten total paranoid, so schnell es irgend ging und ohne jeglichen Genuss. Das Ende der Militärdiktatur lag noch keine fünf Jahre zurück und wer aufsässig geworden war, hatte teilweise ziemlich unangenehme Erfahrungen gemacht. Das war nun vorbei, aber etliche ehemalige Widerstandskämpfer, konnten sich in der neuen Anbiederung an die Touristen, nicht wieder finden. Die Diktatur war erstaunlich friedlich beendet worden, als es im Jahre 1974, im Zypernkonflikt wirklich kritisch geworden war, stürmte die Zivilbevölkerung die stattlichen Waffenarsenale, um festzustellen, dass sie schon lange leer waren. Ihre Obrigkeit hatte die Landesverteidigung, Gewinn bringend zu Geld gemacht und sich selber in Sicherheit gebracht, so wurden die Griechen denn, nochmal mehr, zu Anarchisten. Wir stolperten die klein gepflasterten, schneeweißen Gassen hinauf und mit Geduld und Glück, fanden wir zurück. Unsere Vermieter servierten uns ein spätes Frühstück und danach suchten wir das Postamt auf, um ein Telefonat nach Deutschland zu führen. Das musste nicht nur kompliziert angemeldet werden, sondern auch noch genehmigt und man beschied uns, am späten Nachmittag wieder im Postamt aufzutauchen. Das taten wir dann und die zwei Minuten, die wir nach Deutschland telefonieren konnten, um unsere Familien zu beruhigen, kosteten uns ein kleines Vermögen. Danach schrieben wir nur noch Postkarten, die meisten mehrere Wochen nach uns in der Heimat ankamen. Ich kaufte eine ganz Schwung Postkarten, mit Naxos typischen Motiven und beschrieb sie mit alten Lebensweisheiten aus ein Buch, dass ich ein paar Monate zuvor auf der Flohmarkt erworben hatte. Dort weilten Maiden in seidenen Betten und Knaben in dornigen Hecken und obwohl Napoleon nach Danzig reiste, waren die meisten Sprüche nicht wirklich ranzig.
Leise Töne töten leise.
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NOEL RESERVEN.
Der Verzicht auf Plastik, weitgehend Fleischarme Kost und Vintage Klamotten, werden zur Rettung des Klimas nicht ausreichend sein. Wer Freitags auf die Straße geht und seine Zukunft einfordert, will trotzdem fliegen und auch nicht aufs Auto verzichten. Nun wird Klimaschutz light genauso wenig funktionieren, wie Lockdown light, denn wirklich leichtfüßig sind nur Musen und Mädchen, die mit leichtem Gepäck reisen. Jenseits von Spielführern, Spielmachern, Spielplänen und Spielzügen, verleiht die Leichtigkeit den Füssen Flügel und trägt die Reisenden ganz weit weg. Keine Fahrpläne, keine Fremdsprachen, keine Landesgrenzen, keine Landeswährungen, keine kulturellen Missverständnisse, nur der ganze Zauber einer phantastischen Welt. Wer gigantische Vögel aus Metall bauen muss um zu fliegen, ruiniert die Welt, weil er sich nicht versteht, denn der Weg ist nicht nur das Ziel, sondern viel mehr das Spiel.
Der große Heerführer der Achäer, hatte die noch größere Göttin der Jagd und gleichzeitig Beschützerin der wilden Tiere, die jungfräuliche Göttin Artemis erzürnt, weil er in einem ihrer heiligen Haine, ihrem Tempel, einen Hirsch erlegt hatte. Es erschließt sich der modernen Logik nicht unbedingt, dass Artemis Göttin der Jagd und Beschützerin der wilden Tiere zugleich ist und obendrein noch nicht mal wirklich Jungfrau, aber den Frevel in ihrem Heiligtum ließ sie nicht durchgehen. Nach dem Mord in ihrem Tempel lag die Flotte der Achäer wochenlang fest, kein Lüftchen regte sich mehr vor der Küste von Aulis. Die Verbündeten fingen an zu murren, die Moral der Truppe sank signifikant und Agamemnon sah sich genötigt den Seher Kalchas um Rat zu fragen. Kalchas Antwort war ein eindeutig, als Sühne für die Entweihung ihres heiligen Hains verlangte Artemis das Leben von Iphigenie. Agamemnon wusste, dass Klytaimnestra dieser Forderung niemals zustimmen würde und überlistete seine Frau. Mit großem Brimborium ließ er Iphigenies Hochzeit ankündigen und brachte sie angeblich zu ihrem zukünftigen Ehemann, in Wirklichkeit aber zu ihrer Opferung. Artemis hüllte die Opferstätte in Nebel und entführte Iphigenie nach Tauris, wo sie eine ihrer Priesterinnen wurde, aber Klytaimnestra verzieh Agamemnon seinen Betrug nie. Als er nach über zehn Jahren siegreich nach Mykene zurück kehrte, empfing sie ihn mit einem Festmahl, in dessen Verlauf sie ihn und sein Gefolge und die versklavte Seherin Kassandra erschlagen ließ. Obwohl die Geschichte nicht sonderlich ungewöhnlich ist, die Griechen der antiken Sagenwelt waren im Gegensatz zu ihren Göttern zwar nicht unsterblich, aber mindestens genauso eifersüchtig und gewalttätig, so hatte sie doch weitreichende Folgen, denn Iphigenies Bruder Orest forderte Sühne für den Mord an seinem Vater und die Götter hielten Gericht. Nach altem, mutterrechtlichen Brauch, sah Klytaimnestra sich im Recht, den Agamemnon hatte ihre Tochter geopfert ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Orest hielt dagegen, dass Klytaimnestra seinen Vater hatte ermorden lassen. Nach der göttlichen Abstimmung herrschte erst mal Gleichstand und dann entschied Pallas Athene, geboren aus dem Kopf ihres Vaters Zeus, nachdem er die große Göttin Metis verschlugen hatte, zu Gunsten von Orest. So siegte das Patriarchat, mit Hilfe einer Kopfgeburt, über das Matriarchat und endete damit, dass junge Frauen wie Eleni nicht ihren erlernten Beruf ausüben konnten, sondern in finsteren Hinterzimmern Kleider für Touristinnen nähen mussten. HaHe verlangte nach mehr Ouzo und schlug vor die Disko aufzusuchen.
Zum Spalten braucht man keine Pilze.
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GECKEN HAUS.
Einst war die Republik bieder, ordentlich, etwas verschnarcht und effizient, mittlerweile ist sie zwar nicht mehr bieder, sondern hip geworden, effizient aber nur noch in der Erzeugung chaotischer Zustände. Bedenkenträger aller Richtungen blähten den Regierungsapparat auf und machten die Republik unregierbar. Anstatt sich erst mal um die Bewältigung der Pandemie zu kümmern, kümmerten unsere Poly Trickster sich um ihre Wahlchancen. Die Pandemie wurde marginalisiert, die Mahnungen und der Rat der Fachleute aus der Wissenschaft einfach ignoriert, wie schon seit Jahrzehnten, die immer deutlicheren Hinweise auf die katastrophalen Auswirkungen der Klimaveränderung. Nach wie vor ist das Zentrum der politischen Macht umzingelt von Lobbyisten und Lobbyistinnen des Profits und der Apparat selber wird zunehmend unfähiger. Ein Herrenreiter, der völlig rückwärts gewandt, freie Fahrt für freie Bürger propagandiert und dann, sozusagen als Sahnehäubchen, die Wirksamkeit rigider Kontaktbeschränkungen leugnet, fordert für das gerade mal eben zweistellige Wahlergebnis seiner Lobbyistengruppe, das Finanzministerium. Kein Wunder, dass alles schief geht.
Die junge Frau hieß Eleni, war nur ein paar Jahre älter als ich und sprach ausgezeichnet Englisch. Sie hatte in Athen auf Lehramt studiert und nachdem sie alle Examen ohne Schwierigkeiten bestanden hatte, bestand ihre Familie darauf, dass sie nach Naxos zurück kehrte. Die Vorstellung, dass Eleni als unverheiratete Lehrerin in Athen leben würde, ihr Geld selber verdienen und selber darüber verfügen und wohl möglich auch noch Beziehungen zu Männern eingehen könnte, war für ihre Familie nicht akzeptabel. Während ihres Studiums hatte sie mit ihrem Bruder zusammen gelebt, der ebenfalls in Athen studierte und sie beaufsichtigte. Eleni und ihr Bruder hatten fast zeitgleich einen Universitätsabschluss gemacht, aber der Bruder hatte dann eine ehemalige Kommilitonin geheiratet und war nach Thessaloniki gegangen. So musste Eleni denn, um die Ehre der Familie zu wahren, zurück kehren in den sicheren Schoß dieser Familie und in einem Fensterlosen Hinterzimmer bunte Hippiekleider für Touristinnen nähen. Ich konnte es kaum fassen, dass solche archaischen Zustände in einem europäischen Land immer noch möglich waren. Die patriarchalische, Frauen gegenüber extrem repressive Vergangenheit, war hier immer noch sehr gegenwärtig. Am allermeisten aber erstaunte mich der Gleichmut, mit dem Eleni ihr Schicksal akzeptierte. Beim Abendessen in einer Hafentaverne, HaHe hatte mittlerweile begriffen, dass es erheblich viel günstiger war, auch Kosten technisch, Essen zu gehen, als mühsam in einem der rudimentär ausgestatteten Lebensmittelgeschäfte, Zutaten und Getränke, zusammen zu kaufen und auf dem Zimmer zu verspeisen, erzählte ich von Eleni. Selbstverständlich fand er das auch nicht gut, schon allein wegen der Verschwendung von Elenis Ausbildung, aber so flammend empört wie ich, war HaHe nun doch lange nicht und das bekam ihm gar nicht gut. Wutentbrannt, der ganze Film mit meinen blonden Haaren ging mir sowieso auf die Nerven und dann auch noch das mit Eleni, setzte ich zu einem längerem Vortrag an, der bis tief in die griechische Mythologie und den trojanischen Krieg zurück reichte. Nachdem die Achäer, Troja mit Hilfe einer perfiden List des listentreichen Odysseus, nach zehn Jahren dann endlich zu Fall gebracht hatten, die Männer ermordet und die überlebenden Frauen versklavt, machte ihr Heerführer Agamemnon, König von Mykene, wo noch heute das Löwentor seines Stammes steht, sich auf die Heimfahrt. Als Sklavin nahm er sich Kassandra, Tochter des König Priamos und unglückliche Seherin, deren Prophezeiungen nie geglaubt wurden, aber immer zutrafen. Auf der Überfahrt von Troja nach Mykene prophezeite Kassandra Agamemnon, ihren und seinen Tod, aber er ignorierte ihre Prophezeiung. In Agamemnons Heimat Mykene, wartete mittlerweile keine liebende Gattin mehr auf ihn, denn bevor die Griechen, zehn Jahre zuvor nach Troja aufgebrochen waren, hatte Agamemnon seine und Klytaimnestra Tochter Iphigenie der Göttin Artemis geopfert.
Gut aussehen heißt noch lange nicht gut regieren.
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STREBER KONFERENZ.
Auch wenn die Botschaft schon seit langem klar ist, so kommt sie dann doch noch lange nicht ausreichend an. Wer Tiere schützen will, sollte bei sich selber anfangen und wer die Umwelt schützen will, sollte nicht mehr fliegen. Ein ganz kleiner Schritt in die richtige Richtung. Dummerweise ist Verzicht evolutionär nicht wirklich populär, aber wer nicht verzichtet, wird durch den Kreischwolf der Medien gedreht und ausgespuckt. Gewendet heißt das, durch dumme Gedanken spuken und mit Nachhaltigkeit drohen. Nachtschwarze Phantasien bevölkern den Raum zwischen Trotz und Tränen, zwischen kleinen Lügen und großen Lügen, zwischen halben Wahrheiten und ganzen Unzumutbarkeiten. So wird die Welt denn beherrscht von schönen Lügen, die lange Beine haben und im Beinhaus wird nochmal nachverhandelt, über das was bleibt. Wer Treuepunkte sammeln will, legt sich ein Heft zu und klebt die Punkte ein, oder scheißt drauf.
Nun fing die Nacht ja erst nach dem Essen richtig an, in den Hafentavernen wurde zwar noch munter weiter gesoffen, schlechte Stereoanlagen plärrten melancholische Rembetiko Lieder, in die mittelmeerische Nacht hinaus, wo der Alkoholpegel hoch genug war, trafen die Männer sich zum klassischen Reigentanz, aber danach stand uns der Sinn nicht. Wir wollten Pink Floyd hören, David Bowie, Neil Young, Frank Zappa, die Beatles und die Stones, Freddie Mercury mit Queen und Abba, Janis Joplin, Bob Dylan und Joan Baez. Wie sich schnell heraus stellte, gab es nur eine Diskothek und sie lag direkt am Strand. Zwar waren die Boxen um einiges größer, als die der Hafentavernen, aber qualitativ unterschied sich die Anlage der Disko nur unwesentlich von denen der Hafentavernen. Drinnen gab es ein bisschen Schwarzlicht, eine Diskokugel, ein paar Poster unserer musikalischen Ikonen und mit psychedelischen Motiven, bemalte Wände. Getanzt wurde fast ausschließlich draußen am Strand. Im Morgengrauen machten wir uns auf den Weg zurück und verliefen uns gründlich. Der Weg zum Hafen runter war einfach gewesen, immer nur Hügel abwärts und dem Meer entgegen, aber den Hügel hinauf sahen all die kleinen, romantischen Gassen dann doch ziemlich gleich aus. Türkisblaue Eingangstüren und Fensterläden, rot und weiß blühende Bäume, deren Kronen in die engen Gassen hinaus ragten. Mehr oder minder zufällig, fanden wir dann unser Domizil. Wir schliefen gründlich aus und die Sonne stand schon hoch am Himmel, als wir uns auf den Weg runter zu Hafen machten. Im Tourist Information Office besorgte ich mir einen Stadtplan von Naxos, auch wenn HaHe das für völlig übertrieben hielt, die Odyssee der vergangenen Nacht musste nicht wiederholt werden. Die kleine, schneeweiße Hafenstadt zog sich den Hügel hoch und runter. Die engen, von ebenfalls schneeweißen Mauern eingefassten Gassen, luden nicht nur zum Verweilen, sondern auch zum Verirren ein. Mancherorts stank es zum Himmel, ich weigerte mich diese Gassen zu durchqueren, aber HaHe fuhr total ab, denn der Gestank kam aus Käseläden. Ein Grund getrennter Wege zu gehen, ich überließ HaHe den Käseläden und machte mich mit Hilfe des Stadtplans auf meine eigene Erkundungstour. Viel hatte Naxos nicht zu bieten, ein paar Klamottenläden mit folkloristisch inspirierten Hippiekleidern, importierten, indischen Schals und Räucherstäbchen. Das Kleid war wunderschön, bodenlang, schwarzgrundig und mit dickem, goldfarbenen Garn bestickt. Ich zog es an und kaufte es sofort. Der Inhaber de Ladens, führte mich in ein Hinterzimmer und stellte mich seiner Tochter vor, die das Kleid entworfen und genäht hatte.
Wer Splitter in den Augen hat, braucht kein Holz vor der Hütte mehr.
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HAMPEL KOALITION.
Ungeduldig harrt das Ampelvolk der Dinge die da kommen sollen und wartet nur darauf, dass die Ampel wieder auf rot steht, um die langwierigen Projekte der Zukunft zu verwerfen, denn Geduld ist nichts für die Kinder des Wohlstands, die alles immer sofort haben wollen. In einer Welt voller großer Konflikte, macht es wenig Sinn, sich mit Randgruppen und ihren Problemen aufzuhalten, denn selbst wenn die Probleme vom Rand her kommen, müssen sie doch in der Mitte gelöst werden. Träge dümpeln die Schiffe des bedrohten Wohlstand, durch das Meer der moralischen Anforderungen und suchen verzweifelt nach einem sichern Hafen. Hafenarbeiter haben solche Probleme nicht, es sei denn, sie werden durch Maschinen ersetzt. So fängt die künstliche Intelligenz ganz klein an, stolpert in ein paar Fallen und wird langsam immer größer. Richtig oder falsch, schön oder hässlich, wohin der Wind weht und wer will das entscheiden.
Mit uns spuckte die Fähre etliche Transporter aus und auf der Hafenmole stand bereits eine lange Schlange, von mit Feldfrüchten beladenen Lastwagen, die darauf warteten Naxos endlich zu verlassen. Die meisten dieser Fahrzeuge waren mit Kartoffeln beladen, einem Produkt der fruchtbaren Landschaft im Inneren der Insel. Unübersehbar war auch das fast sechs Meter hohe, aus schneeweißem Marmor erbaute, Tempeltor von Naxos. Das Tor war alles, was von dem einstigen Apollon Tempel erhalten war und der Marmor stammte direkt aus Naxos Steinbrüchen. Noch auf der Mole lief ich einem Kommilitonen direkt in die Arme und wusste nicht, ob ich erstaunt oder entsetzt sein sollte. Glücklicherweise wollte der Kommilitone die Insel mit der Fähre verlassen, mit der wir gekommen waren und mir blieb jedwede weiter Unterhaltung mit ihm erspart. Am Ende der Mole wurden wir sofort mit Angeboten für ein günstiges Quartier überhäuft. Wir schlossen uns einem sympathischen, jungen Mann an, der uns durch das Gewirr enger, uralter, holperig gepflasterter Gassen der kleinen Hafenstadt, bis zu seinem Elternhaus mitnahm. Dort erwartete uns ein kleines, schneeweiß getünchtes Zimmer mit blauen Fensterläden, einem klapperigen Doppelbett, einem nicht weniger klapperigem Tisch und zwei Stühlen. Einen Schrank gab es nicht, aber ein paar Hacken an der Wand, an denen wir unsere Klamotten aufhängen konnten. Der große Luxus, dass Badezimmer, war mit einem Sitzklo ausgestattet, aber das Papier durfte auf keinen Fall durch die Toilette entsorgt werden, sondern musste nach Benutzung, in einem dafür vorgesehenen Korb, bis zu seiner täglichen Abholung aufbewahrt werden. Das war gewöhnungsbedürftig. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig war, dass der Duschvorgang regelmäßig das gesamte Badezimmer unter Wasser setzte. Aber anders als damals in Brighton, während meines Sprachurlaubs ohne Sprachunterricht, war das Badezimmer nicht mit einem Teppichboden ausgelegt, der sich mit Wasser voll sog, das Wasser lief ganz schnell ab und verdunstete. Unsere Vermieter, ein älteres Ehepaar, waren sehr freundlich, aber mit der Kommunikation haperte es. Wir gestikulierten fröhlich miteinander und verstanden kaum etwas. Ein bisschen besser funktionierte es mit ihrem Sohn, der uns ja auch schon an der Hafenmole abgeschleppt hatte und uns darüber informierte, wo wir Essen gehen könnten, trinken und tanzen. Frisch geduscht und hungrig, machten wir uns, durch das Gewirr der kleinen, engen Gassen auf runter zum Hafen. Alles war unfassbar billig, in einem Lokal an der Hafenpromenade genossen wir die Aussicht auf die Lichter von Paros, dass Essen war gut aber das es nur Amstel Bier gab, sorgte für Punktabzug bei HaHe.
Lieber im Kopf haben, als im Eimer sein.
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MEAT DING.
Warum die neue, besser ausgebaute Fahrradspur nun hochtrabend als Velo Route bezeichnet wird, erschließt sich nicht so recht. Wahrscheinlich ein verbales Ablenkungsmanöver aber weil es anders klingt, muss es nicht unbedingt besser sein. Neue, einem großen Publikum noch unbekannte Wörter, dienen hauptsächlich der Erzeugung von Exklusivität, nur die Eingeweihten wissen Bescheid und das macht sie zu etwas besonderen. Wer Bescheid weiß ist gescheit oder hält sich zumindest dafür und steigert sein Wohlbefinden, denn Einbildung ist auch eine Bildung. Ob neue Wörter aber tatsächliche neue, wohl möglich bessere Zustände erzeugen, bleibt unbewiesen, denn nur der Mai macht alles neu und altes Wissen wird wieder ausgegraben. Mit dem alten Wissen ist es allerdings dann wie mit Wein, der bis auf wenige Ausnahmen eine begrenzte Laufzeit hat. Ausgenommen von der Regel sind wirklich alte Dinge, deren Wert mit ihrem Alter stetig steigt.
Für einen entspannten, längeren Schlaf waren die harten Bänke auf dem Oberdeck dann doch zu hart, lange schliefen wir nicht, die laue Sommernacht mitten in der Ägäis war unerwartet kühl und feucht und trieb HaHe und mich hinunter in den Passagierbereich unter Deck. Die meisten Griechen hatten sich hier, trotz der rund um die Uhr plärrenden Fernsehgeräte, für die Nacht eingerichtet und so vermischten sich sehr menschliche Schlafgeräusche mit den akustischen Absonderungen amerikanischer Serien und Werbespots. Der große Raum war eher spärlich beleuchtet, nur am Getränketresen war es heller und auch hier wurde die obligatorische Ouzoplatte verzehrt. Außerdem gab es sehr schwarzen, sehr süßen Kaffee in winzigen Tässchen, Wasser und Cola. Wir entschieden uns für den Kaffee und wurden zu Ouzo und Zigaretten eingeladen. Zigarettenmarken deren Namen wir nie zuvor gehört hatten, gerne verpackt in signalrote, elegant aufklappbare Schachteln, die mit den Porträts Wasserstoff blonder Sirenen, deren Lippen das Rot der Schachteln wiederholten, geschmückt waren. Die Zigaretten waren unglaublich billig und schmeckten unglaublich scheußlich. Markenzigaretten, wie Camel, Marlboro, Pall Mall, Lord Extra, HB, Overstolz oder Peter Stuyvesant waren teuer und echte Statussymbole, Tabak zum selber drehen gab es nicht und wer sich aus mitgebrachten Vorräten Zigaretten drehte, stand sofort im Verdacht, streng verbotene Substanzen zu konsumieren. Die leeren Schachteln dieser Statussymbole wurden teilweise aufbewahrt und mit billigeren Produkten befüllt oder dienten ganz einfach als Dekoration im Regal an der Wand. Der Ouzo verlieh mir die nötige Schwere und ich fand noch ein wenig Schlaf, auf einer zumindest mit Kunststoffpolstern ausgestatteten Sitzbank. Zum Frühstück gab es nochmal Kaffee und ein weniger schönes Dejavu in den Sanitäranlagen der Fähre, die ohne weiteres mit den Stehklos der Hafentavernen von Piräus mithalten konnten. Auf der Suche nach einer akzeptableren Möglichkeit mich ein wenig frisch zu machen, stieß ich auf einen kleinen, als orthodoxe Kapelle eingerichteten Raum, in der die Passagiere geistlichen Beistand suchen konnten, falls das denn nötig war. HaHe, dem ich von meiner Entdeckung erzählte, hielt das Angebot geistlichen Beistands angesichts des Zustand der Fähre für durchaus angebracht, was ich gar nicht so lustig fand. Oben auf dem Sonnendeck wurde es schnell wieder wärmer und ich flüchtete unter ein Sonnendach, um meine Nase zu schonen, von der HaHe behauptet hatte, sie würde im Dunklen leuchten. Schneeweiß funkelten die Inseln der Klykladen im blauen Meer und um die Mittagszeit legten wir auf Naxos an.
Nach zu spät ist nicht zu früh.
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MAUER PRÄSENTATION.
Wie alle Blüten, verblühen auch die schönsten zivilisatorischen Blüten, denn Neu Rom wird immer wieder untergehen. Halbe Sätze sind schön wie der Mond in seinen wechselnden Phasen, aber sie schaffen keine stimmigen Theorien. Halb gezogen, halb gesunken, von Halblingen gerettet, wurschtelt sich die Welt so durch und kommt doch nicht zum Potte. Das ist nicht schön, aber wir müssen irgendwie damit umgehen. Stille Teilhaber kassieren die größte Rendite und wo es Rendite gibt, ist das Gleichgewicht gestört. Götter und Göttinnen geben und nehmen, weil sie lebendig sind, weil sie Geschichten erzählen, die der Welt einen Rahmen geben, ein Gerüst. Im luftleeren Raum, gibt es nichts mehr zu erzählen und wenn den Göttern die Spucke nicht weg bleiben soll, müssen sie ganz tief Luft holen, oder Nummern schieben. Wer letztendlich darüber entscheiden wird, wer regiert oder was siegt, kann im Dunklen wahrscheinlich noch nicht mal bis drei zählen.
Im Bauch der Fähre herrschte bis zum späten Vormittag reges Treiben, überwiegend mit Konsumgütern beladene Lastwagen jeder Größe und ein paar PKWs von teilweise beträchtlichen Alter, fuhren hinaus und hinein. Mit Abstand am beliebtesten war die Marke mit dem Stern. Wir lernten schnell, das wir uns mit den besternten Fahrzeugen, made in unserem Heimatland, immer gut schmücken konnten. Die Menge der Fahrgäste war überschaubar, Bewohner der Inseln, die nach hause wollten oder Verwandte besuchen, Trucker und ein paar Touristen. Im Passagierbereich unter Deck plärrten ununterbrochen mehrere Schwarzweiß Fernseher, deren Programm jede Viertelstunde von Werbeblöcken unterbrochen wurde. Fast alle Griechen und die Trucker, hielten sich dort auf. Oben auf dem Sonnendeck tummelten sich vorzugsweise Touristen, die gar nicht genug Sonne bekommen konnten. Um die Mittagszeit war es dann endlich soweit, die Fähre legte ab und ganz langsam glitten wir durch die unendlichen Hafenanlagen, die immer mehr ausdünnten, weiter zurück wichen und sich in Jachthäfen verwandelten, hinaus in ein strahlend blaues, ägäisches Meer, unter einem nicht weniger strahlend blauem Himmel. Aber es war nicht nur das Blau des Himmels und des Meeres, es war auch das das gleißend helle Licht, das sich innerhalb kürzester Zeit auf meiner Nase nieder ließ und mich unter eines der wenigen Sonnendächer des Oberdeck flüchten ließ. Bis Ägina ging es noch, aber dann wurde es eng unter den wenigen überdachten Plätzen am Sonnendeck. Die Fähre lief Kea an und fliegende Händler, die alle möglichen essbaren Dinge anboten, kamen an Bord. Ich ließ mich von ein paar sehr appetitlichen Süßwaren verführen und bereute es ganz schnell, so viel Zucker hatte ich noch nie auf einmal im Mund gehabt. Das Spiel wiederholte sich und als wir Kithnos und Serifos hinter uns gelassen hatte, wurde es langsam dunkel. Wie ein gigantisches Urzeitungeheuer schnurrten die Dieselmotoren der Fähre und wiegten mich in einen unruhigen Schlaf. Eingehüllt in meinen Schlafsack, durchdrang
mich die tiefe Vibration der Schiffsmotoren und ich träumte von Little Nemo, der nur mit seinem Schlafanzug bekleidet auf Reisen ging. Die Welt gehörte mir und außer dem Brennen auf meiner Nase störte kaum etwas.
Wo Luft rein kommt, geht auch Luft raus.
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CHARME ZEIT.
Warum eigentlich wird immer nur über Eigenheimbesitzer und Besitzerinnen, Mieter und Mieterinnen, völlig überteuerten und unzureichend isoliertem Wohnraums diskutiert. Über Mindestlohnempfänger und Empfängerinnen, die sich auf Mallorca ein bisschen erholen wollen und nicht über den ökologischen Fußabdruck, solcher wirklich effektiven Umweltverschmutzer, wie Jeff Bezos, Elon Musk oder Richard Branson. Privat Flugzeuge, Weltraumtouristen? Irgendwas stimmt da nicht. Die einen dürfen nicht mehr fliegen und die anderen fliegen, nur weil sie reich sind ins All, zu einer Luxusraumstation, die von einem Mann gebaut wird, der mit seinem weltumspannenden Lieferservice nicht nur den tragenden Mittelbau der Gesellschaft vernichtete, sondern auch eine Flut von Verpackungsmüll auslöste, ganz zu schweigen vom Energieverbrauch. Und, was nützt die ganze E-Mobilität, wenn sie eine Schneise der Zerstörung hinter sich her zieht, wenn sie Wasser ohne Ende verbraucht, die letzten, halbwegs intakten Lebensräume wilder Tiere vernichtet, Luft und Böden verseucht. Auf die Dauer wird das nicht funktionieren und unseren Heimatplaneten retten wir so ganz bestimmt nicht, denn Bäume werden nicht an der Wurzel beschnitten, sondern in der Krone, der gerne mal ein Zacken fehlen darf.
An Schlaf war eigentlich gar nicht zu denken und Schlaflos wanderten wir durch die Hafenlandschaft, bis wir an ein Lagerfeuer gerieten, an dem die Schatten der Nacht tanzten. Wie immer freigiebig mit Zigaretten, die im Hals kratzten, genauso wie der illegal gebrannte Fusel, den sie uns dazu anboten, aber als sie in einer Tonkruste gegarte Igel aus dem Feuer holten, bestand ich darauf zu gehen. Zurück im Auto schmeckten meine Träume nach Rauch und Schiffsdiesel und ich wünschte mir endlich wegzukommen, aus diesem Zwischenreich. Zur Morgentoilette stieg ich mit Cowboystiefeln bewaffnet, in die Unterwelt der Stehklos und flüchte rechtzeitig, denn die Spülung setzte meistens den gesamten Raum unter Wasser. Zähne putzen vor einer fast blinden Spiegelscherbe an der Wand und dann wieder hinauf in die Welt der Hafentavernen. Mit sparsam dosierten Ouzo Platten retteten wir uns durch den Tag und dann rettete uns ein Lastwagenfahrer aus Süddeutschland, der schon über eine Woche in Piräus fest saß. Sein ganzer Stolz, sein wunderschöner, ultra moderner Hightech Truck, wurde immer wieder von den Fähren abgewiesen, weil er sehr groß war und die Fähren nur sehr wenige solcher Lastwagen mitnehmen konnten. Mit dem Verweis darauf, dass er keine lebensnotwendigen Güter transportieren würde, wiesen sie ihn immer wieder ab. Sein Baby war bis obenhin mit dem Bier einer kleinen, süddeutschen Brauerei beladen, die Bestellung eines Millionärs, der auf Sifnos residierte. Sifnos wurde damals noch weniger angesteuert als Naxos und unser Lastwagenfahrer kannte sich noch nicht so richtig aus, mit den Beförderungsregeln der Korruption, aber dafür hatte man ihm ein sehr großzügiges Spesenkonto zur Verfügung gestellt. Dieses Spesenkonto teilte er, glücklich darüber sich mit Landleuten auszutauschen können, mit uns. Er bestellte eine Ouzo Platte nach der anderen, ich hielt mich an Taramat, Tsatsiki, Oliven und Brot, aber HaHe und unser Gastgeber, stürzten den Ouzo nur so runter. Als es endlich soweit wahr, die Fähre nach Naxos hatte im Hafen angelegt und sollte am nächsten Morgen starten, wünschten wir ihm viel Glück und gingen an Bord.
Wer Ameisen zertritt, zertritt die Welt.
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