STUSS
     MUND

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EXPERTEN SCHRAT.

Ein bisschen irritiert war ich schon, als einige unserer gewählten Führungspersonen anführten, man könne den Menschen nicht zumuten, so kurzfristig ihre Weihnachtspläne umzustellen. Kuschen vor Wehleidigkeit potenzieller Wähler und Wählerinnen. Was man dann allerdings den Menschen, die in der Pflege arbeiten, so alles zumuten kann, geht weit über das Maß der beschlossenen Corona Beschränkungen hinaus, denn was ansonsten so ziemlich für alle gilt, Brückentage nehmen, Fünf Tage Woche, Feiertage immer frei, gilt für Pflegekräfte nicht. Angesichts der Entlohnung anderer Berufsgruppen, werden diese Menschen für einen Hungerlohn ausgebeutet. Wer nicht vorzeitig völlig ausgelaugt, körperlich und seelisch verkrüppelt, aus dem Berufsleben scheiden will, sollte sich so schnell wie möglich von jeder pflegerischen Tätigkeit verabschieden. Die Pflege zu privatisieren, damit Anteilseigner und Anteilseignerinnen sich bereichern können, war ein Verbrechen an der Gesellschaft und an ihrem Zusammenhalt. So wurden Idealisten und Idealistinnen denn bestraft und Ausbeuter und Ausbeuterinnen belohnt und einige der dafür verantwortlichen Fossilien sind tatsächlich an unserer derzeitigen Regierung beteiligt. Aalglatte Aasgeier, die mit Paragrafen herum wedeln und wirkungsvoll dafür sorgen, das nichts besser wird.

Nach einer ausgiebigen Dusche mit lauwarmen Brackwasser, alle Brunnen in Agia Ana lagen zu nah am Meer, schaffte ich es bis auf Mikis Terrasse und regenerierte mit einem großen Becher tiefschwarzem Tütentee und Mikis Spezialität, dem Omletti. Unten an der Wasserlinie hüpfte Ian einbeinig aus den Wellen und erschien wenig später, angetan mit seinem zweiten Bein, im Schatten des Schilfdach und entschied sich ebenfalls für Schwarztee und Omletti. Für eine Runde Backgammon fehlte mir immer noch die nötige Konzentration, aber dafür versorgte Ian mich mit dem neusten Klatsch. Ein paar Buchten hinter Agia Ana, noch weiter weg von der Zivilisation, hatte sich ein Hippie, der dort in einer selbstgebastelten Hütte den Sommer verbrachte, zum Sonnenaufgang in die Wellen gestürzt und war mit einer Bank halbtoter, kurz vorm Strand treibender Feuerquallen kollidiert. Die Begegnung mit den giftigen Weichtieren führte zu Verbrennungen am ganzen Körper, einem Kreislaufkollaps und der Hippie musste mit einem Hubschrauber ins nächste Krankenhaus aufs Festland transportiert werden. Die kaum selbstständig schwimmfähigen Quallen, waren durch ungünstige Winde direkt vor Naxos Strände getrieben worden, wo sie dann nicht mehr weg kamen und letztendlich verendeten. Ian, der schon etliche Sommer auf Naxos verbracht hatte, kannte das etwas unappetitliche Phänomen und wusste ganz genau, dass es nicht angesagt war, sich am frühen Morgen einfach so, in das türkisblaue Meer zu stürzen. Quallen sind ganz bestimmt außerordentlich faszinierende Lebewesen, in den Tiefen von Hagenbecks Troparium habe ich gelernt, ihre fragile Schönheit zu bewundern, aber trotzdem lege ich bis heute keinen Wert auf eine hautnahe Begegnung mit ihnen. Unvergessen die Bootsfahrt vor Dänemarks Ostseeküste, dass Wasser war nur knietief aber völlig Quallen verseucht, die richtig großen, bläulich schimmernden, ungiftigen Quallen und wir sollten durch das Quallen Heer zu Strand waten. Ich war sieben Jahre alt und weigerte mich kategorisch diesen Weg zu gehen. Letztendlich trug mein Vater mich dann durch die blauen Quallen. Ian bot mir eine Runde Tafli an und ich verzichtete gerne auf mein tägliches Bad im Meer und zog es vor gegen Ian zu verlieren. Als HaHe und das Pärchen aus Ulm, mit dem er meistens unterwegs war, an späten Nachmittag bei Mikis eintrudelten, waren die Feuerquallenbänke vor der den Buchten das beherrschende Thema, denn es war kaum noch möglich im Meer zu baden.

Wer seinen Hut nehmen will, sollte ihn nicht schon vorher verlieren.

SCHIMPF PASS.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, draußen steht das Virus schon bereit. Die Tür zu schließen kommt nicht in Frage, wegen der Klimaveränderung muss die Wirtschaft ja immer noch wachsen. Wer das nicht versteht hat selber schuld oder denkt einfach zu viel nach. Wenn das Kind dann wieder in den Brunnen gefallen ist, wird das Geschrei groß sein, aber vorher kommt das Christkind noch schnell vorbei und beschert uns eine Warenflut. Den Waren folgen die Vieren und wer nicht folgsam war, muss die Folgen tragen. Nicht mehr folgen kann ich dem Messias im Gesundheitsministerium, der einen Expertenrat eingesetzt hat aber anstatt erst mal die Empfehlungen dieses Gremiums abzuwarten, prescht er forsch vor und schließt sehr zielführende Maßnahmen aus. Welche böse Macht flüstert ihm das ein? Ein Zurück gibt es sowieso nicht, es geht immer voran, egal wie. Dem Wie folgt ein Warum, aber der Weg ist das Ziel. Unverdrossen schießen wir weit über das Ziel hinaus und setzen uns ganz schnell ein neues Ziel, denn Gewinn muss man erzielen und der Mehrwert darf nicht auf der Strecke bleiben, aber was ist mit dem Gesundheitssystem. Damit fängt es an und geht weiter und betrifft die gesamte Infrastruktur unserer Gesellschaft. Macht die Schotten ganz schnell dicht aber nicht mit Whiskey.

Der Ouzo Hippie lief zu Hochform auf und erzählte eine lange, sehr komplizierte Geschichte, die davon handelte, dass böse Mächte, ihn um sein Erbe betrogen hatten und wurde dabei immer weinerlicher. Ian, der die Story bestimmt nicht zum ersten mal hörte, bestellte um dem Schlimmsten vorzubeugen, ganz schnell noch eine Karaffe von dem bunten Teufelsgebräu, das glücklicherweise nur in Viertelliter Kannen serviert wurde und dann noch eine. Der Ouzo Hippie beruhigte sich und wir erfuhren, dass Ian nicht nur Kunstprofessor gewesen war, sondern auch selber gemalt hatte. Ab und an verkaufte seine Agentin in London, immer noch eins seiner Werke aber Ian hatte nicht vor, nach England zurück zu kehren. Sein linkes Bein hatte er nicht durch einen Unfall verloren, sondern in Folge einer Krebs OP und wahrscheinlich war das auch der Grund, warum er einfach im Süden bleiben wollte und sein Leben genießen. Ian war immer großzügig und man konnte ganz wunderbar mit ihm über Gott und die Welt, über Kunst und Kommerz und über James Joyce philosophieren. Obwohl ich eigentlich zu jung und zu blond war, behandelte Ian mich, seit er begriffen hatte, mit welcher Begeisterung ich „Ulysses“ gelesen hatte, sehr respektvoll. Mein Englisch, dass mit meinem Alkoholkonsum immer flüssiger wurde, ganz bezaubernd Oxford waren seine Worte, amüsierte ihn und trotzdem er ganz bestimmt ein Vollblut Chauvi war, tolerierte er meine feministischen Ansichten. Er war außerordentlich belesen, geistreich und witzig und kam bei den jungen Touristinnen, deren Großvater er hätte seien können, erstaunlich gut an. Es kam immer wieder vor, dass eine seiner jugendlichen Affären, sein Leben in der Strandhütte und in der Ente mit ihm teilen wollte aber Ian lehnte das kategorisch ab. Er wollte allein sein, wenn er am frühen Morgen, auf einem Bein zum Meer herunter hüpfte und schwamm. Der Abend endete mit dem klassischen Männertanz, den wir bisher noch in jeder griechischen Disko, egal ob auf dem Festland oder den Inseln, gesehen hatten. Die Herren schwenkten ihre Beine, fassten sich sogar an den Schultern an, tanzten im Kreis und im Takt und außer Ian und HaHe, tanzten sämtliche Angehörige des männlichen Geschlechts mit. Am engagiersten führte sich der Ouzo Hippie auf. Draußen huldigten konzertierende Grillen dem Ende der sommerlichen Nacht und wir taumelten durch die Dünen zurück. Der nächste Morgen war viel zu heiß für meinen Kopf, HaHe stolperte zum Strand aber ich blieb lieber erst mal im Bett.

Kontakt ist kein Sport.

AKTIEN ENTE.

Auf uns rollt ein Tsunami zu und wir warten erst mal ab. Anders als bei den Frühwarnsystemen für gigantischen Flutwellen der Ozeane, werden wir zwar auch gewarnt, aber erst mal passiert nichts. Wenn der Schaden dann da ist, werden hektisch Abwehrmaßnahmen ergriffen, nicht um das schlimmste zu verhindern, das ist ja schon geschehen, nein nur um die Katastrophe einzudämmen. So wird das nie was. Angesichts der Entwicklung in Dänemark und England, ist mir schleierhaft, warum der neu installierte Expertenrat unseres obersten Gesundheitsgurus, nicht zu einen sofortigen Lockdown rät. In Frank Schätzings sehr erfolgreichem Science Fiction Roman „Der Schwarm“, geht es um eine uralte, aus einem gigantischen Vierenverband bestehende Intelligenz, die schon seit der grauen Vorzeit auf dem Grund des Ozeans lebt. Diese Intelligenz ist nicht mehr einverstanden, mit der unsäglichen Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung unserer Spezies und setzt sich zur Wehr, indem sie die Ozeane und den Himmel unwegsam macht. Der internationale Waren und Reiseverkehr bricht daraufhin zusammen, mit den mittlerweile bekannten Folgen. Bei Frank Schätzing schickt die Intelligenz vom Grund des Ozeans allerhand Meeresgetier in den Kampf, unser Virus erledigt das ganz allein. Die Stoßrichtung ist dieselbe, denn der Massentourismus und der massenhafte Warenverkehr und Warenverbrauch, gehören zu den größten Umweltkillern unseres Heimatplaneten.

Nach den von Norbert Elias aufschlussreich kommentierten Benimmbüchern des Mittelalters, die diese in Film und Literatur gerne romantisierte Zeit, rigoros entzauberten, die edlen Ritter und ihre edlen Damen, stritten sich noch bei Tisch um die besten Stücke und scheuten nicht mal davor zurück, sie vom Teller ihrer Sitznachbarn oder Nachbarinnen zu stehlen, warfen Tischabfälle hinter sich, rotzten und spukten auf den Boden, pinkelten in die Kamine, Zimmerecken und Flure der Burgen und Schlösser und benahmen sich insgesamt völlig unkultiviert, nahm ich einen neuen Anlauf mit James Joyces „Ulysses“. Bisher war ich nie über das erste Kapitel hinaus gekommen aber unterm Schilfdach von Mikis Taverne fand ich endlich den richtigen Draht und ließ mich von Leopold Blooms Gedankenwelt davon tragen. Das Buch begeisterte mich und als ich es durch hatte, las ich es gleich noch mal. Mein literarischer Vorrat schmolz, wie das Eis in Mikis blauen Kühltonnen und dann saß ich beim Frühstück und hatte nichts mehr zu lesen. Auf dem Nachbartisch lag ein Taschenbuch, dessen Einband ein grüner Drache zierte, ganz offensichtlich Lektüre für die beiden Kinder eines Pärchens aus Hamburg, mit denen ich manchmal ein paar Worte wechselte. Als ich mich bei der Frau darüber beklagte, dass mir der Lesestoff ausgegangen sei, bot sie mir das Buch mit dem grünen Drachen an. Es hieß „Der kleine Hobbit“ und war ihrer Aussage nach auch für Erwachsene geeignet. Skeptisch nahm ich das Angebot an und brachte ihr das Buch zwei Tage später durchgelesen zurück. Sie grinste mich an und meinte, dass es davon noch eine Fortsetzung mit den Titel, „Der Herr der Ringe“ gäbe. Als wir wieder in Deutschland waren, galt mein erster Besuch der Buchhandlung Gerbers in Itzehoe und mit dem letzten Geld, das von der Griechenlandreise über geblieben war, erstand ich Tolkiens Trilogie. Mittelerde zog mich genauso in ihren Bann, wie ein Tag im Leben des Leopold Bloom, auf seinen Streifzügen durch Dublin, aber „Der Herr der Ringe“ hatte noch mehr Seiten. Ich las vom Aufstehen bis zum zu Bett gehen und als meine Mutter in die Küche kam und mich mit einem Buch in der Hand die Suppe rühren sah, die ich beaufsichtigen sollte, flippte sie aus und schmiss mich aus der Küche. In Griechenland war alles unfassbar billig, die Unterkunft, das Essen und der Alkohol, der noch billiger war, als der Alkohol in Spanien, wobei das Angebot an alkoholischen Getränken in Griechenland erheblich viel eingeschränkter war, als das in Spanien. Auf Naxos gab es Amstel Bier, exzessiv geschwefelten Retsina, HaHe stieß bei seinen Exkursionen ins Hinterland oder abgelegene Buchten, manchmal auf Säcke voller leerer Schwefelampullen, exzessiv süßen Samos von der gleichnamigen Insel, ziemlich sauren Rotwein, Ouzo und Metaxa in mehreren Qualitätsstufen, die durch die Anzahl der Sterne auf dem Etikett angezeigt wurden und ein paar selbst und schwarz gebrannte Liköre und Schnäpse. Die Liköre wurden in einer gut verborgenen Taverne, mitten in den Dünen des Hinterland serviert, deren Betreiber die Farbenfrohen Spirituosen auch destillierten. Sie waren giftgrün, knallgelb, himbeerrot, dunkelrot und verursachten entsetzliche Kopfschmerzen. Die Örtlichkeit war ein Geheimtipp und ohne Ian hätten wir sie nie gefunden.

Auf der Suppe schwimmen nur Fettaugen.

MÜCKEN BÜßER.

Nun ist die fliegende Modenschau zu ihrer Weltverbesserungsmission aufgebrochen und ob es dadurch wirklich besser wird, bleibt abzuwarten. Die Welt will nicht belehrt werden, mit viel Glück und gutem Willen, will die Welt vielleicht zusammen arbeiten und das ist dann schon sehr viel. Auf der großen Bühne werden Unmengen von Schadstoffen abgesondert, unmäßig viel Energie verbraucht und in der Heimat brauchen Weltenlenker und Weltenlenkerinnen gar nicht mehr anzutreten, denn die Belange der Welt sind nicht die Belange der Heimat und selbst wenn sie es sind, verpufft die Botschaft irgendwo über den Wolken, wo die Freiheit schon lange nicht mehr grenzenlos ist. Sowieso wird an der Grenze entschieden, wie es denn nun weiter geht, denn der Rubikon ist überall und wer sich keinen fähigen Lotsen durch die unwegsame Wildniss leisten kann, geht unter. Wir machen einen Gedankensprung, denn die Revolution frisst ihre Kinder nicht, die Kinder werden erwachsen und entscheiden sich für das Establishment. So verändert sich das Gesicht des Fortschritts von Generation zu Generation und der Schnee von gestern, wird die Klimaveränderung von morgen sein.

Mit meinem Essen war ich gar nicht einverstanden, denn was mir serviert worden war, entsprach nicht im geringsten dem, was man mir in der Küche gezeigt hatte. Wie immer waren wir, in Ermangelung einer Speisekarte, in die Küche gelotst worden und man hatte uns den Inhalt der Töpfe präsentiert. Auf meinem Teller fand sich ein ziemlich abgenagter Knochen, auf HaHes Teller sah es erheblich viel besser aus und süffisant grinsend, empfahl er mir, Beschwerde einzulegen. Nach diesem klassischen Fall von männlichem Chauvinismus, tat ich das dann auch und stürmte mit meinem Teller die Küche. Wut entbrannt und wild gestikulierend zeigte ich immer wieder auf den Knochen, den man mir serviert hatte, bis der Mann hinterm Herd ein Einsehen hatte, mir einen neuen Teller reichte und mir bedeutete, diesen selber zu füllen. Nach sorgfältiger Inspizierung des Topfinhalts, suchte ich mir ein halbwegs appetitliches Stück Fleisch aus und als ich fertig war, entsorgte der Küchenkobold den bemängelten Knochen wieder in den Topf. Zurück am Tisch beschloss ich, nicht nur das Wasser zum Ouzo von meinem Speiseplan zu streichen, sondern auch sämtliche Eintöpfe. Die Nacht war traumhaft schön, über den im Mondlicht glänzenden Strand, leierte Mikis Kassettenrecorder Bobs Lieder und sie rollten, kräftig verstärkt von den Gesangeskünsten der irischen Touristen, weit hinaus in die Unendlichkeit der Wellen. Ein bisschen vermessen stellte ich mir vor, dass Bobs Lieder bis an den Strand von Paros wehen könnten. Ian bestellte eine neue Liter Kanne mit Ouzo und die Iren taten es ihm gleich. Als Mikis Generator dann völlig überfordert endgültig streikte, holte einer der Iren eine Gitarre hervor und sie sangen weiter. Lieder die außer ihnen keiner mehr verstand, aber wir weinten trotzdem mit. Vorm bitteren Ende jeder Liter Kanne, stießen die Iren mit dem Trinkspruch, „Up with the irisch people“, an und dann warfen sie ihre Gläser an die Wand. Am nächsten Tag gab es fast keine Gläser mehr in Mikis Taverne und wie die Iren nach Naxos Hauptort zurück gekommen waren, wusste nicht mal Mikis.

Am Lagerfeuer braucht es keine Lager mehr.

ZINKER SPIELE.

Sicher ist sicher, aber wirkliche Sicherheit gibt es nicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, sichert sich ab und träumt schlecht. Die Welt geht ja sowieso in Schönheit zu Grunde und nicht in Sicherheit. Sicher ist nur der Tod, denn alle Menschen müssen sterben, wie schon Ariya in „Game of Thrones“ feststellt. So ganz sicher sollte man sich aber trotzdem nicht sein, denn jedes System kann geknackt werden und auf der sicheren Seite regiert die Langeweile. Wer wirklich sicher gehen will, gründet einen Sicherheitsdienst und sichert ein Stück des Weges ab. Wer denn aber nur seine Felle in Sicherheit bringen will, sollte nicht zimperlich sein, denn unter die Haut gehen nicht nur Felle und Federn, sondern auch Meinungen, weit ab vom Mainstream. Wo ist mein Reh, wo ist mein Urwald, wo ist mein wilder Fluss und wo sind all die wilden Tiere und Vögel geblieben. Fragen über Fragen und das fragende Volk stellt noch mehr Fragen, denn wer nicht fragt bleibt dumm. So windet die Schlange der Phantasie sich denn durch Angst und Ordnung, um schillernd aufzuerstehen, aus dem Morast der Langeweile.

Still lag das glitzernde Meer unter der sommerlichen Hitze, der Meltini schwieg, Mikis Kassettenrecorder auch, denn der Generator musste geschont werden und der Wind verteilte nur noch ganz zarte Streicheleinheiten. In allen drei Tavernen an der Bucht von Agia Ana, stand ein ganzer Stapel Backgammonbretter, die von den Einheimischen gerne genutzt wurden. Leise klackten die Würfel durch die Stille des Nachmittags über die hölzernen Bretter, die Griechen nannten das Spiel Tavli und spielten leidenschaftlich, aber nicht nach den Regeln des uns bekannten Backgammonspiel. Zum Klacken der Würfel versank ich in Norbert Elias Analyse mittelalterlicher Benimmbücher, bis die Sonne sich wieder dem Horizont näherte und mir erlaubte noch eine runde Schwimmen zu gehen, ohne mir nennenswerte Verbrennungen zuzuziehen. HaHe tauchte auch wieder auf, zurück gekehrt von seinen Wanderungen an der Küstenlinie, von Tauchgängen nach Muscheln und Schwämmen und einem versunkenen Dorf. Die lange Mittagspause des Hochsommers war zu Ende, die Würfel schwiegen und die Einheimischen kehrten zurück zu ihren Jobs. Auf seiner zweiten Runde, die erste fand im Morgengrauen statt, kam der Eiswagen vorbei gerumpelt und brachte frische Eisblöcke vorbei. Die Eisblöcke wurden in riesige, blaue Tonnen gesteckt, ehemals für Olivenöl zuständig, wo sie Getränke und Lebensmittel kühlten, denn Kühlschränke, die rund um die Uhr betrieben werden konnten, gab es in Agia Ana nicht. Mikis Generator reichte mal gerade für den Kassettenrecorder. Am unteren Ende der blauen Tonnen befand sich ein Zapfhahn, durch den das kalte Schmelzwasser abgefüllt werden konnte. Abgekocht war das noch tolerierbar, aber das Wasser wurde auch zum Ouzo gereicht. Nachdem ich das begriffen hatte, trank ich den Ouzo nur noch pur, oder mit Coca Cola und blieb von der grassierenden Scheißerei verschont. Mit der sinkenden Sonne gingen HaHe und ich nochmal schwimmen, dann wanderten wir durch die Dünen des Hinterland in unser Domizil zurück, das salzige Wasser abwaschen und ein bisschen ausruhen. Auf dem durch gelegenen, bei jeder Bewegung quietschenden Bett, tauschen wir uns über den neusten Agia Ana Klatsch aus, den die Strandhippies, mit denen HaHe unterwegs gewesen war und die Touristen aus den Hütten im Hinterland, mit denen ich auf Mikis Terrasse gesessen hatte, von sich gegeben hatten. Ich bürstete mir die Haare und zog ein schönes Kleid an, HaHe blieb wie immer Holzfäller kariert. So zogen wir wieder runter zum Strand, zu Mikis Taverne. Mittlerweile war der Kassettenrecorder wieder zu Hochform aufgelaufen, Ian und der Ouzohippie hielten Hof und eine Gruppe irischer Touristen aus Naxos Hauptort hatte sich bei Mikis eingefunden.

Kummer ist sicher.

SCHIEFER SERVICE.

Nun hat er es endlich geschafft, der rote Schlumpf aus Hamburg, König Olaf. Als Mann an der Seite einer großen Mutter, färbten ihre Beliebtheitswerte viele Jahre lang auf ihn ab und trugen ihn bis an die Spitze unserer neuen Regierung. Vielleicht fand sie ihn ja würdiger, als die Männer ihres eigenen Clans, die sie in ihrem Schatten klein hielt, damit sie ihr nicht gefährlich werden konnten, vielleicht auch nur weniger gefährlich. Es gab keinen Kampf um die Macht mehr, die Macht in ihrem Clan hatte sie, nur ein randständiger Provinzfürst aus dem tiefen Süden muckte manchmal auf. Für eine wirklich glänzende Bewerbung, um den Chef oder Chefin Posten, reichte es dann letztendlich aber doch nicht aus. Das uralte Ritual, im Kampf um die Macht zu gewinnen und sich als neue, charismatische Führungsgestalt zu profilieren, fiel aus, denn die große Mutter hörte ganz einfach kampflos auf. Sie wollte nicht vom Hof gejagt werden, wie ihre Vorgänger, sie wollte mit Würde abtreten, was ihr dann auch gelang, der Preis dafür waren kraftlose Nachfolger. Das hat nichts mit Männern oder mit Frauen zu tun, nichts mit Matriarchat oder Patriarchat, sondern einzig und allein mit Macht. Macht will erobert werden und wer Macht besitzt muss sich der Macht erst mal als würdig erweisen und sie erkämpfen. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel, wie bei König Olaf, der einfach mitgetragen wurde.

Eine Speisekarte gab es weder bei Mikis, noch in den beiden anderen Tavernen, wer warm essen wollte, ging in die Küche und ließ sich den Inhalt der Töpfe zeigen. Meistens waren zwei bis drei Gerichte im Angebot, zwischen denen wir uns entscheiden konnten, indem wir mit dem Finger auf das gewünschte Gericht zeigten und wenn wir Glück hatten, gab es Souvlaki. Für das Souvlaki brauchten wir nicht in die Küche zu gehen, die Fleischspieße oder Hackspieße wurden über einem großen Grill vor der Taverne am Strand gegart. Mit seinen dicken, schwarzen Locken, der markanten, von wettergegerbten Zügen umrahmten Nase, stand Mikis wie Odysseus persönlich am Grill und beaufsichtigte die Spieße. Zischend triefte Fett ins Feuer, Funken flogen zum Himmel, im Hintergrund rauschte das Meer und versöhnte uns mit der ewigen Bouzouki Musik vom leiernden Kassettenrecorder. Dazu gab es frisch gebackenes Brot, Taziki mit ganz viel Knoblauch, feldfrischem Salat, von den Feldern direkt hinterm Strand und Basilikum, dass in großen Blumentöpfen ganz lebendig auf den Tischen stand. Das Olivenöl für den Salat und etliche Speisen, in denen es meistens etwas zu großzügig zum Einsatz kam, wurde auch auf der Insel produziert und konnte ganz und gar für sich alleine bestehen. Das Brot war ein wenig dunkler und schmackhafter, als allgemein üblich und wurde nicht so schnell trocken. Zum Frühstück gab es Omelett, Tomatensalat mit Feta und für die ganz und gar uneinsichtigen Toastbrot, mit Kunsthonig und Marmelade aus winzigen Döschen. Kaffee aus Instant Pulver und tiefschwarzen Tütentee aus großen Bechern. Das Frühstücksomelett reichte bis zum späten Nachmittag. Es gefiel mir in Agia Ana, nach der Party bei Mikis stand ich am späten Vormittag auf, duschte die Hitze der Nacht weg und machte es mir mit Norbert Elias, von HaHe unter Flüchen geschleppten Buch „Über den Prozess der Zivilisation“, Tütentee und Omlett, unterm Schilfdach von Mikis Taverne gemütlich. Am breiten, weißen Sandstrand garten Sonnenhungrige Touristen ihr empfindliches Fleisch erst rosa und dann tiefrot, bis es Blasen schlug. Leise plätscherte das türkisfarbene Meer in der Hitze des Mittags gegen den Strand und auf der anderen Seite verschwamm Paros im Dunst. HaHe war schon lange unterwegs, neue Strände erschließen, aber ich musste mich erst mal akklimatisieren. Angetan mit einem von HaHes langärmligen, karierten Holzfällerhemden, modisch ein absolutes No-Go, traute ich mich runter zum Strand, ins gleißende Licht der mittelmeerischen Sonne, schwamm eine Runde und flüchtete ganz schnell wieder in den windigen Halbschatten des Schilfdach von Mikis Taverne zurück.

Manchmal ist ein Schritt zurück mehr, als zwei Schritte voran.

DACKEL MARSCH.

Egal was es wird, ein Schmusekätzchen, wie auf der Titelseite eines sehr erfolgreichen Online Nachrichtenportals gewünscht, oder ein Monstertiger, wie auf eben derselben Titelseite gefürchtet, das Virus ist virulent. Es verheert nicht nur die Körper seiner Opfer, in noch größerem Maß verheert es den Geist, eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung und zerbricht den gesellschaftlichen Grundkonsens. Was das Virus uns wirklich sagen will, bleibt dabei leider auf der Strecke. Nirgendwo fühlt das Virus sich wohler, als unter den Bedingungen eines entfesselten Kapitalismus, der das Wachstum anbetet, weil er es zum Leben braucht. Das Virus will reisen, schnell, billig und um die ganze Welt, es ist ein Kind der Globalisierung und wenn wir das nicht begreifen, wird das Virus global eingreifen, denn es ist schon lange viel zu viel schief gegangen. Die Welt, deren Schönheit und Gleichgewicht wir doch sehr gestört haben, braucht uns nicht, aber wir brauchen die Welt. Die Welt, die alle Zeit der Welt hat und von dieser Weltferne sollten wir uns ein Stück nehmen und den entfesselten Wahnsinn ganz vorsichtig wieder runter fahren.

Unsere Vermieter waren ein wenig enttäuscht, als wir das Zimmer kündigten, um nach Agia Ana umzuziehen. Sie ließen kein gutes Haar an der Bucht und den dort ansässigen Tavernen, Mikis, den geschäftstüchtigen Wirt der einzig elektrifizierten Taverne, bezeichneten sie unverhohlen als Anarchisten oder Banditen, was so ziemlich auf das Gleiche hinaus kam und die hygienischen Zustände in der Bucht als untragbar. Wir ließen uns nicht abschrecken und HaHe schleppte mein Gepäck, das nicht nur aus einer angemessenen Garderobe, sondern auch einer nicht minder angemessenen Bibliothek bestand, unter wüsten Flüchen den Strand entlang, aber er hatte es ja nicht anders gewollt und am späten Nachmittag kamen wir in Agia Ana an. Mikis freute sich uns zu sehen und brachte uns zu unserem neuen Domizil, nicht ohne uns vor Skorpionen zu warnen. HaHe amüsierte sich köstlich, er hielt die Reptilienhysterie der Griechen für völlig übertrieben und bemühte sogar Dr, Freud zur Erklärung dieser nationalen Befindlichkeit. Da mir weder ein Skorpion, noch eine größere Spinne begegneten, packte ich meine Bücher aus, duschte und als es dämmerte machten wir uns nicht auf den Rückweg nach Naxos Hauptort, sondern runter zu Strand zu Mikis Taverne. Es roch nach Sommer und nach Salbei, nach Basilikum, Rosmarin und nach Meer und der breite, weiße Strand leuchtete uns verheißungsvoll an. Schwimmen auf der silbernen Bahn des Mondlicht, Schatten einer Katze, geheimnisvolle Geräusche aus dem Hinterland, so schlugen wir bei Mikis auf. Das Pärchen aus Ulm war schon da und stellte uns Ian vor, einen einbeinigen Kunstprofessor aus London. Ian hatte England nach seiner Pensionierung verlassen und war in den Süden Europas ausgewandert. Die Sommer verbrachte er auf den Kykladen und die Winter auf der griechischen Hälfte Zyperns. Er war mit einer Ente unterwegs, in der er manchmal auch schlief, aber in Agia Ana schlief er in einer selbstgebauten Schilfhütte am Strand. Jeden Morgen hüpfte er auf dem ihm verbliebenen Bein zum Meer und schwamm eine Runde, danach hüpfte er zurück zu seiner Schilfhütte und schnallte sich sein Holzbein an. Ian liebte Ouzo und er bestellte ihn nicht in Viertelliter oder Halbliter Kannen, sondern ausschließlich in Einliter Kannen. Alle Wirte an der Bucht von Agia Ana liebten Ian. Wo Ian war, war die Party und sein Konterpart war der Ouzohippie, ebenfalls ein Engländer. Wie Ian, lebte auch der Ouzohippie in einer selbstgebauten Schilfhütte am Strand, aber im Gegensatz zu Ian, der auf seine Professorenpension zurück greifen konnte, hatte der Ouzohippie überhaupt kein Geld. Ortskundig und eingeweiht, schnorrte er sich bei den Touristen durch, oder ließ sich von Ian helfen, aber die Griechen verachteten ihn.

Schnell wachsen heißt schnell sterben.

FEST KAPAZITÄTEN.

Das es immer noch ein bisschen kleiner geht, wissen wir ja schon seit Atome gespalten werden. Trotzdem muss Kleinklein nicht wirklich gut sein und führt letztendlich zu unangenehm großen Maßnahmen. Anstatt Geisterspielen wird nur die Anzahl der Zuschauer in den Stadien beschränkt, denn die Erkenntnisfähigkeit ist auch etwas beschränkt. Noch beschränkter sind die Kapazitäten der Intensivmedizin und dieser, ausbeuterischen Arbeitszeiten und miesen Löhnen geschuldete Umstand, entspringt dem politischen Willen der Verantwortlichen. In die Pflege sind all die verschwundenen und nicht wieder gekehrten Arbeitskräfte der gastronomischen Branche jedenfalls nicht abgewandert, woraus wir nur schlussfolgern können, dass es in der Pflege noch beschissener zugeht, als in der Gastronomie. Handwerker gibt es auch immer weniger, was aber wenigstens dazu führt, dass die verbliebenen Handwerker endlich wieder wert geschätzt werden müssen und angemessener verdienen. Was nun die Wertschöpfung einer Werbefachkraft angeht, so besteht sie im großen und ganzen hauptsächlich aus der Förderung Umwelt schädlichem Verhaltens.

Agia Ana war den Weg durch die Zone der fliegenden Ungeheuer dann wirklich wert. Eine Hand voll Touristen verteilte sich über den riesigen Strand und ganz sanft plätscherte das türkisfarbene Meer über den weißen Sand. Auf der anderen Seite verschwamm die Nachbarinsel Paros im Dunst der sommerlichen Hitze, Deutschland war dreitausend Kilometer weit weg und Telefon gab es nur in Naxos Hauptort auf dem Postamt. Wir waren frei. An der großen, halbmondförmigen Buch mit dem Postkartenstrand, lagen drei kleine Tavernen. Sie bestanden im wesentlichen aus einer großzügigen, mit Schilfrohr überdachten Terrasse, einem Innenraum und der Küche. Mit Gas aus der Flasche wurde gekocht und eventuell noch ein Kühlschrank betrieben und Licht in die Dunkelheit der mittelmeerischen Nacht, brachten ganz archaische Petroleumlampen. Strom und Musik vom Kassettenrekorder gab es nur bei Mikis, die beiden anderen Tavernen boten Essen an und schlossen spätestens um zehn Uhr abends. Wir blieben bis zur Dämmerung und dann mussten wir uns beeilen, um den Weg zurück im Halbdunkel noch zu finden. Aus Halbdunkel wurde ganz schnell Dunkelheit und wir stolperten am Strand entlang, denn eins war sicher, am Strand würden wir ganz bestimmt zurück finden. Die flugunfähigen Käfer waren glücklicherweise nicht nachtaktiv, aber als es zu dunkel geworden war, um durch das Dickicht einer Landzunge zu finden, mussten wir sie umschwimmen. Als HaHe mich dann am nächsten Vormittag aus dem Bett zerrte, damit wir rechtzeitig nach Agia Ana aufbrechen konnten, weigerte ich mich und bestand darauf weiter zu schlafen. So schön es auch in Agia Ana gewesen war, die Heimweg steckte mit noch in den Knochen. HaHe war bezaubert, in Agia Ana hatte er ein Pärchen aus Ulm kennen gelernt, das ihm schwer imponierte. Zwei Tage später ließ ich mich nochmal dazu überreden, den Weg nach Agia Ana zu machen und durch die Dunkelheit zurück zu stolpern. Am nächsten Tag stellte ich HaHe vor die Alternative, entweder ganz nach Agia Ana zu wechseln, oder in Naxos Hauptort zu bleiben. In einer selbstgebastelten Hütte am Strand zu schlafen, kam allerdings nicht in Frage, die Bedingung war ein halbwegs akzeptables Zimmer mit Sanitäranlagen. HaHe zog mächtig grummelnd ab und kam mit einem annehmbaren Vorschlag wieder. Mikis, der geschäftstüchtige Wirt der einzigen elektrifizierten Taverne von Agia Ana, war dabei im Hinterland von Agia Ana, ein paar Appartements für Touristen bauen zu lassen. Es war alles noch ganz klein und bescheiden, vier Wände, ein Vorraum mit Tisch und zwei bis vier Stühlen, Hacken an der Wand, ein zweiflammiger Gasherd mit Flasche, ein Schlafraum und ein Bad mit Dusche und Sitzklo samt Eimer für das Toilettenpaper. Das Beste war die Terrasse mit Blick auf das Meer und Paros. Ich ließ mich überreden.

Wer zum G Punkt kommen will, braucht mehr als 2G plus.