STUSS
     MUND

  abcdefghijklmnopqrstuvwxy zyxwvutsrqponmlkjihgfedcb abcdefghijklmnopqrstuvwxy zyxwvutsrqponmlkjihgfedcb abcdefghijklmnopqrstuvwxy zyxwvutsrqponmlkjihgfedcb abcdefghijklmnopqrstuvwxy zyxwvutsrqponmlkjihgfedcb abcdefghijklmnopqrstuvwxy zyxwvutsrqponmlkjihgfedcb  
28.11.20 25.11.20 22.11.20 19.11.20 16.11.20 13.11.20 10.11.20 07.11.20 04.11.20 01.11.20
SCHIMPF ZENTREN.

In meinen Kindertagen dominierten Frauen, die für die Sauberkeit, Frische und Anschmiegsamkeit der Wäsche zuständig waren, die Wirklichkeit der Werbespots. Clementine mit ihrem karierten Auftritt und ihrer weißer als weißen Wäsche, war schon recht prägnant, aber wirklich ins Unterbewusstsein drang, die Frau mit dem personifizierten schlechten Gewissen. Ist die Wäsche wirklich weich, oder hast du was vergessen? Einfach unvergesslich. Ich hasse Weichspüler, sie töten Frösche und etliche andere Amphibien und sie sind völlig überflüssig. Überflüssig wie unendlich viel Scheiß und doch ist Überfluss an sich ganz und gar wunderbar. Über allem Überfluss schwebt die Gerechtigkeit, die seit den Tagen der Höhlenmalerei, leider aus der Welt verschwand. Im Hier und Jetzt stimmt eine Menge nicht, denn die Menge ist zur Masse geworden und wer von der Schaukel des kosmischen Gleichgewichts fällt, bekommt keine zweite Chance, oder begegnet einer Sternschnuppe.

Bevor sie sich eine Verletzung am Rückgrat zugezogen hatte, hatte Inken recht erfolgreich Handball gespielt. Sie war ziemlich groß, schlank, mit einer markanten Wespentaille ausgestattet und man sah ihr immer noch an, dass sie mal sehr sportlich gewesen war. Ihre Sportverletzung war gravierend, brauchte lange um zu heilen und von Anfang an war klar, dass Inken nicht mehr Handball spielen würde. Ich lernte sie in einem Seminar der feministischen Literaturwissenschaft kennen und wir mochten uns auf Anhieb. Den Sport hatte sie durch ein ausschweifendes Nachtleben ersetzt, was dazu führte, dass sie im Seminar nicht immer ganz auf der Höhe des behandelten Stoffes war. Im „Mader“ wurde Inken angehimmelt, ihre unzähligen Verehrer sorgen für regen Umsatz am Tresen und trotzdem sie gerne trank was ihr ausgegeben wurde, galt sie als eiserne Lady und außerdem war sie wirklich trinkfest. Auch HaHe und sein Busenfreund Söhnke hatten ihr Glück schon etliche Male bei Inken versucht und waren nie erfolgreich gewesen. Als ich Inken dann vom Seminar mit in die Wohngemeinschaft brachte, war HaHe erst mal begeistert, aber am Tisch der Wohngemeinschaftsküche stellte sich ganz schnell heraus, dass Inken nur Alex, den Chef der Küche des „Mader“ liebte. Die Küche des „Mader“ war mindestens genauso groß wie der Gastraum mit dem Tresen, aber gekocht wurde dort nicht wirklich. Die meisten Gerichte wurden lediglich aufgewärmt, manchmal briet Alex ein paar Spiegeleier oder schnippelte einen Salat zurecht. Der Vorteil war, dass bis zum Tresenschluß Essen serviert wurde und sei es nur eine „Heiße Hexe“. Alex trank nicht, mit Erwin, dem Chef des Kneipenkollektiv, der auch nicht trank, kiffte Alex was das Zeug hielt. Der größere Rest der Mannschaft soff, was dazu führte, dass Erwin und Alex oft die Einzigen waren, die die Überblick behielten. So war die Küche denn Kifferland und nur Kiffer waren dort zugelassen. Alex zweite große Leidenschaft nach dem Kiffen, galt Filmen. In seiner grundsätzlich komplett verdunkelten Wohnung, direkt hinterm „Mader“, war der Videorecorder den ganzen Tag in Betrieb. Auch diese Leidenschaft teilte Alex mit Erwin. Nach Schichtende zogen die beiden sich gerne noch etliche Tüten und mehrere Filme in Alex Wohnung rein und Inken ging allein ins Bett. Mit Rationalität war da nicht das Geringste zu erreichen, denn Inkens Leidenschaft für Alex war sowieso nicht rational. Als HaHe das begriff, bot er ihr an, ihr die Karten zu legen und im Gegensatz zu mir, war Inken begeistert. Dem Tarot, seinen märchenhaft bunten Bildern, seinen phantastischen Interpretationen und psychologischen Fallstricken, waren HaHe und ich zum ersten Mal bei Tillmann in Griechenland begegnet. Als charismatischer Trickster und begnadeter Lehrmeister, hatte Tillmann uns einiges beigebracht und ich wollte nun nicht dabei zusehen, wie HaHe sich das zu Nutzen machte, um Inken zu verführen. Karten legen konnte ich mindestens so gut wie HaHe und für Inken erst recht. Ich begann mit Erklärungen. Zuerst zeigte ich Inken die vier Königinnen des Tarot, die der Schwerter, der Tassen, der Stäbe und der Münzen. Den Schwertern der Verstand, den Tassen das Gefühl, den Stäben die Kreativität und den Münzen der Erfolg und so wie Tillmann es mir beigebracht hatte, ließ ich sie eine Königin wählen.

Was nicht gut tut, geht auch nicht gut.

TÜLL AFFEN.

Wann es los ging weiß ich nicht, aber es ist gründlich schief gegangen. Die Annahme, dass nur die anderen verantwortlich sind, hilft uns nicht wirklich weiter und bringt uns noch viel weniger weiter. Die Götter wissen, dass sie für sich selbst zuständig sind, aber die Menschen haben das schon lange vergessen und deswegen werden sie vergessen werden. Heult nicht, handelt und passt auf euch selber auf. Verantwortung und Freiheit sind untrennbar miteinander verbunden und wer denn denkt, die anderen hätten Schuld, hat selber schuld. Ich weiß nicht was schlimmer ist, die Schuld im Kopf und im Körper, oder die Schuld auf dem Konto, aber ich weiß, dass ich keine Schuld habe, nur Schulden auf dem Konto. Schuldbeladen geht es weiter und wer keine Lust mehr hat, streut Blumen ins Meer, oder Salz auf die Haut und vergisst die Schuld und die Dunkelziffern. Zum Glück ergibt Minus und Minus ja auch immer noch Plus und so landen wir denn letztendlich alle in einer goldenen Zukunft.

Abi und Dusty waren ein wenig wie Dustys Name, ungreifbar, sie kamen und verschwanden wieder und es war fast unmöglich sich mit ihnen zu verabreden. Eines Tages standen sie vor der Tür, im Schlepptau einen Hünen mit etwas irrem Blick. Er hatte was von Rübezahl, trug ein kariertes Holzfällerhemd, ein Cordhose mit Schlag und keine Schuhe dazu. Er wurde mir als Jürgen vorgestellt, aber irgendwie passte der Name überhaupt nicht zu ihm. Ganz offensichtlich kannten Jürgen und Dusty sich schon länger und wie ich im Laufe des nachmittags erfuhr, hatte Jürgen eine Zeit lang in Ochsenzoll verbracht, weil er ziemlich auffällig geworden war. Anscheinend hatte er entschieden zu viele von den kleinen, bunten Papierstückchen zu sich genommen und vor allem, viel zu viele auf einmal. Jürgen und Dusty waren zusammen unterwegs gewesen, als die göttliche Inspiration Jürgen mit Macht überkam. Am Bahnhof Mundsburg begann er sich seiner Klamotten zu entledigen, um in Kontakt mit dem ewigen Leben zu treten. Das wäre vielleicht alles auch noch durchgegangen, aber Jürgen predigte lautstark über die Unsterblichkeit und seine Stimme entsprach seiner Statur, während er sich immer mehr entblößte und forderte alle zufällig Anwesenden dazu auf, es ihm gleich zu tun. Dusty war eher amüsiert, aber auf die meisten seiner Zuhörer wirkte Jürgens Auftritt eher verstörend. Der Vorfall endete damit, dass Jürgen in einer Zwangsjacke nach Ochsenzoll transportiert wurde, wo er dem behandelnden Arzt erklärte, dass er soeben seinen Tod überlebt hätte. Nach ein paar Wochen und vielen bunten Pillen, die wahrscheinlich auch nicht bekömmlicher waren, als die bunten Papierfetzen, mit denen Jürgen sich vorher therapiert hatte, ließen sie ihn wieder gehen, aber Jürgen war seitdem Felsenfest davon überzeugt, gestorben zu sein und wieder auferstanden. Die göttliche Inspiration des Vorfalls am Bahnhof Mundsburg, war wie ein Leuchtfeuer in seinem Leben. Er schwor immer noch auf die kleinen, bunten Papierstückchen, aber weder Dusty, noch irgendjemand anderes aus seinem Bekanntenkreis war dazu bereit, ihn damit zu versorgen. Schuhe hatte er seit seinem Gastspiel in Ochsenzoll nie wieder angezogen. Wir machten einen langen Spaziergang bis zur Mannsteinstraße, wo Jürgen seine Kindheit verbracht hatte und ließen es uns mit Bratkartoffeln, der Spezialität des „Mannsteinecks“, einer Taxifahrerkneipe, die lange als Geheimtipp galt, gut gehen. Abgesehen von seinem Unsterblichkeitswahn, war Jürgen wirklich amüsant und sehr belesen, aber auf dem Rückweg mutierte er immer mehr zum Rübezahl, räuberte Blumen aus öffentlichen Anlagen, die er sich in die Haare und den Bart steckte, oder liebevoll zerpflückte und dabei alte Zaubersprüche rezitierte. Eigentlich fehlten nur noch das falsche Gold und die Zwerge. Als er mitten auf dem Bürgersteig vor mir auf die Knie ging, um mir eine soeben geknickte Rose zu überreichen und mir klar wurde, dass er plante mich ausführlicher in seine Unsterblichkeitspraktiken einzuweihen, bog ich an der Ecke Hohe Weide / Bundesstraße ab und verkrümelte mich ganz schnell in Richtung des „Mader“. Im „Mader“ wurde wie immer mit Bier transzendiert, die Götter waren schon lange im Hier und Jetzt angekommen und Inken, die als wiedergeborene Kleopatra hinterm Tresen stand, spendierte mir ein Glas Wein.

Was man nicht in der Börse hat, sollte man auf der Bank haben.

LALL ZAHLEN.

Nichts gegen soziale Medien, aber es wäre durchaus sinnvoll, wenn für jeden gelesenen Beitrag, egal welcher Art, nicht ein Like oder Dislike oder sonst wie gearteter Icon abgegeben werden könnte, sondern nur ein fundierter, sauber verfasster, schriftlicher Beitrag. Der Veröffentlichung dieser Beiträge sollte ein menschlicher und ausschließlich menschlicher Filter voran gestellt werden. Das ist teuer und aufwendig, aber es schafft nicht nur Frieden, sondern auch Arbeitsplätze und verteilt unnötig akkumulierte Gewinne um. Wie eine Hydra mit unendlich vielen Häuptern, vervielfältigen die Plattformen der sozialen Medien, jeden noch so platten Unsinn und verunreinigen die Welt mit Lügen, denn nur weil es irgendwo geschrieben steht, muss es ja noch lange nicht wahr sein. Vielleicht sollte ja nicht nur die Kirche im Dorf bleiben, sondern auch die Meinung der Dorfbewohner. Für Insulaner, Marsianer und Bewohner der Metropolregion gilt das natürlich auch.

Das Gegenteil von Laika war Voodoo, Abis Hund. Zwar waren beide Hunde schwarz, aber das war dann auch schon so ziemlich alles was sie verband. Abis Eltern waren steinreich, sehr mit sich selbst beschäftigt, Abis Vater indem er sein Vermögen nach Kräften vermehrte, Abis Mutter indem sie sich genauso viel Mühe gab, das Geld wieder auszugeben, für Abi hatten sie wenig Zeit. Den größten Teil seiner Schulzeit verbrachte Abi auf wechselnden Internaten, denn lange hielt keine Schule es mit ihm aus. Wenn er dann, meistens wegen seines ausufernden Drogenkonsums, mal wieder eines Internats verwiesen worden war, kaufte sein Vater ihm, mit einer großzügigen Spende, einen Platz an einem anderen Internat. Zu Bodenlangen Lammfellmänteln trug Abi seine langen Haare stilvoll unordentlich und auch wenn er hellwach war, hielt er die Augen meistens halb geschlossen und strahlte dabei eine gleichgültige Schläfrigkeit aus. Er war hoch intelligent und in seinem Auftreten orientierte er sich, an dem von ihm sehr verehrtem Oscar Wilde. Als Abi volljährig war, hatte er zwar immer noch kein Abitur, aber er ließ sich auch nicht mehr auf irgendein Internat abschieben. Um nicht ständig mit den Eskapaden seines schwierigen Sohnes konfrontiert zu werden, kaufte sein Vater ihm ein Haus, in einer Neubausiedlung vor den Toren Hamburgs. Mit Voodoo und seiner kongenialen Flamme Dusty, einer ätherischen Elfe mit der Drogentoleranz eines Dinosauriers, zog Abi zum Entsetzen der Nachbarn in das Eigenheim. Zum Glück für die Nachbarn, waren Abi und Dusty oft tagelang unterwegs und trieben sich mit allerhand, außerordentlich Drogen affinen Exzentrikern herum. Einen Führerschein besaß Abi nicht, dafür hätte er entschieden zu lange nüchtern sein müssen, aber einen standesgemäßen Strich Achter, in dem er sich von wechselnden Führerscheininhabern durch die Gegend kutschieren ließ, die er dafür großzügig mit dem Geld seines Vaters aushielt. Voodoo war genauso aufsässig wie sein Herrchen, wenn man ihn rief kam er grundsätzlich nicht, was dazu führte, dass Abi oft Stundenlang seinen Hund, den er trotz seiner notorischen Renitenz über alles liebte, suchen musste, wobei seine langgezogenen Voodoo Rufe einer gewissen Komik nicht entbehrten. Mit viel Glück tauchte Voodoo dann irgendwann wieder auf und Abi fiel ein Stein vom Herzen. Durch seine Exfreundin Siggi, die mit Dusty befreundet war, hatte Ralf Abi kennen gelernt und sie hatten genug gemeinsame Interessen, um sich auf Anhieb zu verstehen. Mit Abi und Dusty, die so ziemlich jeden Hippie zwischen Schleswig und Hannover kannten, war der Sommer im Norden ein einziges Festival. Wir fuhren raus aufs Land, zu irgendeiner Party, einem Insiderkonzert in der Walachei und egal wo wir strandeten, da war immer ein Hippiehof oder eine alte Gaststätte, oft mit Bühne und Veranstaltungssaal, mitten im Dorf, die Dustys durchgeknallte Freunde übernommen hatten. Dusty war sehr esoterisch und als sie mitbekam, dass ich nicht nur das Raider Tarot, sondern auch das von Frieda Harris, meiner Meinung nach recht schwülstig gestaltete, Crowley Thoth Tarot kannte und obendrein das Tarot der Zigeuner von Walter Wegmüller, nahm sie mich in den Kreis ihrer Vertrauten auf.

Mit einem Brett vorm Kopf kann man auch auf einer Scheibe leben.

BOCKWART.

Das freie Bürger frei sterben, ist selbstverständlich, aber gar nicht schön. Das Problem der Freiheit ist, dass sie nicht Massen kompatibel ist, denn frei sind immer nur wenige. Wer frei sein will, nimmt Abschied von der Zivilisation und geht in die Einsamkeit unwirtlicher Weiten. Freifahrscheine zur Freiheit gibt es nicht, nur die Möglichkeit frei zu wählen und deswegen sollten freie Menschen freie Tiere in Freiheit lassen und nicht ihrer Freiheit oder ihres Lebens berauben. Die Kardinalfrage ist, wer hat unser Bewusstsein abgeschaltet, wie konnte das passieren, wann und warum. Wie blöd sind wir eigentlich? Nerze, Schweine und Gänse keulen, zum kotzen und so geht es nicht, denn die Keule wird immer auf uns zurück fallen. Mutiert sind nicht die anderen, mutiert sind wir. Anstatt Filme über Umwelt Tribunale in der näheren Zukunft anzuschauen, sollten wir ganz schnell unsere Umwelt schädlichen Gewohnheiten ändern, denn wir haben nicht nur diesen einen Planeten, sondern auch nur dieses eine Leben.

Wenn Andrea früh morgens aufstand, stand Ralf mit ihr auf und wenn sie dann das Haus verließ und mit ihrem Strich Achter zur Arbeit fuhr, legte er sich wieder ins Bett und schlief noch weiter, bis Laika darauf bestand eine Runde vor die Tür zu gehen. Laika liebe ihr Herrchen über alle Maßen und sie gehorchte Ralf aufs Wort. Wenn Ralf seine Jacke auf den Fußboden legte und Laika bedeute, auf die Jacke aufzupassen, blieb Laika bei der Jacke sitzen, egal was passierte. Sie war der einzige gut erzogene Hund weit und breit und selbst die völlig unberechenbaren Eskapaden der Hunde meiner Hippiefreunde, verleiteten Laika niemals dazu, ihren Platz bei Ralfs Jacke zu verlassen. Manchmal tat sie mir fast leid, aber letztendlich war sie wahrscheinlich erheblich viel glücklicher, als all die unerzogenen und orientierungslosen Hunde in ihrem Umfeld. Sie war als Babyhund zu Ralf gekommen, seine Exfreundin Siggi hatte ihm Laika geschenkt, um ihm aus einer depressiven Phase heraus zu helfen und es hatte funktioniert. Ralf ließ sich von einer Tierärztin beraten und kümmerte sich von Anfang an, was die Ernährung seiner Hündin und ihre Erziehung anging, perfekt um Laika. Aus dem kleinen, knuddeligen, schwarzen Fellknäuel wurde eine mittelgroße, schlanke und überaus muskulöse Hündin, zu deren Vorfahren unübersehbar einige Jagdhunde gehört hatten. Trotzdem sie kein Kampfhund war, signalisierte Laika jedem, der Ralf auch nur irgendwie blöd kam unmissverständlich, dass sie ihm sofort an die Kehle springen würde und die Drohung wurde selbst von den Nazis und HSV Hooligans der „Löwen“, in der S-Bahn Richtung Elbgaustraße ernst genommen. Nichts liebte Laika mehr als das Stöckchenspiel, apportieren war ihre Leidenschaft und sie konnte das Spiel Stundenlang spielen. Zwischen Weihnachten und Neujahr fuhren Andrea, Ralf und Laika für ein Weihnachtsmärchen, in die verschneiten Berge Österreichs. Sie mieteten sich eine romantische Hütte und gingen jeden Tag im Schnee spazieren. Wenn sie dann abends am Kaminfeuer saßen, war Laika endlich mal müde, denn sie hatte den ganzen Tag über Stöckchen jeder Größe, die Andrea und Ralf den Hang hinunter geworfen hatten, den Hang wieder hoch transportiert. Trotzdem reagierte sie immer noch mit einem etwas fassungslosen Blick, wenn die Stöckchen ihr Leben im Kaminfeuer aushauchten. Laika war ohne weiteres in der Lage einen Baumstamm, für den sie, wie eine Anaconda, fast ihren Kiefer aushaken musste, vom Fundort bis zum Auto hinter uns her zu schleppen. Nicht zu verhindern war allerdings, dass Laika sich manchmal in Kuhscheiße oder Aas wälzte, so schön, so wild und wenn dann kein See oder Teich in der Nähe war, verstank sie erst mal den Strich Achter gründlich. Mitten in der Feldmark oder im Wald, konnten auch recht archaische Jagdinstinkte durchbrechen, aber wenn Ralf sie rief kam sie schnell wieder und die Jungtiere belehrten sie mit ein paar kräftigen Tritten ihrer Hinterläufe sowieso eines Besseren. Beeindruckend war auch ihr Auftritt, als wir beim herbstlichen Pilze sammeln im alten Land, von einem jungen Bullen angegriffen wurden. Wir hatten noch nicht mal auf seiner Wiese Pilze gesucht, aber irgendetwas störte ihn, vielleicht war es Julias rote Jacke und er brach durch zwei Elektrozäune, um uns zu stellen. Laika stellte sich sofort zwischen uns und den durchdrehenden Jungbullen, sie bellte ihn so aggressiv an, dass er nicht umhin konnte sie zu verfolgen und natürlich war sie viel zu schnell für ihn.

Kohl ist nicht fett.

NUSCHEL FAKTOR.

Dumm gelaufen mit der Pandemie und seit wir offiziell wissen, dass nur etwa fünfundzwanzig Prozent der akuten Corona Erkrankungen zurück verfolgt werden können, was im Gegenschluss bedeutet, dass fünfundsiebzig Prozent der akuten Corona Fälle nicht zurück verfolgt werden können, stellen sich so etliche Fragen. Die erste lautet, was ist eigentlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und die zweite betrifft die Schulen. So geht das irgendwie nicht und vor allem wird das auch nichts. Wie lange sollen wir noch verarscht werden, es gibt keinen Shutdown Light, es gibt nur einen konsequenten Shutdown oder keinen. Die Annahme, dass ein Impfstoff uns retten wird, geht erst mal in die Irre, denn es wird noch sehr lange dauern, bis so ein Impfstoff großen Teilen der Bevölkerung zur Verfügung steht und dann auch noch wirklich wirkt. Bis dahin würde ehrliche Aufklärung wahrscheinlich erheblich viel mehr bewirken, als die derzeitige, komplett verlogene Salamitaktik.

Ein paar Tage bevor ich nach Griechenland reisen wollte, stellte sich Andrea vor. In Susannes Zimmer war Cauca gezogen, aber für Klaus Zimmer hatten wir noch immer nicht, trotz etlicher Kandidaten Castings, einen neuen Mitbewohner, oder eine neue Mitbewohnerin gefunden. HaHe fand Andrea zwar ein bisschen zu albern, aber mir war sie auf Anhieb sympathisch, zumal ich den Grundsatz vertrat, dass wer albern ist, ins Elfenreich kommt. Die Vorstellung, als Hahn im Korb, mit drei Frauen zusammen zu wohnen, reizte HaHe dann allerdings doch so sehr, dass er sich mit Andrea einverstanden erklärte und ich endlich nach Griechenland reisen konnte. Als ich nach anderthalb Monaten in Griechenland, pünktlich zum Beginn des neuen Semesters, wieder in Hamburg ankam, war Andrea bereits eingezogen. Besonders gut kochen konnte Andrea nicht, aber ihr Freund Eckhard, ein ziemlich depressiver Psychologiestudent konnte ganz gut kochen und war sowieso fast immer bei Andrea. Bevor Andrea zu uns in die Wohngemeinschaft zog, war sie fast ein halbes Jahr mit Eckhard um die Welt gereist und hatte sich aufopferungsvoll um ihn gekümmert. Ich mochte Eckhard nicht besonders gerne, sein ewiges Leiden ging mir auf die Nerven und außerdem zog er Andrea runter. Nach ein paar Monaten trennten die beiden sich endlich, Eckhard fand sehr schnell eine neue Betreuerin und Andrea konnte sich, völlig ungehindert von Eckhards Befindlichkeiten, ins Nachtleben stürzen. Albern und gut gelaunt zogen wir über die Piste, ließen keine Party aus und lernten jede Menge verrückte Leute kennen. HaHe gefiel das nicht unbedingt, obwohl er in seinem Freundeskreis durchaus mit seinen drei Mitbewohnerinnen punkten konnte, gingen ihm die nächtlichen Spontanpartys ziemlich auf die Nerven. Wenn wir die Leute nett fanden, nahmen wir sie einfach mit und feierten noch ein wenig am Küchentisch weiter. Als ich eines Nachts im „Stairway“ Ralf kennen lernte und mit nach hause brachte, verliebten Andrea und Ralf sich sehr schnell und wie schon Eckhard, war Ralf meistens bei Andrea. Mit Ralf kam nicht nur sein Hund Laika, sondern auch seine beiden besten Freunde, saßen fast immer mit am Tisch. HaHe wurde das irgendwann zu viel, das Wohngemeinschaftsleben ging ihm immer mehr auf die Nerven, er zog aus und satt seiner zog Ralf offiziell bei uns ein. Kochen konnte Ralf zwar auch nicht, aber dafür war er sehr großzügig und lud uns öfter mal ins „La Sepia“ ein, ein portugiesisches Restaurant, das erst vor kurzem, in die Räumlichkeiten eines ehemaligen Tanzcafes am Schulterblatt gezogen war. Das Tanzcafe hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich, mittlerweile wurde eher im „PICKENPACK“ oder im „Stairway“ getanzt, aber das „La Sepia“ ergänzte das kulinarische Angebot im Viertel durchaus erfreulich, denn um portugiesisch zu essen, mussten wir bis zur Eröffnung des „La Sepia“, zum Portugiesenviertel am Hafen runter laufen. Im „La Sepia“ wurde bis weit nach Mitternacht warmes Essen serviert, was uns sehr entgegenkam, denn der Hunger überfiel uns oft erst zu recht später Stunde und die Dönertaschen, Spinatstangen und Falafel aus dem Imbiss im Nachbarhaus, konnte ich schon lange nicht mehr sehen. Im „La Sepia“ gab es vorzugsweise Fisch, Huhn mit Muscheln oder ganz klein geschnittenes Rindergeschnetzteltes mit viel Soße und Brot. Vorweg Aioli, immer wieder lecker, mit viel Brot und Wein aus der Karaffe. Der Weinverbrauch wurde an der Karaffe abgemessen, was manchmal zu kontroversen Diskussionen führte, aber dann gab es auch noch Nachtisch. Die süßen Vanilletörtchen besänftigten so manches aufgebrachtes Gemüt und im Zweifelsfall sorgte der Brandymel, der mit der Rechnung kam, für Frieden.

Einsicht kennt keinen Zwang.

PUSCHEN BÄCKER.

Nun, wo alle Welt darauf hofft, dass endlich die erlösende Impfung kommt, wird die Welt auch ganz schnell wieder vergessen, was das Virus ums eigentlich sagen wollte. Viel hilft halt nicht wirklich viel, zu viel ist sowieso zu viel und im Turbokapitalismus ist fast alles zu viel, denn zu viele Menschen konsumieren zu schnell und zu viel, was die Vielfalt auf unserem Planeten konsequent zerstört. Ich störe all so bin ich und wenn alles zerstört ist, bin ich auch nicht mehr. Wer nicht stören will, schwimmt mit dem Strom und stört trotzdem, oder schwimmt gegen an und stört den Strom. Störsender stört das nicht im geringsten, denn ohne Störfälle würde der Fortschritt einschlafen. Wer die Nachtigall stört, muss allerdings immer noch aufpassen, so schnell wie der Turbokapitalismus, ist der gesellschaftliche Fortschritt noch lange nicht und schnelle Brüter können trotz ihres Namens, gar nicht schnell entsorgt werden.

Lange bevor „Getränke Paradies Wolf“ sich vom ordinären Getränkemarkt zum Fachgeschäft für noble und ausgefallene Whiskey Marken entwickelte und die Kohleöfen im Viertel noch nicht den Sanierungs und Modernisierungsbestrebungen zu Opfer gefallen waren, als es schräg gegenüber von „Getränke Paradies Wolf“ noch „Freddys Getränkegroßmarkt“ gab, entwickelte HaHe, in der Küche der Wohngemeinschaft, sein Faible für im Dampfdrucktopf produzierte Eintöpfe. Der Renner war Rübenmus mit Speck und manchmal auch Kochwürsten. Das Rezept hatte er von seiner Mutter und die hatte es wahrscheinlich von ihrer Mutter, nur der Dampfdrucktopf war ziemlich neu. Obwohl ich anfänglich gar nicht begeistert war, die vom Sparwahn befallene Mutter meiner Stiefmutter, hatte mich mit furchtbar scheußlichem Rübenmus traktiert, musste ich dann doch zugeben, dass HaHes Rübenmus leidlich gut schmeckte. Das Rübenmus wurde ein Klassiker im Repertoire der Wohngemeinschaftsessen und in der Folgezeit auch immer wieder gerne aufgetischt, wenn Besuch angesagt war. Dem Dampfdrucktopf gesellte sich der Römertopf zu und HaHe wurde wagemutiger. Er verfeinerte das Kassler mit Porree und Kartoffeln durch Hinzugabe von Ananas, eine Kombination die Asien erahnen ließ. Das Kassler mit Ananas, Porree und Kartoffeln begeisterte seinen Freund, Kommilitonen und Konkurrenten Kai so sehr, dass Kai eine Anzeige im „OXMOX“, einem alternativen, lokalen Veranstaltungskalender aufgab, in der er sich für das Essen bedankte. Am Fachbereich spezialisierte Kai sich auf das brandneue Rasterelektronenmikroskop, machte sich damit unentbehrlich und wurde sehr schnell erfolgreich. Noch bevor HaHe seine Diplomarbeit geschrieben hatte, ging Kai nach Kalifornien und wurde dort Professor. „Freddys Getränkegroßmarkt“ ging pleite, „Getränke Paradies Wolf“ expandiere und in Karls Zimmer zog Susanne ein, die nicht nur fantastisch stricken konnte, sondern auch sehr gut kochen. Ihren Einstand gab sie mit einem asiatisch verfeinertem Linsengericht aus der „Essen & Trinken“ und obwohl ich Linsen nicht ausstehen konnte, noch einer der Sparklassiker meiner Stiefmutter, mundeten mir Susannes asiatische Linsen so gut, dass ich trotz aller Warnungen, viel zu viel davon aß. Dem Essen hatte eigentlich noch ein Besuch des „PickenPack“ folgen sollen, aber die Linsen in meinem Verdauungssystem machten sich so unüberhörbar bemerkbar, dass ich es bevorzugte, zu hause zu bleiben. HaHe und Susanne kochten abwechselnd und spornten sich gegenseitig an, ich räumte auf und wusch ab, Klaus stand im „Biber“, hinterm Tresen und war deswegen meistens abwesend und essen tat er sowieso vorzugsweise flüssig. Wenn er dann im Morgengrauen nach hause kam, war er gewöhnlicherweise schon lange jenseits von Gut und Böse. Das ging solange gut, bis er mit einer brennenden Zigarette im Bett einschlief. Das Gaby, HaHes langjährige Freundin damals früh aufstehen musste, weil sie ihre Ausbildung zur Zahntechnikermeisterin machte, rettete uns davor im Schlaf zu ersticken. Zwei Monate später zog Klaus aus und dann wurde Susanne schwanger. Bevor das Kind geboren wurde, ein Ereignis von dem sie schon im Vorfeld schwer traumatisiert war, heiratete sie den Erzeuger, ihren Freund Jo und zog auch aus.

Auch ganze Männer machen halbe Sachen.

STERN BEIßER.

Es ist nicht schön, dass Diktaturen mit den Bedrohungen unserer Zeit besser fertig werden, als Demokratien. Die Diktatur übernahm Verantwortung für alle, aber die Demokratie hat leider vergessen, dass jedes einzelne Individuum Verantwortung übernehmen muss. So können wir nur verlieren, erst uns und dann die Welt. Spaß kann man ja haben, aber als Grundlage für eine Gesellschaft taugt Spaß nicht. Spaß bei Seite, denn auf die Butterseite kann man sich nicht dauerhaft verlassen und ob die Fische wirklich Butter haben wollen, oder nicht viel lieber frisches Wasser, ist noch lange nicht entschieden. Wer denn nun eine Butterfahrt bucht, muss nicht mit frischen Fischen rechnen, denn selbst Fische wollen schon lange nicht mehr in Butter gebacken werden, sondern lieber im sauberen Wasser davon schwimmen. Was nun kommt muss nicht unbedingt was mit Wasser zu tun haben, aber was ist, ist aus Wasser.

Vom Balkon im Hinterhof fällt der Blick nicht nur auf das spiegelverkehrte, aber ansonsten baugleiche Nachbarhaus, sondern auch, ein wenig nach links versetzt, über die Reste der alten Stadtmauer, die einst das all zu nahe Altona, mit seinen freien Handwerkern, von der Stadt und ihren Zünften trennte, auf den Hof und die Gebäude von „Getränke Paradies Wolf“. Als wir Ende der siebziger Jahre ins Schulterblatt zogen, war „Wolf“ schon lange alteingesessen und verkaufte außer diversen Spirituosen, auch immer noch Briketts und die etwas teureren Eierkohlen. Der kalte Krieg war noch voll im Gange und auf unserer Wohngemeinschaftstoilette hing ein riesiges Plakat, das dafür warb Europa zu besuchen, solange es Europa noch geben würde. Im Zuge einer hitzigen, nächtlichen Diskussion über die Folgen eines möglichen, gesellschaftlichen Zusammenbruchs, schlug HaHe vor, als erstes den Waffenladen, den es damals auch noch in der Schanzenstraße gab, zu stürmen und danach das „Getränke Paradies Wolf“. Er vertrat den Standpunkt, dass wir uns damit an die Spitze der Nahrungskette setzen würden, indem wir die nötigen Waffen hätten, um die Alkoholausgabe zu kontrollieren, so überzeugend, dass die gesamte Wohngemeinschaft und sogar Lothar, der als angehender Psychologe eigentlich immer alles besser wusste, seiner Argumentation folgte. Glücklicherweise blieb uns das Ende Europas bisher erspart, die Toilette wurde frisch gestrichen und das Plakat verschwand zugunsten anderer, Wände schmückender Ideen in der Versenkung. Die Kohlen wurden im Hinterhof gelagert und von einem Angestellten betreut, der schon lange genauso schwarzbraun geworden war, wie die Kohlen, die er tagtäglich auslieferte. Er war groß und hager, beweglich wie eine Katze und das weiße seiner Augen leuchtete, genauso wie seine perfekten Zähne, aus einem ewig Kohlen geschwärztem Gesicht. In Windeseile schleppte er, im Mundwinkel eine brennende Fluppe, um den Kopf ein schwarzes Zigeunertuch, die Kohlensäcke bis in den fünften Stock und schnaufte nicht mal dabei. Er sprach nicht viel, aber wenn er mal den Mund aufmachte, traf er ins Schwarze und die Frauen mochten ihn. Er blieb bei „Wolf“ bis sie den Verkauf der Kohlen einstellten, wahrscheinlich weil er in Rente ging, oder tot umfiel, was erheblich viel wahrscheinlicher ist. Sei Äquivalent war ein altersloser Alkoholiker, der mindestens dreißig Jahre im Verkaufsraum stand, das Viertel und seine Bewohner wie seine Westentasche kannte und für jeden einen Spruch hatte. Mich begrüßte er gerne mit den Worten, „Was macht die Doktorarbeit Professora“, woraufhin ich ihm mit „Gut Ding will Weile haben“ antwortete. Der alte Wolf hatte ein Faible für Frauen, heiratete zweimal, wurde dann Buddhist, ließ das Wohnhaus und die Lagerräume in Rot und Gelb streichen, stellte Buddhastatuen auf und entsagte dem Geist aus der Flasche. Seine Kinder aus den beiden Ehen übernahmen das Geschäft und führen es bis heute überaus erfolgreich weiter. Sie spezialisierten sich auf ausgefallene und überaus teure Whiskey Sorten, deretwegen nicht nur einheimische Liebhaber lange Anfahrtswege und hohe Kosten in Kauf nehmen, sondern ganz besonders auch die Bewohner der skandinavischen Länder. „Getränke Paradies Wolf“ genießt bis in den hohen Norden einen Ruf wie Donnerhall.

Wer kein Fisch sein will, muss ein Frosch werden.

SCHIEL FÜHRER.

Spiel, Spaß, Spannung, Wahl. Am Ende bekommt der Sieger sowieso nicht alles und wer keine Kompromisse machen kann verliert das Spiel. Letztendlich werden gute Verlierer sowieso weiter kommen, als schlechte Gewinner und unterm Strich bleib alles beim Alten, denn alte Schuhe machen nicht unbedingt alt, aber sie fallen in absehbarer Zeit auseinander. Darum muss wer alt aussieht noch lange nicht alt sein, denn Alter kommt sowieso vor Schönheit und Schönheit ist keine Frage des Alters. Musenküsse sind allerdings noch lange keine Museumsküsse, aber wer nie von der Muse geküsst wurde kommt auch nicht ins Museum. Wer auf der langen Bank schmoren will, stellt keine dummen Fragen, zahlt mit Karte und nimmt das komplette Angebot. Wer nun aber mit dem Kopf durch die Wand will, geht in sich und zieht mit einer Ziege von dannen, denn nur Männer die auf Ziegen starren, kömmen lertztendlich wirklich durch die Wand.

Allen Veränderungen zum Trotz, hielt sich auch bis heute, das Schreibwaren Geschäft „Büromarkt Hansen“ im Viertel, allgemein unter dem Namen seiner Gründerin Erna Hansen bekannt. Im Jahre 1931 gegründet und von Anfang an auch mit den Verkauf der edlen Schreibfedern der Firma Montblanc erfolgreich, verkaufte die Gründerin Erna Hansen das Geschäft 1961 an ihren Mitarbeiter Hubert von Jutrczenka, der bis zu seinem achtundachtzigstem Lebensjahr, in dem er verstarb, im Laden mitarbeitete. Der Chef kannte das Viertel wie seine Westentasche, er war bodenständig, außerordentlich geschäftstüchtig und sehr freundlich. Bei Erna Hansen gibt es noch heute alles, was die Mitglieder der schreibenden Zunft benötigen und entsprechend oft besuchte ich den Laden, ohne mir nur im entferntesten leisten zu können, was mein Herz begehrte. Eines Tages sprach der Chef mich an und nach einigem Hin und Her, erklärte ich ihm, was ich für mein neustes Projekt benötigte, wobei ich nicht unerwähnt ließ, dass meine Finanzmittel nicht unbegrenzt seien. Der Chef war sehr verständnisvoll und versprach mir, sich nach finanzierbaren Möglichkeiten umzusehen. Das dauerte alles ein bisschen und in der Folgezeit fing der Chef an mir von seiner Geschichte zu erzählen. Er hatte 1961 nicht nur den Laden von Erna Hansen übernommen, sondern auch das ganze Haus gekauft. Damals ein gewagtes finanzielles Abenteuer, dass sich in der Zukunft dann durchaus rentierte. Mehr noch als sein finanzieller Wagemut, beschäftigte ihn seine verstorbene Mutter, die nicht nur früh verwitwet war, sondern auch die einen langen, schweren Zopf ihr eigen nannte und auch ich besaß damals noch einen langen schweren Zopf. Er erzählte mir, wie seine Mutter abends oft müde da saß, den Kopf in die Hände gestützt und der schwere Zopf zog an ihrem Kopf. Unter den missbilligenden Blicken seiner Angestellten bewunderte er meinen Zopf und erzählte mir, wie er dann den Zopf seiner Mutter gelöst und gekämmt hatte. Mittlerweile rollten seine Angestellten schon mit den Augen, aber ich hielt es für das beste, einfach nur zu zu hören. Er war wirklich nett. Im Lauf der Jahre übernahm seine Tochter, deren Kind im Laden groß gezogen wurde, immer mehr Verantwortung, aber er war bis zu seinem Tod präsent. Der etwas extravagantere Geschwisterladen von „Büromarkt Hansen“ ist „Jerwitz Künstlerbedarf“ am Kleinen Schäferkamp. Was es bei Erna Hansen nicht gibt, gibt es ganz bestimmt bei Jerwitz und alle Studierenden der HFBK wissen das. In einem Hinterhof am Kleinen Schäferkamp gelegen, erfüllen sich dort sämtliche Material und Werkzeug Träume der Studierenden und Kunstschaffenden aller Geschlechter, sofern sie denn über das nötige Kleingeld verfügen. Zu Jerwitz geht man um zu träumen und sich eine Kleinigkeit zu leisten. Bei Jerwitz werden die Farben und Stoffe verkauft, aus denen Träume gemacht werden, aber man muss es sich leisten können. Man kann aber auch einfach zu Jerwitz gehen und träumen, denn der Stoff aus dem Träume gemacht werden, liegt bei Jerwitz im Regal. Bei Jerwitz ließ ich mich beraten, als ich die Blumenstaub Applikationen über den „Zasi“ Textbahnen anbringen wollte und sie berieten mich so gut, dass der Blumenstaub noch heute, nach weit über zehn Jahren farbenprächtig auf den Textbahnen prangt.

Der Geist bleibt besser in der Flasche.

PINK STATE.

Nachdem das Desaster sich nun schon über die gesamten Sommermonate ankündigte und unsere Stadtverwaltung sich nur sehr widerwillig zum Gegensteuern aufraffte, passiert mal wieder nichts. Im Kiosk an der Ecke wird weiter fröhlich auf der langen Bank vorm Laden, dicht an dicht das Bier gezischt, beim Imbiss gegenüber nicht anders und die Ordnungshüter kommen lieber nicht vorbei. Irgendwie werden wir verarscht. Erst Monatelang Coronaparty vor der Haustür und nun weiterhin nonchalante Ignoranz. Angeblich sollte der neue Lockdown Light ja wirkungsvoll kontrolliert werden, aber anscheinend nur in Eppendorf und da ist das gar nicht nötig. Wenn das so weiter geht, haben wir Weihnachten wahrscheinlich eine Ausgangssperre und kein Fest im Kreis der Lieben. Das Viren nicht wählen können, ist dabei wenig tröstlich. Ich ziehe jetzt aus Sofa um und schaue mir die Wahl in Amerika an.

Zwischen der “Buchhandlung im Schanzenviertel“ und „Stüdemanns Kaffee & Teeladen“, liegt der „Level1Shop“, ein Geschäft für Computerteile und Computerreparaturen. Als das alte „O-Feuer“ Anfang des Jahrtausends, nach über zweiunddreißig Jahren die Straßenseite wechselte, ging es dem Viertel zwar nicht verloren, aber das alteingesessene, griechische Restaurant verlor einen nicht unerheblichen Teil seines Charmes. Von den Christen des „Jesus Center“, die das Haus gekauft hatten, vertrieben, aber von einer riesigen Fangemeinde unterstützt, fand die Betreiber Familie eine neue und erheblich viel geräumigere Bleibe, auf der Montblanc Seite des Schulterblatts. Das alte „O-Feuer“ mit dem schon nicht besonders großen Gastraum an der Straße, an den sich als Wurmfortsatz, ein enger Schlauch anschloss, war fast immer voll und entsprechend warm und gemütlich. Die Wände waren mit geologischen Schichten alter Konzertplakate und Ankündigungen politischer Kundgebungen, manchmal fiel das auch zusammen, gepflastert und renoviert wurde grundsätzlich nichts, denn im „O-Feuer“ gönnte die Zeit sich eine Pause von den Zumutungen der Profitmaximierung durch Gentrifizierung. Die Bedienung bestand aus zwei Männern, die sehr freundlich sein konnten, aber auch sehr eigenwillig waren und dabei unglaublich schnell und kompetent, sie hatten den Laden voll unter Kontrolle. Die Preise des klassisch, griechischen Essens blieben über die Jahre stabil, es gab vorm und nach dem Essen einen Ouzo aufs Haus und manchmal auch mehr. Das „O-Feuer“ gehörte zum Viertel, wie ein Wohnzimmer, in den Freundschaften und Liebesbeziehungen fürs Leben oder zumindest für die nächsten Jahre, geschlossen wurden. Die neuen Räumlichkeiten des „O-Feuer“ sind ungefähr viermal so groß. Ursprünglich hatte dort eine kleine Schlachterei ihre Erzeugnisse verkauft und an Stehtischen warmes Essen angeboten. Mit dem Ende von „Montblanc“ und etlichen anderen kleinen Betrieben und Werkstätten aus dem benachbarten Klavierhof, lohnte das Geschäft sich nicht mehr. Über die Jahre versuchten mehrere gastronomische Betriebe dort ihr Glück, aber vielleicht war das Karma der Schlachterei noch zu stark, sie hatten allesamt keinen Erfolg. Das änderte sich mit dem Einzug des „O-Feuer“ abrupt. Die Hipster der Firma „Kabel“, die mittlerweile in den Klavierhof gezogen waren und einen ganzen Rattenschwanz, von ihnen zuarbeitenden IT Firmen nachgezogen hatten, füllten die neuen Räume des „O-Feuer“ blitzschnell. Zwischen den alten Plakaten, die den Umzug überlebt hatten und inspiriert vom Ouzo aufs Haus, sonnten sie sich im Glanz der vergangenen Widerständigkeit des Viertels, ohne zu realisieren, dass sie selber die Totengräber dieser Widerständigkeit waren. Das neue „O-Feuer“ war so erfolgreich, dass sie nachdem es verboten wurde, in Restaurants zu rauchen, einen direkt benachbarten Laden dazu mieteten und ihn als Fußballbar des „O-Feuer“ einrichteten. Natürlich ist die Fußballbar eine Raucherbar, zu der nur volljährige Personen Zutritt haben. Wer möchte lässt sich aus dem „O-Feuer“ ein Essen bringen. Die so überaus kompetente Bedienung des alten „O-Feuer“ aber machte den Umzug auf die andere Seite und in die neue Zeit nicht mit. Sie waren lange genug freundlich gewesen und hatten dabei ein mehr oder minder berauschtes Publikum im Schach gehalten und mit Speisen und Getränken versorgt. Statt dessen gründeten sie den „Level1Shop“ und zogen es vor, ihr weiteres Geschäftsleben mit dem Verkauf von Computerteilen und Computerreparaturen zu verbringen.

Kleine Schuhe zwicken, große Schuhe knicken.

RAUSCHGANGSSPERREN.

Das Logik für die Leberwurst ist und die hat bekanntlich zwei Enden, ist seit längerem bekannt und das unlogische Maßnahmen zu unlogischen Verhaltensweisen führen, entbehrt einer gewissen Logik nicht. Wer in einer Sardinenbüchse in den Urlaub fliegen darf, mit überfüllten Bussen, S-Bahnen und U-Bahnen, oder Nahverkehrszügen zur Arbeit pendelt und wieder zurück nach hause, wir nur schwer verstehen können, warum nicht mit ausreichend Abstand diniert werden darf. Kontaktverfolgung ist nicht nur eine Frage, der zur Verfolgung eingesetzten Kapazitäten, sondern macht sich auch daran fest, dass letztendlich nur Ansteckungen im privaten Bereich wirklich zurück verfolgt werden können, wohingegen es völlig unmöglich ist, Kontakte im öffentlichen Raum des Nahverkehrs zu rekonstruieren. Kein Wunder also, dass etwa zwei Drittel aller Ansteckungsquellen nicht ausfindig gemacht werden können.

Als „Radio Kölsch“ dann vor zehn Jahren seine Türen, eine am Schulterblatt und zwei in der Schanzenstraße, nach achtundachtzig Jahren schloss, verlor das alte Schanzenviertel ein Stück seiner Seele. Die Immobilienfirma, die auch schon mehrere andere Häuser in der Schanzenstraße erworben hatte, erhöhte die Miete für die Verkaufsräume von „Radio Kölsch“, um einen astronomischen Betrag. Der Vorgang wurde publik, weil er auf mehreren Zetteln nach zu lesen war, die im Schaufenster des geschlossenen Elektronikfachgeschäfts hingen. „Radio Kölsch“ fand sehr schnell eine neue Bleibe in Hamburg Hamm, in deren Umfeld sogar problemlos geparkt werden kann. In den Laden, der das Schulterblatt mit der Schanzenstraße verbindet zog ein Frisör, ein sehr Krisenfestes Gewerbe, wie sich mittlerweile ja gezeigt hat. Den Verkaufsraum für IT Tüftler in der Schanzenstraße übernahm ein Reisebüro, das nun erst mal geschlossen wurde. Die Immobilienfirma vertrieb noch etliche weitere, alteingesessene Mieter mit ihren astronomischen Mieterhöhungen und die Stadt sah einfach dabei zu. Nur den Pächtern der „Taverna Plaka“, einem griechischen Restaurant, das seit über fünfzig Jahren in der Schanzenstraße ansässig ist und bereits von der zweiten Generation betrieben wird, gelang es, sich erfolgreich gegen die Mieterhöhung der Immobilienhaie, zu behaupten. Das trotz seiner immer leicht angebrannten Kartoffelchips, bei den Anwohnern und der Antifa, sehr beliebte „Plaka“, wurde mit einer Publikumswirksamen Kampagne der Anwohner unterstützt, die letztendlich dazu führte, dass die Stadt sich tatsächlich aufraffte und ihr Vorverkaufsrecht in Anspruch nahm, bevor die geldgierige Immobilienfirma das Haus kaufen konnte, in dem „Taverna Plaka“ bis heute griechisches Essen serviert. Auch „Mr. Kebab“, ein türkisches Restaurant an der Ecke Thadenstraße / beim Grünen Jäger / Neuer Pferdemarkt, konnte sich mit Hilfe eines ambitionierten und fähigen Anwalts, gegen alle Vertreibungsversuche zur Wehr setzen. Bei „Mr. Kebab“ versuchte die Immobilienfirma, dass Restaurant mit einer langwierigen Renovierung in die Knie zu zwingen, aber der Schuss ging nach hinten los und sie mussten eine saftige Entschädigung zahlen. Der ehemalige Imbiss wird ebenfalls bereits in der zweiten Generation betrieben und die Familie ist im Viertel ausgezeichnet vernetzt. Allen Widrigkeiten der Gentrifizierung trotzte auch „Stüdemanns Kaffee & Teeladen“ im Schulterblatt, wo es seit 1954 allerdings nicht nur Kaffee und Tee, sondern auch allerfeinste Pralinen, Nobelschokolade, Edelmarzipan, allerhand Kekse, Teekannen aus Porzellan und Silber, ausgewählte Weine, sowie diverse Nippes zu erwerben gibt. Die drei Damen hinterm Verkaufstresen, von denen zwei Schwestern sind, sind mindestens genauso ansprechend heraus geputzt, wie die Süßwaren hinterm Glas ihrer Verkaufstheke. Bei Stüdemanns werden Kalorien nicht gezählt, sondern veredelt und aufwendig verpackt. Die mittlerweile schon ziemlich betagten Damen sind leidenschaftliche Katzenfreundinnen, eine Eigenschaft die ich mit ihnen teile und die des öfteren zu viel zu langen Gesprächen am Verkaufstresen führte. Bei Stüdemanns kommt es immer wieder zu Engpässen vor der Ladentheke, denn die Nobelsüßigkeiten erfreuen sich außerordentlicher Beliebtheit. Der Laden ist komplett voll gestellt und man kann sich nur mit äußerster Vorsicht zwischen den Regalen bewegen. Ursprünglich verkauften die Damen ihr Angebot in einer Baracke hinter der Sternbrücke, kurz vor der Kreuzung Altonaer Straße Max-Brauer-Allee / Schulterblatt, aber als die Baracken vor über dreißig Jahren abgerissen wurden, zogen sie in den Laden am Schulterblatt und ihr Vermieter hat die Miete bis heute nicht wesentlich erhöht. Mittlerweile ist eine der Schwestern in den Ruhestand gegangen und die beiden verbliebenen Damen werden von der Nichte, die mal übernehmen soll, tatkräftig unterstützt.

Für die Katz ist nur das Beste.