FEE NETZ.
Lang versgangen die Zeiten, da die Zukunft noch in einer Kristallkugel wohnte. Wohin geht die Reise? Wohin gehen die Seelen der schmelzenden Gletscher, der brennenden Regenwälder? Schmilzt unsere Welt? Dunerweise ist morgen schon heute und die wahnsinnige Bähschleunigung des digitalen Zeitalters frisst jeden klugen Gedanken. Motzlalledem kann man sich die Bettdecke immer nur über den Kopf ziehen, oder einfach gegen an leben. Leben ist sowieso das einzige was noch hilft und zum Leben gehört die Liebe zur Welt. Hört endlich auf zu zerstören, hört auf zu fliegen, kommt wieder an, da wo ihr lebt und kümmert euch endlich um eure nähere Umwelt. Geht raus, macht die Augen auf, das Problem liegt auf der Straße, lärmt und stinkt und will endlich behoben werden, von den Kriegern und Kriegerinnen des Sonnenlichts.
Das Jochen mindestens so gerne wie Henry redete, merkte ich schnell, allerdings lieber über andere Leute, als über sich selbst. So erfuhr ich denn, dass Henry, nachdem er in Madurai ein Jahr lang tief in die Mysterien Südindiens eingetaucht war, bis er fast nicht mehr aufgetaucht wäre und sich mit wenig Orientierung und noch weniger Geld in der Realität wiederfand, ein Telegramm an seine Mutter schickte, die ihm umgehend genug Geld für einen komfortablen Rückflug nach Deutschland zukommen ließ. Er wohnte dann erst mal mehrere Monate bei seinen Eltern, traf sich mit alten Freunden und nahm einige Kilos zu, bis er sich, sehr zum Leidwesen der Mutter, heftig mit seinem Vater stritt und ein paar Tage später auszog. Sein Vater hatte von ihm verlangt, dass er sich wieder um eine Stelle als Lehrer bewerben sollte, was Henry kategorisch von sich wies. Er ging nach Berlin, damals noch im Schatten der Mauer, zog in eine Wohngemeinschaft und lebte von Gelegenheitsjobs und dem Geld, dass seine Mutter ihm regelmäßig überwies. Wie es mit Henry weiter ging und was ihn letztendlich in den Wald am Fuß der französischen Pyrenäen verschlagen hatte, erfuhr ich an dieser Stelle nicht, denn Henry und die beiden Hippiefrauen erschien mit einem Tablett voller Gläser, in denen sich ein völlig undefinierbarer Aperitif befand, der für mein Empfinden schon fast medizinisch roch. Ich beäugte das grünliche Zeug in meinem Glas misstrauisch, am liebsten hätte ich es nicht getrunken, aber Jochen versicherte mir, dass der Aperitif völlig harmlos sei und nur der besseren Verdauung dienen würde. Als wir anstießen nahm ich vorsichtig einen kleinen Schluck, der ziemlich bitter schmeckte. Dann kam die Vorspeise, eine Art Tarte, die himmlisch nach Kräutern duftete und in der anscheinend auch die Würstchen, die wir in Saint-Pee-sur-Nivelle erworben hatten, verarbeitet worden waren. Eigentlich hätte die Tarte schon gereicht, aber Henry verschwand wieder in der Küche und Jochen empfahl mir, noch einen Schluck von dem medizinischen Aperitif zu nehmen, um in meinem Magen Platz für das Hauptgericht zu schaffen. Mittlerweile stand ein bleicher, von funkelnden Sternen flankierter Halbmond am dunkelblauen Nachthimmel. Durch Jochens Vermittlung ließ ich Michel und Jules meine Bewunderung für ihren Schmuck zukommen und erfuhr, dass sie für den Verkauf hauptsächlich mit Silber arbeiten würden. Die Kupferschmuckstücke waren für ihren persönlichen Gebrauch bestimmt, da sie fest von den magischen Kräften des Metalls überzeugt waren. Insbesondere die Armreifen, von denen sie gleich mehrere trugen, waren ihnen wichtig, denn sie sollten ihre Hände schützen, indem sie die elektrischen Ströme, die über die Haut laufen würden, harmonisierten. Im Licht des Lagerfeuers, wirkte der warme, rötliche Farbton des Kupfers noch schöner und es fiel mir nicht schwer, an die magische Kraft des Metalls zu glauben. Mit klammen Fingern krochen feuchte Nebelschleier langsam aus den Rändern des Waldes über die Lichtung, bis an die Grenze des Funkenflugs, wo sie von den fröhlich tanzenden Flammen des Feuers im Schach gehalten wurden. Die Hippies legten große Holzscheite nach und Michele und Jules nicht minder stattliche Tüten. Bevor ich Hexen auf Kupferbesen fliegen sah, stand der Hirschbraten auf dem Tisch und diesmal stießen wir mit Rotwein an, der mir erheblich viel besser schmeckte, als der medizinische Aperitif.
Auf dem Leim ist auch nicht besser, als aus dem Leim zu gehen.
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FUSEL FILM.
Dieses Jahr schlugen die Wellen hoch und nun frage ich mich, ob den Freitagen für die Zukunft, ein Weihnachten für die Zukunft folgen wird. Nicht konsumieren, verzichten ist angesagt. Nicht Geschenke, Spenden für bedrohte Tierarten, verbrannte und überflutete Landschaften, nicht neue Kleider, sondern das Versprechen, die durchaus haltbaren Markenklamotten noch ein weiteres Jahr zu tragen. Lügt nicht rum, niemand braucht Arbeit, aber alle brauchen Geld, denn Geld ist der Schlüssel zum bessern Leben. Zu recht wird mir nun ganz schlecht und ich flüchte mich in utopischen Unsinn, denn dahin kann mir traum niemand folgen. Folgewichtig werden die Folgen nicht getragen, sondern abgewälzt, auf die Nachkommenden, doch dunerweise stirbt der Mensch, nicht nur in chasarischen Wörterbuch, die Tode seiner Nachkommen.
In die finstere, mittelalterliche Dunkelheit brach der höllische Lärm eines Motorrades und zerriss die Stille auf der Lichtung im Wald. Die betagte Maschine wurde von einem weiteren Rübezahl gefahren, selbst verständlich ohne Helm, damit die Haarpracht besser im Fahrtwind wehen konnte. Langsam fragte ich mich, ob der Rübezahllook Voraussetzung für das Leben im Wald war, aber bevor ich diesen Gedanken weiter ausspinnen konnte, stand der Fahrer des Motorrads schon vor mir und stellte sich als Jochen vor, wobei ich auch gleich registrieren konnte, dass ganz offensichtlich ein Landmann von Henry und mir an den Festessen teilnehmen würde. Mit Jochen kehrte ich zum Haus zurück, wo Henry, assistiert von den beiden Hippiefrauen, in der Küche am werkeln war und meine Unterstützung nicht benötigte. Die beiden jungen Männer mit dem keltischen Schmuck, bauten im Hof eine lange Tafel aus Brettern und ausrangierten Türen auf und die Partner der Hippiefrauen waren dabei einen stattlichen Holzstapel in sicherer Entfernung von der Tafel aufzuschichten. Ich fühlte mich etwas überflüssig, aber dann war die Tafel im Hof aufgebaut und Jochen stellte mich den beiden jungen Männern mit dem keltischen Schmuck vor. Michel und Jules waren sehr charmant, aber leider verstand ich kein Wort. Jochen übersetzte. Sie hatten sich vor mehreren Jahren ein sehr altes, leerstehendes und ziemlich verfallenes Haus am Rand von Saint-Pee-sur-Nivelle gekauft. Ich konnte mich nicht zusammen nehmen und fragte, ob dort vielleicht mal eine Hexe gewohnt hätte, so groß war der Ort ja schließlich nicht. Nachdem Jochen übersetzt hatte, grinsten die beiden mich vielsagend an. Michele hatte Tischler gelernt und Jules Goldschmied und nachdem sie das alte Haus halbwegs wieder in Stand gesetzt hatten, fingen sie an aus Kupfer Schmuck herzustellen, den sie auf Märkten verkauften. Inspiriert von den Funden keltischer Ausgrabungen und Wikinger Schätzen, kombiniert mit populärwissenschaftlichen Vorstellungen, gestalteten sie ihre Halsringe, Halsketten, Fingerringe und Armreifen und garnierten sie, zum Zweck der Verkaufsförderung, mit abenteuerlichen Geschichten. Mittlerweile stand die Sonne tief am Horizont und der Rand des Waldes fing an, im Dunst der sommerlichen Dämmerung zu verschwimmen. Auf der improvisierten Tafel lagen etwas verschlissene, weiße Bettlaken und neben dem aufgeschnittenem Baguettes standen ein paar offene Weinflaschen. Schwärme von Mücken tanzten in der Luft und ich verzog mich ins Haus, um mich mit Autan zu imprägnieren. Als ich wieder an der Tafel Platz nahm, kam Jochen nicht umhin zu bemerken, dass ich etwas merkwürdig riechen würde, aber bevor ich beleidigt sein konnte, erzählte er mir, dass Henrys wirklicher Name Hartmut sei, den er zum Zwecke der bessern Aussprechbarkeit, abgelegt hätte. Er und Henry, damals noch Hartmut, hatten ihr Referendariat am selben Gymnasium abgeleistet und sich seit damals nicht mehr aus den Augen verloren. Im Gegensatz zu Henry, hatte Jochen sich problemlos in das Lehrerleben integriert, war mittlerweile Beamter geworden und genoss nun seine Sommerferien in Frankreich. Die Haare trug er immer noch lang, im Beruf meistens als Zopf, den Bart nur in den Ferien. Er spielte mit dem Gedanken, sich auch ein Haus in Saint-Pee-sur-Nivelle, oder der näheren Umgebung zu kaufen.
Nach dem Verschweigen kommt nicht das Vergessen, sondern die Vergeltung.
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PHRASEN ACKER.
Was wir alle nicht glauben wollen ist, dass die Wirrkraft spinner motz trüber lallem schwebt. Hascht du was, merkst du manchmal was und hast du was, bist du was. Auf der Habenseite stehen zwar nicht immer die schönen Dinge, aber trotzdem überlebt es sich besser im Haben, denn im nicht Haben. Nur die Schuld macht eine Ausnahme, denn Schuld haben will niemand, aber ohne Schulden geht es nicht. Schwarze Nullen sind wie schwarze Löcher und wie wir ja alle wissen, gibt ein schwarzes Loch nie wieder etwas her, was es einmal verschlungen hat. Poly Trickster nennen es die Schäuble Scheußlichkeit, oder den Spahnwahn und wer die Wahrheit nicht aussparen will, nimmt sich einen Brückentag. Brücken bauen ist sowieso besser, als Tee trinken und abwarten und selbst mit einem Teenetz kann man keiner Silberfische fangen.
All diese fantastischen Schilderungen des Hexensabbats, der Teufel und Dämonen, der merkwürdigen sexuellen Praktiken, beruhten natürlich nicht auf realen Beobachtungen von Ethnologen, sondern auf den unter bestialischer Folter erzwungenen Geständnissen, armer gequälter Frauen und Männer. Die hochnotpeinliche Befragung wurde als absolut legitim angesehen und keiner der Inquisitoren wäre auf die Idee gekommen, dass all diese Wahngebilde nur ihren eigenen Phantasien entsprungen waren, die ihre Opfer notgedrungen bestätigten. Praktischerweise fiel die Hälfte des Besitzes überführter Teufelsanbeter an die Denunzianten, die andere Hälfte an die Kirche oder den Staat, was denunzieren zu einer sehr lukrativen Sache machte und auffällig ist auch, dass gerne politische Gegner oder aufsässige Untertanen als Hexen oder Hexer denunziert wurden und die Basken waren aufsässig. Hinzu kam, dass viele Missstände, wie Armut, Missernten und Seuchen, sich trefflich durch das Wirken von Hexen erklären ließen und nicht etwa durch die ungerechte Verteilung von Ressourcen und die daraus resultierenden Zustände. Das Sündenbock Prinzip eignet sich bis heute immer wieder gut dafür, von den wirklichen Ursachen abzulenken. Bevor wir uns gänzlich im Hexenwahn verloren, erschien der Wirt mit einem großen Korb voller Gemüse, dass Henry anscheinend bei ihm bestellt hatte. Mit dem Gemüse war unser Einkauf komplett und wir rumpelten mit dem Lieferwagen zurück in den Wald. Anscheinend waren die Gäste schon vor uns angekommen, denn auf dem Hof stand ein uralter Kastenwagen von Citoen, eine Art Ente mit überdachter Ladefläche, ziemlich rostig und bar jedes Luxus. Bevor wir überhaupt ausgestiegen waren, standen schon zwei junge Männer auf dem Hof und begrüßten uns mit großem Hallo. Was Haare und Bartwuchs anging, hätten sie Henrys jüngere Brüder seien können und ihr Hund stand dem von Henry an Größe in nichts nach, aber im Gegensatz zu Henry trugen sie bunte Hippieklamotten und auffälligen, keltisch angehauchten Hals und Armschmuck aus Kupfer. Die Einkäufe wurden in die Küche getragen und Henry machte sich ans Werk. Ich machte einen langen Spaziergang am Waldrand und dann versenkte ich mich wieder in Elias Werk über die mittelalterlichen Tischsitten, aber so richtig konnte ich mich nicht konzentrieren, das Gespräch über Pierre de Lancre und die Hexenverfolgungen des Mittelalters spukte mir im Kopf herum und ich fragte mich, ob in dem uralten Haus im Wald wohl auch eine Hexe gewohnt haben könnte. Als es noch kein elektrisches Licht gab, keine mit Gas betrieben Lampen, nur Kerzen und Fackeln und das Licht des Feuers im Kamin und einen gigantischen Wald, der abseits schmaler, manchmal kaum sichtbarer Pfade, undurchdringlich, unheimlich, unergründlich und tief dunkel war. Manchmal zauberisch erleuchtet vom Licht des Vollmondes und silbern schimmernden Lichtungen unterm Sternenhimmel, Tanzplatz zauberischer Erscheinungen, jeder Tautropfen ein glänzendes Universum, jedes Sternbild eine unendliche Geschichte. In Mondlosen Nächten dann wieder ein Lichtloses Schattenreich, voller Geräusche und dunkler Schatten, die sich bewegten, Schatten von Ungeheuern, Schatten von Monstern, von wilden Tieren und Menschen, die nach ihren eigenen Gesetzten lebten und nicht nach den Gesetzen einer bewaffneten Adelsschicht, die mit brutaler Gewalt über alle anderen herrschte.
Schwarze Nullen sind wie schwarze Löcher.
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NUDEL WOHL.
Im Zeitalter von Maut und Lügen, feerät die Wahrheit spinner quer ins Zinkertreffen und klare Lügen übernehmen die Macht. Scheue Rehe verschwinden in den Schatten der Schattenwirtschaft und Scheuerlappen greifen zur Macht. Wie kann das fungehen und wo bleibt die demokratische Kontrolle der Macht? Geldbährufene Kesserwisser drängeln sich in den Mosergrund der Sorgenröte und werfen irre Rauschmacht spinn den Kessel der Liederbählesung. Fromm Wege sind wir ja sowieso abgekommen und im Morast der moralischen Merkwürdigkeiten stecken geblieben, bis das strahlende Geld kommt. Ob man nun, was man an den Haaren herbei gezogen hat, auch an den Haaren aus dem Sumpf der moralischen Niederträchtigkeiten, wieder heraus ziehen kann, bleibt abzuwarten.
Der kleine Ort wurde von einer trutzigen Kirche dominiert, die eher einer Festung glich, als einer Kirche und laut Henrys Angaben aus dem siebzehnten Jahrhundert stammte. Im Schatten der Platanen spielten ein paar alte Männer Boule, ansonsten war kaum Verkehr, weder auf der Straße noch auf dem Bürgersteig. Saint-Pee-sur-Nivelle wirkte ein wenig aus der Zeit gefallen und auch Henry ließ sich Zeit. Ich trank den Milchkaffee und rauchte Gauloises, bis Henry mit zwei Pastis erschien und mir erklärte, dass wir noch ein wenig warten müssten, worauf sagte er nicht, dafür unterhielt er mich mit einem Vortrag über Pierre de Lancre, einen französischen Hexenjäger, aus dem Geschlecht der herrschenden Adelsfamilie von Saint-Pee-sur-Nivelle. Nach seiner Erziehung durch jesuitische Geistliche, studierte Pierre de Lancre Jura und bereiste Italien. Er sprach fließend Italienisch und war mit einer Großnichte des Philosophen Michel de Montaigne verheiratet. Eigentlich hätte ich von solch einem Mann ja etwas anderes erwartet, als Hexenjäger zu werden, aber auch mir war klar, dass der Hexenglauben im Zeitalter von Pierre de Lancre, etwas völlig normales war. Henry unterbrach seinen Vortrag, ging rein, bestellte zwei weitere Gläser Pastis und dann setzte er seinen Vortrag fort. Nachdem Heinrich IV ihn darum gebeten hatte, sich um das Hexenwesen im französischen Baskenland, der Provinz Labourd, zu kümmern, machte Pierre de Lancre das Schloss von Saint-Pee-sur-Nivelle zu seinem Hauptquartier. Im Gegensatz zu der gut sichtbaren Kirche Saint Pierre, existiert vom Schloss oder der Burg, der Herren von Saint-Pee-sur-Nivelle, nur noch eine Ruine. Pierre de Lancre nahm seinen Job ernst und ließ etwa achtzig Frauen und Männer als Hexen oder Hexer verbrennen. Auf Grund seiner Erlebnisse in der Provinz Labourd schrieb er ein Buch mit dem schönen Titel „Beschreibung der Unbeständigkeit der bösen Engel und Dämonen“. In diesem Werk schildert er nicht nur seine Erfahrungen als Hexenjäger im französischen Baskenland, sondern auch sehr ausführlich einen Hexensabbat. Interessanterweise steht er auf dem Standpunkt, dass die Basken besonders anfällig für das Hexenwesen seien. Pierre de Lancre kannte das 1486 veröffentlichte Werk „Malleus Maleficarum“ auch Hexenhammer genannt, des deutschen Theologen Heinrich Kramer. Natürlich war mir der Hexenhammer ein Begriff und ich wusste, dass das gesamte Werk zutiefst Frauen feindlich war. Heinrich Kramer gehörte dem Orden der Dominikaner an und er stand auf dem Standpunkt, dass Frauen von Natur aus schlecht und sittlich schwach seien. Er bezeichnete sie als begehrenswerte Katastrophe, erfreulichen Schaden, natürliche Versuchung oder häusliche Gefahr und deswegen ein ideales Einfallstor für die Einflüsterungen des Teufels. Er leitete die lateinische Bezeichnung des weiblichen, femina, etymologisch von fides, dem Wort für Glauben und minus, dem Wort für weniger her und schloss daraus, dass Frauen weniger glauben, was ich nur dadurch ergänzen konnte, dass Wissen wahrscheinlich besser sei, als Glauben. Auf der Grundlage, der im Hexenhammer postulierten Theorien, woran man Hexen erkennen könnte, wurden im Mittelalter hunderttausende von Frauen als Hexen verbrannt. Obwohl von der Kirche nicht wirklich anerkannt, denn Kramer wollte, dass die weltlichen Gerichte, vor denen die der Hexerei bezichtigten Personen noch weniger Chancen hatten, als vor den Kirchengerichten, mehr Einfluss erhielten, wurden immer wieder neue Auflagen des misogynen Werkes gedruckt.
Zum Denken braucht es kein Gehirn.
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SPLEEN WASHING
Das die Mieten nicht mehr als drei Prozent im Jahr ansteigen dürfen, klingt ja schon mal ganz gut. Gerechter wäre es aber, der Anstieg der Mieten wäre gekoppelt, an den Anstieg der Löhne und der Lebenshaltungskosten. Wo die Lebenshaltungskosten und die Inflation, den Anstieg der Löhne auffressen, da müssen die Mieten dem zwangsläufig angepasst werden und zwar nach unten. Wo etwas von der Lohnsteigerung über bleibt und in den Geldtaschen der Lohnabhängigen ankommt, da darf die Erhöhung der Mieten höhstens ein Viertel davon auffressen. Alles andere tendiert in Richtung Sklaverei und bremst obendrein die Kaufkraft der Massen. Verschenkt das Geld an die, die zu wenig davon haben und es wird zurück kommen. Was pestendlich daraus wirrt, wissen nicht mal die Wirrkraftweisen, aber der Wind weht wohin er will.
Während ich noch tief im Mittelalter weilte, fiel mit einmal ein langer Schatten über mich und Henry holte mich zurück in die Gegenwart. Im Tageslicht wirkte Henry noch imponierender, allerdings hatte er inzwischen anscheinend einiges für seine Körperpflege getan, Bart und Haare wirkten ziemlich gewaschen und gekämmt. Ich zuckte, wohl nicht nur innerlich zusammen, was man mir wahrscheinlich auch ansah, aber dann entschuldigte Henry sich für seinen nächtlichen Auftritt. Da er oft Wochen lang, nur in der Gesellschaft seiner Tiere, allein im Wald lebte, wurde er manchmal von einem unbändigen Redebedürfnis überfallen, wenn er sich wieder in Gesellschaft von anderen Menschen befand. Seine französischen Freunde kannten das schon und wie ich ja mitbekommen hatte, wussten sie auch, wie sie ihn ruhig stellen konnten. In meinem Fall war erschwerend hinzu gekommen, dass wir die Muttersprache teilten, was den Damm völlig zum Einsturz gebracht hatte. Er lud mich ein, mit ihm zum Einkaufen nach Saint-Pee-sur-Nivelle zu fahren, denn heute Abend wollte er für uns alle kochen. Es sollte ein richtiges Festessen werden, wenn Henry so gut kochen konnte, wie er reden konnte, was ich allerdings bezweifelte, war das durchaus möglich. Die Hippies würden zu hause bleiben und vielleicht würden noch zwei oder drei Freunde dazu kommen. Obwohl ich immer noch etwas irritiert war und dem Frieden nicht so recht traute, wollte ich aber auch nicht unhöflich sein und willigte ein, mit dem redefreudigen Rübezahl nach Saint-Pee-sur-Nivelle zu fahren. Mit einem endlos langem Einkaufszettel bewaffnet stiegen wir in den Lieferwagen der Hippies und rumpelten erst über Waldwege bis zur Landstraße und dann etwas flotter nach Saint-Pee-sur-Nivelle. Einen richtigen, großen Supermarkt gab es nicht in Saint-Pee-sur-Nivelle, dafür war der Ort viel zu klein und wir hätten bis nach Biarritz oder Saint-Jean-de-Luz fahren müssen, aber dafür gab es ein paar kleine Läden und Henry kannte sich blendend aus. Beim Schlachter begutachtete er etliche, größere Bratenstücke, diskutierte leidenschaftlich mit der Frau hinter der Fleischtheke, bis sie ihren Gatten, zumindest vermutete ich das, hinzurief und die Diskussion zu dritt weiter ging. Das die Schlachterin mir immer wieder verschwörerisch zu zwinkerte, irritierte mich etwas, dann musste ich ein Stück von einer Salami probieren, die sehr gut schmeckte und letztendlich entschied Henry sich für einen Hirschbraten, eine ganze Kollektion kleiner Würstchen, ein großes Stück Speck und eine Salami. Die nächste Station war eine Bäckerei, in der Henry einen ganzen Schwung Baguettes erwarb und auch hier zwinkerte die Frau hinterm Verkaufstresen mir immer wieder zu und gab uns noch ein paar Törtchen mit, die durchaus mit der Salami mithalten konnten. Im Weinladen fiel die Begrüßung ebenfalls erstaunlich freundlich aus, wir wurden sofort zu ein paar Probiergläschen Wein eingeladen und letztendlich verließen wir den Laden mit drei Kisten Wein und zwei Flaschen Olivenöl. Erstaunlicherweise hatte der Weinhändler nicht mir, sondern Henry zugezwinkert. Unsere nächste Station war eine kleine Bar, am Rande eines Baum umstandenen Platzes. Henry bestellte zwei große Schalen Milchkaffee und verschwand mit dem Wirt im Inneren des Ladens.
Wo die Liebe nicht rostet, da lernt sie auch nichts dazu.
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WAHN KLEMPNER.
Leider kann man freudschmutage, sich nicht mehr fromm seinen Sünden high kaufen. Die Reformation fegte den Ablasshandel hinweg und Grün wählen hilft auch nichts, solange man nicht grün handelt und dafür braucht man noch nicht mal Grün wählen. Des Pudels Kern sind nicht Grünkerne oder Grünlinge, Grünfinken führen ein bisschen weiter, aber ob Greenwashing mit grüner Seife funktioniert, wissen nicht mal kleine grüne Männchen, selbst wenn sie noch grün hinter den Ohren sind. Wir wünschen uns ein grünes Band und wer nun denkt, mit grünem Tee auf der sicheren Seite zu sein, irrt sich und bekommt keinen grünen Punkt dafür. Dafür wurde die grüne Fee schon lange verboten, denn wer grün im Gesicht wird, wird erst blau und sieht dann rot. Farbenlehre ist halt nichts für Feiglinge, die bei rot stehen und bei grün gehen.
Am liebsten hätte ich mich weiter schlafend gestellt, aber dafür war es nun zu spät. Langsam schälte ich mich aus meinem Schlafsack, die kleinen Kätzchen, die irgendwann dazu gekrochen waren, ließen sich nicht stören und schliefen einfach weiter. Ich griff mir ein Badelaken und verschwand schnell nach draußen, um mir am Brunnen die Zähne zu putzen. Ich ließ mir Zeit, kurbelte den leeren Eimer mehrmals runter und dann gut gefüllt wieder hoch und goss das Wasser in eine große Zinkwanne, die neben dem Brunnen stand. Die Sonne stand hoch am Himmel und weil ich gar keine Lust hatte, in das überheizte Wohnzimmer zu Henrys Redefluss zurück zu kehren, wusch ich mir dann auch noch die Haare. In der Küche fand ich eine Kanne mit lauwarmen Tee, von dem ich mir erst mal einen Becher eingoss. Im Wohnzimmer hörte ich Henry reden, aber die Pausen zwischen seinem Redefluss kamen mir mittlerweile etwas länger vor. Um mich vollständig anzuziehen hätte ich ins Wohnzimmer zurück kehren müssen und auch meine Lektüre lag dort, aber ich beschloss noch ein bisschen in der Küche abzuwarten. Draußen hörte ich Vögel singen und dann realisierte ich, dass Henry anscheinend nicht mehr redete und traute mich ins Wohnzimmer zurück. Mein Gastgeber grinste mich an, Henry war endlich in seinem Sessel eingeschlafen. Schnell griff ich mir meine restlichen Klamotten und den Elias und verschwand wieder in die Küche. Mit einem frisch aufgebrühten Tee und einem nicht mehr ganz so frischem Croissant, suchte ich mir draußen ein schattiges Fleckchen und vertiefte mich wieder in Elias Schilderungen der mittelalterlichen Tischsitten. Gerne hätte ich meine Gastgeber ja nach Henry und seinem etwas exzentrischen Verhalten gefragt, aber da sie kaum Englisch sprachen und ich kein Französisch, wusste ich nicht so recht, wie ich das anfangen sollte. Ziemlich offensichtlich war allerdings, dass sie Henry wahrscheinlich mit Hilfe des Chillums ruhig gestellt hatten. In Elias Werk „Über den Prozess der Zivilisation“, geht es nicht nur um Tischsitten. Leicht befremdet las ich, dass, das Fehlen von Aborten des öfteren dazu führte, dass die Ritter einfach in den Kamin urinierten, die Damen, damals noch mit Unterhosen, die nicht geschlossen waren, zogen sich in dunkle Ecken auf dem Flur zurück und hoben ihre Röcke hoch, um sich zu erleichtern, was dazu führte, dass es auf den Burgen und Schlössern oftmals ziemlich stank. Ein Abort, der aus einer Art überdachter Zinne bestand, von der aus man sich ins Freie erleichterte, wie ein Plumpsklo ohne Boden, stellte schon einen echter Fortschritt da. Mit Glück fielen die menschlichen Hinterlassenschaften an einer steilen Mauer tief hinab und lauerten nicht mehr als stinkende Tretminen in der unmittelbaren Umgebung des Schlosses oder der Burg. Mir gruselte ein wenig vor diesen unhygienischen Sitten, im Verein mit der Angewohnheit, auch bei Tisch, einfach auf den Fußboden zu spucken und zu rotzen, Knochen und andere Abfälle nonchalant hinter sich zu werfen, müssen die mittelalterlichen Burgen und Schlösser stinkende Brutstätten aller möglichen Krankheiten gewesen sein. Dies Vorstellung passte so überhaupt nicht zu den prächtigen Gemälden der Zeit, zu den Damen und Herren in ihren schönsten Prunkgewändern oder glänzenden Rüstungen, zu all dem ausgestelltem Luxus.
Wer weiß wäscht, wäscht nicht grün.
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MODE SUPPE.
Das Problem sind nicht die Vorurteile und Märchen, die Fake News und alternativen Wahrheiten, die Wahngebilde und Phantome, die Verschwörungstheorien und Gespenster, das gab es alles schon immer, das Problem ist die Geschwindigkeit, mit der lall fieses sich in Sekundenschnelle um den gesamten Erdball verbreitet. Das Zinkernetz ist nicht für Menschen, sondern für Maschinen gemacht, die nur ja moser nein kennen und keinen endlosen Graubereich. Der Plastikflut hat sich die Informationsflut spinnschmu gesellt, in der die Wahrheit erstickt, wie das Leben in unseren Ozeanen unterm Plastikmüll und selbst an Strohhalme kann man sich nicht mehr klammern. Mit dem Klammerbeutel wird motzdem munter weiter gepudert und wer sich dem Klammergriff des Konsumwahns entziehen will, wird Abstinenzler, sucht sich ein Funkloch und klammert den größten Teil der modernen Medien aus.
Um nicht einzuschlafen, ging ich in die Küche und machte einen Tee, den Henry dankend ablehnte und mich dafür weiter mit auf die Reise durch sein Leben nach dem Referendariat nahm. Natürlich waren seine Eltern ziemlich entsetzt, als er anstatt sich eine schöne Stelle als Gymnasiallehrer zu suchen, eine sichere Beamtenlaufbahn anzustreben und irgendwann Oberstudienrat mit Eigenheim, Frau und Kindern zu werden, sich erst mal von ihnen verabschiedete, um durch die Welt zu reisen. Er kündigte seine Wohnung und verkaufte fast sein gesamtes hab und Gut, dann kaufte sich ein Einwegticket und flog nach Delhi. Indien überwältigte ihm, zuerst einmal mit einer furchtbaren Durchfall Erkrankung und nachdem er sich erholt hatte und sämtliche Sehenswürdigkeiten Delhis, angefangen mit dem Roten Fort besichtigt hatte, beschloss er nach Varanasi weiter zu reisen. Die heiligen Männer an den Ghats, mit ihren Lendenschürzen und endlos langen Dreadlocks faszinierten ihn und er versuchte Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Meistens verarschten sie ihn, was er anfänglich gar nicht merkte, sie luden ihn ein, ihre dicken Chillums mit ihnen zu rauchen, was er nicht besonders gut vertrug und nachdem er ein paar Mal mit leerer Brieftasche wieder zu sich gekommen war, nahm er Abstand von den heiligen Männern und ihren Chillums. Der bunte Götterhimmel und die Idee der Reinkarnation ließen ihn jedoch nicht los und er begann darüber zu lesen, was ihm in die Hände fiel. Von Varanasi aus beschloss er in den Süden des Subkontinent zu reisen, zu den Tempeln von Madurai. Er miete sich ein billiges Zimmer und blieb fast ein Jahr lang in der Stadt, um alle elf großen Tempelfeste zu erleben. Immer wieder sah er, wie die Statuen von Shiva und seiner Gemahlin Minakshi, in prunkvollen Prozessionen durch die Stadt getragen wurden, er sah die Tempelelefanten, die heiligen Kühe, die Armut und die unzähligen, kopulierenden Götter und Göttinnen des Minakshi Tempels. Irgendwann hatte er genug und außerdem kein Geld mehr. Mittlerweile wurde es langsam wieder hell und ich konnte die Augen kaum noch offen halten, aber als Henry die nächste Weinflasche entkorkte, kamen unsere Gastgeber endlich nach hause zurück und erlösten mich von seinem ungebremsten Redefluss. In der morgendlichen Dämmerung suchte ich den, noch im feuchten Dunst der Nacht verborgenen Waldrand auf und genoss die Stille. Am Himmel standen ein paar sehr blase Sterne, auf dem langen Gras glitzerten Tautropfen und da wo ich hockte, kitzelte es mich am Arsch, ein Igel verschwand im Wald und die Welt präsentierte sich in zarten Pastelltönen. Indien war ganz weit weg. Am liebsten hätte ich mich auf die Bank beim Brunnen gelegt und endlich geschlafen, aber dafür war es dann draußen doch zu kalt. Als ich wieder rein kam, waren meine Gastgeber mit Henry in der Küche verschwunden und ich nutzte die Gunst der Stunde, kroch in meinen Schlafsack auf dem Sofa vorm Kamin und schlief sofort ein. Durch meinen Traum spukten bunte Götter und kleine Kätzchen. Gegen Mittag wachte ich wieder auf, im Zimmer war es warm wie in Südindien und das Feuer im Kamin brannte hell. Henry redete immer noch, glücklicherweise nicht mit mir, sondern mit einem unserer Gastgeber, der ihm ein Chillum reichte.
Bis in die Puppen kann man nur mit Puppen tanzen.
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GURKEN SPUCKE.
Warum eigentlich müssen öffentliche Einrichtungen, wie Postämter und etliche Behörden, in der kalten Jahreszeit völlig überheizt sein. Vielleicht reichen zwanzig Grad Raumtemperatur ja mal aus und des Energiesparpotenzial dürfte gewaltig sein. Rätselhaft bleibt auch, warum es in manchen Bahnwaggons brüllend warm ist und im nächsten Waggon eher die Temperatur eines Kühlfach herrscht. Mit der Belegung des einzelnen Waggon, konnte ich bisher keinen Zusammenhang feststellen, aber auch hier besteht wahrscheinlich Einsparungspotenzial und der Einsatz intelligenter Technik könnte durchaus sinnvoll sein. Warum immer nur Schundsatzprogramme produzieren, warum nicht einfach anfangen, denn der Klimanotstand muss nicht erst ausgerufen werden, er ist schon lange da.
Kurz darauf wurde heftig an die verschlossene Eingangstür geklopft, ich war mir nicht sicher ob ich zur Tür gehen sollte, aber dann hörte ich draußen ein Pferd wiehern und mir fiel wieder ein, dass die Hippies mich darauf hingewiesen hatten, dass Henry mit einem Pferd unterwegs sei und außerdem hatten die Hunde sich mittlerweile beruhigt und standen Schwanz wedelnd vor der Tür. Ich nahm all meinen Mut zusammen und machte auf. Die Überraschung war auf beiden Seiten groß, der Hüne, der mir gegenüberstand war an die zwei Meter groß und seine Kopfbedeckung, die er abnehmen musste, um mit eingezogenem Kopf einzutreten, machte ihn noch größer. Bart und Haare kamen ziemlich verwildert rüber, er trug hohe Stiefel und einen langen Umhang und erinnert insgesamt an Hagrid, den Wildhüter aus den Harry Potter Romanen, die damals allerdings noch darauf warteten, von Joanne K. Rowling geschrieben zu werden. Henry hatte aber auch nicht damit gerechnet, eine ihm völlig unbekannte Frau vorzufinden und sprach mich auf französisch an. Ich antwortete auf Englisch, dass ich kein französisch sprechen würde, Henry erkannte mein deutsches Schulenglisch sofort und wir wechselten zu unserer Muttersprache. Die Abwesenheit meiner Gastgeber nahm er völlig selbstverständlich hin und verschwand erst mal wieder nach draußen, um sein Pferd in einem Stall ähnlichem Verschlag unterzubringen und zu versorgen. Nach ungefähr einer halben Stunde kam er mit seinem Hütehund, dessen langes Fell erheblich besser gepflegt war, als seine eigenen Haare und sein Bart, wieder rein, machte es sich vorm Kamin gemütlich, stellte ein paar Flaschen Wein auf den Tisch und schenkte mir völlig selbstverständlich ein. Alle drei Hunde himmelten ihn an. Als ich mein erstes Glas ausgetrunken hatte, machte Henry schon die zweite Flasche auf. Viel hatte er bisher noch nicht gesagt und auch ich wartete lieber erst mal ab. Schweigend starrten wir gemeinsam auf die tanzenden Flammen im Kamin, bis Henry meine Lektüre entdeckte. Er griff sich eins der Bücher von Norbert Elias, wobei er fast erfreut aussah und fragte mich, ob ich Geschichte studieren würde. Wahrheitsgemäß antwortete ich, dass ich das Mittelalterseminar nur wegen Walter von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein belegt hätte, aber das konnte er anscheinend akzeptieren. Er outete sich als großer Fan von Elias und Mittelalter war anscheinend sein Spezialgebiet. Ich glänzte ein wenig mit meinem Wissen über Hexen und Hexenverfolgung, aber Henry wurde mittlerweile richtig redefreudig. Er kannte sich blendend aus mit mittelalterlicher Kriegsführung und Waffentechnik, nicht so mein Spezialgebiet und auch die komplizierten genealogischen Verflechtungen der mittelalterlichen Königsfamilien und Adelshäuser Europas gehörten anscheinend zu seinen Wissensgebieten. Nach der zweiten Flasche Wein erzählte er mir, dass er in Berlin Geschichte und Französisch auf höheres Lehramt studiert hatte. Nach dem ersten Staatsexamen, hatte er sein Referendariat an einem Gymnasium irgendwo in der tiefsten Provinz begonnen und die Realität des Schulalltags war ihm bitter aufgestoßen. Das Desinteresse der Schüler und die Unbeweglichkeit des Kollegiums fraßen seinen anfänglichen Enthusiasmus schnell und führten dazu, dass er ziemlich depressiv wurde. Obwohl er auch das zweite Staatsexamen erfolgreich absolvierte, arbeitete er danach nie wieder als Lehrer. Mittlerweile war die dritte Flasche Wein leer, ich hatte von jeder Flasche ein Glas getrunken, der Rest ging an Henry, dessen Zunge immer besser geölt wurde.
Lieber kalt erwischen, als heiß laufen.
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PRINZEN KNOLLE.
Zwar können omsere gewählten Poly Trickster auch wieder abgewählt werden, aber zur Rechenschaft kann man sie meistens nicht ziehen. Das ist der Fehler im System. Irre Schrägeneinkünfte sollten auch kategorisch flunkersagt werden, denn wer dem Volke dienen will und dafür nicht nur gut bezahlt, sondern noch besser abgesichert wird, sollte, was seine ökonomischen Aktivitäten angeht, schmollkommen gläsern sein. Wer das nicht will, geht in die Wirrkraft und wird da was. Lalles andere wäre Wirrsing und pestwegen leben wir im Breitalter des Wirrsing. Aus Volksvertretern wurden Interessenvertreter, ihrer eigenen Interessen und einer oder gleich mehrerer Interessengruppen, die sie fürstlich entlohnen. Fiese Praxis, euphemistisch nach den repräsentativen und einladenden Aufenthaltsräumen von Hotels benannt, ist einfach nur völlig Demokratie feindlich.
Ab zehn Uhr Abends war ich dann meistens mit den beiden Hunden allein zu hause. Ein bisschen unheimlich war es schon, aber die Hippies meinten, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte, das Haus läge so weit ab vom Schuss, dass ganz bestimmt niemand vorbei kommen würde, eine Ausnahme gäbe es allerdings. Manchmal würde Henry sehr spontan rein schauen, ein Aussteiger aus Deutschland, der schon seit einigen Jahren, mit mehreren Pferden, noch tiefer im Wald leben würde. Henry pflegte sich grundsätzlich nicht anzumelden und meistens käme er in der Dunkelheit und nicht am Tag. An seiner imponierenden Statur und seinem wallenden Rauschbart könnte ich ihn erkennen und außerdem käme er immer in Begleitung eines Pferdes und eines ziemlich großen Hütehundes. Sobald die Hippies aufgebrochen waren, schloss ich die Haustür hinter ihnen zu, räumte erst mal in der Küche auf und kümmerte mich um das Kaminfeuer. Anfänglich traute ich mich nur zur Erleichterung meiner Blase in die dunkle Nacht hinaus, die dann doch gar nicht so dunkel war. Im Licht des Mondes war die nähere Umgebung ziemlich gut zu erkennen und der Sternen klare Nachthimmel war überwältigend schön. In Gesellschaft der beiden Hunde setzte ich mich auf die Bank beim Brunnen, bewunderte den Sternenhimmel und lauschte den Geräuschen des Waldes. Es knackte und raschelte und immer wieder machten sich Eulenvögel mit ihren unheimlichen Schuhu Rufen bemerkbar. Im Licht meiner Taschenlampe schwirrten Myriaden von Insekten und vom Konzert unzähliger Zikaden orchestriert, huschten dunkle Schatten am Waldrand entlang. Die Nächte waren erstaunlich kühl und wenn ich lange genug den Sternenhimmel bewundert hatte, machte ich es mir wieder auf meinem Sofa vorm Kaminfeuer mit den Katzen gemütlich, bis ich irgendwann einschlief. Manchmal wachte ich kurz vorm Morgengrauen auf, weil das Feuer im Kamin wieder hell loderte, die Hippies waren nach hause gekommen und hatten nochmal Holz nach gelegt. Vorm zu Bett gehen gönnten sie sich noch eine Tüte, die sie großzügig an mich weiter reichten. Eins meiner literarischen Projekte für die Semesterferien war Norbert Elias dreibändiges Werk, „Über den Prozess der Zivilisation“. Ich hatte die Bücher extra mitgenommen, in der Hoffnung, sie irgendwo an einem mittelmeerischen Strand in Ruhe und gründlich durch zu arbeiten. Aus dem Strand war nun eine Lichtung im Wald geworden und ein uraltes Haus, mit einem mittelalterlichem Kamin, was durchaus zu Elias Beschreibung und Analyse der mittelalterlichen Tischsitten passte und meine Ruhe hatte ich auch. In einem einschläfernd langweiligem Mittelalter Seminar am historischen Fachbereich, das ich belegt hatte, um meine Pflichtseminare über mittelalterliche Literatur zu ergänzen und mir die Lebensumstände von Walter von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein besser vorstellen zu können, hatte mir der Seminarleiter, ein sehr belesener Professor, der seine Veranstaltung leider entsetzlich unatraktiv gestaltete, Elias Werk empfohlen. Schwer vertieft in die etwas unappetitlichen Sitten der Ritter und ihrer Gemahlinnen, schreckte mich eines Nachts das aufgeregte Bellen der beiden Hunde hoch.
Schatten kann man werfen, aber nicht fangen.
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KACK FORM.
Meine Urgroßmutter wurde sechsundneunzig Jahre alt, sie hatte ganz bestimmt nicht besonders gesund gelebt, war leicht übergewichtig, aber völlig klar im Kopf. Um dieses Alter zu erreichen, stehen mir noch über dreißig Jahre bevor, ein Drittel meiner Lebenszeit. Ich bezweifle schwer, das ich diese Zeit haben werde und nicht nur auf Grund meines persönlichen Lebensstils, es wird einfach zu heiß werden. Wie man dann in den Zeiten des katastrophalen Klimawandels, noch offen kapitalistische Parteien wählen kann, ist mir lallerdings ein Rätsel. Der Fetisch des Wirrkraftwachstums, hat schon dreiviertel aller lebensnotwendigen Insekten vernichtet und unsere Poly Trickster huldigen ihm immer noch. So werden wir denn Gewinn bringend verraten und verkauft und irgendwann ist die Luft für alle verbraucht.
Endlich der Enge des Autos entkommen, stritten Johanna und Rolf sich nicht mehr ganz so häufig, Wir genossen die Ruhe des weltentrückten Hauses mitten im Wald und fuhren zum Einkaufen nach Ascain, Sare oder Saint-Pee-sur-Nivelle, winzigen Orten in der näheren Umgebung. Rolf und Friedemann kochten und gegen zehn Uhr Abends verabschiedeten sich die Hippies regelmäßig und fuhren nach Biarritz oder Saint-Jean-de-Luz, den großen Badeorten an der französischen Atlantikküste. In Biarritz und Saint-Jean-de-Luz gab es ein ausgeprägtes Nachtleben, mit Diskotheken. Kneipen und etlichen Touristen. Eines Abends machten wir uns alle zusammen auf den Weg und die Lichter glänzende, Gischt feuchte Promenade am Atlantik war wirklich sehr romantisch, aber so richtig begeistert war ich nicht von dem Touristenrummel und außerdem war alles sehr teuer. Das alte Haus im Wald, vor dessen riesigem Kaminfeuer man so wunderbar in der Gesellschaft zauberhafter Kätzchen träumen konnte, gefiel mit tausendmal besser. Nach einer Woche im Wald hatten Johanna und Rolf genug, sie wollten weiter nach Spanien. Mir graute bei der Vorstellung wieder im Auto zu sitzen und dem hysterischen Dauerstreit der beiden ausgesetzt zu sein und ich bat Friedemann darum seine Freunde zu fragen, ob ich bei ihnen bleiben könnte, bis Johanna und Rolf mich auf dem Rückweg wieder abholen würden. Friedemann fühlte sich in der Ruhe des Waldes zwar auch sehr wohl, aber er wäre niemals von Johannas Seite gewichen. Die Hippies waren einverstanden und am nächsten Tag reisten Johanna, Rolf und Friedemann ohne mich weiter. Außer den Hippies und der Katze mit ihren Kindern, lebten zwei Hunde, ein Hahn und mehrere Hühner auf dem Anwesen. Einer der beiden Hunde war von imponierender Statur und hatte unter seinen näheren Vorfahren einen deutschen Schäferhund gehabt, aber da er in seiner Jugend aus Versehen eine ganze Tüte mit schwer berauschenden Substanzen in Pillenform gefressen hatte, stand er immer ein wenig neben sich und kam seinen Pflichten nicht so ganz nach. Er war völlig friedlich und freundlich zu jedem Menschen und auch zu jedem Fuchs und als Wachhund darum komplett ungeeignet. Die Führung war an den kleinen Hund gegangen, der zumindest halbwegs wusste, was von einem Hund erwartet wurde und wie ein Hund sich zu benehmen hatte. Die Hühner legten ab und an ein Ei, das sie gut versteckten und bewegten sich tagsüber ungehindert rund ums Haus, aber vor Einbruch der Dunkelheit mussten sie im Stall eingesperrt werden, damit sie nicht einem Fuchs zu Opfer fielen, was anscheinend schon ein paar Mal passiert war. Es kam mir sehr entgegen, dass die Hippies wegen ihrer nächtlichen Aktivitäten in der Vergnügungsszene von Biarritz und Saint-Jean-de-Luz, meistens erst am späten Vormittag aufstanden. Sie kauften ein, kümmerten sich um die Katzen, die Hunde und die Hühner, die sie meistens noch vorm zu Bett gehen aus dem Stall ließen, hackten Holz für den großen Kamin und kochten. Fast immer fielen auch handwerkliche Arbeiten an, denn an dem alten Haus musste noch viel gemacht werden. Ich half beim Aufräumen, ging spazieren, passte auf, dass ich nicht in die Scheiße trat und las viel.
Im Bunker gibt es keiner Mentalität mehr.
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