KÜHNE TOMATEN.
Das man Gabeln nicht über ein gewisses Maß stapeln kann, versteht sich von selbst und darum scheitern Hochstapler an sich selbst. Zum Himmel hoch oder zur Hölle, macht da nicht den Unterschied, aber Höllenhunde und Himmelstürmer müssen trotzdem nicht die Löffel abgeben und das Blech muss auch nicht immer weg fliegen. Wir wagen den Nacktencheck und engagieren uns für Schnecken, Mulle, Muscheln, Schlangen und Würmer, denn nur fern der Macht, der Mode und ihren Zwängen, bleiben Hase und Igel ganz nah bei einander. So verlieren Machtleben sich denn in Nachtleben, aber gelebt wir auch in der kleinsten Hütte. Solange der Tunnel ein Ende hat, ziehen wir aus dem Hut einen Mundschutz, aus der Not eine Tugend, aus dem Ärmel einen Kompromiss, aus der Nase Poppel und aus der Dunkelheit Licht. Bis zum Morgengrauen tragen Glühwürmchen das mit, danach graben Goldgräber ihre Gräber selbst.
Wir ritten nicht allein, zwei befreundete Reiterinnen in Tante Fraukes Alter schlossen sich uns an und das Gespräch während unseres Ausrittes drehte sich fast ausschließlich um ein, im Vereinshaus des Reitclubs geplantes Fest. Schon in der Reitschule in Wedel, hatten mir Ausritte tausendmal besser gefallen, als das Getue auf dem Reitplatz, wo es hauptsächlich um die perfekte Haltung, dass Arbeiten mit dem Schenkeldruck und die Zügelführung ging. Es interessierte mich wenig, mit dem von mir gerittenem Pferd, perfekte Figuren in den Sand des Reitplatzes zu zeichnen, viel lieber genoss ich die Aussicht auf die Landschaft von Rücken eines Pferdes und ließ mir den Wind um die Ohren blasen, vorzugsweise im Galopp über umgepflügte Felder und abgeerntete Äcker. Galopp ist ein bisschen wie fliegen. Am schönsten war es bei Frau Flint, wo es nicht darauf an kam wie wir auf den Pferden saßen, sondern hauptsächlich darauf oben zu bleiben. Tatsächlich hatte ich aber bei Frau Flint viel mehr gelernt, als in der Reitschule, denn in der Heide und Dünenlandschaft des stillgelegten Truppenübungsplatz bei Kremperheide, hatte Frau Flint uns beigebracht, steile Böschungen hinauf und hinunter zureiten, ohne vom Pferd zu fallen. Bei Frau Flint hatte ich gelernt, den Pferden zu vertrauen und mit ihnen zu arbeiten und nicht gegen sie. Ohne den Sattel auf dem Rücken eines Pferdes, nimmt man das Pferd ganz anders wahr und hat nicht halb so viel Halt, wie mit der Unterstützung eines Sattels. Bevor Frau Flint und ihr angetrauter Bauer und Waidmann, nach Niedersachsen in das alte Herrenhaus mitten im Wald ausgewandert waren, hatte sie uns noch mit uns geübt, wie man ohne Sattel mit seinem Pferd über Strohballen, Baumstämme und andere, kleine Hindernisse springt. All dies kam mir jetzt zu gute, denn Tante Frauke, ihre Freundinnen und Cousine Karin waren durchaus darauf erpicht, zu zeigen was sie konnten. Wieder auf dem Reiterhof angekommen, sattelten wir die Pferde ab, rieben sie trocken, brachten sie in ihre Boxen zurück und fütterten sie. Im Mittelgang zwischen den geräumigen Boxen, lernte ich Beck kennen, einen pechschwarzen Ziegenbock, mit lockigen Stirnhaaren zwischen den Hörnern. Beck sah ganz bezaubernd aus und war das Maskottchen des Reiterhofes. Meisten war er friedlich, aber nicht immer. Mit Frauen und Kindern hatte Beck im allgemeinen kein Problem, aber mit Männern sah das etwas anders aus. Die Reitlehrer hatten schon ihre Erfahrungen mit Becks Durchsetzungsvermögen gemacht und gaben sich alle Mühe, in Becks Gegenwart bloß nicht irgendwie dominant rüber zu kommen, denn der schwarzlockige Ziegenbock konnte ziemlich unangenehm werden. Dramatisch wurde es immer wieder, wenn Reiterinnen von ihren Gatten abgeholt wurden und Beck in den Stallungen auf die ortsfremden Herren traf. Er baute sich in der Mitte des Ganges auf, senkte die Hörner oder stieg auf den Hinterbeinen hoch. An Beck vorbei zu kommen war unmöglich und klüger war es sowieso den Rückzug anzutreten, bevor Beck zum Angriff überging und alles was ihm im Weg stand über den Haufen warf. Angeblich hatte Beck, im Zuge eines Wutanfalls, eine Ponykutsche schwer beschädigt, was ihm den Spitznamen „Schwarzer Teufel“ eintrug. Sein Gehabe war imponierend, die Holzwände etlicher Boxen trugen deutliche Spuren seiner Hörner und trotzdem es nicht immer leicht mit ihm war, wurde Beck sehr geliebt. Wenn er gut gelaunt war, konnte man ihn zwischen seinen Hörnern kraulen, aber er stank wie ein Ziegenbock.
Keine Konjunktur ohne Krise.
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PUPPEN KASPER.
Wahrscheinlich wäre es besser, wir hätten eine tödliche Mückenplage, denn im Gegensatz zu Viren, kann man Mücken noch mit bloßem Auge erkennen. So sind unsichtbare Feinde, denn die mit Abstand erfolgreichsten Feinde, weil es kein Feindbild gibt. Virenprogramme bekommen Kopfschmerzen davon und Virenscanner streben die Kooperation mit Vampirjägern an, denn nur wer die Paradigmen nicht wechselt, sondern miteinander versöhnt, gewinnt das Spiel. In der Spielbank ist auch nur auf der Spielbank und ob es Spielernaturen wirklich gibt, wird letztendlich im Spiel entschieden. Trotzdem müssen Würfel nicht fallen und Mädchen erst recht nicht und wo von Fäll zu Fall entschieden wird, bleibt die Fallhöhe gering. Fallmanager flüchten sich in Fallzahlen und Fallobst ist nichts für Fallwerfer. Im Fall der Fälle hilft dann nur noch die Flucht nach vorn, mit Faltenröcken, oder ohne, denn im Spiel ist es nicht wie im Leben, weswegen man sein Leben nicht aufs Spiel setzen sollte.
Der Reiterhof, auf dem die Pferde von Tante Frauke und Cousine Karin untergebracht waren, lag am Rand von Halstenbek und war imponierend groß. Ganz anders, als die kleine Reitschule in Wedel, in der ich mit sechs Jahren Reiten gelernt hatte. Nachdem im Zuge der ersten, ärztlichen Schuluntersuchung herausgekommen war, dass ich einen angeborenen Rückenschaden hatte, der den Doktor zu der Bemerkung veranlasste, dass ich mit dreißig Jahren am Stock gehen würde, wurde mir, zwecks Korrigierung meiner verbogenen Wirbelsäule, ein Gipsbett verordnet und meinen Eltern die Empfehlung gegeben, mich zum Reitunterricht zu schicken, um meine Haltung zu verbessern. Das Gipsbett entpuppte sich als ein ganz furchtbares Folterinstrument, in dem ich jede Nacht angeschnallt wurde und in Rückenlage fixiert und jede Nacht wieder, lag ich irgendwann auf dem Bauch und das Gipsbett auf meinem Rücken. Ich hatte Albträume und fiel schreiend aus dem Bett, immer mit dem Gipsbett auf dem Rücken. Nach ungefähr zwei Monaten grauenerregender Nächte, beförderten meine Eltern das Gipsbett in die Mülltonne und der Anblick des Müllwagenfahrers, der das Gipsbett mit einem gezielten Schlag auf den Bürgersteig, in zwei Hälften zerkleinerte, damit es besser durch die Luke des Müllwagens passte, war ganz und gar wunderbar. In der Reitschule in Wedel war ich mit Abstand die jüngste und kleinste. Ponys gab es dort nicht, nur richtig große Pferde und sie mussten mich entweder in den Sattel heben, oder ich stieg über einen Zaun auf. Einmal warf eins der Pferde mich während des Unterrichts ab und wälzte sich fast über mich, aber trotzdem war es ganz toll und machte mir großen Spaß. Scheee Ritt, Teee Rap, Leicht Traben und Gaaa Lopp auf dem Reitplatz. Immer die Haltung wahren. Nachdem ich halbwegs gelernt hatte oben zu bleiben, durfte ich mit auf die Ausritte. Eine mit alten Bäumen bestandene Einfahrt führte, im elegant geschwungenen Bogen, zu den Stallungen des Reiterhofes in Halstenbek und die Gänge in den Pferdeställen waren so breit, dass locker eine Ponykutsche oder ein Sulky dort hinein fahren konnte. Das Publikum war gemischt, allerdings überwog der Frauenanteil, nur die Reitlehrer waren durch die Bank männlich. Anders als bei Frau Flint auf dem Bauernhof unter der Störbrücke, gab es einen Dress Code, der aus Reithosen, Reitstiefeln, einer mit schwarzem Samt bezogenen Reiterkappe und einer Reitgerte bestand. Das mit der, als unumgänglich angesehen Reitgerte, gefiel mir gar nicht, in Wedel, wo ich zuerst reiten gelernt hatte, gehörte die Gerte zwar auch dazu, aber Frau Flint, die beeindruckender gewesen war, als jeder Reitlehrer, wäre niemals auf die Idee gekommen, ihre geliebten Pferde mit einer Gerte zu irgend etwas zu zwingen. Ohne Sattel zu reiten, kam außer beim Voltigieren für Anfänger, natürlich auch nicht in Frage. Die intensiv nach Leder und Wachs duftende Sattelkammer war imponierend, an den Wänden hingen alle möglichen Arten von Sätteln, samt den dazu gehörigen Satteldecken. Es gab schmale Rennsättel, Springsättel, Dressursättel, wuchtige Westernsättel und die im normalen Betrieb der Reitschule überwiegend genutzten Vielseitigkeitssättel. Natürlich fehlte das dazu passende Zaumzeug nicht und außerdem gab es noch ein paar besonders aufwendig verzierte Sonderanfertigungen, die mit den Namen ihrer Besitzer versehen waren. Tante Frauke und Karin suchten einen Sattel und ein Pferd für mich aus. Nachdem einer der Reitlehrer meine Reitkünste kurz begutachtet hatte und für ausreichend befunden, durfte ich mit den beiden ausreiten.
Erbsen sollte man nicht zählen.
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QUACKER TAG.
Zu den bittersten Erkenntnissen der Corona Krise gehört wahrscheinlich, dass erstens, Vernunft keine Ausschlag gebende Eigenschaft unserer Spezies ist und zweitens, niemand freiwillig verzichtet. So ist und bleibt das Untergangsszenario weiterhin richtungsweisend, an der Klimakrise führt kein Weg vorbei, denn das Klima kann man weder bestechen noch impfen. Impfgegner finden das sicherlich richtig und wenn das Meer dann ihre Häuser verschlingt, ist ganz bestimmt nicht Mr. Gates und auch nicht Frau Merkel daran schuld. Schuld ist man meistens sowieso selber, auch wenn das erst mal ziemlich unangenehm klingt und nur weil man manchmal Schuld haben kann, steht Schuld nicht unbedingt auf der Habenseite. Ob Sein besser ist als Haben, oder umgekehrt, soll hier nicht diskutiert werden, aber was man hascht, hascht man und umsonst ist nicht mal der Tod. Alte Hüte werden davon nicht neuer, aber alter Wein schmeckt manchmal noch ganz gut.
Als Tante Mienchen starb, erbte Onkel Karl was von ihrem Vermögen noch über war und kaufte sich davon ein sehr großzügiges Haus, für sich und seine Familie, am Stadtrand von Hamburg, in Niendorf. Obwohl die Deckenhöhen der Zimmer, nicht im entferntesten mit der Parkallee konkurrieren konnten, punktete das neue Domizil mit drei voll ausgestatteten Badezimmern, zwei Gästezimmern und zwei Gästetoiletten. Das Wohnzimmer im Erdgeschoss war prächtig ausgestattet und kaum zu überblicken, Onkel Karls Arbeitszimmer, ebenfalls im Erdgeschoss, war nicht öffentlich zugänglich und die wenig benutzte Küche mit allen modernen Schikanen der sechziger Jahre versehen. Ein prunkvoll gekacheltes Badezimmer und das Elternschlafzimmer mit separater Terrasse, lagen ebenfalls im Erdgeschoss. Im ersten Stock befanden sich mehrere Schlaf und oder Kinderzimmer, zwei weitere Bäder und zwei Gästezimmer. Der Clou war das zweite Wohnzimmer mit Fernseher im ersten Stock, nur für Karin und die Gäste. Auf Besuch bei Tante Frauke und Cousine Karin genoss ich ansonsten unvorstellbare Freiheiten. Wir lümmelten vorm Fernseher im ersten Stock herum, so lange und wie es uns beliebte, es gab Chips und Schokolade und auch das Programm bestimmten wir selbst. Manchmal leistete Tante Frauke uns im Bademantel Gesellschaft, bevor sie sich zurecht machte und mit Onkel Karl zu irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen verschwand. Das faszinierende an Tante Frauke war ihre Nahbarkeit und Unnahbarkeit zugleich. Karin und ich wussten ganz genau, dass sie eigentlich lieber im Bademantel bei uns geblieben wäre, aber wir wussten auch, dass ihrer Verwandlung in eine unnahbare Dame unumgänglich war. Dafür gab es die Pferde und die Freiheit vorm Fernseher. Am späten Vormittag frühstückten wir dann wieder mit Tante Frauke, putzten uns die Zähne und ab ging es zum Reiterhof. Mittlerweile besaß Tante Frauke zwei Pferde, eins für Karin, die schon Turniere ritt und eins für sich, denn Cousine Karin war nicht weniger pferdeverrückt als ihre Mutter. Onkel Karl, der nun nicht mehr in gepflegte Gespräche mit Tante Mienchen flüchten konnte, konzentrierte sich auf seine Arbeit, seine Geschäftspartner, die Entwicklung neuer Geschäftsfelder und die Pflege des großen Hauses. Onkel Karls sakrosanktes Arbeitszimmer konnte auch vom Garten aus, über eine eigene Terrasse betreten werden. In einem unbeobachteten Moment schlich ich mich ums Haus und spähte durch die Panoramascheibe in Onkel Karls Heiligtum. Der große Raum war mit schweren, alten Eichenmöbeln und Lederbezogenen Sesseln, wahrscheinlich aus Tante Mienchens Erbe, voll gestellt, an den Wänden hingen Gold gerahmte, eher düstere Ölbilder und eine stattliche Sammlung von Porzellanskulpturen, die ich teilweise schon aus der Parkallee kannte, schmückte den Raum. Schneeweiße Pferde mit wehenden Mähnen bäumten sich auf, sehr niedliche Katzen und Hunde, Raubvögel mit gespreizten Schwingen, ein Hirsch mit prächtigen Geweih, ein zartes Reh und ein Wolf. Dazwischen tummelten sich ultra moderne Lampen, wie ich sie nur von den Ausflügen mit meiner Mutter, zu Lampen Prediger an der Mönckebergstraße kannte. Onkel Karl wirkte auf mich wie die alten Herren aus der Asbach Uralt Werbung und ich stellte mir vor, wie er in seinem Arbeitszimmer saß und mit seinen Geschäftspartnern, mit eben diesem Getränk, stilvoll gereicht in stattlichen Cognac Schwenkern, auf einen erfolgreichen Geschäftsabschluss anstieß.
Auf Godot braucht man nicht zu warten.
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REH START.
Augen zu und durch, hat zwar nie geklappt, wird aber immer wieder probiert. Das Virus weist uns zurecht und in unsere Schranken, denn was zu viel ist, ist zu viel. Es ist ein weniger ist mehr Virus, denn überall dort wo zu viele Menschen zusammenkommen, schlägt das Virus zu. Das Virus liebt Massenevents, weil es ein Massenmörder ist und wo keine Masse mehr ist, kann das Virus auch nicht mehr massenhaft morden. So müssen denn Massentourismus, Massentierhaltung und Massenspeisungen ersatzlos gestrichen werden, denn in der Masse wird man mit Sicherheit krank. Komplett ausgenommen von der Massenhysterie sind Massenmörder, Meerschweinchen und Meerjungfrauen, Meeresfrüchte und Muschelschalen, sowie Perlen, die man nicht vor die Perlenfischer werfen soll. Wer denn nun eine Perle findet, ist gut beraten sie liebevoll zu pflegen und fern zu halten, von den Zumutungen des Coronakapitalismus.
So sehr Oma Fanny ihren Enkel Butz, Tante Fraukes Sohn, den sie groß zog auch liebte, so war sie doch nicht besonders erfreut über die Aussicht auf eine zweites, uneheliches Enkelkind und unehelich war Butz immerhin nicht. Abtreibung stand Mitte der fünfziger Jahre noch unter Strafe und eigentlich wollte Tante Frauke auch gar nicht abtreiben, im Zweifelsfall hätte sie ihr nächstes Kind wahrscheinlich auch wieder bei ihrer Mutter abgegeben, denn Tante Frauke war genauso eigenwillig wie ihre Mutter. Trotzdem Oma Fanny, durch Opa Hugos frühzeitigen und tragischen Tod, in große finanzielle Schwierigkeiten geraten war und jeden Pfennig dreimal umdrehen musste, bevor sie ihn ausgab, weigerte sie sich doch standhaft wieder zu heiraten. Oma Fanny war gebildet, humorvoll, genussfreudig und lebenslustig und es mangelte ihr nicht an wohlhabenden Verehrern, die sie trotzt ihrer zwei Kinder gerne geheiratet hätten Sie liebte Musik, las leidenschaftlich gerne, diskutierte bis zum Morgengrauen mit ihren Freuden und Verehrern, aber heiraten wollte sie nicht noch mal. „Einmal reicht“, war ihre Meinung zu diesem Thema und so wenig wie Oma Fanny wieder heiraten wollte, kam es für Tante Frauke in Frage ihr ungeborenes Kind abzutreiben. Tante Mienchen wusste schon lange vom Verhältnis ihres Ehemannes und als Onkel Karl ihr beichtete, das Tante Frauke schwanger geworden war, reagierte sie völlig unerwartet. Sie freute sich über das Kind, dass ihr selbst versagt geblieben war und bot Onkel Karl die Scheidung an, damit er Tante Frauke heiraten konnte und meine Cousine Karin nicht unehelich geboren wurde. Tante Mienchen blieb Onkel Karl und Tante Frauke bis zum Ende ihres Lebens freundschaftlich verbunden und wurde Karins Patentante. Wann immer sie konnte, kümmerte sie sich um Karin, als wäre sie ihr eigenes Kind. Onkel Karl und Tante Frauke zogen in eine hochherrschaftliche Altbauwohnung in der Parkallee. Die Wohnung reichte vom Kellergeschoss mit der Küche, über das Erdgeschoss bis zum ersten Stock. Die Zimmer waren riesig groß, die Decken üppig mit Stuck verziert, aber der einstmals prächtige Parkettboden war ziemlich abgetreten. Als leidenschaftliche Monopoly Spielerin, war mir die Parkallee natürlich ein Begriff und die Wohnung von Onkel Karl und Tante Frauke entsprach in etwa meinen Vorstellungen, vom standesgemäßen wohnen in der Parkallee. In der Küche befand sich ein Aufzug, mit dem die fertigen Speisen einst nach oben in die Räumlichkeiten der Herrschaften befördert worden waren und das dreckige Geschirr zurück in die Küche. Der Aufzug war ziemlich geräumig und wir Kinder passten ohne weiteres hinein und fuhren, trotzdem es uns strengstens untersagt war, anstatt der Speisen hoch und runter. Onkel Karl verkaufte mittlerweile Ölöfen auf Rädern, die von einem Zimmer in das andere geschoben werden konnten und verdiente viel Geld damit. Nach ihrer Verehelichung hatte Tante Frauke selbstverständlich aufgehört zu arbeiten und sich ein Pferd zugelegt. Sie ging jeden Tag reiten und überließ Karin der Obhut von Tante Mienchen, die eigentlich immer da war. Wenn Onkel Karl nach hause kam, hatte Tante Mienchen gekocht und die beiden saßen zusammen bei Tisch, wie schon in den Zeiten ihrer Ehe. Tante Frauke aß meisten auf dem Reiterhof am Rand der Stadt. Onkel Karl schenkte Tante Frauke immer wieder sehr teure, elegante Kleider, aber zu seinem Leidwesen interessierte Tante Frauke sich nicht im geringsten für ihr Äußeres, sie zog ihre Reithosen morgens an und abends wieder aus und die schönen Kleider verstaubten im Schrank, denn im Gegensatz zu Tante Mienchen war Tante Frauke keine Dame, sondern pferdeverrückt.
Bitte ein Bot.
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ERHÖRUNGSTHEORIE.
In meiner Jugend waren, insbesondere auf dem Gebiet der Autoreparatur, Bücher mit dem Titel, „Wie helfe ich mir selbst“, weit verbreitet. Mit so einem Buch an der Seite, wurden etliche Automobile von ihren Haltern wieder fahrtüchtig gemacht und wenn das nicht mehr half, blieb immer noch der Weg zur Selbsthilfewerkstatt. Nun ist Selbsthilfe mittlerweile ja sehr aus der Mode gekommen und Gott hilft auch nicht immer, aber dafür boomen Hilfsgelder., Hilfswerke und Hilfsorganisationen. So wurde aus der Hilfe zur Selbsthilfe eine Hilfsindustrie. Wer noch kein Hilfsgeld beantragt hat, dem ist wahrscheinlich nicht mehr zu helfen, es sei denn er stellt Mundmasken her, oder arbeitet als professioneller Helfer Auf den Mund sollte man ja sowieso nicht fallen, den Mund zu halten fällt ebenfalls schwer und von der Hand in den Mund ist es ein kurzer Weg. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass mit einem Mundschutz, die Augen größer sind, als der Mund.
Mehr als das Silber interessierten mich die bunten Sammelteller und Tassen, die in einem riesigen Büfett aus massivem Eichenholz aufbewahrt wurden. Von Zeit zu Zeit holte meine Großmutter diesen Schatz aus den Tiefen des Büfett und die Sammelstücke wurden ausführlich kommentiert. Ihre Freundinnen sammelten auch und mindestens eine dieser Freundinnen war anwesend, wenn die Sammelteller und Tassen auf den Tisch kamen. Es war mir strengsten verboten, diese Gold gerandeten, mit exotischen Blumen und Vögeln bemalten Kostbarkeiten anzufassen und umso mehr regten sie meine Fantasie an. Mit den Tellern und Tassen reiste ich in unbekannte, ferne Welten, in denen smaragdgrüne, kobaltblaue, kanariengelbe oder rubinrote Papageien und Kolibris durch die Lüfte schwirrten und wenn keiner aufpasste, fasste ich die Porzellan Preziosen ganz schnell an. Eigentlich waren sie viel zu schön, um unter schweren Sahnetorten zu verschwinden, aber wenn die Tortenstücke dann verspeist waren, präsentierten die Vögel und Blumen sich, etwas Sahne verschmiert, wieder dem Licht der Welt. Als meine Großmutter starb, entsprachen die Teller und Tassen nicht mehr dem herrschenden Zeitgeschmack und sie verschwanden in der hintersten Ecke eines Schrankes. Ich bedauerte das sehr. Meine Stiefmutter interessierte sich sowieso nur für den materiellen Wert des geerbten Silbers und Porzellans, ästhetische Aspekte standen nicht im Vordergrund, Gläser waren wertvoll, wenn sie aus Kristall waren und lange nicht alle Kristall Gläser sind schön. Auch Tante Frauke, deren Leidenschaft einzig und allein dem Pferdesport galt und ein bisschen ihrer Tochter Karin, die Fraukes Faible für Pferde teilte, zeigte keinerlei Interesse an dem geliebten Porzellan ihrer Mutter. Tante Frauke war früh ihrer eigenen Wege gegangen, noch während ihrer Schulzeit, an der Oberstufe des „Auguste Viktoria“ Gymnasiums in Itzehoe, damals ausschließlich höheren Töchtern vorbehalten, verliebte sie sich in einen Mann, der bei den Nazis an einflussreicher Stelle mitmischte und heiratete ihn gegen den Willen ihrer Mutter. Die Ehe hielt keine zwei Wochen, Tante Frauke brach die Hochzeitsreise ab und kehrte zu ihrer Mutter zurück, denn mit dem Mann wollte sie nie wieder etwas zu tun haben. Die wenigen Tage dieser Ehe hatten jedoch dafür gereicht, Tante Frauke in den Zustand guter Hoffnung zu versetzen und auf Abtreibung stand im dritten Reich die Todesstrafe. Das „Auguste Viktoria“ Gymnasium weigerte sich, die nun für alle sichtbar entjungferte Tante Frauke wieder aufzunehmen, denn für höhere Töchter schickte sich das nicht und so machte sie denn an einer etwas toleranteren Schule in Hamburg, hochschwanger ihr Abitur. Nachdem sie ihren Sohn abgestillt hatte, überließ sie ihn der Obhut ihrer Mutter und ging nach Hamburg um zu studieren. Als sie ihr Studium der englischen und japanischen Sprache nach ein paar Jahren abgeschlossen hatte, arbeitete als Übersetzerin und lernte Onkel Karl kennen. Onkel Karl, ein erfolgreicher Geschäftsmann, war mindestens fünfzehn Jahre älter als Tante Frauke und verheiratet. Seine Ehe mit Tante Mienchen, einer sehr wohlhabenden Witwe, deren Vermögen wahrscheinlich nicht unerheblich zu Onkel Karls wirtschaftlichem Erfolg beigetragen hatte, war zu Tante Mienchens großem Bedauern, Kinderlos geblieben. Da Tante Mienchen zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung, nun wiederum noch zehn Jahre älter als Onkel Karl gewesen war und nicht unbedingt mehr in dem Alter, in dem eine Frau problemlos schwanger wird, bestand keine Hoffnung mehr auf ein eigenes Kind. Dann wurde Tante Frauke schwanger von Onkel Karl.
Wer keine Hilfe braucht hat selber schuld.
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DISTANZ SCHALTER.
Nun wird alles wieder gut, alle konsumieren wieder alles und die Luft, das Wasser und das Erdreich werden wieder ordentlich verschmutzt. So geht es rund und auf dem schnellsten Wege in den Abgrund. Abgrundtief auch das Benehmen, der von den Coronaregeln befreiten. Rücksicht war mal, Abstand, was ist das? Warum eigentlich müssen die Kunden eines Supermarktes und etlicher anderer Geschäfte Mundschutz tragen und die Besucher eines gastronomischen Betriebs nicht. Logisch ist das nicht, da sitzt man also, im hochherrschaftlichen und Hochsicherheitstrakt mäßigen Abstand von einmeterundfünfzig zwischen den Tischen, ohne Mundschutz längerfristig rum, lacht, schmatzt, kaut und entlässt ordentlich Tröpfchen in die Raumluft. Nein danke. Unendlich viele kleine Geschäfte sind in den letzten fünfzehn Jahren der Digitalisierung zu Opfer gefallen und kein Hahn kräht danach, weil es der Lauf der Dinge ist. Das Gastronomie, in den Zeiten von Corona nicht möglich ist, gehört dazu.
Die Wohnung meiner Urgroßmutter faszinierte mich als kleines Mädchen mindestens genauso, wie das Haus ihrer Tochter, meiner Oma Fanny, in der Dürrstraße. Die Ahnfrau, wie meine Urgroßmutter genannt wurde, überlebte ihre Tochter um einige Jahre, denn Oma Fanny starb, als ich neun Jahre alt war. Wie die Ahnfrau, beherbergte auch Oma Fanny zwei Untermieter, denn sie war durch den frühen und tragischen Tod ihres Mannes verarmt und musste zwei Kinder durchbringen. Mein Vater lag noch in der Wiege, als Opa Hugo ums Leben kam.Oma Fanny, einziges Kind des geheimen Sanitätsrat Büttner und seiner Frau Magarete, Augusta, Rosine, hatte einen jungen, gut verdienenden Arzt geheiratet, sie kauften sich das Haus in der Dürrstraße und die Zukunft sah golden aus. Als Landarzt war mein Großvater einer der ersten Autobesitzer und Fahrer, denn seine Arbeit brachte es mit sich, dass er oft Hausbesuche bei seinen Patienten in der näheren und weiteren Umgebung machen musste. Am Wochenende gönnten Hugo und Fanny sich dann, meistens in Begleitung eines befreundeten Arztehepaares, gerne Ausflüge mit dem tonnenschweren, fahrbaren Untersatz. Sie ließen es sich gut gehen, speisten und tranken unterwegs in Landgasthöfen und eines Abends kam das Automobil auf der Rückfahrt von der Landstraße ab. Der Wagen überschlug sich und landete mit zum Himmel zeigenden Rädern in einem Graben der Wilstermarsch. Marschgräben sind tief, Oma Fanny und das befreundete Arztehepaar konnten sich aus dem Auto befreien, aber Opa Hugo, der am Steuer gesessen hatte, war hinterm Lenkrad eingeklemmt. Der Wagen war viel zu schwer, als dass sie ihn zu dritt wieder hätten umdrehen können und so ertrank Opa Hugo denn kopfüber in einem Graben der Wilstermarsch. Wäre er ein halbes Jahr später ums Leben gekommen, wäre Oma Fanny durch die Versicherung der Ärztekammer versorgt gewesen, aber so stand sie, allein mit zwei kleinen Kindern, vor dem finanziellen Ruin. Oma Fanny aß leidenschaftlich gern, meine Mutter nahm zu Beginn ihrer Ehe mit meinen Vater an einem Weihnachtsessen bei Oma Fanny teil, in dessen Verlauf Oma Fanny, Tante Frauke, die ältere Schwester meines Vaters und mein Vater, unter marginaler Beteiligung meiner Mutter, eine kapitale Weihnachtsgans, samt üppigen Beilagen bestehend aus Rotkohl, Erbsen und Wurzeln, Kartoffeln, eingelegten Gürkchen und einer gewaltigen Terrine mit sehr Sahne lastiger Soße, komplett verzehrten. Selbstverständlich gab es vorweg eine Suppe und hinterher Nachtisch. Meine Mutter, die damals schon mit mir schwanger war, empfand den Anblick dieser hemmungslosen Völlerei dann doch als ein wenig grenzwertig. Gespeist wurde von den Tellern eines herrschaftlichen Service für zwölf Personen, das noch aus der Aussteuer Oma Fannys stammte und auch das silberne Besteck hatte erst die Armut nach dem Tod Opa Hugos und dann die Mangeljahre des Krieges überdauert. Das Silberbesteck war noch vollständig, im Gegensatz zu den Tellern, die nicht alle überlebt hatten und wurde regelmäßig poliert. Ich saß unter dem großen Tisch in Oma Fannys Wohnzimmer, mindesten zwei Tischdecken die fast bis zum Boden reichten, schufen eine wunderbare Höhle, in der ich mich ganz und gar sicher fühlte. Über mir polierten sie die Messer, Gabeln und Suppenlöffel, die kleinen Teelöffel und Kuchengabeln, die Tortenheber und Suppenkellen, die Löffel für die Zuckerdosen und Sahnekännchen. Alles mit den Initialen meiner Großmutter und aufwendigen, floralen Mustern versehen, erst schwarz angelaufen und dann wieder glänzend hell, wie die Sterne am Himmel.
In Zeiten von Corona ist Cornern Körperverletzung.
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PLÄRR WERT.
Die Annahme, wir würden in einem eher rationalistischen Zeitalter leben, ist mittlerweile widerlegt. Nicht nur die schon länger andauernde, grenzwertige Leugnung des Klimawandels, nun auch noch die völlige Ignoranz einer unsichtbaren Gefahr gegenüber, wie es ein unbekanntes und ziemlich gefährliches Virus nun mal ist, stellt die intellektuellen Fähigkeiten unserer Spezies schwer in Frage. Das Virus ist nicht aus der Welt, es ist immer noch in der Welt. Hinzu kommt, dass die durch das Virus zum Erliegen gekommenen Lebensbereiche, durch die Bank zwar sehr hip, aber auch sehr Umwelt schädlich waren. Schuld sind sowieso immer die anderen. Tourismus killt nicht weniger als Braunkohleabbau, nur das wollen die meisten Gegner des Braunkohleabbaus nicht zur Kenntnis nehmen und da liegt das Problem. Globalisierung ist in ihrem Kern, globale Umweltzerstörung und deswegen müssen wir zurück zu regionalen und komplett kontrollierbaren Kreisläufen, auch wenn das gar nicht besonders hip ist.
Nun ist Verkleiden ja nicht gleich Vermummen und so mancher Vermummte, egal welchen Geschlechts und auch unabhängig von den Gründen der Vermummung, wurde trotzdem schnell entlarvt. Ob die ehemals bei Bankräubern so beliebten Strumpfmasken sich auch als Virenschutz eignen, ist nicht bewiesen, aber wirkungsvoll vermummen kann man sich damit schon. Trotzdem macht Verkleiden einfach mehr Spaß und auch wenn es mittlerweile vielleicht nicht mehr ganz so sexy ist, als Krankenschwester oder Arzt zu gehen, sind Arztkoffer doch immer noch eine sehr beliebtes Geschenk für Kinder im Vorschulalter. Schwieriger ist dann schon die Suche nach zu verarztenden Opfern, mein geliebter Kater Sascha wollte sich jedenfalls gar nicht abhören lassen, aber glücklicherweise stand mir mein Großvater zur Verfügung. Ungefähr zwanzig Jahre später, musste unser Großvater sich dann nochmal von meinen jüngeren Schwestern abhören und verbinden lassen und wenn sie ihn lange genug verarztet hatten, wechselten sie das Gewerbe und frisierten sein immer noch üppiges Haupthaar. Er ließ es mit stoischer Ruhe über sich ergehen, ganz anders als Sascha und protestierte nicht mal, wenn sie ihm Zöpfchen flochten. In seiner Holzwerkstatt schreinerte und renovierte unser Großvater nicht nur die Kästen für seine über dreißig Bienenvölker, er bastelte auch ganze Spielzeugfarmen für die Schlümpfe und andere Spielfiguren meiner Schwestern. Vom Krieg und der Mangelwirtschaft geprägt, war er kein Perfektionist, sondern improvisierte mit allem was ihm zur Verfügung stand. Das Bett im Kinderzimmer meiner Mutter, in dem ich später schlief, wenn ich meine Großeltern in Wrohm besuchte, hatte er aus alten Schulbänken zusammen gebaut. Das Bett war super stabil, aber keine Schraube war wie die andere. Das Bett zog nach der Verrentung meines Großvaters mit nach Oldendorf in das neue Haus und später weiter mit mir nach Hamburg, in meine erste Wohnung. Leichtsinnigerweise hatten wir es für den Transport auseinander gebaut und es dauerte einige Stunden, während derer HaHe mehrfach der Geduldfaden riss, bis jede Schraube wieder in der ihr zugehörigen Gewindebohrung saß. In der Holzwerkstatt meines Großvaters stand ein sehr alter Schrank, der noch aus den Beständen meiner Urgroßmutter väterlicherseits stammte. Mein Großvater hatte den Schrank mitgenommen, als meine Urgroßmutter im Alter vom zweiundneunzig Jahren ihre Altbauwohnung an der Ecke Heinrichstraße / Kleine Paaschburg in Itzehoe aufgab, in der sie nach dem Tod ihres Mannes, dem geheimen Sanitätsrat Büttner, mit drei Untermietern, all ihren Erinnerungen und den Resten eines großbürgerlichen Hausstandes noch viele Jahre gelebt hatte. Der Schrank war mit einer scheußlichen, dunkelroten Farbe gestrichen, einen Meter breit, etwa ein Meter und fünfzig Zentimeter hoch und sehr schwer. Er stand in einer Art Vorraum zur Küche und diente der Unterbringung von Handtüchern, Putzlumpen und Putzmitteln jeder Art. Mein Opa fand ihn passend für seine Werkstatt und brachte Farben, Pinsel und allerhand Werkzeug darin unter. Etliche Jahre lang fristete der Schrank so sein Dasein im Dunkel der Holzwerkstatt. Irgendwann erkannte meine Mutter die Qualitäten des Schrankes und bat meinen Großvater darum ihn abzubeizen. Ein über zweihundert Jahre altes Schmuckstück aus massivem Eichenholz, mit durchgehenden Holmen, kam unter der dunkelroten Farbe zum Vorschein. Mein Großvater polierte das alte Eichenholz mit dem Wachs seiner Bienen und schenkte mir den Schrank zur Erinnerung an meine Urgroßmutter.
Was man nicht weiß, wird trotzdem heiß.
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ALL GO RHYTHMUS
Vorm Imbiss an der Ecke schreien sie schon wieder rum. Der längere Rest der Straße ist glücklicherweise immer noch dunkel und leer. Sie ist nicht unbedingt meine Favoritin, aber mit der Aussage, das wir nicht am Ende, sondern am Anfang der Pandemie stehen, hat unsere zurückhaltende Staatslenkerin nun wirklich mal recht. Mir gruselt vor dem was geschehen wird, ob der Dummheit des Volkes, denn das Virus baut auf die Dummheit, weil es nicht dumm ist. Nichts ist so aktuell wie Geld oder Leben, aber wo kein Leben ist, ist auch kein Geld oder Gold. Wer denn nun immer noch nach Gold graben will, gräbt sich sein eigenes Grab, wie die Goldgräber des golden Westen. Ob eine goldene Weste besser ist, als eine weiße, soll hier nicht zur Disposition stehen und ohne die passende Krawatte geht es sowieso nicht, das soll nun aber nicht heißen, dass was in trockenen Tüchern ist, nicht auch in trockenen Krawatten sein kann.
Kaum etwas ist schöner, als sich zu verkleiden und als Kinder liebten wir dieses Spiel. Zu meinen siebenten Geburtstag bekam ich einen prächtigen, indianisch inspirierten Federschmuck, heutzutage wahrscheinlich nicht mehr möglich und sobald ich meinen Kopf mit der langschwänzigen Federhaube krönte, war ich Winnetou. Es spielte keine Rolle mehr, dass mein Geschlecht nicht das richtige war, der Kopfschmuck machte mich zu Winnetou und mehr brauchte es auch nicht, mich zum edlen Häuptling der Apatschen zu machen. Der Garten wurde zur Prärie, die Wippe zum ungezähmten Mustang und unliebsame Nachbarjungen zu dreckigen Komantschen oder verbrecherischen Cowboys. Auch meine Eltern feierten Kostümfeste, die Nachbarinnen kamen bevorzugt als Zigeunerinnen, sexy Hexen und Haremsdamen im Stil der bezaubernden Jeannie. Meine Mutter nähte sich ein sehr lazives Katzenkostüm, das ein wenig an Emma Peels Catsuit erinnerte, nur die Schnurrhaare in ihrem Gesicht trug Emma so nicht. Der männliche Teil der Nachbarschaft, sofern er denn genug Phantasie und Mut mitbrachte, kostümierte sich als verwegener Pirat mit goldenen Ohrringen, verkommener Graf mit Siegelringen, oder kalkweißer Vampir mit Blut an der Lippe und die ganz Faulen gingen als Scheich unter einem Bettlaken zur Party. Kostümfeste waren immer die besten Partys, denn kaum etwas ist schöner, als endlich mal jemand anders zu sein, für den oder die man letztendlich nicht wirklich verantwortlich ist. Anders ist es, wenn im Kult unter der Maske die eigene Persönlichkeit von einem mystischen Wesen oder einer Gottheit abgelöst wird und nicht mehr das eigene Ich handelt, sondern die durch die Maske verkörperte Person. Irgendwo dazwischen liegen der Maskenball, das Kostümfest und der Karneval mit all seinen berauschenden und entgrenzenden Aspekten. Zu den absoluten Verlieren der Coronakrise gehört das Vermummungsverbot. Was vor kurzem noch von Staats wegen untersagt war, wird mittlerweile von eben diesem Staat vehement eingefordert. Der Mund und die Nase sind mit einer sogenannten Mundmaske zu schützen, oder besser gesagt, sollen die Atmungsorgane daran gehindert werden, gefährliche Viren unkontrolliert in die allgemein zugängliche Atemluft zu schleudern. Das Perfide dabei ist, einatmen kann man die Viren durchaus durch die Maske, sofern es sich denn nicht um ein Fabrikat mit ganz besonderen Filtern handelt und solche Atemmasken sollen bisher dem medizinischen Personal vorbehalten bleiben, weil es immer noch viel zu wenig davon gibt. Im Unterschied zu einem unerwünschtem Gesichtsschleier, der ja nicht eng anliegt, oder einer Karnevalsmaske, die zwar das gesamte Gesicht bedecken kann, aber nicht nur die Augen, sondern auch die Nasenlöcher und den Mund ausspart, ist es nicht besonders angenehm, durch solch einen Mundschutz zu atmen. Leider ist die ganze Mundvermummung nicht im entferntesten so romantisch, wie das über Mund und Nase gezogene Halstuch der Banditen des wilden Westen, wie Billy the Kid, Butch Cassidy und Sundance Kid, die nonchalant Postkutschen überfielen und Banken ausraubten, oder der Robin Hood Räuber aus den finsteren Wäldern des Mittelalters, die unterdrückerischen, adligen Blutsaugern Gold und Edelsteine abnahmen und die Beute an das Not leidende Volk umverteilten. Fest steht, unter so einem zweckentfremdeten Halstuch kann man immer noch besser atmen, als unter einem Mund und Nasenschutz.
Ohne Kraut keine Rüben.
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QUATSCH BLATT.
Ob man einen an der Klatsche hat, entscheidet nicht das Klatschblatt, aber Klatschern sollte man tunlichst aus dem Wege gehen. Wer sich mit Magie halbwegs auskennt, wird da keine Probleme haben, oder wendet sich Hilfe suchend an Fred und George. Über den Daumen gepeilt kann man sagen, Bauchklatscher sind zu vermeiden und Klatschmohn sollte man suchen, nicht nur weil der Mohn so schön rot ist. Im Klatschblatt wird das alles verhandelt, denn die Basis von Klatschbasen ist der Klatsch, den jeder an der Klatsche hat. Was nicht abgeklatscht werdehn kann, kriegt einen Klaps auf den Allerwertesten und besinnt sich auf die alten Werte. In der Klapse sehen sie das nochmal anders und klappen die bürgerlichen Werte hoch, damit das System nicht zusammen klappt. Dafür hat der Teufel es´sich im System bequem gemacht, träumt von Kabelschuhen, lüstern flennen und Relevanz. So kommt die Jungfrau zwar nicht zum Kinde, aber der Kater zur Katze. Trieb Heil.
Zumindest haben wir nun aber wieder die Freiheit zum Frisör zu gehen, sicherlich eine schöne Sache, auch wenn ich seit sechsundvierzig Jahren nicht mehr beim Frisör gewesen bin. In meiner Kindheit hatten meine Mutter und die Damen der Nachbarschaft, mindestens einmal in der Woche einen Termin beim Frisör und die Namen besonders begabter Frisösen wurden wie Geheimwissen weiter gegeben, denn die anspruchsvollen Hochfrisuren der sechziger Jahre waren nicht anders aufrecht zu erhalten. So manche Dame schlief nach dem Frisörbesuch, zumindest in der ersten Nacht danach, auf einer sehr unbequemen Nackenstütze, damit die Frisur nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde und auch noch auf der obligatorischen Party am Wochenende richtig gut aussah. Zwischen den Frisörbesuchen kamen Lockenstäbe und Trockenhauben, mobil oder stationär, zum Einsatz, der Anblick einer Dame bei der Hausarbeit, mit dem Kopf voller Lockenwickler, war nichts ungewöhnliches, Nachbarschaftshilfe angesagt und Nachbarinnen mit geschickten Händen, oder einer Ausbildung zur Frisörin, verdienten sich gerne ein Zubrot mit dem häuslichen Einsatz an der Haarpracht. Wer keine Locken hatte griff zur Wasser oder Dauerwelle, wer Locken hatte, ließ sich die Haare glätten und wer noch nie von Dreiwetter Taft Haarspray gehört hatte, lebte hinterm Mond. Vor gesellschaftlich wichtigen Ereignissen konnte es für die, die sich nicht rechtzeitig darum gekümmert hatten, ziemlich schwierig werden, noch einen Termin beim Frisör zu ergattern und nicht immer kam dann die bevorzugte Friseuse zum Einsatz. Kaum etwas war schlimmer, als eine verhunzte Frisur, verfärbte oder verschnittene Haare und wenn es ganz hart kam, half nur noch eine Perücke, um die Schaden zu verbergen. Am besten besucht wurde heute der türkische Frisörsalon, eine Einrichtung ausschließlich für Männer. Ob dieses Phänomen sich auf das Schulterblatt beschränkt, kann ich so nicht sagen, da mir der nötige Überblick fehlt, aber die Schlange vorm türkischen Frisörsalon konnte es jedenfalls mit der vorm Fischladen am Eppendorfer Baum aufnehmen und das, obwohl weder Bartpflege, noch das Kürzen der Nasenbehaarung und Ohrenpflege derzeit erlaubt sind. Hauptsache der Mann hat die Haare wieder schön, auch ohne in die Disko zu gehn. Die Dichte der Frisörsalons im Viertel, die nur noch von den allgegenwärtigen Kiosken getoppt wird, spricht dafür, dass es sich um ein ziemlich System relevantes Gewerbe handelt, was auch die allgemein schlechte Bezahlung erklärt. Vom Haupthaar wurde ja schon immer ziemlich viel Bohei gemacht, angefangen mit der alttestamentarischen Geschichte von Samson und Delila. Aber nicht nur in Samsons Haaren steckte magische Kraft, die ihn verließ, nachdem Delila sein Haar heimtückisch im Schlaf kürzte, auch die Haare der Großmutter des Teufels, besitzen teuflische Kraft. Teuflisch selbst heute noch im vielen Kulturen, dass verführerische Haupthaar der Frauen, dass deswegen spätestens nach der Verheiratung unter einer Haube oder einem Tuch verborgen werden muss. Magisch waren auch die goldenen Locken der Lorelei, insbesondere wenn sie die Pracht singender weise frisierte und damit reihenweise paralysierte Flussschiffer in den nassen Tod riss. Nicht weniger magisch Rapunzels Zopf, als Strickleiter in die Freiheit. Haarige Angelegenheiten sollte man deswegen besser meiden und das, dass Haar in der Suppe nicht bekömmlich sein kann, erschließt sich von selbst, denn es steckt voller Magie. Wer auf Nummer Sicher gehen will, hält es mit den strenggläubigen Juden und Sikhs und lässt sich, zumindest als Mann, die Haare besser nicht schneiden, denn in den Haaren steckt immer noch göttliche Magie.
Nur Klatschtanten klatschen.
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SCHMÄH BEUTEL.
Das es ersten anders kommt und zweitens als man denkt, ist ja nun zu genüge bewiesen. Da geht es dahin, unser schönes Neu Rom, unsere schöne neue Welt, unser Event Manager Paradies, die Party ist vorbei. Folgerichtig neigt sich der Trend zur Selbsthilfe und zum Selbermachen und wer sich seiner selbst immer noch nicht sicher ist, wird es auch nicht mehr werden. Mundschenke verschwinden in der Versenkung und Mundschutzmanager streiten um die Oberhoheit, aber der Mund ist nun mal das zentrale Tor zur Welt, verleibt sich die Welt ein, frisst sie auf, spukt sie wieder aus und leistet Widerstand. Wer denn nun nicht auf den Mund gefallen ist, oder Mundorgel spielen kann, kauft sich eine Munddusche, ein Mundwasser und einen Mundschutz und macht erst mal munter weiter. Moment mal, gegen Mundgeruch hilft das alles nicht, außer den Mund zu halten und mit einer Mundharmonika kommt man wahrscheinlich weiter.
Regennass glänzte das Kopfsteinpflaster unten im Schulterblatt, weit und breit war kein Fenster mehr erleuchtet. Die Nacht zum ersten Mai war still und dunkel, der Regen rauschte schon seit Stunden und die Luft, die zum offenen Fenster herein kam, war ganz wunderbar samtig kühl. Vom Pferdemarkt bis zur ROTEN FLORA war kein Mensch auf der Straße zu sehen, aber dafür gab es freie Parkplätze im Überfluss. Umso schriller zerrissen die Schreie der streitenden Junkies die Nacht und die Schreierei gipfelte in einer Schlägerei. Dann hauten sie blitzschnell ab und die regnerische Nacht versank wieder in träumerischer Dunkelheit. Walpurgis mal ganz anders. Zu den Büchern die ich ganz besonders liebe, gehört „Amanda ein Hexenroman“, die Fortsetzung von „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatrix, nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“. Beide Bücher wurden, von der leider viel zu früh verstorbenen Schriftstellerin Irmtraud Morgner geschrieben und deswegen fehlt auch der dritte Band, dieses ursprünglich als Trilogie angelegten Werkes. In „Amanda ein Hexenroman“ spielt die Walpurgisnacht eine zentrale Rolle und auch die Tatsache, dass der Brocken, damals noch direkt an der Grenze eines geteilten Landes lag. Laura, von Beruf Triebwagenführerin im öffentlichen Nahverkehr Ostberlins, allein gelassene Mutter und Chronistin der Trobadora Beatrix, entdeckt das sie eine Hexe ist. Trobabora Beatrix, die sich im Mittelalter aus Verzweiflung über die frauenfeindlichen Zustände, in ein Art Dornröschenschlaf versetzten ließ, aus dem sie dann nach achthundert Jahren in Frankreich wieder erwachte und letztendlich bis nach Ostberlin kam, sitzt mittlerweile, nach einem eigentlich tödlichen Sturz aus dem Fenster noch einmal verwandelt, als Eule mit Menschenkopf in einem Eulengehege des Tierparks in Ostberlin und Laura kümmert sich um sie. Zwar hat Beatrix ihre Stimme verloren, für eine Trobadora wirklich katastrophal, aber mit ihren Krallen schreibt sie nun einen Roman über das Leben ihrer ehemaligen Spielfrau Laura Amanda Salman. Wie jede Frau, die als Hexe geboren wird, ereilte auch Laura Amanda das Schicksal der Teilung. Irgendwann nach dem Ende der Pubertät, werden Hexen vom Teufel persönlich gespalten, in ihre hexische und in ihre normale Identität. So wurde Laura denn Triebwarenführerin und Amanda landete, wie alle andern Hexen, im Eulenpuff, tief im Blocksberg verborgen. Der Eulenpuff gehört den Raben, intellektuellen Männern, Künstlern und Wissenschaftlern, Politikern und Philosophen, die weder die Hälfte des Himmels abgeben wollen, noch ihre Macht mit der anderen Hälfte der Menschheit teilen und wird wiederum vom Teufel persönlich geführt und bewacht. Der Eulenpuff hat seinen Namen von den Kopfmasken der Hexen, die dort arbeiten, denn ihr edelstes Teil zeigt ein Hexe nicht. Die Hexen vergessen nie, dass sie einst auch eine andere Hälfte hatten, aber ihre abgespaltenen Hälften vergessen ihren hexischen Teil meisten schnell. Nicht so Laura Amanda und ein paar andere, meist recht renitente, gespaltene Hexen, denn auch ihre normale Inkarnation erinnert sich, mehr oder weniger, an ihre hexischen Anteile. In der Nacht zum ersten Mai, Laura, mittlerweile ihrer hexischen Anteile wieder bewusst geworden, verfolgt die Walpurgisnacht ganz komfortabel vorm Fernseher, erscheint der Teufel persönlich in ihrem Wohnzimmer und der Kampf beginnt. Unten im Schulterblatt kämpfen sie auch wieder, größtenteils Kinder zwischen siebzehn und zweiundzwanzig Jahren, wahrscheinlich um des kämpfen willens und weil es in den letzten Wochen so langweilig war. Mit Freiheit hat das nicht wirklich was zu tun.
Beim Barte des Proleten wird es auch nichts besser.
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