LEID WÄHRUNG.
Jeden Tag neue Spekulationen, immer neue Horrormeldungen und besser wird gar nichts. Experten und Expertinnen diskutieren das Für und Wieder, das Wenn und Aber und am Ende bleibt alles offen. Kann das wirklich so weiter gehen und wo soll das alles enden. Ganz dünn geworden ist die Grenze, zwischen Meinungsfreiheit und grenzenloser Verwirrung, die nach Führung schreit und darum führe uns nicht in Versuchung, sondern in Sicherheit. Angst ist ein Überlebensreflex, aber auf Dauer kein guter Berater und Angsthasen sind keine Osterhasen. Nun werden die Osterhasen, zu Ostern wahrscheinlich ihre Ruhe haben und etliche andere Tiere mit ihnen. So zwingt das Virus uns denn, endlich mal richtig Rücksicht zu nehmen, besser allerdings wäre ein Virus, dass uns zur Einsicht brächte, aber dafür müsste das Virus intelligent werden und das haben wir ja auch noch nicht wirklich geschafft.
Nach ihrer Ankunft in Kathmandu ließen sie es sich nicht nehmen, Mark erst mal den Unterschied zwischen Nepal und Portugal vorzuführen und mieteten für ihre erste Übernachtung zwei sehr billige Zimmer. Die Wände dieser super günstigen Unterkunft waren feucht und schimmelig und sobald sie das Licht anmachten, stoben Heerscharen von Kakerlaken in alle Himmelsrichtungen davon und Mark war sich gar nicht mehr so sicher, ob es richtig gewesen war, mit nach Nepal zu reisen. Am nächsten Tag nahmen sie sich dann ein Taxi für die Fahrt nach Pokhara, wo sie sich mit Onkel Erich treffen wollten. Die komfortable Innenausstattung des alten Mercedes, die exzellenten Rauchwaren, die leicht dahin perlende Hippiemusik und die grandiose Landschaft, die filmreif draußen vorüber zog, taten das ihre und Mark überwand seinen Schock. Pokhara hatte sich mittlerweile sehr verändert, überall waren neue Hotels und Guest Houses, wie Pilze aus dem Boden gesprossen und aus der eher verschlafenen Kleinstadt die sie in Erinnerung hatten, war eine gut besuchte, quirlige Touristenstadt geworden. Kasiman war schon vor ein paar Jahren gestorben und Onkel Erich hatte es gerade noch geschafft, sich von seinem langjährigen Freund zu verabschieden, der als er sein Ende nahen fühlte, Onkel Erich ganz eindringlich darum gebeten hatte zu kommen. Onkel Erich versprach Kasiman auf seinem Totenbett, sich um die Familie Thapa zu kümmern, denn Govinda kümmerte sich mehr um seinen Freund den Alkohol, als um die Familie. Inzwischen waren bei Thapas die Kinder groß geworden, Suman hatte geheiratet und war bereits Vater eines Kindes und zu Onkel Erichs Leidwesen arbeitete er nicht als Lehrer, sondern als Manager eines kleinen Hotels, eine Arbeit die ihm zwar nicht viel mehr Geld einbrachte, als der Lehrerberuf, aber unter den jungen Leuten erheblich mehr Renommee genoss. Subash hatte die Schule auch schon abgeschlossen und seine Ausbildung zum Lehrer absolviert, aber auch er träumte davon, Manager eines Hotels zu werden, oder sich mit einem eigenen Business selbstständig zu machen. Außerdem hatte Subash sich in eine junge Frau aus dem Lager der Exiltibeter verliebt, eine Buddhisten, was weder seiner noch ihrer Familie gefiel. Sunita steckte mitten in ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und wohnte im Schwesternheim des Krankenhauses, an dem sie ausgebildet wurde, was ihr eine Menge häusliche Pflichten ersparte, Sanju besuchte eine Schule für Zahntechniker und Govinda hatte sich, nach einer Entziehungskur in einem Kloster, endlich vom Alkohol abgewandt und dafür dem Glauben zugewandt. Auf beiden Seiten war die Wiedersehensfreude groß und Suman vermittelte ihnen sehr schöne Zimmer in einem Hotel, dass von einen Verwandten der Familie Thapa betrieben wurde. Nur Onkel Erich zog den Komfort des „Yak & Yeti“ dann doch wieder vor. Bei Thapas war es finanziell gewohnt eng und Onkel Erich kaufte wie immer erst mal ein paar Säcke Reis. Gulu war mittlerweile auch Vater dreier Söhne geworden, deren schulische Ausbildung, wie schon die von Govindas vier Kindern, von Onkel Erich finanziert wurde. Als sie die Schule besuchten, an der schon Suman, Subash, Sunita und Sanju ihre Abschlüsse gemacht hatten und die natürlich auch von Onkel Erich unterstützt wurde, stellte sich heraus, dass Gulus Kinder sich nicht gerade mit Ruhm bekleckerten. Ihre schulischen Leistungen waren entsetzlich schlecht und sie fehlten auffällig oft. Um dem abzuhelfen und damit sie nicht von der Schule flogen, organisierte Onkel Erich, nach Absprache mit dem Direktor der Schule, Nachhilfeunterricht für Gulus Kinder. Noch wichtiger war es aber, Gulu davon zu überzeugen, dass er dafür Sorge trug, dass seine Kinder nicht zu hause blieben, sondern zur Schule gingen. Gulu war das alles ziemlich egal. Onkel Erich mietete einen Kleinwagen samt Fahrer, in den sie sich dann zu viert zwängten, Mark immer vorne auf dem Beifahrersitz, Hasy, Stefan und Onkel Erich auf der Rückbank und so gingen sie auf Besuchstour bei Onkel Erichs alten Freunden.
Farbe muss man nicht bekennen, es reicht wenn man sie kennt.
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LENZ BEAMTE.
Was fressen nun eigentlich all die Möwen und Tauben, Mäuse und Ratten, Nutznießer unseres hemmungslosen Verbrauchs, Abfallbeseitiger der Konsum und Spaßgesellschaft. Wo nicht mehr gefeiert wird, wo keine Touristen mehr kommen, bleiben auch keine Dönerreste, keine halb gegessenen Hamburger oder Big Mäcs, kein vorverdautes, ausgespienes, keine Pizzas und diverse andere Menüs To Go, keine runter gefallenen Eistüten mehr liegen und die geflügelte oder vierbeinige Müllabfuhr muss hungern. Ein Notprogramm für die Notversorgung unserer Kulturfolger wäre das mindeste und frei gewordene Arbeitskraft gibt es momentan ja genug. Wer schlau ist geht aufs Land und macht auf Erntehelfer, denn die Ernte wird dieses Jahr, mangels geeigneter Erntehelfer, wohl nur in Teilen eingebracht. Da bleibt dann einiges zu teilen und der Tisch für unsere wilden Mitbewohner ist reich gedeckt.
Seit etlichen Jahren luden Hasy und ich unsere besten Freunde, jedes Jahr Anfang Dezember zu einem mehr gängigem Weihnachtsessen ein. Manchmal war die Küche eines Landes wie Italien oder Indien das Thema und Hasy suchte sich die Menü Folge in seinen unzähligen Kochbüchern selber zusammen, manchmal ließ er sich auch von einem aufwendigen Menü, das in der „Essen & Trinken“ vorgestellt worden war inspirieren. Zwar hatte Hasy seine Kochlehre nach dem zweiten Lehrjahr abgebrochen, sein Chef, cholerischer Alleinherrscher eines Nobelrestaurants im Emsland, hatte sich wegen Steuerschulden abgesetzt und das Lokal musste schließen. Um die Ausbildung erfolgreich zu beenden, hätte Hasy in der Küche eines anderen Restaurant noch mal im zweiten Lehrjahr beginnen müssen und dazu war er nicht bereit. Statt dessen ging er ein Jahr nach Amerika und besuchte seinen Onkel Dieter, der es mit den Aufkauf schöner, alter, aber dringend renovierungsbedürftiger Holzhäuser und Innenausbau, sehr weit gebracht hatte, was dazu führte, dass Hasy den Teppichboden, im Restaurant ganz oben in den Twin Towers verlegte. Die Leidenschaft fürs Kochen und für gutes Essen aber blieb Hasy erhalten. Die Koch und Einkaufsorgie begann meistens schon eine Woche bevor das Essen statt fand und Stefan half Hasy jedes mal mit Begeisterung, weswegen wir ihm zum Geburtstag ein selbstgemachtes Kochbuch mit Rezepten aus der „Essen & Trinken“ schenkten, die allesamt mit der Bezeichnung sehr einfach versehen waren. Um das Werk optisch etwas aufzupeppen, lud ich aus dem Internet allerhand Bilder von Köchen in Aktion runter und tauschte ihre Köpfe mit Bildern von Stefans Kopf aus. Da alle digitalisierten, mir zur Verfügung stehenden Bilder Stefans, von der letzten Nepal Reise stammten, die Stefan in Begleitung einer Plastiktüte voller Rauchwaren gemacht hatte, grinsten die Köche mit Stefans Gesicht dann ganz untypisch entspannt unter ihren Kochmützen. Stefan gestand uns später, dass man die Bezeichnung „ganz einfach“ der „Essen & Trinken“, einfach vergessen könnte. Es dauerte dann allerdings ein gutes Jahrzehnt, bis Hasy und Stefan, diesmal mit Mark, im Jahr zweitausend nach Nepal reisten und diese Reise wurde während eines Weihnachtsessen geboren. Trotzdem die letzte Reise nun schon recht lange zurück lag, schwärmten Hasy und Stefan immer wieder gerne von ihren Erlebnissen in Nepal und auch der Film, den Hasy und Chillus von ihrer ersten Reise gemacht hatten, wurde nach dem Essen noch mal vorgeführt. Diesmal aus besonderem Anlass, denn Onkel Erich plante wieder nach Nepal zu reisen, hauptsächlich um bei Familie Thapa nach dem Rechten zu sehen und hoffte darauf, dass Hasy und Stefan ihn begleiten würden. Mark verliebte sich immer mehr in die Vorstellung, mit nach Nepal zu reisen und Hasy und Stefan bearbeiten ihn schwer und ließen auch die unangenehmen Seiten des Landes, die Armut großer Teile der Bevölkerung und die teilweise grauenhaften hygienischen Zustände nicht aus. So entstand eine Atmosphäre, zwischen der Lust am exotischen Abenteuer und Mutprobe schwankte. Mark der noch nie außerhalb von Europa gereist war und erst recht nicht in einem Entwicklungsland, das wie Nepal zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, ließ sich ganz weltmännisch zu der Bemerkung, er sei ja auch schon in Portugal gewesen, hinreißen, was Hasy und Stefan mächtig zum Lachen brachte. Im Laufe ihrer Reise entwickelte sich der Spruch, „Ich war ja auch schon mal in Portugal“, dann noch zu einem geflügelten Wort. Ganz spielerisch fingen sie an im Internet nach günstigen Flügen für den entsprechenden Zeitraum zu suchen und wurden schnell fündig. Mit einer entsprechenden Kreditkarte konnten die Flüge sofort gebucht werden und Mark besaß so eine Karte. Ein paar Klicks später hatten sie die Flüge gebucht.
Klein ist nicht immer fein.
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SING SERVICE.
Eigentlich war es ja schon lange klar, dass so etwas kommen musste. Mit Mutter Natur kann man nicht verhandeln, nicht mal über Twitter, man kann sie missbrauchen, ausbeuten und ausnutzen, verseuchen, schänden, aber nicht mir ihr verhandeln und wenn sie zurück schlägt, wird es schwierig. Das Virus ist wie wir, es durchdringt alles, schnell und unaufhaltsam und unvernichtbar, wie der Plastikmüll in den Mägen von Fischen und Vögeln und mittlerweile sogar im Krill. Notwendigerweise wird es die Welt nicht mehr verlassen, weil es die Welt verändern wird und uns und unser Verhalten damit. Vergangen die schönen Tage des ungebremsten Hedonismus, der individuellen Freiheit, der Reisen um die Welt, denn im Kampf gegen eine unsichtbare Bedrohung, die keine Grenzen und keine Gnade kennt, hilft My Müsli nicht.
Mit einem Wanderstock bewaffnet hatte Chillus seine Höhenangst den größten Teil ihrer Tour gut im Griff gehabt, aber dann war der Weg mit einmal verschwunden. Ein Erdrutsch hatte den primitiven Pfad weggerissen und sie mussten sich über ein paar behelfsmäßig hin gelegte Baumstämme und Steine, dicht am Abgrund weiter hangeln. Das war dann doch zu viel für Chillus und er weigerte sich kategorisch den Weg über die Baumstämme und Steine zu gehen. Hasy, Stefan und Michael Nordhorn ergriffen die Chance und legten erst mal eine entspannte Rauchpause ein. Mehrere andere Trekking Gruppen überholten sie und Chillus konnte dabei zusehen, dass es durchaus möglich war, den Weg über die Stämme und Steine zu meistern, aber das überzeugte ihn keineswegs. Es dauerte recht lange, bis sie Chillus so weit hatten, den Weg über die ziemlich krummen Baumstämme und Steine zu wagen, ansonsten wären sie ohne ihn weiter gewandert, denn um den Rückweg anzutreten, war es zu spät geworden, sie hätten vor Einbruch der Dunkelheit kein Guest House mehr erreicht. Am nächsten Tag kamen sie an eine Stelle im Flussbett des Kali Gandaki, an der Haufenweise pechschwarze Steine lagen. Ein paar Pilger waren damit beschäftigt, die Steine auf zu klopfen und sie erfuhren, dass es sich bei den schwarzen Steinen um Shivas Scheiße handeln würde. Im manchen Steinen verbargen sich die Abdrücke von Ammoniten, Kopffüßer, die vom Devon bis zum Ende der letzten Kreidezeit, insbesondere die Meere bevölkerten. Die teilweise mehrere hundert Millionen alten Fossilien, werden von gläubigen Hindus für Shivas Scheiße gehalten und gelten deswegen als heilig und sie zeugen davon, dass der Gläubige oder Sadhu, tatsächlich im Himalaya war. Die Wallfahrt in den Himalaya ist für gläubige Hindus nicht weniger bedeutend, als die nach Mekka, zum schwarzen Stein der Kaaba für Muslime. Neugierig geworden schlossen sie sich dem Treiben der Pilger an und klopften ebenfalls Steine auf, bis sie Ammoniten fanden. Begeistert von ihren Erfolg klopften sie immer mehr Steine auf, um noch mehr Ammoniten zu finden, die sie als Souvenir mit nehmen konnten. Als endlich sie genug Ammoniten gefunden hatten, machten sie sich wieder auf den Weg, aber Shivas Scheiße lag schwer in ihren Rucksäcken und letztendlich ließen sie die meisten Ammoniten dann doch lieber zurück. Nach zwei Wochen erreichten sie ein Dorf, dass an einem Weg lag, der mit großen Schwierigkeiten von Autos befahren werden konnte. Nachdem sie die Nacht im örtlichen Guest House verbracht hatten, gestanden sie sich ein, dass sie allesamt nicht mehr konnten. Sämtliche überflüssige Pfunde waren der Dal Bat Diät und Shivas Rache zu Opfer gefallen und nur Michael Nordhorn sah noch einigermaßen proper aus. Nach einigen Nachfragen fand sich ein Dorfbewohner, der nicht nur das einzige Auto im Dorf besaß, sondern auch bereit war, sie nach Pokhara zurück zu fahren, ein Service, den er anscheinend öfter erfolgreich anbieten konnte. Die Straße war so schlecht, dass sie nicht schneller als mit zehn Stundenkilometern befahren werden konnte, aber letztendlich erreichten sie dann doch noch Pokhara. Der Abschied von Thapas war herzzerreißend, dass Govinda als ihr Trekking Führer völlig versagt hatte, wurde einfach vergessen und natürlich mussten sie schwören bald wieder zu kommen. Mit Air India flogen sie von Kathmandu nach Neu Dehli und dann saßen sie wegen eines Maschinenschaden an ihrem Flugzeug erst mal fest. Doch North West Airlines, die Fluggesellschaft, bei der sie ihren Rückflug gebucht hatten, war erheblich viel großzügiger als Biman Bangladesh Airlines und spendierte ihnen für die Zeit ihres unfreiwilligen Aufenthaltes in Neu Dehli sehr komfortable Zimmer im Neu dehli Hilton. Es dauert mehrere Tage, bis das Ersatzteil für die Maschine endlich eintraf und sie genossen den Luxus des Hotels, die sauberen Badezimmer, die flauschigen Handtücher, die Phalanx der Körperpflegeprodukte, die gut gefüllte Minibar, die üppigen Büfetts und die riesigen, weichen Betten, bevor sie wieder nach Europa zurück flogen.
Die Nacht ist die Mutter der Sünde und der Kinder.
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MOTZ ZEICHEN.
Das jede Gesellschaft so weit kommt, wie ihre dümmsten Mitglieder, zeigt sich im Angesicht einer unsichtbaren Bedrohung sehr deutlich. Hinzu kommt, dass Hormone wahrscheinlich um einiges stärker sind, als rationale Erwägungen, Empathie und Vernunft, denn der größte Teil der unbelehrbaren Vierenschleudern befindet sich im fruchtbarsten Alter, immer und um jeden Preis auf der Suche nach Sexualkontakten. Die landesweite Ansprache unserer mauen Eminenz richtete sich an mündige Bürger, die der Demokratie würdig sind und wie sich nun zeigt, ist leider ein Teil der Bürger dieses Landes keineswegs mündig und erst recht nicht der schönen Demokratie würdig. Was nun machen, mit all diesen Dumpfbacken, die da draußen immer noch lachen, rum krakelen und den Ausnahmezustand endlos verlängern werden. Eine Insel für Idioten?
Nach einer Woche, ihre Gesichter und die Knöchel ihrer Hände, waren mittlerweile empfindlich aufgeraut oder schon wund, schafften sie es zwar nicht um drei Uhr morgens, aber immerhin zwischen acht und neun Uhr vormittags aufzubrechen und an späten Nachmittag bei ihren nächsten Guest House anzukommen. Zum Dal Bat gönnten sie sich dann ein paar Biere, etliche Rauchwaren und den immer wieder spektakulären Sonnenuntergang. Sie waren nicht die einzigen Trekking Touristen und während sie sich am Tisch vor ihrer Herberge, von den Mühen der Tagesetappe entspannten, hörten sie unfreiwillig das Gespräch einer deutschen Reisegruppe mit. Das kleine Guest House, war wie die meisten anderen Übernachtungsmöglichkeiten, ein Familienbetrieb und das bedeutete, dass alle Angehörigen der Familie, im Alter zwischen acht und achtzig Jahren, mitarbeiteten. In Sichtweite der Reisenden, klopfte der hochbetagte Großvater, Steine für die Befestigung eines Pfades zurecht und ließ sich dabei, seinem Alter angemessen, alle Zeit der Welt. Die Gruppe am Nachbartisch, nicht nur mit professionellen Führer, sondern auch mit Trägern für ihr Gepäck unterwegs, machte sich über das Arbeitstempo des alten Mannes lustig, was in der Bemerkung gipfelte, dass es kein Wunder sei, dass das Land, welches sie zu ihrem Vergnügen bereisten, so arm sei. Das war aber noch nicht alles, die Luxustouristen beschwerten sich außerdem über den mangelnden Komfort der Guest Houses und das ewige Dal Bat, dass sämtliche Nahrungsmittel und jedes Getränk, mühevoll auf dem Rücken von Trägern und Trägerinnen, die Berge hoch geschleppt werden musste, war anscheinend noch nicht bei ihnen angekommen. Mit Rücksicht auf Michael Nordhorn, hatten sie sich bisher auf Englisch unterhalten und ihren Tischnachbarn war nicht klar, dass Chillus, Stefan und Hasy jedes Wort des wenig einfühlsamen Gesprächs am Nachbartisch mitbekommen hatten. Dann reichte es Chillus, der damals noch beim SPIEGEL arbeitete und nun lautstark und auf Deutsch, genau das zu Besten gab und dass die Ansichten ihrer Tischnachbarn nun wirklich mal eine Story im SPIEGL, über das taktlose Benehmen deutscher Touristen im Ausland, wert seien. Der Mann, der sich über das Arbeitstempo des Großvaters mokiert hatte, wurde knallrot im Gesicht und die die ganze Gruppe sich sich sehr schnell in ihre Schlafkammern. Das sie ihr Gepäck selber trugen, war umständlich, aber Ehrensache und alles andere hätten sie als komplett kolonialistisch empfunden. Erst im Nachhinein dämmerte ihnen, dass die Trägerdienste für die Touristen, eine der wenigen Erwerbsquellen, der Nepalis in den unwegsamen Bergregionen waren und von daher sehr begehrt. Staunend sahen sie den Trägern und Trägerinnen nach, die sie hochbeladen und leichtfüßig in beide Richtungen überholten. Oft in Flip Flops und manche Frauen sogar mit modischen Pumps. Mühsam schleppten sie ihr Gepäck durch das Flussbett des Kali Gandaki und jeden Tag wieder kam es nicht nur zu Differenzen über die Interpretation des Kompass, sondern auch über die regelmäßig einzulegenden Rauchpausen. Mittlerweile hatte Stefan eine ganze Plastiktüte voller Rauchwaren angesammelt, denn jeder Bauer der ihnen auf dem Weg nach unten begegnete, bot unschlagbar günstige Rauchwaren an, zu denen Stefan unmöglich nein sagen konnte und die mussten ja auch geraucht werden. Die Pausen machten sie nicht schneller, was Chillus, der sich ein paar Jahre zuvor, ohne zu fragen an einem Schokoladenkuchen in unsere Küche vergriffen hatte und später mit einer Socke von mit auf dem Kopf, mit Hasy vorm Fernseher saß, gar nicht gefiel. Nachdem Chillus ohne meine Socke auf dem Kopf, den Weg nach hause gefunden hatte, fiel er auf sein Bett und fand sich kurze Zeit später über dem Bett, mit Blick auf seinen Körper, der sich in keinem besonders gutem Zustand befand, wieder. Das außer körperliche Erlebnis endete schnell und Chillus knipste nicht nur alle, in seiner Wohnung vorhanden Lichtquellen, sondern auch alle elektrischen Geräte an, weil man die Geister mit Strom bannen kann, oder auch nicht.
Was man nicht sehen kann, muss man fühlen.
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VIREN PENNER.
Ob es zu hause wirklich am schönsten ist, bleibt fraglich, aber das es zu hause am sichersten ist, steht in den Zeiten diffuser Virenbedrohungen außer Frage. Rote Linien kollidieren mit grünen Grenzen und um die Vernunft der Spaßgesellschaft ist es nicht besonders gut bestellt. Besser noch als Virenscanner sind Virenjäger und was wir brauchen ist ein neuer Van Helsing, der nicht Vampire, sondern Viren jagt. Im gar nicht so fernen Osten übernimmt die Partei das, aber in der schönen, neuen Welt des alten Westens ist niemand mehr für das große, Ganze verantwortlich, weil alle nur noch für sich selbst verantwortlich sind. Es ist ein bisschen so wie mit der Verantwortung für die Umwelt, verzichten sollen nur die anderen, es reicht ja wenn man sich beschwert. Dem Virus geht das am Arsch vorbei und leider geht die Vernunft nicht viral.
Muktinath gehört zum ehemalige Königreich Mustang, von den Einheimischen in Landessprache Lo genannt, das gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Nepal annektiert wurde und liegt direkt an der Grenze zwischen Nepal und Mustang. Bis heute ist es nur möglich, mit einer Sondergenehmigung durch Mustang zu reisen, und 1998 gab es noch nicht mal eine Straße von Jomsom oder Muktinath nach und durch Mustang. Das ehemalige Königreich liegt auf einem Hochplateau, zweitausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel, das Klima ist rau und sehr trocken und seit die Handelsrouten, auf denen Salzkarawanen von Tibet hinunter ins indische Tiefland zogen, unterbrochen wurden, weil die Chinesen Tibet annektierten und abriegelten, verarmte Mustang immer mehr. Im Jahr 2008 beendete die nepalesische Regierung offiziell das Königtum in Mustang, aber der ehemalige König von Mustang, der Raja, genießt immer noch hohes Ansehen unter der Bevölkerung. Natürlich wäre es das Abenteuer schlechthin gewesen, eine Trekking Tour durch Mustang zu machen, aber das war völlig ausgeschlossen. Die Anzahl der Visa war stark begrenzt und der Preis so hoch, dass er ihre finanziellen Möglichkeiten sprengte. Ein Mustang Visum kostete damals mindestens zehntausend DM. Ausgeschlossen war es auch noch höher auf dem Anapurna Circuit zu wandern, über den fünftausendvierhundert und sechzehn Meter hohen Thorong Pass ins Managtal, denn Hasy und Chillus hatten ja bereits kurz vor den heiligen Höhlen, oberhalb von Muktinaht passen müssen. So beschlossen sie denn, bergab durch das Flusstal des Kali Gandaki zurück nach Pokhara zu trekken. Es dauerte einige Zeit, bis sie begriffen, dass es durchaus sinnvoll war im frühen Morgengrauen, spätesten aber gegen vier oder fünf Uhr aufzubrechen, besser noch beim ersten Licht, wie die Karawanen der Händler es seit ewigen Zeiten getan hatten und auch die meisten geführten Treckingtouren brachen immer noch in aller Herrgottsfrühe auf. Der klimatische Unterschied zwischen den kalten, hohen Bergen des Himalaya und der warmen und feuchten indischen Tiefebene bewirkt, dass spätestens zwischen zehn und elf Uhr morgens, stürmische Winde von Tiefland durch das Tal des Kali Gandaki ins Gebirge hoch fegen. In den ersten Tagen starten sie, nach einem gemütlichen Frühstück, meistens erst, wenn die anderen Trekking Touristen ihre Touren schon fast beendet hatten, denn sie hatten ja schließlich Ferien und sahen es überhaupt nicht ein, mitten in der Nacht aufzustehen. Nach ein paar Tagen hatte der ständige Sturm aus dem Tiefland, mit dem feinen Sand den er mitführte, ihnen die Gesichter wund geschmirgelt und sie brachen etwas frühzeitiger auf. Hinzu kam, dass Gowinda, ihr Führer, sich jeden Abend komplett zulaufen ließ und deswegen auch nicht rechtzeitig aus den Federn kam. Als Gowinda dann eines frühen Vormittags wieder nicht erschien, beschlossen sie ohne ihn aufzubrechen. Nach kürzester Zeit verliefen sie sich in den Weiten des ausgetrockneten Kali Gandaki. Das Flussbett war riesig, denn zur Zeit der Schneeschmelz rauschten dort gigantische Wassermengen zu Tal. Sie unterschätzten die Entfernungen und Chillus und Michael Nordhorn gerieten in einen heftigen Streit, über die Interpretation des Kompass. Mit viel Glück schafften sie es kurz vor Einbruch der Dunkelheit bis zu einem Guest House. Nach diesem Erlebnis trennten sie sich von Gowinda und trekkten ungefähr die Hälfte der Strecke ohne einheimischen Führer zurück nach Pokhara. Chillus und Michael Nordhorn stritten jeden Tag wieder über die Interpretation des Kompass, aber sie verirrten sich nicht noch mal. Die Guest Houses in denen sie übernachteten, waren teilweise sehr primitiv, in einer Nacht wurde Chillus von Bettwanzen angefallen, die eine schmerzhafte Spur von stark angeschwollenen Bissen auf seinen Armen hinterließen und jeden Tag gab es Dal Bat. Sie verloren etliche Kilos an Körpergewicht und wurden immer wieder von unangenehmen Darmattacken geplagt, aber die Landschaft war einfach grandios und entschädigte sie für alle Unangenehmlichkeiten. Die eigentlich sehr karge und farblose Hochgebirgslandschaft, wurde jeden Tag wieder, durch den Lichtzauber des Sonnenaufgangs und Untergangs in die fantastischsten Farben getaucht und im Angesicht der riesigen Berge, wurde alles andere winzig klein und unbedeutend und das Kiff war unschlagbar gut.
Knotenstöcke knarren nicht.
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SUCHT ORTE.
Lang vergangen die Zeiten, da man seine Hände in Unschuld waschen konnte, mittlerweile helfen nur noch Desinfektionslotionen mit dem Schmusatz viruzid und die sind schon lange ausverkauft. Virenscanner sind auch nicht mehr angesagt, wer würglich durch die Virenschleuse kommen will, braucht einen Glanzkörperschutzanzug, sehr viel Geld und gute Beziehungen, oder schlagkräftige Waffen. Das System kommt an seine Grenzen, weil es kaputt gespart worden ist und die schwarze Null ein Grab ohne Boden ist. Wie kann es angehen, dass ein Staat, nur weil er Jahrzehnte lang korrupt und unfähig, unter optimaler Wertabschöpfung und Ausbeutung eines großen Teils der Bevölkerung, vor sich hin gewurstelt hat, die Bevölkerung mit einmal unter Hausarrest stellt. Steht auf und geht raus, das Gesundheitssystem wird sowieso nicht besser werden.
Bevor sie ihre Treckingtour starteten, machten sie noch einen Ausflug ins sogenannte Lager der Tibeter, dass mittlerweile mehr einem etwas abgelegenen Stadtteil von Pokhara, als einem Zeltlager glich. Bei den Einheimischen waren die Tibeter allerdings nicht besonders beliebt, was teilweise damit zusammenhing, dass etliche von ihnen sehr erfolgreich als Händler tätig waren. Nachdem sie ein paar Souvenirs gekauft hatten, besichtigten sie ein buddhistisches Kloster und dort lernten sie einen jungen Mönch kennen, der vielleicht siebzehn Jahre alt war. Der junge Mönch sprach sehr gut Englisch und es stellte sich heraus, dass er leidenschaftlicher Fußballfan war. Er kannte sich nicht nur blendend in der Bundesliga aus, sondern in fast allen europäischen Ligen und nach einem intensiven Fachgespräch über Fußball, lud er sie in sein Zimmer ein. In dem spärlich ausgestatteten Raum hingen drei Poster an der Wand, auf dem Ehrenplatz in der Mitte, der Dalai Lama, flankiert von Mike Tyson und der holländischen Nationalmannschaft. Diese unerwartete Mischung aus Weltzugewandtheit und Spiritualität beeindruckte sie nachhaltig. Auf dem Rückweg ließen sie sich noch die Schuhe putzen, ein allgegenwärtiges Angebot auf den Straßen der Stadt und trotzdem Hasy und Chillus ihm eindringlich davon abgeraten hatten, handelte Stefan, bevor er ihn an seine Schuhe ließ, keinen Preis mit mit dem Jungen aus, der seine Schuhe dann putzte. Nach Abschluss der Dienstleistung verlangte der Junge fünfzig Dollar von Stefan und es war gar nicht so einfach, den geschäftstüchtigen Knaben auf zehn Dollar runter zu handeln, für einen Service, der normalerweise ein paar Rupien kostete. Mit einer zwei Propeller Maschine, in die ungefähr zwanzig Passagiere passten, flogen sie in einer knappen, halben Stunde, durch eine tiefe Schlucht zwischen Anapurna und Dhaulagiri, von Pokhara nach Jomsom. Der Zustand der Maschine war mehr als bedenklich, die Aussicht aus ihren beschlagenen Fenstern atemberaubend und die Felswände der Himalayariesen kamen manchmal beängstigend nahe. Der Flughafen in Jomsom liegt auf einem kleinen Plateau auf über zweitausendsiebenhundert Metern und ist von achttausend Meter hohen Bergen umgeben. Er gilt als einer der gefährlichsten Flughäfen der Welt, denn die Piste ist sehr kurz und es kommt immer wieder vor, dass landende Flugzeuge nicht mehr rechtzeitig bremsen können und gegen die Felswand am Ende der Piste krachen. Auch der Abflug von der Piste ist schwierig, es gilt schnell genug die dafür nötige Geschwindigkeit zu erreichen und durch die hohen Berge entstehen ständig tückische Fallwinde. Nach einer holperigen aber glücklichen Landung, übernachteten sie in einem Guest House und wie schon während ihrer Raftingtour auf dem Kali Gandaki gab es Dal Bat und nichts anderes zum Essen. Das Bier war sehr teuer. Ihre erste Tagesetappe am nächsten Tag, sollte auf dem Anapurna Circuit nach Muktinaht, einem buddhistischen und hinduistischem Wallfahrtsort an der Grenze zu Mustang gehen. Muktinath ist ein uralter Pilgerort, den Felsen in und um Muktinath entspringen hundertundacht Quellen, die den Hindus heilig sind und einer Quelle entspringt eine brennende Erdgasflamme, die den Buddhisten heilig ist. Die Pilgertouren nach Muktinath finden wahrscheinlich seit mindestens dreitausend Jahren statt. Muktinath liegt etwa tausend Meter höher als Jomsom und die dünne Luft und das überaus potente Kiff, machten ihnen ganz schön zu schaffen. Es stellte sich heraus, dass Michael Nordhorn trotz seiner Körperfülle am besten mit der dünnen Luft zurecht kam, außerdem hatte er als einziger, mal abgesehen von Gowinda, Erfahrung mit Bergtouren, denn er war schon in den Rocky Mountains unterwegs gewesen. Mit Ach und Krach erreichten sie Muktinath, aber dann war für Hasy und Chillus Schluss. Die ältesten Heiligtümer Muktinaths, mit Wandbildern ausgeschmückte Höhlen, lagen noch einige Meter oberhalb des Ortes und nur Stefan und Michael Nordhorn schafften es bis in die Höhlen. Stefan nahm die Kamera mit und trotzdem überall daraufhin gewiesen wurde, dass es verboten sei, die heiligen Stätten zu filmen oder zu fotografieren, filmte Stefan die uralten Wandgemälde im Inneren der Höhlen.
Auf der Flucht kann man sein, aber nicht leben.
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GEDULD SCHEINE.
Zu den größten Irrtümern unserer Zeit gehört die Idee, dass Meinungsfreiheit bedeutet, seine Meinung bis in den letzten und hintersten Winkel dieses Planeten zu verbreiten. Mal ganz abgesehen davon, dass manche Meinungen besser gar nicht vorgebracht werden sollten, bedeutet Meinungsfreiheit letztendlich nur, dass man seine Meinung sagen kann, ohne sanktioniert zu werden. Der Meinung steht es dann ganz gut, so wie die Kirche im Dorf zu bleiben, oder in der Community, im Viertel, in der Familie und nicht von aller Welt missverstanden zu werden. Meinungsforscher haben das leider nicht begriffen, denn sie verdienen viel Geld damit Meinungen zu verbreiten, die nicht dem Gemeinwohl zu Gute kommen. So ist und bleibt die Meinung dann die Schwester der Manipulation und wer eine Meinung sein eigen nennt, sollte sich davor fürchten.
Es dauerte dann doch ein paar Jahre, bis Hasy und Chillus 1998 wieder nach Nepal reisten und diesmal waren sie zu viert. Fasziniert von den Erzählungen über Nepal und dem Film, den sie in der HörBar gezeigt hatten, hatte ihr gemeinsamer Freund Stefan sich ihnen angeschlossen und einem der HörBar Abende, immer am letzten Freitag im Monat, stieß Michael Nordhorn, ein Musiker aus Chicago, noch dazu. Hasy, Chillus und Stefan waren als aktive Mitglieder der Hörbar, an der Organisation der Freitagsveranstaltungen, mit dem Titel „UNÜBERHÖRBAR“, beteiligt und so lernte Michael, der an einem dieser Freitage in der Hörbar auftrat, sie kennen. Als Michael, der schon viel in der Welt herum gekommen war mitbekam, dass sie vorhatten nach Nepal zu reisen, fragte er sie, ob er sich ihrer Gruppe anschließen könnte. Michael war sehr daran gelegen, nicht als Amerikaner, sondern als Deutscher in Nepal zu reisen, da er wusste und Hasy und Chillus konnten das nur bestätigen, dass die in Nepal nicht besonders beliebten Amerikaner, im allgemeinen das doppelte bis dreifache der üblichen Touristenpreise zahlen mussten und weil Michel ihnen sympathisch war, sagten sie ja. Da Michael von Chicago aus starten würde, wollten sie sich in Pokhara treffen und Hasy gab Michael noch den dringenden Rat, bloß nicht mit einem Lokal Bus von Kathmandu nach Pokhara zu fahren. Er erzählte ihm von all den rostigen Busleichen, die in den Abgründen an der Strecke von Kathmandu nach Pokhara liegen würden und wies ihn ihn darauf hin, dass gläubige Hindus und die Anzahl der Götterbilder an den Frontscheiben der Busse, sprach für die Gläubigkeit ihrer Chauffeure, lieber das Schicksal oder die Götter entscheiden lassen würden, als selbst aktiv einzugreifen und die Verantwortung zu übernehmen. Wenn so ein Bus auf der schmalen und Kurven reichen Strecke von Kathmandu nach Pokhara in Schwierigkeiten kam, steuerten lange nicht alle Fahrer aktiv den Berghang an, was meistens nur zu Blechschäden führte, denn dann hätten sie die Verantwortung für das Schicksal des Busses und natürlich auch für ihr eigenes und dass aller Mitreisenden übernommen, was letztendlich dazu führen konnte, dass sie für die Schäden am Bus haften mussten. Nun ist es das karmische Schicksal der meisten guten Ratschläge ignoriert zu werden und Michael setzte sich natürlich in einen Lokal Bus, um von Kathmandu nach Pokhara zu fahren. Der Bus wurde dann tatsächlich in einen Unfall verwickelt, aber Michael hatte Glück oder gutes Karma, der Fahrer des Busses wählte den Hang und es gab nur Blechschäden und ein paar leicht Verletzte. Der Unfall verzögerte allerdings seine Ankunft in Pokhara um einen Tag und sie verpassten sich erst mal, denn Handys waren damals noch nicht besonders weit verbreitet, geschweige denn Smartphones. Andererseits funktionierte der Buschfunk aber noch ganz wunderbar und am nächsten Tag fanden konnte sich Michael dann Hasy, Chillus und Stefan anschließen. Bei Thapas hatte sich wenig verändert, als erstes kauften einen großen Sack Reis. Guhdu war mit seinem Taxiunternehmen grandios gescheitert und saß schlecht gelaunt zu hause rum. Gowinda trank immer noch viel zu viel. Im Auftrag von Onkel Erich ließen sie sich die Zeugnisse der Kinder zeigen und besuchten die Schule, um sich direkt beim Schulleiter über die Fortschritte von Suman, Subash, Sunita, Sanju und Sagar zu erkundigen. Wie sich herausstellte schnitt Sagar, der Junge aus dem Dorf in den Bergen, in der Schule glänzend ab, aber mit dem Schulgeld gab es schon seit einiger Zeit Schwierigkeiten. Anscheinend zweckentfremdete Gowinda, der von Onkel Erich damit beauftragt worden war das Schulgeld für die Kinder zu verwalten, einen Teil davon. Als sie Onkel Erich davon in Kenntnis setzten, organisierte er sofort ein Telefonat nach Nepal, damals auch noch etwas komplizierter und machte Gowinda am Telefon total zur Schnecke. Nach ein paar schönen Tagen in Pokhara, beschlossen sie diesmal eine richtige Trekking Tour in die Berge zu machen und Gowinda sollte ihr Tourführer sein. Chillus hatte sich mittlerweile mit seiner Höhenangst auseinandergesetzt und gelernt, dass der Einsatz eines Wanderstocks sehr hilfreich sein konnte.
Schuld kann man nicht in Schuhe schieben.
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DEPPEN REAKTION.
Bei Lichte betrachtet und wahrscheinlich auch in flurozierender Dunkelheit, waren Vieren und Bakterien schon immer die wahren Herrscher unseres Heimatplaneten. Frank Schätzing spann diesen Gedanken bereits vor einigen Jahren, in seinem fast tausend seitigem Roman „Der Schwarm“ aus und lässt eine Jahrmillionen alte Intelligenzform, die aus einem gigantischen Bakterienverband auf dem Grund der Tiefsee besteht, die moderne Zivilisation in die Knie zwingen. Die Umweltverschmutzung, mittlerweile auch im Habitat der Tiefseeintelligenz angekommen, veranlasst diese zur Gegenwehr, indem sie die See und Luftfahrt lahm legt, was der Luft und Wasserqualität dann schnell zu Gute kommt. Aus Containerschiffen werden Containerdörfer und so geht es denn zurück zur Pferdestärke echter Pferde und zur Vernunft.
Die Besuchs und Besichtigungstour ging nahtlos weiter, denn Onkel Erich engagierte sich schon seit vielen Jahren in Pokhara und hatte sich mit etlichen Einheimischen befreundet, die er teilweise auch immer wieder unterstützte. Eines Abend besuchten sie eine Sängerin traditioneller Lieder, die Erich schon sehr lange kannte. Sie wurden festlich bewirtet und zu späterer Stunde gab Onkel Erichs alte Freundin auch eine Probe ihres Könnens zum besten. Nach dieser, für Hasy und Chillus etwas befremdlichen Demonstration des traditionellen Liedguts, die Onkel Erich zu Tränen rührte, machte die Künstlerin ihn auf den Fall eines taubstummen Zwillingspaares aufmerksam, die anscheinend schwer vernachlässigt wurden. Am nächsten Tag machte Onkel Erich sich dann, in Begleitung von Hasy und Chillus, auf die Suche nach den beiden Zwillingsmädchen, bis er sie in einem Stall eingesperrt fand, wo sie so gut wie unbetreut vor der Öffentlichkeit versteckt wurden, denn ihre Behinderung galt als Schande. Die Eltern der Mädchen waren bitterarm und hatten noch einige andere Kinder zu ernähren, weswegen sie sich nicht anders zu helfen gewusst hatten. Die Zwillinge waren ungefähr sechs Jahre alt, unterernährt, verdreckt und verlaust und lebten so ziemlich sich selbst überlassen in dem Stall. Hasy und Chillus waren schwer schockiert, aber Onkel Erich hatte schon allerhand in Nepal gesehen und sorgte dafür, dass die beiden Mädchen in ein Heim kamen, wo sie besser betreut wurden, natürlich zahlte er auch dafür. Im Laufe der Jahre hatte Onkel Erich eine kleine, private Unterstützergruppe aufgebaut, die hauptsächlich den Schulbesuch von Kindern in Nepal finanzierten. Er überzeugte Hasy und Chillus davon auch mit zumachen. Ein Cousin der Familie Thapa, der weit ab von Pokhara auf einem Dorf, tief in den Bergen lebte, hatte neun Töchter bekommen, bevor seine Frau als zehntes Kind endlich den lang ersehnten Sohn gebar. Die Familie war bitterarm, die Mädchen besaßen noch nicht mal ein eigenes Paar Schuhe und für einen Schulbesuch, der über das Rudimentärste hinausging, war das Dorf viel zu weit abgelegen. Nun sollte Sagar, der einzige Sohn, zu Familie Thapa nach Pokhara kommen und dort zur Schule gehen. Hasy und Chillus übernahmen einen Teil des Schulgeldes für Sagar. Mit Onkel Erich lernten sie Menschen und Teile von Pokhara kennen, die sie als gewöhnliche Touristen wahrscheinlich nicht zu sehen bekommen hätten und außerdem war Onkel Erich bestens über die politischen Verhältnisse in Nepal informiert. Der größte Teil des Volkes bestand aus bitterarmen Analphabeten, Nepal ist bis heute eines der ärmsten Länder der Welt, dafür gehört der König von Nepal zu den reichten Menschen der Welt. An der Universität konnte man damals nur nepalische Geschichte studieren, wer etwas anderes studieren wollte, musste mindestens bis nach Indien gehen. Nachdem Onkel Erich alle seine Freunde und Bekannten gesehen hatte, machten sie einen Ausflug in die nähere Umgebung von Pokhara und besuchten einen alten Freund von Kasiman, der Hanf anbaute. Der alte Bauer zeigte ihnen stolz sein Feld und dann lud er sie zu einem Chillum ein, das sie für mehrere Stunden außer Gefecht setzte, was den alten Herrn köstlich amüsierte. Nach fast zwei Wochen intensiver Überzeugungsarbeit und flehentlichen Bitten, willigte Onkel Erich ein, Guhdu ein Taxi zu finanzieren, mit dem er in eine glorreiche Zukunft als Taxiunternehmer starten konnte. Außerdem kaufte er noch einige Säcke Reis, damit die Familie Thapa bis zur nächsten Ernte genug zu Essen haben würde. Natürlich würde der Ertrag des Feldes wieder nicht bis zur nächsten Ernte reichen, dazu war die Familie einfach zu groß geworden, aber mit dem Gewinn aus Guhdus Taxiunternehmen sollte dann der fehlende Reis gekauft werden. Um das grundlegende Dilemma zu beheben, sprach Onkel Erich mit Kasiman über die Möglichkeit, noch ein Reisfeld dazu zu kaufen, denn so richtig vertraute er nicht auf Guhdus goldene Zukunft als Taxifahrer. Bevor sie wieder nach Deutschland zurück flogen, gab es noch ein Abschiedsessen bei Thapas, oben am Berghang mit Blick über Pokhara und den See und sie mussten etliche Male schwören, dass sie bald wieder nach Nepal kommen würden.
Lieber einen kühlen Kopf, als kalte Füße haben.
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