GEMÜSE BIBEL.
In den letzten Jahren kam es im Internet zu einem sonderbaren Verschwinden der Pronomen. Ganz besonders die Titelzeilen politischer Berichte waren davon betroffen und das unheimliche Pronomensterben setzt sich weiter fort. So macht die Verantwortung sich schon in der Überschrift der Artikle aus dem Staub, denn wenn es nur heißt müssen oder brauchen und nicht er muss oder braucht oder sie oder es oder ihr oder wir, wer ist dann eigentlich gemeint. Ein bisschen so wie die Diskussion um den Klimaschutz, wo grundsätzlich der anderen gemeint sind. Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun, mehr schon mit Meinungshoheit und Meinungsmanipulation. Wer nun keine Meinung hat, lässt sich eine verkaufen, aber wer schon eine Meinung hat, kauft sich gerne noch eine dazu, so wird Meinung gemacht.
Es ist noch gar nicht so lange her, da ging man auf den Rummel, oder Rummelpott laufen, aber im Schannzenviertel ist mittlerweile ein ganzjähriger Rummel installiert. So rumort es denn rund um die Uhr und einzig und allein die härteren Zumutungen des norddeutschen Schmuddelwetters, sind noch in der Lage den Umsatz fördernden Rummel zu stoppen. Am wirkungsvollsten in dieser Hinsicht sind scharfer Wind und eisiger Regen, nur dann sind die Straßen wirklich mal richtig leer gefegt. Kälte, Feuchtigkeit und Nebel allein, sind schon nicht mehr ausreichend und obwohl Heizplize langsam aussterben, sorgt doch eine Flut von Kiosken für die nötige innere Erwärmung der notorischen Partytouristen auf den Bürgersteigen. Insgesamt wirkt Regen sowieso am abschreckensten und manchmal wünsche ich mir, Rob MacKenna, der Regengott aus Douglas Adams fünfteiliger Romantriologie, „Per Anhalter durch die Galaxis“, würde das Viertel öfter mal mit seiner Gegenwart beehren. Rob MacKenna weiß nicht das er ein Regengott ist, aber der Regen ist immer mit ihm, weswegen er zweihunderundeinunddreißig verschiedene Typenbezeichnungen für Regen kennt und nach eigener Aussage, nur miese Tage. Ganz fantastisch ist auch die Eingangshandlung der fünfteiligen Triologie, die dazu führt, dass der Hauptprotagonist Arthur Dent, als blinder Passagier oder Anhalter, zusammen mit seinem Nachbarn Ford Prefect, einem auf der Erde feldforschendem Außerirdischen, durch die Galaxie reist. Die Erde wird von den Vogonen, einer ziemlich unangenehmen, aber technologisch weit fortgeschrittenen außerirdischen Zivilisation gesprengt, um Platz zu machen, für eine galaktische Hyperraum Expressroute. Da niemand, in der dafür vorgesehenen Frist, Einspruch gegen das Vorhaben erhoben hat, denn das Projekt drang leider nicht bis zu den Erdbewohnern vor, wird es umstandslos durchgezogen. So ergeht es den Erdbewohnern denn ähnlich, wie all den wilden und freien Tieren, deren Lebensraum wir vernichten, um Produktionsanlagen, Verkaufsflächen, Straßen ohne Ende und Wohnraum zu bauen und sie haben noch nicht mal die Möglichkeit Einspruch dagegen einzulegen. Lange vor der Jahrtausendwende, veranstaltete „Das Institut“ in Altona lange Nächte, während derer von es acht Uhr Abends bis vier Uhr Morgens, ausschließlich Folgen von „Per Anhalter durch die Galaxis“, das als Serie verfilmt worden war, zu sehen gab. Die Bildqualität war sehr schlecht, die Luft ebenso und die kreisenden Tüten unzählig. Manchmal schlief ich dabei ein. Das Ambiente in den niedrigen und verschachtelten Räumlichkeiten des Institut war schwer psychedelisch, die Luft mit dem Rauch ständig brennender Räucherstäbchen geschwängert und die Musik ziemlich exzentrisch. Das Institut galt als Geheimtipp und das blieb es wegen seiner anspruchsvollen musikalischen Ausrichtung auch. Da ich beim Lesen der Bücher besser wach blieb, als in der betäubenden Atmosphäre des Instituts, lieh ich mir bei Ivo weitere von Werke Douglas Adams aus. Der verrückte Humor der Bücher, die bizarren Welten, deren Bewohner nur all zu oft von völlig menschlichen und wenig edlen Gefühlen angetrieben wurden, gefielen mir gut. In Ivos Salon diskutierten wir zu später Stunde über „Der lange, dunkle Fünfuhrtee der Seele“ und „Der elektrische Mönch“, über William S. Burroghs, der das Vorwort von „Die Städte der roten Nacht“ mit den Worten „Nichts ist Wahr, alles ist erlaubt“, enden lässt, was mich zu einem Text inspirierte, den ich eben diesen Titel gab. Wenn ich dann im Morgengrauen nach Hause ging, war es still, die Geister ganz nahe, die Straßen des Viertels Menschen und Fahrzeug leer, die Fahrbahn gehörte den gefiederten Bewohnern der Stadt und manchmal begegneten mir sehr phantastische Gestalten.
Lieber grün hinter den Ohren, als grün im Gesicht sein.
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TEUER MELDER.
Seid omserreimen, auf diesem, unserem Heimatplaneten, bis in die abgelegensten und abwegigsten Winkel vorgedrungen ist und seine neugierige Nase trüberlall hinein gesteckt hat, finden die fiesesten Vieren ihren Weg in die große weite Welt hinaus. Bleibe im Lande und nähre dich redlich, dann bleibt auch das oder der Virus zu Haus, denn zu hause ist es bekanntlich ja immer noch am schönsten. Dunerweise wird freudschmutage gerne viral gegangen, aber wenn die Urheber dieser Bezeichnung das tun, ist es meistens zu spät, denn am Anfang war wahrscheinlich nicht das oder der Virus, doch die Vieren waren lange vor uns da. Wir leben in einer Welt der Vieren und wenn wir nicht lernen, mit den Vieren zu kommunizieren und zu kooperieren, sehen wir ganz schnell ganz alt aus.
Im vergangenen Jahr wurde am Schulterblatt, auf dem Stück zwischen der Altonaer Straße und der Amandastraße ein riesiger Bürokomplex abgerissen. Das schnell hochgezogene Nachkriegsbebäude, zeichnete sich wirklich nicht durch einen besonders schönen Anblick aus und die gewaltige Fläche kann ganz bestimmt Gewinn bringender und hoffentlich auch ästhetisch ansprechender, bebaut werden. Durch das Verschwinden des mächtigen Gebäudes, taten sich völlig neue Ansichten auf, besonders auf den anliegenden Baumbestand, der vorher so nicht zu sehen war. Die Brache war umgeben von hohen Bäumen und ein paar Schritte weiter, an der Ecke Eimsbüttler Chaussee, der Verlängerung des Schulterblatts, Bellealliancestraße, war ebenfalls ein maroder Häuserkomplex dem Erdboden gleich gemacht worden. Auch an dieser Stelle zeigte sich nun ein hoch gewachsener Baumbestand, der die gesamte Fläche einfasste. Da erst mal nichts geschah, bildeten sich zu Beginn des Herbst größere Pfützen auf dem schlammigen Gelände, in denen sich der Himmel und die Bäume spiegelten. Wenn in der Abenddämmerung, die Sonne hinter der herbstlich verfärbten Baumreihe, am westlichen Rand der Freifläche unterging und die Umrisse der Krähen sich scharf gegen den rötlichen Himmel abzeichneten, konnte man die Hektik des überfüllten Vergnügungsviertels im Hintergrund fast vergessen. Hinter der Ecke Schulterblatt / Amandastraße vollzieht sich obendrein eine ganz erstaunliche Transformation des Straßenbildes. Wie von Zauberhand weggewischt ist das Publikum, nirgendwo wird gecornert, auf dem an beiden Seiten der Straße ziemlich breiten Bürgersteig, kommen nur sporadisch ein paar Passanten vorbei. Es gibt keine Kneipen, keine Kioske, keinen Saft oder Suppenbars, keine Eisdielen, keine portugiesischen Cafes mit Vanillegebäck, keine Restaurants, nur einen Lieferservice für Pizzen, mit angegliedertem Imbiss für den Verkauf vor Ort. Sobald die Sonne untergegangen ist, wird es ziemlich dunkel, denn die meisten Geschäfte beleuchten nicht mal ihre Auslagen. Am anderen Ende der Bellealliancestraße liegt die Weidenallee und wer nicht Pizza am Resopaltisch eines Imbiss speisen will, biegt in die Bellealliancestraße ein. Schon in der, von den Anwohnern so genannten Belle, mit ihren schönen Altbauten, ändert sich das Straßenbild komplett. An den schmalen, Baum bestandenen Straßen laden im Sommer ein paar kleine Restaurants zum draußen sitzen ein, glücklicherweise bisher von den Touristenströmen des Schulterblatt verschont. Am frühen Abend sieht man die Einheimischen nach hause kommen, Parkplätze suchen und manchmal sogar bei einem entspannten Plausch vor der Haustür. An der Ecke Weidenallee / Fruchtallee / Schäferkampsallee, ist die Großstadt dann sehr präsent und auch noch auf den ersten Metern der Weidenallee, die bis vor ein paar Jahren eher schmuddelig, schnell befahren und laut war. Mittlerweile ist die Fahrspur, bis auf den Anschlussbreich zur Kreuzung, verengt worden, die Bürgersteige wurden breiter, ein paar Altbauten bunt gestrichen und die Baulücken mit Häusern gefüllt, deren Balkone geradezu luxuriös groß sind. Parallel dazu eröffneten portugiesische Cafes, eine Eisdiele und Restaurants deren Küchen und Preise etwas anspruchsvoller sind. Der alteingesessene Italiener hübschte sein Ambiente auf und in die Räumlichkeiten des Schachcafes, einer der letzten Bastionen des gepflegten, aber erschwinglichen Abhängens, zog der Witwenball, ein Restaurant mit einer kleinen Speisekarte und teuren Weinen. Zur italienischen Weinhandlung gesellte sich ein Geschäft für Craft Beer und dazwischen bieten etliche kleine Läden gehobenen Krims Krams und ausgewählte Bekleidungsstücke an. So spekuliert die Weidenallee auf die Gäste des Hotels im Wasserturm und bietet sich als gepflegte Alternative zum Rummel des Schanzenviertels an.
Auch mit halben Sachen kann man ganz bei sich sein.
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PUTZ FINKEN.
Greta sei Zank, ist die Klimaveränderung nun ja zumindest mal in den Painstream gerückt. Selbst omsere heilige Pfau Murksel, kam nicht umhin, fieses geldomspannende Thema anzusprechen, denn ohne Klima geht es nicht. Nun macht das Klima keine Kompromisse und verhandeln tut es auch nicht. Es ist so wie es ist und es verändert sich so wie es kommt. Nicht unter den Tisch zu kehren ist lallerdings die Schuldfrage und Schuld haben die, die am meisten besitzen und das sind omserer Tage zweiundsechzig Personen, die genauso viel besitzen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Man muss kein Außerirdischer sein, wie in den Büchern von Doris Lessings Science Fiktion Zyklus „Canopus in Argos“, um zu begreifen, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann.
Im nächsten Frühjahr startete der Wildwuchs unserer Hinterhofseite erste, zarte Übergriffe auf den Rand der Betonplattenwüste vorm Nachbarhaus gegenüber. Im ersten Stock zogen neue Mieter ein, ein Paar mit zwei kleinen Kindern, von denen eins gerade erst ein paar Wochen alt war. Der Vater erwies sich als äußerst umtriebig, in seiner Freizeit handwerkerte er, sehr zum Missfallen aller anderen Mieter, in den an den Hinterhof angrenzenden Häuser, mit diversen ziemlich lauten Maschinen auf dem Balkon herum und zu allem Überfluss trug er sein brüllendes Baby gerne auf den Balkon, damit die Mutter nicht gestört wurde. Als er die passenden Kommentare erntete, unterließ er wenigstens die Auslagerung des schreienden Säuglings, aber seinen Handwerkertrieb lebte er weiter fröhlich auf dem Balkon aus, am allerliebsten am frühen Vormittag des Wochenendes, denn er stand ja sowieso früh auf. Als nächstes entdeckte er Urban Gardening für sich. Durch ein Fenster im Hausflur drang er in den Hinterhof ein und stellte dort einen Tisch auf. Den Tisch bestückte er mit zwei Kisten, in denen allerhand essbares Grünzeug sprießte und um die Gemüseplantage zu vervollständigen, stellte er einen Topf mit Tomatensprösslingen daneben. Ungefähr einen Monat lang sah er regelmäßig, manchmal unterstützt von seinen zweiten Kind, nach dem Rechten. Dann fuhr die Kleinfamilie in einen halbjährigen Urlaub, vermutlich die Babypause und die Gemüsepflanzen im Hinterhof blieben ihrem Schicksal überlassen. Den Tomaten bekam das nicht so gut, der Tisch steht immer noch im Hinterhof und die beiden Kisten darauf sind zumindest begrünt. Zwischen den Fugen der Gehwegplatten brechen mittlerweile die ersten wilden Pflanzen durch, das herab gefallene Laub der Birke, hat sich an strategisch günstigen Stellen gesammelt, modert dort ungestört vor sich hin und bildet Humus für neue, wilde Pflanzen. Der Efeu ist übergriffig wie immer und wächst langsam aber sicher über die Betonplatten. Solange die Siele nicht verstopfen, was unweigerlich die Orks auf den Plan rufen würde, stehen die Chancen gut, dass die Ödnis in ein paar Jahren wieder begrünt ist, vielleicht wachsen dann sogar ein paar wilde Karotten und Kartoffeln, Petersilie und Schnittlauch dazwischen. Als ich vor über vierzig Jahren ins Viertel zog, gab es noch etliche Baulücken und Brachen, die als wilde Grünflächen vor sich hin träumten. Große Bäume wuchsen dort, viel duftender Flieder, Brennnesseln, Brombeeren, Löwenzahn, Gräser und mannshohe Disteln. Kleine ökologische Nischen mitten in der Stadt, nicht nur für wilde Pflanzen, sondern auch für wilde Tiere und Insekten. Die Baulücken sind mittlerweile geschlossen, was zu niedrig war wurde abgerissen, die Dachhöhen der meisten Häuser auf Linie gebracht und die wunderbar abwechslungsreichen Himmelspanoramen dahinter gibt es nicht mehr. Mittlerweile macht die Wohnraumverdichtung nicht mal mehr vor größeren Hinterhöfen halt, in der Bartelsstraße tobt eine wütende Auseinandersetzung um solch ein grünes Kleinod und die Orks haben dort schon gewütet. Jeder Baum den wir fällen, produziert keinen Sauerstoff mehr für uns und die Luft in der Stadt ist schon lange schlecht genug. Jede Grünfläche die versiegelt wird, nimmt kein Wasser mehr auf und die Niederschläge nehmen von Jahr zu Jahr zwar nicht unbedingt in ihrer Gesamtheit, aber doch in ihrer Heftigkeit immer mehr zu. Mit dem Recht auf Stadt hat das alles nichts zu tun, mehr schon mit dem Recht auf Profit, denn die Mieten fallen nicht, sondern steigen, Sinnvoll wäre es, anstatt die begehrten Wohnlagen immer mehr zu einer urbanen Ödnis zu verdichten, mehr attraktive Wohnlagen in bisher unattraktiven Stadtteilen zu schaffen und die Mieten in den überlasteten Vierteln drastisch zu begrenzen. Auch wenn die grünen Hinterhöfe von St. Pauli, des Schanzen und des Karolinenviertels nicht so gepflegt sind, wie die stattlichen Gärten der Elbvororte, oder anderer wohlhabender Viertel, so haben sie doch das Recht auf genauso viel Schutz und Wertschätzung, ganz zu schweigen von der tragischen Vernichtung der Kleingartenkolonien in Lokstedt und anderen Stadtvierteln.
Schuld kann man sein, aber nicht haben.
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GELDALL.
Parallel zur Klimakrise, entwickelt sich eine ganz beachtliche Klageflut aller möglichen Interessengruppen, wahrscheinlich auch ein Ausdruck der Krise und wer sich immer noch nicht benachteiligt fühlt, hat selber schuld, oder den Anschluss verpasst. So geht das Problem, dass uns alle betrifft, schmunehmend unter, in einer Flut von Randproblemen und wie die Chaostheorie besagt, beginnt der Zusammenbruch des überforderten Systems an den ausfransenden Rändern. Besser wäre sicherlich ein Hut mit Ecken, aber vielleicht ganz gut, wenn wir endlich begreifen würden, dass das Klima keine Person ist und auch keine Interessengruppe, man kann es nicht bestechen und auch nicht kaufen und zum leben brauchen wir es nun mal. Das Klima kann man weder leugnen noch kritisieren, das Klima ist ein Zustand, den wir schützen und erhalten müssen, denn es schützt uns.
In den folgenden Tagen blieb es ruhig und die Ratten genossen ihren neuen Abenteuerspielplatz, auf dessen hellem Sand man sie ganz besonders gut erkennen konnte. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass vor Ablauf des Jahres noch irgendetwas im Hinterhof geschehen würde, aber dann fielen die Orks eines Morgens laut grölend wieder in den Hinterhof ein. Zuerst beschäftigten sie sich damit die Sandhaufen platt zu machen, was ein paar Tage in Anspruch nahm. Ihre Schweiß treibende Tätigkeit erforderte regelmäßige und ausgedehnte Pausen, während derer sie die Anwohner großzügig an ihren persönlichen Belangen teilhaben ließen. So erfuhren wir denn, das einer der jüngeren Orks von seiner Freundin vor die Tür gesetzt worden war, weil sie ihn der Untreue verdächtigte, er gern über den Durst trank und sich obendrein nicht angemessen an der Hausarbeit beteiligt hatte. Die beiden wollten eigentlich heiraten, waren gerade erst zusammen gezogen und hatten in einen gemeinsamen Hausstand investiert. Er war am Boden zerstört. Des Mitleids, aber auch der mehr oder minder guten Ratschläge seiner Kollegen, konnte er sicher sein und ein Schlafplatz für die nächsten Tage wurde ihm auch angeboten. Das Beziehungsdrama ließ uns an äußerst kontroversen Ansichten über Frauen und insbesondere Frauen in Beziehungen teilhaben. Die Meinungen reichten von „Schiess die Alte in den Wind“, bis zu ernsthaften Ermahnungen weniger zu trinken und auf die Belange der Frau einzugehen. Als der Sand halbwegs regelmäßig über den Verwüstungen der Sielerneuerung verteilt war, erschien ein Anzugträger im Hinterhof und inspizierte den Stand der Arbeiten. Ganz offensichtlich war er nicht zufrieden mit dem was er sah, denn während er im Hinterhof herum stapfte und sich die Schuhe dreckig machte, gestikulierte er Raum greifend und wurde ebenfalls lauter. Die Orks waren nicht begeistert, was sie mit ein paar deutlichen Bemerkungen und Gesten äußerten, nachdem der Anzugträger wieder abgezogen war. Dann machten sie erst mal eine ausgiebige Rauchpause und schoben am späten Nachmittag noch ein bisschen Sand hin und her. Am nächsten Morgen bemühten sie sich, den Sand möglichst plan auf der Baustelle zu verteilen und dann begann die Schwerarbeit. Stück für Stück trugen sie die Stapel mit den Gehwegplatten ab und verlegten sie, Platte an Platte, über dem Sand und über die Siele. Bis auf einen besonders kräftigen Ork, trugen sie die Platten grundsätzlich zu zweit, was bestimmt Rücken freundlicher war. Sie stöhnten jetzt mehr, als dass sie grölten und am lautesten stöhnte der, der die Gehwegplatten alleine trug. Er war extrem stämmig und seine Hebetechnik beängstigend Rücken feindlich, wie aus dem Lehrbuch für Bandscheibenvorfall. So ging das mehrere Tage. Als sie den größten Teil der Sandfläche abgedeckt hatten, begann die Feinarbeit in den Ecken und an den Rändern zur ursprünglichen Pflasterung des Hinterhofes, die aus sehr kleinen, dunklen Steinen bestand und es wurde wieder richtig laut. Die großen, quadratischen Platten mussten entsprechend zurecht gestutzt werden und das geschah unter so höllischem Lärm, das selbst die letzten Tauben flüchteten, nur oben auf dem Dach kreischte eine empörte Elster. Wie ein Fremdkörper lag die Fläche mit den großen, grauen Gehwegplatten auf dem Hinterhof und an der Grenze zum ursprünglichen Pflaster blieb ein kleiner Streifen frei, denn es war so gut wie unmöglich, die großen Platten wirklich passgerecht zu zerkleinern. Aber damit war es nicht vorbei, die Siele lagen immer noch unter den Gehwegplatten. Mit einer finalen Lärmorgie hämmerten sie die Siele wieder frei, setzten Deckel drauf und pflasterten ihre Ränder mit den original Steinen des Hinterhofes. Ein paar Tage später ging ein heftiger Platzregen runter und kündigte den Herbst an. Das Wasser lief problemlos ab und die Ratten kamen nicht wieder.
Wo Macht ist, ist auch Machtmissbrauch.
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SCHMÄHBEHINDERT.
Seit das mit den blühenden Landschaften nicht so richtig geklappt hat, verdorrte auch die Landschaft der Parteien. Blühen tut es nur noch an den Rändern und da reibt es ziemlich merkwürdige Blüten. Die neuen Vorsitzenden der Mitte versprühen furz die Bank, noch nicht mal den Charme gelangweilter Sachbearbeiter und das strahlen sie dann auch aus. Weit verbreitet auch der Irrtum, dass Sachbearbeiter sachlich sind, denn wo es um die Sache geht, ist der Kuchen meistens schon verteilt und die Wurst ist vegan geworden. Darum sollte, wer kein Fleisch will, auch kein Fleisch imitieren und wer kein Plastik essen will, lässt die letzten verbleibenden Fische besser im Meer. Unaufhaltsam kommt der Müll den wir erzeugen, wieder zu uns und in uns zurück, da hilft auch kein Pfandsystem und in eine Mülltonne sollte man sowieso nicht treten.
Manchmal trägt der Wind sogar das Tuten der großen Schiffshörner vom Hafen, bis hoch in die Schanze und lässt riesige Walfische durch das niemals wirklich dunkle Meer des städtischen Nachthimmels treiben. Im Hinterhof polterte es an den Mülltönen des griechischen Imbiss im Haus nebenan, unten im Cafe räumten sie auf und durch die Fenster der hell erleuchteten Backstube und des Cafes, fiel Licht in den Hinterhof. Eigentlich hatte ich nur nach Godies dreifarbiger Katze Ausschau gehalten, die manchmal auf nächtliche Streifzüge geht, als ich den dunklen Schatten sah, der sich bewegte. Zuerst hielt ich es für eine Einbildung, aber dann sah ich wieder einen Schatten der sich bewegte und dann noch einen und obwohl die Schatten mindestens Katzen groß waren, war das definitiv nicht Godies gefleckte Glückskatze, die sich da unten bewegte. Immer auf der Grenzlinie zwischen dem dichten Bewuchs unserer Seite des Hinterhofes und der kahlen Wüstenei des Nachbarhauses, huschten die Schatten hin und her. Mittlerweile war ich neugierig geworden und behielt den Hinterhof im Auge und dann flitzte der erste Schatten rüber zu einem der großen Löcher um die Siele und ich konnte die Ratte im Lichtschein des Cafes deutlich erkennen. Blitzschnell verschwand sie in dem das Siel umgebenden Krater und eh ich mich versah, folgte die nächste und dann noch eine. Drei Stockwerke über dem Hinterhof fühlt man sich ja erst mal ziemlich sicher, aber Ratten können ziemlich gut klettern, in den Hinterhöfen von Thessaloniki hatte ich gesehen, wie wirklich fette Ratten an steilen Hauswänden hoch kletterten. Die offen gebliebene Kanalisation in unserem Hinterhof, hatte diesen Bewohnern der unterirdischen Stadt eine schöne, neue Tür in ergiebige Jagdgründe geöffnet und wahrscheinlich waren es auch nicht die Griechen vom Imbiss gewesen, die an den Mülltonnen gepoltert hatten. Das Wetter blieb angenehm, am folgenden Abend grillten wir wieder auf dem Balkon und diesmal sah Hasy die Ratten ebenfalls. Sie waren recht aktiv und manchmal sah es fast so aus, als würden sie spielen. In den nächsten Tagen spähte ich tagsüber immer mal wieder in den Hinterhof runter und tatsächlich waren die Ratten tagsüber aktiv. Sie huschten aus den beiden Kraterlöchern rüber in das grüne Dickicht unserer Hinterhofseite und wurden wieder unsichtbar. Den Mädchen vom Kuchentresen waren die tagaktiven Ratten, in ihren Rauchpausen mittlerweile auch aufgefallen und vier Wochen später, gut Ding will ja schließlich Weile haben, inspizierten zwei Männer vom Ordnungsamt den Hinterhof. Nach ein paar Tagen kamen sie wieder und bauten nahe bei den Sielkratern zwei offene Kästen im Hinterhof auf. Mir graute vor dem was geschehen könnte, denn obwohl mir klar war, dass die Ratten im Hinterhof völlig fehl am Platz waren, so ist es doch auch ihre Stadt, die wir ihnen gebaut haben und die wunderbare Tür in das Schlaraffenland eines geschlossenen Hinterhofes mit anliegender Gastronomie, hatten sie sich auch nicht selber geöffnet, sondern der Geiz und die Fahrlässigkeit einer Hausverwaltung. Aber nichts passierte. Im Haus gingen die Meinungen von blankem Entsetzten bis zu, die sind sowieso immer da. Die Kästen standen bestimmt einen Monat im Hinterhof, die Ratten schnüffelten manchmal daran, huschten ins Gebüsch und vom Gebüsch wieder in die Krater, aber sonst passierte nichts. Irgendwann wurden die Kästen wieder abgeholt. Sommerliche Platzregen setzten die Krater immer wieder unter Wasser, aber Ratten können schwimmen und wenn die Krater trocken fielen, waren die Ratten wieder da. Gegen Ende des Sommer erschien dann ein ganzer Trupp Orks im Hinterhof. Tage lang schleppten sie Säcke mit Sand und große, quadratische Gehwegplatten durch den Keller, legten stattliche Sandhaufen an und türmten die Gehwegplatten zu hohen Stapeln auf.
Lieber aufgabeln, als auslöffeln.
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CHINA NEUTRALITÄT.
Mit großem Gepränge nahm meine geliebte Reimartstadt heute Abschied von einem Schauspieler, der wie kaum ein anderer, für Heimatverbundenheit stand. Im Zeitalter der Globalisierung, der nomadischen Arbeitsverhältnisse, der vielgepriesenen Internationalität, sprach er völlig ungeniert den Dialekt seiner Heimatstadt, verkörperte bodenständige Banausen mit Herz und Hirn und wurde dafür im ganzen Land geliebt. Nicht ohne Grund ist der Baum des Lebens ein zentrales Motiv der nordischen Mythologie, denn mit den wilden Gänsen kann man zwar auf die Reise gehen, aber da wo man lebt, da pflanzt man einen Baum und schlägt Wurzeln. Heute hier, morgen da, Oh Zigeunerjunge, Wind in den Haaren und in jedem Hafen eine große Liebe, aber Flughäfen pflegt man nun mal nicht, pflegen tut man seinen Garten und der fliegt nicht mit.
So wie die Raben und Krähenvögel unser Stadtbiotop von oben betrachten, betrachten andere es von unten. Im Frühjahr vor zwei Jahren, entstand mit einmal heftige Unruhe in der friedlichen Abgeschiedenheit unseres Hinterhofes. Der Hinterhof ist von der Straße aus nicht betretbar, er liegt ein Stockwerk tiefer als das Straßenniveau und ist nur durch die Kellerausgänge der angrenzenden Läden erreichbar. Der Bebauungsplan weist ihn als wilde Grünfläche aus und so sieht er auch aus, dominiert von einer mittlerweile Haus hohen Birke, mit Efeu und diversen wilden Pflanzen überwuchert, bietet er etlichen Vögeln und anderen Kleintieren einen geschützten Lebensraum. Seit mehreren Jahren modert eine Schaumgummimatratze auf dem Areal des gegenüberliegenden Nachbarhauses vor sich hin, die wahrscheinlich in einem unbeobachteten Moment durchs Fenster entsorgt wurde und ein paar ausrangierte und dann schnell vergessene Haushaltsgeräte, sind auch schon vom Efeu überwuchert worden. In diese Idylle ergoss sich eines Vormittags, durch die Kellertür der Nachbarhauses gegenüber, ein mit Schaufeln und Spitzhacken bewaffneter Trupp Orks. Sie gaben sich redlich Mühe richtig laut zu sein, inspizierten den Hinterhof gründlich und stellten fest, dass der gesamte Innenhof, unter dem Efeu und den wilden Pflanzen, mit kleinen, viereckigen Steinen gepflastert war. Die nächsten Tage verbrachten sie damit, unter heftigen Geschimpfe der gefiederten Anwohner, die grüne Haut des Hinterhofes weg zu reißen, wobei sie sich glücklicherweise auf das Areal des Nachbarhauses beschränkten, dass Pflaster zwischen den Sielen und der Kellertür aufzureißen, zwei veritable Löcher um die beiden Siele zu graben und einen Kanal auszuheben, der bis in den Keller des Nachbarhauses reichte, anscheinend sollte die Kanalisation des Hauses gegenüber saniert werden. Unter Ächzen und Stöhnen schafften sie, auf verschlungenen Wegen durch den Keller, allerhand Materialien in den Hinterhof, die sie dort vergruben. Für die Nachbarn wurde es richtig unangenehm, als sie das Haus ganz und gar von der Kanalisation abklemmten und ihnen ein Chemoklo auf den Bürgersteig vor der Haustür in der Schanzenstraße stellten. Nach ein paar Wochen war der Spuk vorbei, dass Chemoklo wurde abtransportiert und im Hinterhof kehrte wieder Ruhe ein. Die einst grüne Nachbarhälfte des Hofes hatte sich in eine Mondlandschaft verwandelt, in einer Ecke an der alten Grenzmauer zwischen Hamburg und Altona, war ein stattlicher Haufen kleiner, viereckiger Steine aufgetürmt worden und auch sonst war einiges an undefinierbarem Material zurück geblieben, die alte Schaumgummimatratze hatte sowieso niemand angerührt. Die Rohre waren neu verlegt und die Kanalisationsgräben mit Sand zugeschüttet, aber die tiefen Löcher um die neuen Siele waren offen geblieben. Wie meistens im Hamburger Frühjahr regnete es, heftig oder weniger heftig, aber immer wieder. Um die Siele bildeten sich kleine Teiche, die sich oft Tage lang hielten und mit jeden größeren Guss, wurden auch die Teiche größer und ihre Ränder fingen an sich zu begrünen. Mal ganz abgesehen vom Mückenproblem, gefiel mir der Gedanke eines Teiches im Hinterhof ganz gut. Als es wärmer wurde, fielen die Teiche öfter trocken, aber insgesamt blieb es in ihrem näheren Umfeld grün. In der Birke hüpften Vögel, wild kreischend verteidigten die Amseln ihren Nachwuchs gegen räuberische Elstern, unten beim Cafe rauchten die Mädchen vom Kuchentresen im Hinterhof und lachten laut dabei, die Dämmerung war richtig lang geworden und wir nahmen den Grill auf dem Balkon wieder in Betrieb. Mit Blick in die Krone der Birke, lässt sich wunderbar träumen, vorm Rauschen des Verkehrs rauschen ihre Blätter im Wind und so rauscht das Stadtmeer ganz meditativ im Hinterhof.
Auch halbe Hühner brauchen mehr als die Hälfte des Himmels.
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FEST BEULE.
Angesichts der australischen Apokalypse, in deren Feuern schon weit über eine Milliarde unschuldige Tiere verbrannt sind, stellt sich immer dringender die Frage, Verzichten oder Vernichten. Insbesondere die Bewohner der frohgenannten ersten Welt, Verursacher der größten ökologischen Fußabdrücke dieses Planeten, müssen sich fragen was zu tun ist. Entweder wir verzichten und zwar gründlich, oder aber wir werden radikal weniger. Der genetische Egoismus gigantischer Umweltzerstörer, mündet in einer pervertierten Fertilitätsmedizin, die Kinder um jeden Preis, selbst in den Bäuchen dafür gekaufter Mütter, produziert. Was eigentlich berechtigt viel fliegende, viel zu reiche Menschen dazu, sich auf Teufel komm raus zu vermehren und der Teufel kommt raus, bis er in seinen selbstverursachten Feuern verbrennt.
Bei all diesen Geisterbeschwörungen und Geisteraustreibungen wurde ich ganz furchtbar müde und legte mich auf die Leder gepolsterte Bank. Dann rüttelte Kit an mir herum und ich wollte das gar nicht, aber Kit hörte nicht auf zu rütteln, denn ich sollte von der Bank aufstehen, weil Kit aufräumen wollte, was ich kategorisch verweigerte, denn ich wollte einfach nur weiter schlafen. Irgendwann kam Hasy, zog mich hoch und zog mir die dicke Lammfelljacke an. Dann hackten Hasy und Stefan mich unter und brachten mich raus. In Kits Vorgarten wurde mir ganz furchtbar übel und ich erbrach mich in das Beet hinter der Terrasse und kotzte das ganze Silvestermenü wieder aus. Danach schleppten Stefan und Hasy mich nach hause. Als ich am nächsten Tag aufwachte ging es mit erstaunlich gut, mit dem Silvestermenü war anscheinend auch die Erkältung in Kits Beet gelandet, ausgetrieben wie die Geister der Silvesternacht. Gegen Mittag erschien völlig fertig Hasy und ich erfuhr, dass Kit und die ganze Tischgesellschaft, angeführt und animiert von Johnny, sich nach meinem Zusammenbruch in die Astrastube aufgemacht hatte, um angemessen weiter zu feiern. Johnny hatte sich aber nicht nur mit der Böllerkiste, die nur halb leer geworden war, ausgerüstet, sondern auch mit ein paar psychedelischen Pillen, die er großzügig verteilte. In der Astrastube hatte Stefan, der dort mehrmals in der Woche hinterm Tresen stand, sich ungefragt hinter den Tresen gestellt und großzügig ausgeschenkt. Noch während Hasy den Verlauf der Nacht rekonstruierte, klingelte das Telefon und Dörte überfiel mich mit einem etwas wirrem Redeschwall, dem ich entnehmen konnte, dass Hasy wirklich nur auf ihrem Sofa übernachtet hätte. Später erfuhr ich von Hasy, dass er nicht nur auf Dörtes strahlend weißem Sofa übernachtet hatte, sondern sich auch auf ihren strahlend weißen Teppich erbrochen hatte. Jörn, der noch bis zum frühen Nachmittag des ersten Januar weiter feierte, in der Astrastube waren die Alkoholvorräte mittlerweile zur Neige gegangen, konnte sich, nachdem er am zweiten Januar aus einem langen Schlaf erwachte, nicht mehr mal daran erinnern, dass er eine von Johnnys psychedelischen Pillen genommen hatte. Am frühen Abend ging ich rüber zu Kit, entschuldigte mich für das Malheur in ihrem Beet und bezahlte die Rechnung. Es war kalt und diesig, vereinzelt knallte es immer noch und auf den feuchten Straßen und Bürgersteigen häuften sich die verklumpten oder breit getretenen Reste der Böller und Raketen. Das touristisch noch unerschlossene Viertel, wurde von der Straßenreinigung nicht gerade bevorzugt behandelt und die Reste des Silvesterfeuerwerks blieben oft Tage lang liegen. Was an Essbarem dazwischen gelandet war, war jedoch von großen Heer der Stadtgeier, den Möwen, Tauben und schwarz gefiederten Krähen und Rabenvögeln bereits beseitigt worden. Im Gegensatz zu Tauben, die unter optimalen Bedingungen zwar zehn Jahre alt werden können, in Freiheit auf den Straßen der Stadt aber meistens nur ein Alter von drei Jahren erreichen, können Möwen, als auch Raben und Krähenvögel in der Stadtwildnis an die dreißig Jahre alt werden. Im Wohlerspark, im Schanzenpark, auf kleineren und größeren Grünflächen, überall wo zum Horstbau geeignete Bäume stehen, leben die monogamen, schwarzen Vögel in unterschiedlich großen Kolonien. Ihr Tisch ist reich gedeckt, damals wie heute, ihre rauen Stimmen unüberhörbar und ihre Intelligenz ist mittlerweile bekannt. Worin wir uns bewegen, dass sehen sie von oben und von oben sieht man mehr. Im dunklen Gespinst der winterlich unbelaubten Bäume, sind die Trauben ihrer Nester deutlich sichtbar und ihre schwarzen Silhouetten zeichnen sich vorm grauen Himmel ab. Wie in einem Gemälde von Caspar David Friedrich und ich frage mich immer wieder, wie ist ihr Blick auf die Welt.
Auf der Sonnenseite braucht man Schatten.
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FLASCHEN RECHNER.
Bei genauerem Spinnsehen, ist die Klimakatastrophe keineswegs nur ein Phänomen der Wetterlage, des CO2 Ausstoßes und der grenzenlosen Mobilität, sondern betrifft die globale Gemütslage mindestens genauso. Mit den öffentlichen und notorischen Lügen omserer mächtigsten Poly Trickster, verabschiedete sich die Glaubwürdigkeit aus dem gesellschaftlichen Diskurs und wich der plakativen Plumpheit grotesker Zerrbilder. Wir vergiften nicht nur, wir sind auch vergiftet und heilen können wir uns sowieso nur selbst. Lang vergangen die Zeiten selbsternannter Heilsbringer oder Götter gesandter Lichtgestalten, die uns Erlösung schenken. Wir haben sie alle vergessen, verbrannt oder bis zur Unkenntlichkeit entseelt und entstellt. Selbst Greta wird es nicht richten, wenn wir uns nicht endlich selber neu ausrichten, bleibt nur Hilfe zur Selbsthilfe, oder ein guter Wein.
Im Lokal ging es mittlerweile drunter und drüber, am Tisch gegenüber waren sie schon lange fertig und warteten nach der obligatorischen Rauchpause auf die Nachspeise. Das gesamte Restaurant war im Laufe des Abends komplett verqualmt worden, was den Liebhabern und Liebhaberinnen extravaganterer Rauchgenüsse sehr entgegen kam. Ein Rauchverbot in Speiselokalen gab es damals noch nicht und die Knallkörperorgie vor der Schilleroper und rund um den Pferdemarkt, führte dazu, dass es ziemlich unmöglich war, die Türen und Fenster länger zu öffnen, denn die Luft, die von draußen rein kam, war auch nicht besser, die klassische Hamburger Inversionswetterlage, zur Jahreswende schon fast obligatorisch, tat das ihre dazu und der Lärm war völlig unerträglich. Wir waren noch nicht ganz mit der Ente fertig, als in der Ecke am Fenster zur Schilleroper Unruhe aufkam. Die beiden alten Herrschaften waren inzwischen bei der zweiten Flasche Champagner angelangt und die alte Dame überkam ein dringendes Bedürfnis. Nun war es nicht nur schwierig überhaupt aus der Ecke zu kommen, obendrein kam die alte Dame nicht mehr von ihren Stuhl hoch. In einer Blitzaktion machte Kit den Weg frei und verdonnerte Andre und Stefan kurzerhand dazu, unter ihrer tatkräftigen Anleitung, die alte Dame hoch zu stemmen, bis zur Treppe ins Untergeschoss zu schleppen und dann noch die Treppe hinunter zu den Toiletten zu bugsieren. Glücklicherweise ging alles gut und dann wurde die alte Dame wieder die Treppe hoch gehievt, indem Andre und Stefan vorne zogen und Kit hinten schob und zu ihrem Platz gebracht, wo sie mit ihrem Begleiter auf das neue Jahrtausend anstieß, denn inzwischen war es Mitternacht geworden. An Nachspeise war erst mal nicht zu denken, Johnny hatte die Küche verlassen und die Entleerung seiner Knallkörperkiste in Angriff genommen. Tatkräftig unterstützt von einigen Gästen, die es sich nicht hatten nehmen lassen, ebenfalls Böllermaterial mit zu bringen, knallten sie wie die Irren auf der Grünfläche zum Pferdemarkt herum. Vor der Schilleroper ging es auch nicht besser zu, jeder stieß mit jedem an, wildfremde Leute kamen vorbei, reichten Sektflaschen rum, oder bekamen Gläser mit Sekt gereicht. Nach einem kurzen Blick auf das Silvesterinferno, auf Johnny im Rausch der Knallkörper und all die anderen Knallköpfe rundherum, kehrte ich ganz schnell in die Wärme des Restaurant zurück und baute noch eine Tüte. Kit kam mit den Nachspeisen für die Gäste vom Tisch gegenüber, der allerdings verwaist war, denn die Gäste böllerten draußen fleißig mit. Kit hatte nichts dagegen, dass ich mich an den Nachspeisen bediente und als Jörn genug von der Knallerei hatte und wieder rein kam, half er mir erst bei der Tüte und dann bei den Nachspeisen, dazu gab es noch mehr Wein. Unendlich dehnt die Zeit sich von ersten bis zum zwölften Glockenschlag der Mitternacht, Heimat der Mythen und Märchen, der Feen und Kobolde. Der Brauch die Geister des vergangenen Jahres, verstorbener Vorfahren, der Unterwelt, der Zwischenwelt, der anderen Welt, des unergründlichen, dunklen Waldes, des wilden Meeres, des schlafenden Vulkans, der Wolkenberge und des Sturms, böser Gedanken oder böser Menschen, Vampire und Wiedergänger mit feurigen und lautstarken Aktionen zu vertreiben, ist uralt und findet sich in sehr vielen Kulturen rund um den Globus. So bekämpft das Licht die Dunkelheit und der Lärm die Stille des Todes. Wir leben noch, wenn wir lärmen und jede Silvesterrakete zeugt davon. Und so wie die Geister vertrieben werden, so werden sie auch beschworen, mit Feuer und Licht, mit Donner und Blitz und mit gesprochenen Wörtern jeder Lautstärke und Tonlage.
Die Made im Speck, ist das Loch in der Finanzierung.
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FISCH RUNDE.
Eigentlich hatten wir uns das ja etwas anders vorgestellt, mit dem Wassermannzeitalter, aber mittlerweile drängt sich der Eindruck auf, dass entweder die Berechnungen, oder aber die Vorhersagen nicht so ganz stimmen. Es bleibt konfus und vernünftige Entscheidungen unserer Entscheidungsträger und Trägerinnen, müssen immer noch mit dem Rasterelektronenmikroskop gesucht werden. So gebiert das Zeitalter des Konsums denn Müllberge gigantischen Rauschmaßes, Umweltkatastrophen und gesellschaftliche Zustände, die auf die Dauer untragbar und unhaltbar sind. Selbst die globale Vernetzung durch die sozialen Netzwerke, bringt letztendlich nichts, außer Konfusion in den Köpfen ihrer Konsumenten und erhöht obendrein den Stromverbrauch, denn das jeder und jede sich mit jedem und jeder verbinden können, heißt noch lange nicht, dass sie sich auch verstehen.
Direkt hinter der Polizeiwache bogen wir links ab, auf den Trampelpfad über die Grünfläche, passierten den kleinen, hölzernen Torbogen mit der Aufschrift Madame Hu und dann standen wir auch schon vorm Vordereingang des Restaurant. Am Pferdemarkt waren etliche Hobbyfeuerwerker und Geistervertreiber schwer in ihren Element und ich war froh, als die Tür des Lokals sich hinter uns schloss. Sofort umfing uns die wohlige Temperatur des gut geheizten Restaurant und obwohl der Laden noch nicht mal halb voll war, waren die Scheiben der Glasfront zur Terrasse bereits komplett beschlagen. Auf den festlich geschmückten Tischen blinkten Teelichter in bunten Gläsern und in der Mitte des vorderen Raumes mit dem Tresen, stand ein großer, runder Tisch, der mit diversen Alkoholika in allen möglichen Farben voll gestellt war. In den polierten Flaschen brach sich blitzend und funkelnd das Licht der Deckenbeleuchtung, der Wandlampen und der unzähligen Teelichter auf den Tischen und nahm das Motiv der Silvesternacht auf. Unser Tisch befand sich im hinteren Raum, mit den langen, Leder gepolsterten Wandbänken und dem Ausgang gegenüber der Schilleroper. Außer Chillus, wie immer überpünktlich, war noch keiner von unserer Tischgesellschaft da und ich machte es mir mit Jörn auf der Lederbank an unseren Tisch gemütlich. Hasy verschwand in der Küche, um Johnny ein wenig Gesellschaft zu leisten und Kit kam an den Tisch, um unsere Getränkebestellungen entgegen zu nehmen. Mir war furchtbar heiß und Vorsichtshalber nahm ich noch zwei Aspirin, die ich mit Mineralwasser runter spülte. Kit brachte den Wein und Jörn und ich stießen an. Dann kamen Dörte und Stefan, Andre, Heidrun, Katja und Arne und Wolfgang, mit dem Jörn etliche Jahre in Barmbek zusammen gewohnt hatte, bevor erauf Feldforschung nach Nicaragua ging und auch die Plätze an den anderen Tischen füllten sich. Mittlerweile war das Lokal bis auf den letzten Platz gefüllt, aber plötzlich stand, wie von Geisterhand hin gezaubert, ein sehr altes, ziemlich klapperiges Pärchen im Raum, unübersehbar Urgestein von St. Pauli und Kit schaffte es irgendwie, in einer Ecke am Fenster zur Schilleroper noch einen Tisch und zwei Sitzplätze zu organisieren. Der alte Herr war sehr dünn und hätte es an Faltenreichtum mit jeder Schildkröte aufnehmen können, die alte Dame im glänzenden Sonntagsstaat, eher korpulent, mit Krückstock und etwas Fußlahm. Mit Hilfe, einer extra für den Silvesterabend angestellten Servicekräfte, dirigierte Kit erst etliche Gäste von ihren Stühlen, um den Weg frei zu machen und bugsierte dann die beiden alten Herrschaften an ihren Tisch. Als erstes ließen sie sich eine Flasche Champagner kommen. Was allerdings erst mal nicht kam, war das Essen, aber dafür wirkte der Keks mittlerweile und mit knurrte der Magen. Wir hatten die erste Karaffe Wein bereits geleert und außer ein paar winzigen Schälchen mit Dips und geschnittenem Brot in kleinen Körben, stand nichts auf dem Tisch. Vom Wein und Warten, vom Keks und Jörns Abenteuern in Nicaragua beschwingt und leichtsinnig geworden, baute ich eine Tüte. Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bis endlich die Vorspeise, ein Salat mit gebratenen Steinpilzen, auf dem Tisch stand, der wirklich lecker war. Danach baute ich die nächste Tüte und nahm noch zwei Aspirin. Kit kam an den Tisch und entschuldigte sich dafür, dass wir so lange warten mussten und dann kam Johnny aus der Küche und präsentierte uns eine veritable Kiste voller Silvesterknaller, mit denen er das neue Jahrtausend begrüßen wollte. Gegen dreiundzwanzig Uhr stand endlich das Hauptgericht, eine rosa gebratene Entenbrust auf dem Tisch. Draußen tobte ein akustisches, von Lichtgewittern begleitetes Inferno, dass sich immer mehr steigerte.
Auf einer Karte sitzt man nicht gut.
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DATENBAUABTEILUNG.
Nun mag das einzelne Jahr ja sehr neu tun, insgesamt wird aber alles älter und nicht neu. Altlasten zeigen keine Neigung im Dunkel der Vergangenheit zu verschwinden, ganz im Gegenteil, von Jahr zu Jahr wachsen sie und drängen mit Macht ans Licht der Öffentlichkeit, was dazu führt, dass einstmals charismatische Lichtgestalten, ganz schnell alt aussehen. Wo Licht ist, ist eben auch Schatten und nur die Schatten der Nacht, bringen letztendlich die Wahrheit ans Licht. Wer das nicht einsehen will, wird Licht Designer, aber letztendlich sind die Schatten genauso mächtig wie das Licht. Wo Schattengewächse mit Lichtschwertern kämpfen und das Grüne dem Roten die Hand reicht, fällt das Blaue nicht vom Himmel und Sonnenblumen hüten ihr knalliges Gelb. Das schenkt den Farben ihre verlorene Unschuld zurück und der Wind dreht weiter am Rad der Zeit.
Seit mehreren Tagen hatte ich die meiste Zeit fiebrig und schwer erkältet im Bett gelegen, aber die Jahrtausendwende krank im Bett zu verbringen, war nun wirklich keine Option. Der Tisch und das Silvestermenü für zehn Personen bei „Madame Hu“ waren schon vor Wochen gebucht worden und Johnny, Kits Koch, kochte ganz vorzüglich. Am frühen Abend warf ich zwei Aspirin ein und schleppte mich ins Badezimmer, um meinen ziemlich derangierten Zustand mit einer Dusche und Haarwäsche, zu verbessern. Als ich endlich fertig war und dem festlichen Anlass entsprechend angezogen, hätte ich mich eigentlich auch schon wieder ins Bett legen können, aber statt dessen verordnete ich mir zwei weitere Aspirin, um das Fieber und die Gliederschmerzen im Schach zu halten. Danach aß ich einen recht gehaltvollen Keks, der, der nahe liegenden Versuchung eine Silvestertüte zu rauchen vorzubeugen sollte. Wie immer mit einem Regenschirm, gegen wild und unkontrolliert durch die Luft fliegenden Böller bewaffnet, traten Hasy, Jörn und ich den Weg zu „Madame Hu“ an. Die Strecke von der Haustür bis zu „Madame Hu“, ist eher kurz zu nennen, aber im Schulterblatt und den anliegenden Straßen, herrschte bereits Ausnahmezustand. Die Vertreibung der Geister des alten Jahres und die Begrüßung des neuen Jahres, hatte wie immer am vorherigen Abend begonnen und war schon seit Stunden in vollem Gang. Das Viertel stand damals gerade erst an der Schwelle zur Sanierung und der damit einher gehenden Gentrifizierung und die ökonomisch nicht so üppig ausgestatteten Bewohner, waren noch gut vertretenen und ließen es sich nicht nehmen, wenigstens einmal im Jahr die Straße zu beherrschen. Im Eingang der Nachbarschaftskneipe nebenan, mühten zwei schwer angeheiterte, nicht mehr ganz junge Herren sich damit ab, ein paar Raketen vorschriftsmäßig zu zünden, was allerdings nicht so richtig gelingen wollte, bis der auch nicht mehr nüchterne Wirt sich dazu gesellte und ihnen, nach ein paar kritischen Bemerkungen, tatkräftig unter die Arme griff. Auf dem Bürgersteig, direkt gegenüber vom Hauseingang, stand ein Mann mittleren Alters, der bereits seit über einer Stunde, hoch konzentriert, mit einer Signalpistole eine Leuchtkugel nach der anderen in den Himmel über sich schoss. Die bunten Leuchtkugeln wirkten zwar nicht bedrohlich, aber der völlig weggetretene Zustand des Mannes kam schwer psychopathisch rüber. Vor ihm stand ein großer Rucksack und an der Hauswand hinter ihm, lehnten mehrere, prall gefüllte Tüten mit Feuerwerksmaterial. In der Lerchenstraße bewarfen sich mehrere Gruppen Jugendlicher mit allen möglichen Knallkörpern, auf dem Schulterblatt sah es auch nicht viel besser aus und die wenigen Autos, die noch fuhren, wurden ebenfalls mit Knallkörpern beworfen. Die ganze Straße war in ein buntes Blitzlichtgewitter getaucht und ständig entluden sich irgendwelche Böller vor unseren Füßen. Um das Ganze abzurunden flogen diverse Silvesterkracher aus den Fenstern der Häuser, aber dafür hatte wir ja den Regenschirm mitgenommen. Der Lärm, der explodierenden Knallkörper, brach sich an den Wänden der Häuser und in den Hinterhöfen und war ohrenbetäubend laut. Wir schlugen uns bis zur Ecke Lerchenstraße / Lippmanstraße durch, wo es etwas ruhiger wurde und legten das kurze Stück bis zur Ecke Lerchenstraße / Stresemannstraße, so schnell wie möglich zurück, denn auf der anderen Seite der Stresemannstraße liegt die große Polizeiwache Lerchenstraße. Vor dem langgestreckten Gebäude, mit seiner Fensterfront zur Stresemannstraße, wurde aus guten Gründen nicht geknallt und wir beeilten uns zu „Madane Hu“, am anderen Ende der Wache zu kommen.
Am Ende muss es nicht dunkel werden.
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