MACKEN WIRTSCHAFT.
Langsam aber sicher drängt sich der Verdacht auf, dass die Impfdosen mehr virtuell, als real sind. Ständig werden gigantische Mengen bestellt oder zugesagt, aber wirklich geimpft werden die wenigsten. Impfen ist irgendwie woanders, aber dafür bleibt Herr Scheuer auf seinem Ministerposten und pflegt seine Erinnerungslücken, bis das Impfkomando kommt. Geimpft oder nicht geimpft, das ist hier die Frage und wer nicht geimpft ist, muss zu hause bleiben. Impfskeptiker befinden sich auch nicht auf der sicheren Seite, denn ohne Impfpass geht es nicht mehr lange gut. Im Impfzentrum suchen sie immer noch nach einer Impfstrategie, aber was nicht eingeimpft wurde, kann auch nicht verimpft werden. Was trotzdem über bleibt, muss nicht liegen bleiben und wer zur rechten Zeit am rechten Ort ist, wurde gut informiert.
Bevor Martin mit Elke zusammen gekommen war, hatte er sich überwiegend für grazile, langhaarige Hippiemädchen mit Hang zu esoterischen Theorien, bunten Röcken und manchmal etwas exaltiertem Benehmen interessiert. Meistens begleiteten sie ihn eine Zeit lang während seiner Touren über die Mittelaltermärkte und verschwanden dann wieder aus seinem Leben. Er pflegte zahlreiche Bekanntschaften und ein paar Freunde und hielt es auch ganz gut ohne feste Beziehung aus. Besonders gerne war er mit Langhaar Kai aus Ostfriesland, allgemein Ossi genannt, unterwegs. Ossi neigte zu äußerst verwegenen Geschäftsideen, die wenn sie dann tatsächlich über das Stadium einer ausschweifend ausphantasierten Idee hinaus reiften, gründlich daneben gingen und in einem finanziellen Fiasko endeten. Wie Martin, besaß auch Ossi einen alten Möbelwagen von gewaltigen Ausmaßen, der jedoch nur rudimentär ausgebaut war und lange Zeit noch nicht mal beheizt werden konnte, aber immerhin hatte Ossi zumindest eine Vorstellung davon, wie der Wagen einst aussehen sollte. Meistens arbeitete Ossi bei Martin am Stand oder er wurde als Verkäufer für Stände auf Weihnachtsmärkten gebucht. Dem Chillum war er genauso zugetan wie Martin und die beiden verbrachten endlose, rauchgeschwängerte Nächte in Martins Möbelwagen. Auf den Märkten trieben sich genug Spinner und Spökenkieker, Philosophen und Phantasten herum, die sich gerne in Martins Möbelwagen einfanden und ihre abenteuerlichen Vorstellungen in die Gespräche einbrachten. Wenn Ossi nicht mit Martin unterwegs war, hielt er sich gerne in Ivos Salon auf, der nicht weniger rauchgeschwängert war, als Martins rollende Häuslichkeit und beteiligte sich lebhaft, an den über zahlreiche Themengebiete mäandernden Diskussionen. Mit Frauen hielt Ossi sich eher zurück, seine große Liebe, die er zwanzig Jahre später wieder fand, war gescheitert, aber er liebte Ivo und Martin und entsprechend kritisch beäugte er ihre Freundinnen. Meistens störten sie ihn, weil sie die Nächte nicht mit endlosen Palavern, in undurchdringlichen Rauchwolken verbringen wollten, sondern andere Ansprüche stellten, oder wohl möglich gar Kinder haben wollten. Eigentlich verstand Ossi sich ganz gut mit Elke, im Gegensatz zu Martin mangelte es ihnen beiden an Geschäftstüchtigkeit und außerdem neigte Martin manchmal zu recht herrischen Verhaltensweisen. Er kommandierte Elke und Ossi durch die Gegend, verteilte freigiebig Kritik und hielt seine schlechte Laune nicht zurück, bis die beiden sich verbündeten und gemeinsam zurück schlugen. Meistens hatte Martin dann ein Einsehen und am Verkaufsstand und im Möbelwagen kehrte wieder Frieden ein. Außerdem ging Ossi sowieso davon aus, dass Martins und Elkes Verhältnis nicht von Dauersein würde, da Elke groß und kräftig war und nichts elfenhaftes an sich hatte. Sie war mehr praktisch veranlagt und pflegte einen entsprechenden Kleidungsstil. Für den Mittelaltermarkt hatte sie sich einen Rock und ein Oberteil aus selbst gewebtem Stoff genäht, was ökologisch außerordentlich korrekt war, aber ein bisschen trutschig rüber kam. Als Elke schwanger wurde, war es schlagartig vorbei mit Einvernehmen zwischen Ossi und Elke und da Ossi genau wusste, dass Martin eigentlich kein Kind gewollt hatte, nahm er Elkes Schwangerschaft wie eine persönliche Beleidigung auf. Schon vor ein paar Jahren war Ivo unfreiwillig Vater geworden und Ossi hatte sich aufgeführt, als wäre ihm und nicht Ivo, ein Kind untergejubelt worden. Als sich dann ein paar Monate nach der Geburt des Kindes herausstellte, dass Ivo komplett unfähig war, Vater zu sein, verließ seine Freundin ihn mit dem Kind, was die Sache für Ivo auch nicht besser machte. Insgeheim hatte Ossi wahrscheinlich gehofft, dass die Beziehung zwischen Elke und Martin scheitern würde, wenn das Kind erst mal da wäre und Martin schwer in seiner Ruhe gestört würde. Aber Martin setzte sich auf seine Art und Weise durch, er kaufte einen Bauwagen für Elke und ihren Sohn, der auf dem Gelände der Bäckerei Kooperative aufgestellt wurde und verbrachte seinen Feierabend weiterhin mit diskutierenden Raucherrunden im Möbelwagen. Er kümmerte sich um den Stand und Elke kümmerte sich um das Kind.
Wer Feuer speit, muss nicht Feuer schlucken.
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NARREN BACKEN.
Statt Impfterminen gibt es momentan höchst amtliche Impfterminverweigerung, denn wo kein Impfstoff ist, kann auch nicht geimpft werden. Fest steht, dass Mangel nicht besser davon wird, das er verwaltet wird und Impfgegner brauchen sich nicht zu verstecken. Ohne Impfzentrum geht es sowieso nicht und wo ein Impfgipfel ist, wird noch lange nicht geimpft. Wer nicht geimpft ist, kann auch nicht zur Hölle fahren, geschweige denn in Urlaub. So wartet das Amen in der Kirche denn immer noch auf den Amtsarzt, damit es endlich abgeholt wird und über den Spritzenplatz flanieren kann. In der Zwischenzeit beißen wir in den sauren Apfel und hoffen, dass das hilft, denn sauer macht lustig und ist obendrein gesund, auch in der saure Gurken Zeit. Wer nun immer noch sauer werden will, rennt zum Impfzentrum und fragt nach einem Termin.
Martin war begeistert, auf den Mittelaltermärkten wimmelte es von Anhängern keltischer Mythologie und an den Schmuckständen wurden diverse keltisch angehauchte Halsreifen, Haarreifen, Fingerringe, Ohrringe, Ketten und Armbänder, Gewand und Gürtelfibeln, sowie etliche Anhänger verkauft. Kelten waren mindesten genauso beliebt wie Wikinger, die Übergänge beim Schmuck fließend und ein Teil der Marktleute identifizierte sich leidenschaftlich mit dem, was sie an ihren Ständen anboten. Sie lebten so eine Art Pseudomittelalter, fühlten sich als Kelten oder Wikinger und waren allesamt Spezialisten auf ihrem Gebiet. Zum Markt gehörten außerdem ein Narr, ein nicht ganz koscherer Mönch, eine Hexe und die obligatorische Kartenlegerin. Außer der Kartenlegerin, die mit ihrer Dienstleistung problemlos Geld verdienen konnte, bezogen die drei anderen ein Gehalt für ihre schauspielerische Tätigkeit. Für Martins Empfinden identifizierten der Narr und der Mönch sich ein wenig zu sehr mit ihrer Rolle, die sie auch beibehielten, wenn der Markt schon lange geschlossen war. Martin hielt die beiden für ziemlich durchgeknallt und selbst wenn er für die Tätigkeit an seinem Quacksalberstand, ein dazu passendes Quacksalberkostüm anziehen musste, was ihm uns gegenüber etwas peinlich war, aber der Kostümzwang galt für alle Standbetreiber, war und blieb er ein eher skeptischer Hippie mit einem Quacksalberstand. Nach Marktschluss wollten jedoch selbst die ganz hart gesotten Mittelalterspezialisten, nicht auf den modernen Komfort ihrer Wohnmobile verzichten und nur der Narr und der Mönch schliefen öfter unter freiem Himmel und nahmen es mit ihrer Körperhygiene nicht so genau. Eine Sonderrolle nahmen die Ritter ein, ohne deren Turnier der Markt lange nicht so gut besucht worden wäre. Die Ritter hatten eine eigne Organisation, die Kerntruppe ging mit dem Markt auf Tournee und hatte genug Mitglieder, um ein Turnier mit Schwertkämpfen und Lanzenstechen, sowie einer Schlacht zwischen zwei gegnerischen Gruppen zu bestreiten. Die mehr oder minder aufwendig ausstaffierten Ritter, waren die Attraktion schlecht hin. Sie kämpften nicht nur zu Fuß, sondern auch zu Pferde und manchmal sogar gegen einen ortsansässigen Ritterclub. Die Marktleute und die Ritter lagen in einem permanenten Streit darüber, wer für den Markt wichtiger sei. Obwohl Martin mit den Rittern nichts am Hut hatte, achtete er sehr darauf, mit einer möglichst erfolgreichen Rittertruppe unterwegs zu sein. Von Elke wusste ich, dass die Marktleute eigne Rituale entwickelt hatten, mit denen sie den Markt immer mehr wie ein Schauspiel inszenierten. Eröffnet wurde der Markt mittlerweile mit einer Vorführung der Standbetreiberinnen, die prächtig kostümiert ein paar mehr oder minder mittelalterliche Tänze aufführten. Elke machte das Spaß und solange er nicht selber an solchen Spektakeln teilnehmen musste, konnte Martin sie durchaus mit Wohlwollen betrachten. Sein Interesse galt nach wie vor dem Sammeln von alten Apothekerbüchern, sowie der Herstellung von Salben und Tinkturen heilender und Gesundheitsfördernder, Bewusstseins verändernder oder Libido steigernder Art. Er sah sich mehr in der Tradition eines Wissenschaftlers mit alchemistischen Wurzeln und was er bei seiner Tätigkeit trug, war ihm eigentlich völlig egal. Im Gegensatz zu Elke war Martin außerdem sehr Geschäftstüchtig. Bevor Elke Martin kennen gelernt hatte, hatte sie sich mit mehreren verschiedenen Geschäftsmodellen auf dem Mittelaltermärkten versucht, die allesamt nicht von Erfolg gekrönt waren. Elke konnte nähen und weben, fantastisch sticken, backen sowieso, aber außer Schulden war ihr nichts geblieben und sie arbeitete als angestellte Verkäuferin an den Ständen anderer Leute. Martin sorgte dafür, dass das schnell anders wurde, indem er sie an seinem Stand beteiligte. Ohne Elkes Kinderwunsch und Martins Faible für morbide Elfen, hätten die beiden ein Traumpaar sein können.
Auf dem Zeiger kann man gehen oder fallen.
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MUH TIERE.
Dieser Tage erleben wir, ein ganz normales Beispiel dessen, wie es läuft wenn nicht mehr läuft, denn nichts wird sich ändern, solange nicht der größte Teil der Bewohner dieses Planeten gegen das Coronavirus geimpft ist und das kann noch ganz schön lange dauern. Unser oberster Gesundheitslaberer fabulierte, wohlgemerkt von einem ersten und es braucht zwei, Impfangebot für den größten Teil der zu Impfenden, bis Ende September, das ist Monat Nummer neun. Wir sind jetzt gerade mal bei Monat Nummer zwei. Also munter weiter lügen, Salamitaktik fahren und die schlimmsten Löcher stopfen. Die Reichen bleiben sowieso reich und die Armen werden schon nicht aufmucken. Wer sich keinen Strick nehmen will, strickt an einer alternativen Realität oder gibt auf. Den Rücken sollte man sich trotzdem frei halten.
Zurück in Ivos Salon kreiste dann wieder das Chillum, Martin besaß eine stattliche Kollektion dieser Rauchgeräte, die er auch, von allerhand praktischen Tipps begleitet, an seinem Quacksalberstand verkaufte. Die einfachen Ausführungen waren schlicht, aus Ton oder Speckstein und wurden ohne jede Hülle, völlig nackt verkauft, aber es gab auch prächtig verzierte Chillums, die in nicht weniger aufwendigen Stoff oder Lederhüllen ruhten. Für Martins Lieblingschillum hatte Elke ihm eine wunderschöne, mit kleinen, goldenen Sternchen bestickte Hülle, aus dunkelgrüner Seide genäht, die mit einer dicken Kordel zusammen gezogen wurde. Nachdem Martin uns mehrere Chillums im Praxistest vorgeführt hatte, wurde es langsam ruhiger in Ivos Salon. Ein paar Teilnehmer des allabendlichen Palavers hatten sich rechtzeitig zurück gezogen, Baumer schnarchte leise vor sich hin und Elke und ihr gemeinsamer Sohn schliefen schon lange in der Wohnung einer ehemaligen Besetzerin, die ebenfalls ein kleines Kind betreute. Wir stiegen um auf weniger anstrengende Tüten und reisten von den Sadhus Indiens, mit ihrem rituellem Gebrauch des Chillums, weiter nach Europa zu den Druiden und landeten bei Evangeline Waltons Werk, „Die vier Zweige des Mabinogi“. Ich hatte die vier Bücher des Mabinogi, in denen Evangeline Walton sich bemüht, aus den Fragmenten keltischer Sagen, eine stimmige Nachdichtung zu schaffen, mit Begeisterung verschlungen. Sprache und Handlung der vier Zweige sind sehr poetisch, teilweise allerdings auch furchtbar grausam. Der Kessel von Gundestrup erwacht zum Leben, es geht um Liebe und Verrat, tödliche Geschwisterzwiste, spirituelle Konflikte und Rache weit über den Tod und die Zeit hinaus. Ich erzählte Ivo und Martin von Pwyll, einem keltischen Stammesfürsten, der dem mächtigen Herrscher einer jenseitigen Welt, dem grauen Mann, Arawn Fürst von Annwn, zum Sieg über seinen Feind verhilft. Zum Dank hilft Arawn, Pwyll seine zukünftige Frau, Rihannon von den Vögeln, eine Inkarnation der Göttin, zur Frau zu gewinnen und sie bekommen einen Sohn, den sie Pryderi nennen. So endet das erste Buch. Danach geht es schon recht viel grausamer weiter, der walisische Fürst Llyr wird von seinem schlimmsten Feind in eine Falle gelockt und gefangen genommen. Um ihren Gatten lebendig und unversehrt zurück zu bekommen, muss seine Frau, die schöne Fürstin Penardim, sich dem Feind hingeben und sie wird schwanger, was zur Geburt der völlig gegensätzlichen Zwillinge Nissyen und Evnissyen führt. Da Penardim die Schwester des Hochkönigs ist, wird ihr und Llyrs erster, gemeinsamer Sohn Bran, zum Nachfolger des toten Hochkönigs gekrönt. Alle seine Geschwister, bis auf den immer bösartiger agierenden Evnissyen unterstützen ihn. Kurz nach der Krönung betritt der irische Hochkönig Matholuch die Bühne und begehrt Brans Schwester Branwen zur Frau. Nach alten, matriarchalischem Brauch, würden die Kinder, der Schwester des Königs, seine Nachfolger werden und Branwens Brüder zögern lange, bis sie dem König Matholuch ihre Schwester anvertrauen. Dann geht alles schief, noch vor der Hochzeit verstümmelt der neidische und bösartige Evnissyen, die Pferde des irischen Königs, ein Hochzeitsgeschenk und eine der fürchterlichsten Szenen des Mabinogi. Ich brauchte über eine Woche, um das Buch wieder anzurühren. Die Hochzeit findet trotzdem mit großen Prunk statt und geht es rüber nach Irland und gar nicht mehr gut. Branwen, die Mutter des zukünftigen Hochkönigs von Wales, wird zum Opfer übler Nachrede, von ihrem Ehemann gedemütigt und als Magd in die Küche verbannt. Dort spricht sie nicht mehr mit Menschen, sondern nur noch mit Vögeln und ein Vögelchen fliegt übers Meer und flüstert Branwens Schicksal ihren Brüdern, die daraufhin in den Krieg ziehen, um ihre Schwester aus der schmachvollen Gefangenschaft zu befreien. Allen voran Evnissyen, der mit seinem fürchterlichem Frevel an den schönen Pferden Matholuchs, den Stein des Verhängnis ins rollen brachte. Es wird ein ganz und gar furchtbarer Krieg.
Über den Rand fällt nur, wer den Hals voll hat.
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MOGEL RESORT.
Nicht nachvollziehbar versickert der kostbare Impfstoff, irgendwo in den Sümpfen der Bürokratie. Schmierzulande wird geimpft, wer Beziehungen hat und alle anderen kommen später dran. Eigentlich ist es nur peinlich, aber dummerweise zerstört es das Vertrauen der Bürger in den Staat. Was außer schnarchen und bestechen läuft in diesem Gemeinwesen eigentlich noch? Ohne drei Stempel und ein offizielles Siegel, läuft gar nichts und die Zeit davon. Anderwo impfen sie rund um die Uhr und überall wo Menschen sind, aber in Freudsland ist spätestens um fünf Uhr nachmittags Schluss und am Wochenende geht gar nichts außer Pflegen. Dafür werden in meiner Heimatstadt Hamburg Pfleger, die eine Coronaerkrankung überstanden haben nicht geimpft und damit der kostbare Stoff nicht verkommt, irgendwelche Spezis selbstherrlicher Impfärzte.
Martin und Elke blieben noch ein paar Tage in Hamburg, sie schliefen in Martins umgebauten Möbelwagen, aber tagsüber waren sie meistens in der Schanzenstraße. Die besetzten Häuser waren mittlerweile legalisiert, aber noch lange nicht renoviert und auf dem Plenum ging es größtenteils immer noch völlig chaotisch zu. Die ehemaligen Besetzer, nun Besitzer, hatten zwei Fraktionen gebildet, die der Handwerker, die eifrig an der Instandsetzung arbeiteten oder zumindest arbeiten wollten und die der Hippies, denen es erst mal völlig ausreichte, in Ruhe und Frieden einfach nur zu wohnen. Ivos Salon war eines der Hauptquartiere der Hippies und die endlosen Debatten seiner Gäste kreisten höchstens am Rande um die Renovierung der Häuser. Viel interessanter waren musikalische Neuerscheinungen, echt angesagt, nur Insidern bekannt, oder möglichst abseitiger und exzentrischer Natur. Psychologische Theorien, von Freud über Jung und Adler bis zu Wilhelm Reich, wo es schon etwas esoterisch wurde und dann weiter zu Bagwahn, Aleister Crowley, Rudolf Steiner und der Quelle seiner Inspiration, Helena Petrovna Blawatsky, wurden mit inspiriertem Halbwissen zum Besten gegeben. Reisen nach Asien, vorzugsweise Indien und Nepal, gemacht oder geplant, übersinnliche und unerklärliche Phänomene, schwirrten durch den Kiffnebel und für den neusten Klatsch und Tratsch aus der Besetzerszene, war man sich auch nicht zu schade. Wenn Martin nicht unterwegs war, um irgendwelche Töpfe und Tiegel, Tütchen und Fläschchen, für die Produkte seines Quacksalberstandes zu besorgen, genoss er die endlosen Palaver in Ivos Salon und ließ sein Chillum unermüdlich kreisen, fast wie in Indien. Elke, die eigentlich mehr Handwerkerin war, schloss sich ein paar Exbesetzerinnen an, die ebenfalls Mutter geworden waren. Die gemeinsame Mutterschaft und das größtenteils mangelhafte Engagement der Erzeuger, seien sie nun Hippies oder Handwerker, verband die Frauen über die alle ideologischen Grenzen hinweg. Als Elke am frühen Abend mit ihrem gemeinsamen Sohn in Ivos Salon auftauchte, schlug Martin ganz schnell vor Essen zu gehen. An einem großen Tisch im alten, grünen Garten des Romana, lange bevor SKY dort einzog und die Blumen und Bäume, die Vögel und Eichhörnchen an den Rand der hohen Mauern, die den Hinterhofgarten einfassen, drängte, entführte Martin uns wieder nach Indien. Wann immer er konnte, hatte er das Chillum mit Sadhus, deren Geschichten er genauso fasziniert zuhörte, wie wir jetzt ihm, geraucht, nicht ohne das rituelle Bum Shiva, mit dem er jedes seiner Chillums anzündete. Er erklärte uns die bunten Gesichtsbemalungen der Saduhs, die niemals ohne Shivas Dreizack auskamen. Seinen Dreizack reichte Shiva dann an Poseidon weiter und auch der gehörnte Mann aus den Wäldern Nordeuropas, der wie Shiva oft im Lotussitz dargestellt wird, hat manchmal einen Dreizack in der Hand. In einem andern Leben wäre Martin sicherlich gerne Sadhu geworden, aber in diesem Leben war er Vater geworden. Auf dem Schoß seiner Mutter, steckte Martins Sohn sich sämtliche Zutaten eines recht scharfen Salat in den Mund und obwohl er manchmal durchaus die Mine verzog, schluckte er alles anstandslos runter. Martin bestellte mehr Wein und mit dem Wein kam der obligatorische, auf Kosten des Hauses ausgeschenkte Ouzo auf den Tisch. In Kerala, einem der muslimischen Bundesstaaten des Subkontinentes, hatte Martin fast drei Monate lang auf Alkohol verzichten müssen und umso mehr genoss er die Sitten im Romana. Zwischen den Tischen schlich eine grau getigerte, eindeutig übergewichtige Katze herum und hielt die Mäuse, die wir schon des öfteren zu später Stunde dabei beobachtet hatten, wie sie die Steinplatten von Essensresten säuberten, im Schach hielt. Mit steil erhobenem Schwanz schnurrend, baggerte sie ausschließlich Gäste an, die Fisch auf ihrem Teller hatten.
Wer keinen Vogel hat, kann auch keinen Vogel zeigen.
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SCHMÄH REKORD.
Ein bisschen doppeldeutig ist es ja und die Engländer interpretieren es durchaus sehr eigenwillig. Teile und herrsche, aber ob Europas Schwäche ihre Stärke sein wird, ist eher zweifelhaft. Wahrscheinlich haben sie sich selbst, in grandioser Fehleinschätzung aus dem Spiel genommen und nun ist es zu spät. Experimentieren ist ja schön und gut, aber gegenüber eines munter mutierenden Spielcharakters, ist es wahrscheinlich manchmal besser auf einer Linie zu sein. Linienrichter greifen zum Lineal und wer nicht auf der Linie bleibt, landet in der Auszeit. Außerdem zu beachten sind Außerirdische und Außentemperaturen, denn die sind wirklich heikel und es ist furchtbar kalt. Wer die Seite wechseln will sollte im Schatten bleiben, denn Wechselkurse gibt es in Europa schon lange nicht mehr, aber Wechselwirkungen sind unausrottbar, wie Offenkartofeln und Ohrwürmer. Ohren zu und durch.
Martin und seine Freundin Elke lebten sehr alternativ. Wenn sie nicht mit ihrem Stand auf einem Mittelaltermarkt waren und in einem riesigen Möbelwagen schliefen, in dem Martins Warenbestand und das dazugehörige Equipment untergebracht waren, wohnten sie auf dem Gelände einer Bäckerei Kooperative in der niedersächsischen Provinz. Als das Angebot des Quacksalberstandes immer mehr wuchs, schaffte Martin einen weiteren, ziemlich geräumigen Transporter an und der größte Teil des Warenbestandes wurde aus dem Möbelwagen geräumt. Der Möbelwagen konnte nun komfortabler ausgebaut werden, worauf Elke schon lange gedrängt hatte und außerdem stellten sie einen Mitarbeiter ein, der den Transporter fuhr, beim Auf und Abbau und am Stand half. Martin hätte auch weiter problemlos inmitten all seiner selbst angerührten Tinkturen und Salben, flankiert von Säcken voller einheimischer und exotischer Kräuter, genächtigt, solange sich ein gut gefülltes Chillum in seiner Nähe befand und natürlich präsentierte er an seinem Stand auch ein umfassendes Sortiment dieser Rauchgeräte. Elke rauchte nicht, was ein gewisses Konfliktpotential mit sich brachte. Aus diesem Grund hatte Martin, der gerne seine Ruhe hatte, auf dem Gelände der Bäckerkooperative zwei sehr gut ausgestattete Bauwagen stehen, einen für Elke und einen für sich. Als Mitglied der Bäckerkooperative arbeitete Elke, wenn sie nicht mit Martin unterwegs war, dort mit und Martin, der zwar nicht Mitglied der Bäckerkooperative war, aber als Elkes Freund ungemein kostengünstig dort mit wohnen konnte, brachte sich kreativ in die Planung des alljährlichen Sommerfestes ein. Ansonsten waren die Bäcker und Bäckerinnen nicht so ganz sein Fall, weswegen er gerne Besuch von seinen Hippiefreunden bekam, mit denen er, unter zu Hilfenahme eines Chillums, den Bauwagen komplett einnebelte. Außer seinem Chillum liebte Martin Stundenlange, philosophische Gespräche über das Wesen der Realität, die Wirkungsweise aller möglichen Bewusstseinsverändernden Kräuter und die Geschichte und er fing gerne bei der Steinzeit an. Elke interessierte das alles nicht im geringsten und ihr größter Wunsch war es Kinder zu bekommen, ein Wunsch den Martin keinesfalls mit ihr teilte. Die Vorstellung in seinem Bauwagen nicht nur von Elke, sondern auch von Kindergeschrei gestört zu werden, ließ ihn sofort zu einem weiteren Chillum greifen. Als Elke immer hysterischer wurde, begriff Martin, dass er sich entweder von Elke trennen musste, oder Vater eines Kindes werden und Elke wurde endlich schwanger. Als der Junge neun Monate alt war, reisten Martin und Elke nach Indien und zogen entlang der Strände von Norden nach Süden, über Orissa und Andhra Pardesh bis Tamil Nadu und dann wieder nach Norden, über Kerala und Karnataka bis nach Goa. Wenn sie Essen gingen und das taten sie jeden Tag, wurde das Kind ihnen sofort von fürsorglichen Mitarbeitern des Restaurant abgenommen, damit die Eltern in Ruhe speisen konnten. So lernte ihr Sohn denn an den Stränden des indischen Ozeans und des arabischen Meeres laufen und außerdem aß er fast alles, denn die fürsorglichen Betreuer hatten dem Kind, während sie es liebevoll durch die Gegend trugen, alle möglichen, landestypischen Spezialitäten in den Mund gesteckt. Martin, der sehr wohl wusste, dass er so schnell und erst recht nicht so lange, wieder nach Indien kommen würde, stockte seine Warenbestände so umfassend auf, dass sie am Ende der Reise einen Container mieten mussten, um ihre Einkäufe zu verschiffen. Braungebrannt und entspannt kamen sie wieder in Deutschland an und besuchten erst mal ihre Freunde. Martin genoss es sehr, endlich wieder ausufernde, abwegige und in alle Richtungen mäandernde Gespräche zu führen und Elke war ausgeglichener als jemals zuvor. Wir gingen zusammen essen und Märchenerzähler, der er war, unterhielt Martin die ganze Tischgesellschaft mit Anekdoten aus ihrem Indienurlaub. Später kreiste dann das Chillum und irgendwann leisteten uns die Götter Indiens und des alten Europas Gesellschaft, denn Martin kannte sich wirklich gut aus. Elke und ihr gemeinsamer Sohn lagen schon lange im Bett und ich fragte mich, wie lange das wohl gut gehen würde.
Wer besticht muss nicht bestechend sein.
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BUCHSTABEN SPAGAT.
Seit der Spoiler der Aluhut der gebildeten Schichten geworden ist, ging die Toleranz ins Exil und suchte sich einen Schneewittchensarg. Sargträger gibt es auch nicht mehr genug und wo der Wald schwindet, schwindet auch die Möglichkeit, am Fuße eines Baumriesen den ewigen Frieden zu finden. Ganz schön verkorkst alles, aber solange der Wein nicht nach Korken schmeckt, wird sich schon eine Lösung finden. Wir bleiben locker und locken ein paar dumme Gedanken aus der Defensive, denn wo gedacht wird, wird auch geträumt. Schlafwandlerisch kommt der Traum jede Nacht wieder und fordert Teilhabe ein, denn selbst wenn man teilen und herrschen kann, so wird man doch noch lange nicht glücklich sein. Kleine, gelbe Entchen treiben durch das Schaumbad und wer wo Kapitän ist entscheidet der Zufall.
Ich war schon vor über einem Jahr nach Hamburg gezogen, als an der Langen Reihe das „Himalaya“ eröffnet wurde und auch wenn der Gründer des Geschäftes sich mehr an Nepal orientierte, so hatte der Laden doch zahlreiche Artikel eines klassischen Indienshops im Angebot. Wie schon im Indienshop am Mittelweg, waren auch die Preise im Himalaya nicht gerade besonders günstig und ich begnügte mich meistens mit Räucherstäbchen und Patchouli. Am meisten begeisterte mich ein bodenlanger, aufwendig bestickter Lammfellmantel, der jahrelang im Schaufenster ausgestellt wurde und mit einem Preis von über tausend DM leider völlig unerschwinglich war. Ich stellte mir gerne vor, wie ich an kalten Wintertagen, in der noch ungeheizten Wohnung, mit einem schnurrenden Kater auf dem Schoß, eingehüllt in den fantastischen Lammfellmantel, stilvoll bei einer Kanne Tee, mein Frühstück zu mir nehmen würde, bis es dann in der Wohnung warm genug geworden wäre. Das Himalaya gibt es noch heute, der Indienshop am Mittelweg hat die globalisierte Konkurrenz nicht überlebt. Anfang der achtziger Jahre waren all die exotischen Dinge aus Asien, noch etwas ganz besonderes und wurden meistens von reisenden Hippies, die ihre Verkaufswaren geradezu unglaublich günstig eingekauft hatten, mitgebracht. Mit astronomischen Gewinnspannen boten sie ihre Mitbringsel dann im privaten Kreis, auf Wochenmärkten und Weihnachtsmärkten, Flohmärkten und den damals gerade aufkommenden Mittelaltermärkten, an. Noch Anfang der neunziger Jahre, als Ivo in Begleitung einer neuen Flamme, genauso frisch bekehrt wie er, aus Poona zurückkehrte, konnte man sich mit den Exotika aus Asien eine goldene Nase verdienen. Chandre, vor Poona noch Lea, war ungemein Geschäftstüchtig, sie reiste jedes Jahr einmal, lieber noch zweimal, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, in eine möglichst unterentwickelte Region des asiatischen Kontinent und ging dort auf Einkaufstour. Sie scheute keinerlei Mühen, um in die entlegensten Winkel vorzudringen und und ganz und gar ausgefallene Objekte zu erwerben. Aus Vietnam brachte sie wunderschöne, uralte Ketten aus silbernen Kugeln, traditioneller Familienschmuck mit, die sie für einen Spottpreis von den Einheimischen, die bisher völlig autark lebten und noch nie die Möglichkeit gehabt hatten, irgendwelche Erzeugnisse Gewinn bringend zu verkaufen, erstanden hatte. Die Vorstellung davon, wie Chandre den Leuten ihren alten Familienschmuck, für einen Apfel und ein Ei abluchste, um ihn in ihrer Heimat für viel Geld weiter zu verkaufen, berührte mich peinlich. Als ich Chandre fragte, wie sie es denn finden würde, wenn findige Händler ihren alten Großeltern, die zwar über materielle Güter, aber kein Bargeld verfügten, ihre Schätze für viel zu wenig Geld abnehmen würden, gefiel ihr das gar nicht. Zu ihrer Rechtfertigung führte sie an, dass Bagwahn, nun schon Osho, seine Adepten dazu ermuntert hatte, möglichst geschäftstüchtig zu sein, was mich wiederum gar nicht überzeugte. Ein bisschen besser kam ich mit dem Geschäftsmodell meines Freundes Martin klar, der einen Quacksalberstand auf Mittelaltermärkten führte. Zwar hatte auch Martin diverse Artikel aus Indien, die er während seinem alljährlichen Winterurlaub auf dem Subkontinent günstig erwarb, im Angebot, aber immerhin stand die Idee des Quacksalberstand und nicht nur der pure Profit, im Vordergrund. Martin interessierte sich hauptsächlich für Gewürze und Heilkräuter, die er an seinen Stand verkaufte, oder in diversen Ölen und Tinkturen weiter verarbeitete. Im Laufe der Jahre hatte er sich eine veritable Sammlung an alten Apothekerbüchern zugelegt und produzierte immer mehr selbstgemachte Aphrodisiaka und Heilsalben. Von Hünenhafter Statur und sehr selbstbewusst, konnte er leidenschaftliche Vorträge über seine Produkte halten, was ihm einen Stamm treu ergeben Kunden und Kundinnen verschafft hatte. Am faszinierendsten fand ich seine Kenntnisse über Pfeffer. Auf einer seiner Indienreisen, hatte Martin die die Wonnen des Strandurlaubs weit hinter sich gelassen und war dahin gereist wo der Pfeffer wächst. Er konnte fachkundig über roten, grünen, weißen und schwarzen Pfeffer, Erntezeitpunkte und Trocknungsverfahren dozieren und er bedachte uns großzügig mit all seinen Pfeffervarianten.
Der Berg ruft, aber der Sturm kommt.
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WINSEL KOLLER.
Gesünder ist es meistens nach den Vorteilen zu schauen und nicht nach den Nachteilen. Einer der größten Vorteile des Lockdown ist, dass wir die Umwelt schonen. Ein mehr altruistisches, als egoistisches Argument, aber nichtsdestotrotz kommt die Schonung der Umwelt eben allen zu Gute. In diesem Fall ist das Gute nicht das was man tut, sondern das was man unterlässt. Nach Corona wird nichts mehr so sein, wie es vor Corona war, aber ob wir nun nach Indien reisen oder in das Innerste unserer Phantasien, bleibt sich zwar nicht gleich, ist aber trotzdem spannend. Die Phantasie, das Glück, die Ekstase, Liebe und Leidenschaft sind uns eingeboren, aber wie wir es umsetzten, zum Nutzen oder zum Schaden der Welt, ist eine ganz andere Frage. Das Virus ist gemein, denn es stellt die Mobilitätsfrage und beantwortet sie glasklar damit, dass Mobilität, die über die Geschwindigkeit von Pferden hinaus geht, einfach nur schädlich ist.
Ebenfalls in Brighton entdeckte ich einen riesigen Indienshop, den ich begeistert mehrmals aufsuchte. Der einzige Indienshop den ich bis dahin kannte, befand sich am Mittelweg in Hamburg. Anlässlich der Einrichtung meines neuen Zimmers, auf dem Dachboden des alten Bauernhofes, waren meine Mutter und ich zusammen nach Hamburg gefahren. Das Bett und den Schreibtisch, sowie eine kleine Kommode, alles in mattschwarz mit polierten Messingbeschlägen, kauften wir in einem skandinavischen Möbelhaus am Neuen Wall, einem der bevorzugen Geschäfte meiner Mutter. Sie liebte den kühlen, klaren Einrichtungsstil der Skandinavier und ich war durchaus einverstanden damit, aber ein paar Schnörkel und Ornamente gefielen mir auch ganz gut. Das Zimmer auf dem Dachboden, eine ehemalige Knechte oder Mägdekammer, war nicht besonders groß und außer meinem Bett, der Kommode und dem Schreibtisch, samt dazugehörigen Klappstuhl, auch mattschwarz, passte nicht mehr besonders viel hinein. Ein Sofa hätte den Raum schon gesprengt, aber ich wünschte mir sowieso einen Pfauenthron. Um solch ein geflochtenes, exotisches Korbmöbelstück zu erwerben, mussten wir in den Indienshop am Mittelweg. Mit seinem Geruch nach Sandelholz und Patchouli, seinen psychedelisch bunten Seidentüchern und Schals, bemalten und geschnitzten Dosen und Schachteln, Messingschalen und Figuren, den bestickten, langen Kleidern, deren Stoffe wie Wasser durch die Hände flossen, den Statuten des tanzenden Shiva, von Hanuman, Lakshmi und Kali, überwältigte der Laden mich komplett. Die Preise all dieser wunderbaren Dinge aus tausend und einer Nacht, entsprachen allerdings der Monopolstellung des Geschäftes und der Lage am Mittelweg, der Pfauenthron, den sie tatsächlich im Angebot hatten, war richtig teuer. Obwohl das exotische Möbelstück nicht unbedingt ihrem Geschmack entsprach, erkannte meine Mutter doch den damals noch ziemlich einzigartigen Charme des Pfauenthron und nicht ohne mich darauf hin zu weisen, dass der Preis meines zukünftigen Prunksitzes unter uns bleiben sollte, kaufte sie ihn. Als aktive Sozialdemokratin mit Parteibuch, hatte meine Mutter ein klares Verständnis von angemessenen Preisen, aber als leidenschaftliche Innenarchitektin, gingen ihr ästhetisches Empfinden und ihre Großzügigkeit dann doch vor. Der Pfauenthron, mehr Dekorationsgegenstand als belastbares Möbelstück, zog später mit mir in die kleine Dachwohnung in Nienstedten und dann ins Schulterblatt, wo er sich im Laufe der Jahre immer mehr auflöste. Vor etwa anderthalb Jahren entdeckte ich in der Bartelsstraße einen Pfauenthron, im Schaufenster eines dieser typischen, kleinen Zeitgeist Dekorationsgeschäfte, die seit der Hipwerdung des Viertels, wie Pilze aus dem Boden schossen. Der Laden wurde vor kurzem aufgegeben, er hat die Corona Krise nicht überlebt. Der Indienshop in Brighton war das komplette Gegenteil, des elitären Ladens am Mittelweg. Mehr Ramschladen als Boutique, aber von den Ausmaßen eines kleinstädtischen Supermarktes und die Preise entsprachen auch eher einem Supermarkt, als einer Boutique. Nach gründlicher Sichtung des Angebots, entschied ich mich für einen, mehrere Meter langen, hauchzarten Seidenschal in rot und orange Tönen, den ich dann dekorativ hinter mir her wehen ließ. Der durchsichtige, grauschwarze, mit goldfarbenen Ornamenten bedruckte Tellerrock, gehörte schon zu den etwas teureren Teilen, aber er machte auch mächtig Eindruck. Wenn ich die Rocksäume links und rechts an den Seiten, bis zu meinem Kopf hoch nahm, berührte der größte Teil des federleichten Rocks, immer noch den Boden. In dem plissierten Teil konnte man tanzen wie ein Sufi in Trance und das goldene Muster wirbeln lassen. Zur olfaktorischen Abrundung meines Auftritts erwarb ich ein paar enorm günstige Minifläschchen mit Patchouli.
Man ist so gut, wie es einem geht.
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TASSEN GESELLSCHAFT.
Was soll eigentlich mit der Diskussion um sogenannte Impfprivilegien bezweckt werden, solange es nur für einen verschwindend kleinen Teil der Gesellschaft, überhaupt ein Impfangebot gibt. Seit mindestens drei Wochen schon bemühen sich etliche Angehörige der pflegenden Zunft, um einen Impftermin und der ist nach wie vor in weiter Ferne. Das ist eine komplette Scheindiskussion, die mit der Impfsituation nicht das geringste zu tun hat. Solange es nicht für alle Impfwilligen ein Impfangebot gibt, erübrigt sich jedwede Diskussion um Impfprivilegien. Anderenfalls drängt sich der Eindruck auf, dass es um die Privilegien von Vordränglern geht, die sich unter fadenscheinigen Gründen eine vorzeitige Impfung erschlichen haben. Interessanter wäre sowieso eine Diskussion darüber, warum der Staat nicht ganz schnell selber in die Impfstoffproduktion einsteigt, anstatt immer nur das Geld der Steuerzahler an die Pharmakonzerne weiter zu reichen.
Anfang der achtziger Jahre befand sich, in der damals noch völlig unrenovierten Deichtorhalle, ein sogenanntes Antik Zentrum, das aus etlichen kleinen Antiquitätengeschäften bestand. Die Seminare der reformierten Juristenausbildung waren meistens am frühen Nachmittag beendet und dann fuhr ich gerne zum Hauptbahnhof, lief runter zur Deichtorhalle und stöberte in den kleinen Antiquitätenläden herum. Die ganze Anlage war ziemlich dunkel und tauchte die Läden in ein diffuses Licht, was sie noch geheimnisvoller erscheinen ließ, als sie schon waren, mit ihrem Sammelsurium von Dingen, die, die Vergangenheit in sich bargen. Schon während meiner Sprachunterricht freien Sprachferien in Brighton, hatte ich mein Faible für skurrile, kleine Antiquitätengeschäfte entdeckt, in denen sich zauberhafte Dinge versteckten, die im besten Fall nicht nur schön sind, oder ganz besonders, sondern auch Geschichten erzählen, von lang vergangenen Zeiten. Anstecknadeln, Armbänder und Reifen, Broschen, Halsketten, Ohrringe, phantasievoll bemalte Teller und Tassen, Beistelltischchen, dreibeinige Schemel, glänzende Mahagonimöbel, gigantische Massivholzschränke und Hochzeitstruhen, aufwendig berüschte Regenschirme aus verschlissenen Seidenstoff und nicht minder aufwendig verzierte Spazierstöcke. Jedes Ding ein Roman für sich. In den hintersten Ecken, wo die Antiquitäten zum Trödel wurden, verbargen sich, von Feuchtigkeit fleckig gewordene, Blumen bestickte Umschlagtücher, löchrige Spitzenkleider und armlange Samthandschuhe, abgewetzte Zylinderhüte und etwas aus der Form geratene Kopfbedeckungen für Damen. Viel konnte ich mir mit meinem beschränkten Budget nicht leisten, aber nach lustvollem, längerem Suchen fand sich doch immer wieder ein Paar Ohrringe, ein silberner Armreif, eine unechte, dafür umso auffälligere Brosche, die ich unter Vernachlässigung meiner finanziellen Verhältnisse lustvoll erwarb. Mit den Anstecknadeln ersetzte ich die fehlenden Knöpfe, der im Brustbereich aufwendig plissierten Herrenhemden, aus dem Second Hand Shop für Textilien, derer es auf der Schanze und im Karo damals etliche gab und das schönste Hemd wurde von oben bis unten mit Anstecknadeln zusammen gehalten. Leider klebten weder die Anstecknadeln, noch die bunten Broschen an mir. Nach durch tanzten Nächten kam ich meistens ein wenig leichter nach Hause, denn mindestens eines der zauberischen Teile hatte sich selbstständig gemacht. Am selbstständigsten von allen Schmuckstücken, war der Rosenkranz of Halluzination, eine mehrfach um meinen Hals geschlungene Kette aus jetschwarzen Facette Glasperlen, die in allen Farben des Regenbogens glänzten. Ich hatte die ungefähr anderthalb Meter lange Kette von meiner Urgroßmutter geerbt und in einem der kleinen Antiquitäten Läden in der Deichtorhalle, ein adäquates Teil entdeckt und sofort erworben. Nach ersten Perlenverlusten knotete ich die beiden Ketten zu einer extra langen Kette zusammen, von der ich mich fortan erst mal nicht mehr trennte. Lustvoll feierte die Kette mit mir, riss regelmäßig und die verführerisch schillernden Perlen kullerten wild durch die Gegend. An Hilfe mangelte es mir beim Einsammeln der schwarzen Regenbogenperlen nie, aber lange nicht alle ausgebrochenen Perlen kehrten auch zurück. Ich fand sie wieder, eingeflochten in die Dreadlooks meiner Freunde, ihren Ohrringen und Halsketten. Irgendwann setzte der Rosenkranz of Halluzination sich dann in einer ausrangierten, gläsernen Wasserpfeife zur Ruhe, wo er noch heute unter einer veritablen Staubschicht weiter träumt.
Erst Horst dann Host.
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SCHIMPF STRATEGIE.
Das viele Köche den Brei verderben, ist ja schon seit längerem bekannt und das viel nicht immer viel hilft ebenfalls. Wenn dann allerdings alle an einem Strick ziehen, sieht die Sache schon ganz anders aus und die Weichen muss man sowieso stellen. Wer nun aber trotzdem vom Weg abweichen will, hört auf seinen inneren Kompass, tut gut daran, die Orientierung nicht zu verlieren und rennt den Schafen nicht hinterher, denn hinter den Schafen bellt der Hütehund und vor den Schafen wartet der Wolf, mit dem man auch nicht heulen sollte. Wie man es dreht und wendet, Fehler sind unvermeidbar und Gefahren lauern überall. Es muss nicht immer knallen in Neu Rom, manchmal reicht ein unsichtbarer Feind schon aus und die Ordnung ändert sich, erst unsichtbar und dann unwiederbringlich. Was heute noch galt, gilt morgen schon lange nicht mehr und was übermorgen sein wird, steht in den Sternen, die wir nur deuten können.
Ebenfalls von großer Magie sind die Kleidungsstücke geliebter und bewunderter Personen. Wenn wir als kleine Mädchen während unserer Verkleidungsorgien, in die viel zu großen Stöckelschuhe, später High Heels genannt, unserer Mütter stiegen, eigneten wir uns ein wenig von ihrer gesellschaftlichen Stellung an, obwohl wir kaum mit den Schuhen laufen konnten. Jahre später fand dann so mancher geliehener Pullover seinen Weg, selbst nach mehrfachen Aufforderungen seines Herrchens oder Frauchens, einfach nicht nach Hause zurück. Wenn die Liebe dann zerbricht, findet der geliebte Pullover, im günstigsten Fall, seinen Weg nach Hause zurück, oder verschwindet in der hintersten Ecke eines dunklen Kleiderschrankes. Manchmal müssen die fetischisierten Kleidungstücke auch stellvertretend herhalten, für die Wut und den Frust einer enttäuschten Liebe, was dann schon fast an ein spontanes Voodoo Ritual erinnert. Es kommt auf den Kontakt an, dass getragene Kleidungsstück nimmt etwas an, von seinem Träger oder seiner Trägerin und wird zur Brücke, über die, die betreffende Person erreicht werden kann. Mächtiger noch sind direkte Teile der geliebten oder gehassten Person und so finden sich denn immer wieder Haarsträhnen geliebter Menschen im Inneren von Amuletten und Fuß und Fingernägel im Körper von Voodoo Puppen. Auch im Christentum sind magische Körperteile und Kleidungsstücke weit verbreitet und werden als Reliquien hingebungsvoll verehrt. Für einen Eckzahn Buddhas wurde, nach einer langen Odysse, vor ein paar hundert Jahren in Ceylon, heute Sri Lanka, ein prächtiger Tempel gebaut und Muslime verehren die Barthaare des Propheten Mohammed. Als der Sperrmüll noch alle paar Monate unten an der Straße abgestellt werden konnte, was im Karo und Schanzenviertel, in Eimsbüttel und St. Pauli, im Lauf der Nacht meistens in eine öffentliche Party mit integrierter Materialschlacht ausartete, fanden sich zwischen all den ausrangierten und nicht mehr benötigten Gegenständen auch etliche Stofftiere. Fast immer einstmals sehr geliebt, saßen sie nun abgenutzt und abgewetzt inmitten der Sperrmüllgebirge und verströmten eine tiefe Traurigkeit. Ich fand ihren Anblick ziemlich unerträglich und noch heute residiert im Zimmer hinter der Küche ein dunkelgrünes Nilpferd, das ich einfach nicht auf dem Sperrmüll verkommen lassen konnte. Zu den begehrtesten Sperrmülltrophäen gehörten alte Nähmaschinen mit mechanischem Fußantrieb. Wer so eine Nähmaschine ergatterte, hatte entweder sehr viel Glück gehabt, oder war professionell dabei. HaHe und ich waren mit der Ente unterwegs zu einer Party, als wir die Nähmaschine am Straßenrand in Ottensen erspähten. HaHe wendete die Fahrrichtung sofort und wir inspizierten unsere Entdeckung aber ohne die Rückbank auszubauen passte die Nähmaschine nicht in die Ente. HaHe fuhr nach Hause, um die Rückbank auf einem Parkplatz in der Nähe unserer Wohnung auszubauen und ich blieb zur Bewachung der Nähmaschine an Ort und Stelle zurück. Das war auch dringend nötig, denn obwohl die Wohnstraße ziemlich dunkel und wenig befahren war, kamen immer wieder Kleintransporter mit mehr oder weniger professionellen Sperrmüllsammlern vorbei und zeigten deutliches Interesse an der Nähmaschine. Für die nicht professionellen Sammler galt letztendlich, dass wer das Beutestück zuerst entdeckt hatte, es auch mitnehmen konnte, mit den richtigen Profis wurde es dann schon schwieriger. Ich musste unmissverständlich klar machen, dass ich die ganze Straße zusammen schreien würde, wenn irgendjemand mir oder der Nähmaschine zu nahe kommen würde und war heil froh, als HaHe endlich wieder auftauchte. Wir luden die Nähmaschine ein und nahmen sie erst mal mit zur Party. Ein paar Jahre später verabschiedete sie sich völlig von ihrem profanen Arbeitsleben und wurde zum antiken Beistelltisch umfunktioniert.
Die Kirche bleibt im Dorf, aber das Wetter nicht in der Küche.
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