STUSS
     MUND

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31.03.21 28.03.21 25.03.21 22.03.21 13.03.21 10.03.21 07.03.21 04.03.21 01.03.21
HALBE ACHTEN.

Wir bekommen die Politiker und Politikerinnen, die wir verdienen, Geldoptimierer, Gelddarsteller und weichgespülte Heulsusen, die es allen recht machen wollen. Das jede Art, die zu erfolgreich ist, untergehen wird, ist eine naturwissenschaftliche Erkenntnis, vor der sich alle drücken. Wir sind zu viele, wir nehmen zu viel Raum in Anspruch und wir essen zu viel und wenn wir nicht ganz blöd sind, begreifen wir das. So werden viel schöne Dinge und auch Gedanken ein Albtraum, denn selbst das Schöne wirft einen Schatten. Was ist mein Schatten ohne mich und was bin ich ohne meinen Schatten. In der Schattenwirtschaft werden Steuern Schutzgeld genannt. Ohne Steuermänner und Steuerfrauen geht es allerdings nicht und das Ruder sollte man sowieso nicht aus der Hand geben, nicht mal von der Hand in den Mund. Mundräuber wissen das, aber Harmonie im Mund ist etwas anderes.

Als Fan des gehörnten Mann aus der keltischen Mythologie, liebte Martin diese Aufführung und das Sahnehäubchen waren die tanzenden Feen, von denen einige durchaus feenhaft rüber kamen. Weder im Haus der Bäcker, im Obstgarten oder auf dem Zeltplatz, brannten noch Lichter, dass Lagerfeuer der Ritter war niedergebrannt und nur die Glut leuchtete wie ferner Planet in der blauen Dunkelheit der Mittsommernacht. Von seinen Feen umgeben und in eine ihrer schwarzen Kutten gehüllt, hatte der gehörnte König sich am Lagerfeuer nieder gelassen und der zweite Akt, des Mittsommernacht Schauspiels begann. Wäre es nach mir gegangen, hätte jetzt Titania, die Elfenkönigin aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, der natürlich ein Mittsommernachtstraum ist, die Bühne betreten. Sie war mir das erste mal im Deutschleistungskurs über den Weg gelaufen, denn anstatt Goethes „Doktor Faust“ und „Wilhelm Meister“ , lasen wir im Unterricht „Romeo und Julia“ und „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare. Unser Deutschlehrer war ein außerordentlich belesener, sehr intellektueller Familienvater mittleren Alters, ohne einen Funken Autorität. Shakespeare anstatt Goethe, war seine Interpretation des Fortschritts, der durch die Studentenrevolte von 1968, mittlerweile auch an den ländlichen Gymnasien gefordert wurde. Der Deutschleistungskurs war nicht besonders groß und die meisten meiner Mitschülerinnen interessierten sich nur marginal für ihr Fach. Ich weiß nicht, ob Shakespeare statt Goethe wirklich revolutionär war, aber ich fand „Ein Sommernachtstraum“ und Teile von „Macbeth“ einfach toll. An Goethe lief ich weiterhin vorbei, selbst im Studium der Germanistik wurde er nicht mehr gefordert und als ich dann fünfzehn Jahre später die „Walpurgisnacht“ im „Faust“ las, war ich begeistert. Ich las mir die Verse laut vor und war sehr froh darüber, dass man mich nicht im Alter zwischen siebzehn und neunzehn Jahren damit belästigt hatte und mir den Spaß an Goethe wahrscheinlich für immer verdorben hätte. Titania ließ mich nicht los, im Herbst traf ich sie am Wasserturm im Schanzenpark, sie lebte in meinen Träumen und ein paar Jahre später begegnete sie mir, in der Werbung eines Telekommunikationsunternehmen wieder und am Schauspielhaus lief der Mittsommernachtstraum, mit Ulrich Wildgruber als Oberon. Im Studium der feministischen Literaturwissenschaft waren wir, inspiriert von Simone de Beauvoir, Susan Sontag und Nancy Friday, immer auf der Suche nach Königinnen, Macht und selbstbewusst wie Titania, Königin der Elfen aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“. Meine besondere Bewunderung galt der amerikanischen Publizistin Germaine Greer, die ein Buch mit den Titel, “Der Weibliche Eunuch“ heraus gebracht hatte, aber Germaine Greer war den meisten meiner Kommilitoninnen dann doch zu radikal. Der Konflikt entfaltet sich an der Grenze zwischen Bitte sagen und fordern und das Schöne ist, dass Titania keins von beiden nötig hat, denn sie kann zaubern. Wer dann allerdings nicht zaubern kann, muss fordern oder untergehen.

Fuck You Kröte.

MECKER VORRAUSSAGE.

Das die Hälfte des Himmels einem Pferd gehört, wissen wir nicht erst seit Tanja Blixen, denn ohne Pferde geht es nicht. Lange schon vor den Machenschaften derer von Thurn und Taxis, eilten Pferde, schneller als der Wind, durch die wilden Weiten der Kommunikationslandschaft und brachten Nachrichten, auf dem schnellsten Wege, von A nach B. Wissen ist eben doch Macht und Waffen dienen ihrem Erhalt. An der dörflichen Haltestelle, geraten solche Fragen aus dem Fokus und wer überleben will, macht mit, oder hält der Eule einen Spiegel hin. Ich drücke die Bank und den Knopf, damit die Eule einfach weg fliegen kann und Langschläfer machen ihren Hals länger. Kurz gedacht kann trotzdem lange halten, auch ganz ohne Haltungsschäden. Wer sich nicht fest hält, wird auf die Dauer jeden Halt verlieren, oder an der nächsten Haltestelle ausgesetzt, wie ein Pils, der seinen Hexenring verloren hat.

Mittlerweile waren, Arm in Arm, auch Madame Astrana und Wotan an Bernds Lagerfeuer aufgetaucht und ich fragte mich, wie viele der kleinen, dreckigen Monster bei Madame Astranas Zelt, wohl auf Wotans Konto gingen. Jutta blieb es erspart, ihre Ambitionen auf Wotan verschwinden zu sehen, Till hatte sie in seinen VW Bus entführt, damit sie sich ganz in Ruhe erholen konnte. Jörn flirtete mit einer Bäckerin, Hasy war Ivo und den großen Stefan hinterher geeilt, um ihnen bei der Verarztung des kleinen Stefan zur Seite zu stehen und Bernd musste sich wieder seinen Pflichten als Oberhaupt der Ritter widmen. Der Höhepunkt des Sommerfestes stand noch bevor, ein Schauspiel, dass am zentralen Lagerfeuer des Festivals statt finden sollte. Von den Rändern kroch die Dunkelheit immer dichter heran und die kleineren Lagerfeuer erloschen, eins nach dem anderen, bis nur noch das Feuer der Ritter und das große Feuer auf dem Festival Gelände brannten. Dann flog ein brennender Pfeil vom Feuer der Ritter zum großen Lagerfeuer und explodierte noch in der Luft, mit einem Ohren betäubenden Knall. In die Stille nach dem Knall fiel eine Conga ein, der etliche Trommeln folgten. Es war ein bisschen wie bei „Pipes Of Pan“ von Brian Jones und ich wartete nur noch auf einen schrillen Schrei, der die Nacht in tausend Stücke schneiden würde. Satt dessen löste sich eine Prozession schwarz gekleideter Gestalten aus der Dunkelheit. Sie zogen einen mit Blumen geschmückten Leiterwagen, auf dem ein fast nackter Mann, mit einem Blumenkranz auf seinen hüftlangen Haaren stand, bis vor das große Feuer. Dann flog wieder ein feuriger Pfeil durch den Nachthimmel und der Mann mit den Blumen im Haar stieg ab vom Leiterwagen und verneigte sich vor dem Feuer. Was er sagte verstand ich nur, weil Martin Ossi und mich ganz vorne ans große Lagerfeuer gebracht hatte. „Mein Vater war der Gehörnte, mein Bruder der Bohnenkönig, ich aber werde leben“. Dann nahm er den Blumenkranz aus seinem Haar und warf ihn ins Feuer. „So stirbt das alte Jahr und das neue Jahr beginnt.“. Die schwarz Gekleideten antworteten mit, „Denn die Königin ist unsterblich“. Wie Raupen, die ihre Hülle abwerfen, ließen die schwarz Gekleideten ihre Kutten fallen und tanzten als bunte Feen weiter um ihren gestorbenen und wiedergeborenen König. Eigentlich hatte ich ja noch einen dritten Feuerpfeil erwartet, aber der blieb aus und keiner störte sich daran. Das Fest war auf seinem Höhepunkt angekommen und Martin krönte es mit einem weiteren Chillum. Ich musste an den Bohnenkönig aus „Pan Aroma“ denken, der zwar auf die Bohne im Kuchen biss, aber sein Schicksal nicht akzeptierte. Er lief seinem gesellschaftlich gefordertem Tod davon und lief bis nach Indien, wo er sich mit einer Frau zusammen fand, die sich den gesellschaftlichen Konventionen auch nicht beugen wollte. Dann liefen die beiden ganz schnell zusammen davon und lernten Jahrhunderte lang dazu. Sie wurden reich und weise und mussten sich trotzdem wieder streiten, über den Weg zur ewigen Glückseligkeit und bis aufs Blut.

Den Faden kann man verlieren, den Überblick nicht.

SCHIMPF ROSEN.

Ein wenig zum Weinen ist es schon, dass Notstandsgesetze nur greifen, wenn Studenten gegen soziale Missstände auf die Straße gehen und nicht, wenn eine Naturkatastrophe, in Form eines Virus, über die ganze Welt hereinbricht. Das Rumgemurkse sollte mal aufhören und wer Nägel mit Köpfen macht, gewinnt das Spiel. Unsere angelsächsischen Verwandten haben das schon lange begriffen und handeln danach. Die Krise ist halt kein Spiel und wer gewinnen will, sollte sich nicht zieren. Zur Zierde gereichen gute Gedanken immer, aber zum Sieg verhilft nur der Freundeskreis. Am Anfang war das Virus und wo die Gedanken den Kreis verlassen, kreisen sie dennoch um ein Ziel und das ist der Sieg über das Virus. Wahrscheinlich ist das alles falsch gedacht und es gibt keinen Sieg, sondern nur Kooperation mit dem Virus, das bleiben wird und die Welt verändern, weil es ein revolutionäres Virus ist.

Martins Süffisanz verbesserte Stefans Zustand nicht, ihm war nicht nur die Kontrolle über seine Zunge entglitten, man sah ihm seine Paranoia deutlich an. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die fröhlich tanzenden Flammen des Lagerfeuers und gab dabei ein paar unartikulierte Laute von sich. Das der große Stefan unübersehbar besorgt auf ihn einredete, entbehrte einer gewissen Komik nicht, machte die Lage aber auch nicht besser. Mittlerweile waren Ossi und Till wieder zu uns gestoßen und mit einem Drachenchai in der Hand, konnten sie sich das Grinsen nur mühsam verbeißen. Das ganze Gegrinse wirkte völlig kontrapunktiv, denn wie die meisten Drogen Paranoiden, bildete der kleine Stefan sich nicht nur ein, dass über ihn gegrinst wurde, die glücklicher Berauschten grinsten tatsächlich über ihn. Dann erbarmte Jutta sich und setzte sich neben den kleinen Stefan, nahm seine Hand und redete ganz entspannt mit ihm. Das half ein bisschen. Martin nahm ein neues Chillum in Angriff und Bernd erzählte aus dem Nähkästchen eines Ritters. Die meisten Kämpfe waren Schaukämpfe, egal ob Mann gegen Mann, oder als Gruppenschlacht, unterlagen einer festgelegten Choreografie, wie bei den Wrestlern. Es gab gute, weiße Ritter und böse, schwarze Ritter, was meistens an den Rüstungen und Helmen zu erkennen war. Problematisch konnte es werden, wenn sie mit dem Mittelaltermarkt an einem Ort auftraten, an dem ein Heimatverein mit Schwerpunkt auf Ritterkämpfe beheimatet war. Für die Mitglieder solcher Vereine war die Rittertruppe des Mittelaltermarktes ein echter Leckerbissen und sie wollten ihr Können natürlich vorführen. Die professionellen Ritter waren davon gar nicht so begeistert, erst recht nicht, wenn mehr als ein Turnier Mann gegen Mann gewünscht wurde, sondern gleich eine Schlacht der Ritter vom Mittelaltermarkt, gegen die des Heimatvereins. Solche Veranstaltungen führten ganz leicht zu Knochenbrüchen, was für die Ritter des Mittelaltermarktes desaströs war und noch schlimmer war es, wenn Ritter der Heimatvereine schwerwiegend zu Schaden kamen, denn das zog Schadensersatzklagen nach sich. Die Versicherung gegen solche Unfälle, war einer der höchsten Posten in Bernds finanzieller Kalkulation. Darauf gab es dann noch einen Drachenchai und ich musste an das Mittelalter/Fantasy Live Rollenspiel denken, auf dem ich für Gereon gefilmt hatte. Die Heimatverein Truppe aus England, die auf dem Campingplatz mit scharfen Waffen trainiert hatte, wäre bestimmt ein ernst zu nehmender Gegner für Bernds Ritter gewesen. Drachenchai beschwingt flog ich an den See der Wassergeister und zu Cicuta mit der Rabenfeder zurück. Die Nacht in der alten Scheune, Mondlicht das durch die Ritzen fiel und die Geschichte eines Hexenfluges. Feurige Funken stoben in den nachtblauen Himmel, Sterne funkelten, Nachtfalter torkelten, Mücken kamen ab vom Weg, eine Querflöte mischte sich ein und die Akkorde akustischer Gitarren schwebten dazwischen. Bernds Rittertruppe hielt das Lagerfeuer prächtig in Stand und der kleine Stefan gewann langsam wieder ein wenig Kontrolle über seine Zunge und seine Motorik. Er riss sich von Jutta los, fing hysterisch an zu schreien und verlangte, das Feuer sofort zu löschen. Nur der beherzte Einsatz Ivos und des großen Stefans hinderte ihn daran, sich eigenständig darum zu kümmern. Bevor Bernd, der mittlerweile mächtig genervt war, den kleinen Stefan aus dem Verkehr ziehen konnte, erledigten Ivo und der große Stefan das und brachten ihn zu Elkes Bauwagen. Till kümmerte sich, um die in Tränen aufgelöste Jutta, die mit ihrer Beruhigungsmission komplett gescheitert war und Ossi reiste mir „Embryo“ und Bernd weiter.

Seine Haut kann man retten, sein Herz nicht.

ORDNUNGS STALKER.

Ist es eigentlich ironisch, Ironie mit einem Ironie Smiley zu kennzeichnen? Wie blöd muss man sein und Willkommen dort. Querwiegende Argumente versperren den Weg in die Freiheit des selbstständigen Denkens und wer nicht quer denkt, denkt um die Ecke. An der Ecke macht sich das Quere sowieso fest, weil jede Querheit ihre eigene Ecke hat. Mit Nussecken hat das nichts zu tun, aber Extrawürste suchen sich ihre ökologische Nische und gestehen der Wurst ihr zweites Ende zu. Um den heißen Brei dreht sich sowieso alles, aber hartes Brot muss man einfach kräftig durchkauen. Ich beiße, also bin ich und wer nicht zubeißen will, muss in den sauren Apfel beißen, oder das Salz in der Suppe lassen. Das sauer nicht lustig sein muss, wissen sogar Sonnenanbeter, aber der Stoff aus den die Träume sind, wird nicht so schnell sauer und das Salz in der Suppe kann man sowieso nicht zählen.

Nachdem wir die Bäckerei ausführlich besichtigt hatten und die Produkte des Kollektivs nicht minder ausgiebig bewundert, wurde es dringend Zeit für einen weiteren Chai. In der langen Sommerdämmerung flirrte die Luft und Mückenschwärme tanzten über unseren Köpfen. Auf dem Gelände der Kooperative tummelten sich sämtliche Hippies und irgendwie angehauchten Alternativen, der Umgebung, plus Martins Kollegen und Kolleginnen vom Mittelaltermarkt. Die Bäcker waren dabei ein großes Lagerfeuer zu organisieren und auf dem Zeltplatz brannten bereits ein paar kleinere Feuer vor den Zelten und Wohnmobilen. Etliche Gäste hatten ihre Musikinstrumente mitgebracht, größtenteils akustische Gitarren oder Trommeln jeder Art, von Handtrommeln über Rahmentrommeln bis zu Kongas war alles dabei und auf dem Zeltplatz brummte ein Didgeridoo vor sich hin. So richtig harmonisch ging es nicht zu und Ossi, der aus den hohlen Stengeln des stattlichen Bärenklau, selber Didgeridoos baute und auch spielte, war mit den Klängen des Didgeridoo vom Zeltplatz, gar nicht besonders einverstanden. Eigentlich hatte Ossi ja ganz groß ins Didgeridoo Geschäft einsteigen wollen und dann auch schon mal etliche Didgeridoos aus Bärenklaustengeln produziert. Er las alles über Didgeridoos, was ihm in die Hände fiel und hielt seiner Kundschaft dann ausufernde Vorträge über Didgeridoos, ihre Geschichte, ihre Bauweise und wie sie zu spielen seien. Sein Hang zur Besserwisserei kam ihm dabei nicht zu Gute, denn die Kundschaft sah sich größtenteils auch als informierte Eingeweihte an. Das Didgeridoo mit seinen mystischen und magischen Eigenschaften, war etwas besonderes und machte sie zu etwas besonderem. Das Geschäft mit den Bärenklau Didgeridoos lieft nicht annährend so gut, wie Ossi es sich vorgestellt hatte, aber manchmal traf er doch auf gleichgesinnte Didgeridoo Enthusiasten, mit denen er dann endlose Fachgespräche führte. Mittlerweile hatte Martin uns durch das Getümmel auf dem Festivalgelände zum Zeltplatz gelotst und der Typ, der dort das Didgeridoo spielte, zählte definitiv zu den wahren Eingeweihten. Er hieß Till und reiste mit einem Instrumentenstand über die Mittelaltermärkte. Er trug spitze Schnabelschuhe, aus denen dunkelrote Leggings bis zu einem dunkelgrünen Samtjäckchen empor wuchsen, auf seinen schulterlangen Haaren thronte ein keckes Hütchen mit Federschmuck und sein Gesicht zierte ein zauseliger Bart. Wahrscheinlich hatte er sich nicht so richtig zwischen Robin Hood und Walter von der Vogelweide entscheiden können und trotzdem Ossi mit seiner Spielweise des Didgeridoos gar nicht einverstanden gewesen war, war es Liebe auf den ersten Blick. Die beiden stürzten sich in ein Fachgeplänkel, das weit über Bärenklau versus Eukalyptus hinausging und die musikalische Geschichte, mindestens des Planetensystems umfasste. Chai gab es bei Till nicht, aber wenigstens ein Chillum und nach kürzester Zeit zogen wir weiter und ließen Ossi zurück. Die Dämmerung verdichte sich immer mehr und was nicht ganz nah war verschwamm in der Dunkelheit am Horizont. Unter Martins Führung strandeten wir glücklich bei einem sehr prächtigen Zelt, vor dem ein gut gepflegtes Lagerfeuer brannte und dort gab es wieder Chai. Drachenchai, wie Bernd, der Anführer der Ritter uns erklärte, denn ihr Wappentier sei ein Drache, wie auf der Fahne, die über ihrem Zelt flatterte. Wie ein Ritter sah Bernd überhaupt nicht aus, er trug Jeans, einen veritablen Bierbauch und ein „Embryo“ T-Shirt dazu. Ich hege starke Befürchtungen, dass Ivo, als bekennender „Embryo“ Fan, nun auch abtrümmig werden würde, aber erst mal verließ uns der kleine Stefan. Er wollte nicht mehr aufstehen und bestand, völlig sprachlos darauf, an Bernds Lagerfeuer sitzen zu bleiben. Die Fähigkeit sich verbal auszudrücken, war ihm irgendwie abhanden gekommen oder im Chai untergegangen, wie Martin ein bisschen süffisant feststellte.

Wer mit den Hasen rennt, muss den Herren nicht dienen.

TOASTER URLAUB.

Das Hausärzte noch nicht impfen, liegt daran, dass immer noch nicht genug Impfstoff da ist. Irgendjemand hat es verkackt und niemand will es zugeben. So wird munter weiter im Kreis diskutiert und alle Fragen kreisen um den Impfstoff, von dem einfach nicht genug da ist. Paradoxerweise erzeugt der Impfstoffmangel einen Impfstau, den Impfstrategen mit Impfpässen elegant umfahren. Beständig ist sowieso nur die ständige Impfkommission und der elendige Impfstoffmangel. Impfpäpste ringen mit Impfhäretikern, Impfinfos gibt es allerorten und wer viel Glück hat, gewinnt in der Impfstofflotterie und wird von der Impffee wach geküsst. Wir zücken unseren Impfausweis und unsere Impfpistole, aber beim Impfzentrum ist ständig besetzt und Impfkoordinatoren ringen mit der dritten Welle, denn Ostern steht schon vor der Tür und wer noch kein Impfbesteck hat, kriegt auch keins mehr.

Die Führung durch die Bäckerei übernahm Elke, die dort lange Zeit regelmäßig mitgearbeitet hatte. Ein großer Teil der Bewohner des Bäckerei Anwesens, ob sie nun im Haus wohnten, oder in einem der ausgebauten Bauwagen, Busse und Transporter im alten Obstgarten, arbeitete in der Bäckerei. Das Martin, der ja mit seinem Quacksalberstand durchaus ausreichend beschäftigt war und außerdem ökonomisch erfolgreich, grundsätzlich nicht in der Bäckerei mitarbeitete, passte einigen Mitgliedern der Bäckerei Kooperative gar nicht. Da Elke aber schon seit Jahren sehr zuverlässig im Team der Kooperative mitgearbeitet hatte, wurde Martins Verhalten toleriert und das Martin so unzertrennlich mit seinem Chillum verbunden war, gefiel auch nicht jedem im Team der Bäcker. Durch das Sommerfest entstand immerhin eine Schnittmenge zwischen Martin und den Bäckern, denn Martins Freunde von den Mittelaltermärkten machten das Sommerfest attraktiver für Besucher, die ihr Geld an den Getränke und Essensständen der Kooperative ließen und den Bäckern zusätzliche Einnahmen für ihr Projekt bescherten. Auf dem riesigen Anwesen gab es immer noch etliche Baustellen und dringend der Renovierung bedürftige Gebäude. Außerdem sollte mehr Wohnraum für die Mitglieder der Kooperative geschaffen werden, denn mittlerweile waren einige von ihnen Eltern geworden. Auf wöchentlichen Plena, die ziemlich verbindlich waren, außer für Martin, wurden nicht nur die Bauvorhaben der Gruppe diskutiert, sondern auch ethische Grundsätze. Elke zuliebe war Martin ein paar mal mit zu den Plena gegangen, aber er fand das ganze, endlose Gelabere furchtbar. Am meisten gingen ihm die Feminismus Diskussionen auf die Nerven, obwohl er Frauen für völlig gleichberechtigt hielt, sich nach Elkes Aussagen jedoch keineswegs immer so benahm. Ivo hatte vollstes Verständnis für Martins Abneigung gegen die wöchentlichen Plena, er kannte sich bestens mit solchen Veranstaltungen aus, die in den ersten Jahren der Hausbesetzung ständig stattgefunden hatten. Zusätzlich zu den Renovierungsmaßnahmen, den Behördengängen und den Bauanträgen, die gestellt werden mussten, konnten jeder oder jede, der oder die sich irgendwie beleidigt fühlten, ihr Anliegen vorbringen, was dann zu erbitterten und endlosen Diskussionen führte. Leute wurden gemobbt und raus gegrault, Neuzugänge mussten sich auf dem Plenum vorstellen, wurden peinlich nach ihren Vorstellungen befragt und dann wurde darüber abgestimmt, ob sie in frei gewordene Wohnung ziehen konnten, oder zumindest die Anwartschaft auf eine Wohnung erwarben. Findige Bewohner ließen einfach ihre Freunde solange mit bei sich wohnen, bis sie irgendwie dazu gehörten und keiner ihnen mehr das Recht auf eine Wohnung verweigern mochte, was aber auch nicht immer gut ging. Ein besonders hitziges Plenum erwuchs aus der Beschwerde einiger Besetzerinnen, über den Nachbarn vom Gartenmarkt nebenan, den sie der Spannerei bezichtigten. Ihre natürlich Vorhang freien Fenster grenzten an den Hof des Gartenmarktes und anscheinend hatte der Inhaber des Geschäftes einige Blicke zu viel riskiert. Das bezweifelte eigentlich niemand, da der Pflanzen und Samenhändler im ganzen Viertel bekannt dafür war, jedem Rock hinterher zu glotzen, aber der Vorschlag, doch einfach Vorhänge an den Fenstern anzubringen, wurde nicht nur empört zurück gewiesen, sondern auch gleich unter Chauvinismus Verdacht genommen. Nun war der Nachbar sicherlich ein Spanner, aber auch einer der wenigen Geschäftsleute im Viertel, die den Hausbesetzern freundlich gesonnen waren und nach einer zermürbenden Nacht fand sich dann ein Kompromiss, der Vorhänge für die Fenster zum Pflanzenhof befürwortete und ein klärendes Gespräch mit dem Nachbarn.

Steine muss man nicht klopfen, Sprüche schon.

PHRASEN MÄHER.

Je älter ich werde, umso mehr plädiere ich für das Recht auf Zynismus. Ponyhof war gestern, Punkte zählen heute und wer keine Punkte sammeln will, attackiert das System oder mäht den Rasen. Über den grünen Daumen gepeilt, wächst das Gras auch nicht schneller aber Eckensteher müssen nicht mehr um die Ecke denken und das dicke Ende kommt sowieso. Wer nicht durch dick und dünn gehen will, wird auch nicht den Vogel abschießen, geschweige denn einen Blumenstrauß gewinnen. Wir sprechen durch die Blume, weil man mit Blumen einfach besser sprechen kann und Blumenmädchen keine Blume vor den Mund nehmen müssen. Was bleibt ist die strahlend weiße Blume des Osterhasen, die einfach davon hoppelt und sich im diffusen Licht der Dämmerung auflöst. Hinterm Knick beginnt das legendäre Land der Freiheit, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen.

Wir traten ein und wurden von Madame Astrana, der Meisterin der Karten in Empfang genommen, die mindestens genauso fantastisch dekoriert war, wie ihr Zelt. Die Trompetenärmel ihres dunkelroten, mittelalterlich inspirierten Samtgewandes, waren imponierend, der auf den Rock und das Schnürmieder gestickte Sternenhimmel ebenfalls, aber am auffälligsten war Madame Astranas Schmuck. Die Türkiskette um ihren Hals konnte es in jeder Hinsicht mit den Türkisen des unkoscheren Mönches aufnehmen und wie wir später von Martin erfuhren, hatte Thomas, der sie glühend verehrte, ihr auch den Schmuck geschenkt. Aber das war noch lange nicht alles, um ihre Handgelenke klimperten diverse Armreifen, goldene Kreolen blitzten in den Ohrläppchen und an jedem ihrer zehn Finger prangte ein Ring, dessen Stein entweder magisch oder heilend war, wie wir im Laufe eines kostenlosen Vortrages über die Kräfte von Steinen erfuhren. Eigentlich fehlte nur ein illuminierter Haarschmuck und Madame Astrana hätte als Weihnachtsbaum auftreten können. Die Sympathie zwischen ihr und Martin war unübersehbar, trotzdem Martin sie für eine ökonomisch außerordentlich begabte Scharlatanin hielt und Madame Astrana das wusste, mochten die beiden sich wirklich gern. Sie lud uns sofort zu ihrem Wahrsagerinnen Chai ein, anscheinend das Willkommensgetränk der Leute vom Mittelaltermarkt. Obwohl jeder Chai anders schmeckte, waren sie doch alle, geschmacklich kaum wahrnehmbar, mit dem Stoff aus dem Chillum versetzt und das machte sich mittlerweile bemerkbar. Wir schwebten auf einer rosa Wolke durch das Zelt der Kartenlegerin und Jutta ließ sich dazu hinreißen, Madame Astrana um eine Sitzung zu bitten, wahrscheinlich wollte sie wissen, wie es um ihre Chancen bei Wotan stand. Madame lächelte ein wenig süffisant, Martin auch und weil wir als Martins Freunde gekommen waren, bekam Jutta ihre Sitzung als Geschenk. Natürlich wollten wir alle zusehen, aber Madame erlaubte das nicht und verschwand mit Jutta hinter einem Vorhang, auf dem der Narr vor einem strahlend blauem Himmel, mit seinem Hündchen über die Gipfel eines Gebirges tanzte. Nun ist der Blick in die Zukunft ja durchaus mit gewissen Risiken behaftet, man denke nur an die unglückliche Seherin Kassandra, die unangenehme Wahrheiten verkündete und sich damit außerordentlich unbeliebt machte. Diesen Fehler wiederholte Madame Astrana anscheinend nicht, was wahrscheinlich auch nicht unerheblich zu ihrem ökonomischen Erfolg beitrug, denn nach einer guten viertel Stunde, gesellte Jutta sich Freude strahlend wieder zu uns. Wir schwebten weiter auf unserer rosa Wolke durch das magische Zelt und nur der kleine Stefan schwebte nicht mit. Parallel zum Verbleib Juttas hinterm Vorhang mit dem kosmischen Schelm, war seine Laune immer weiter gesunken und als Jutta gut gelaunt wieder unter uns weilte, strahlte er pure Düsternis aus. Vielleicht wäre es besser gewesen, Madame Astrana hätte ihm die Karten gelegt und nicht Jutta und den kleinen Stefan davon überzeugt, sich endlich erreichbaren Zielen zu verschreiben. Martin drängte zum Aufbruch und verabschiedete sich sehr charmant, mit einem Handkuss von Madame Astrana, so galant hatte ich ihn nur ganz selten erlebt. Ossi feixte ein wenig hinter Martins Rücken herum, aber wenigstens war Martin für keines der drei kleinen, Dreck verschmierten Ungeheuer verantwortlich, die Madame Astranas Zelt stürmten, kaum das wir es verlassen hatten. Das Frauen Kinder bekommen können und wollen, war einfach nicht Ossi seins. Nach diesem etwas esoterischem Intermezzo und angesichts unseres aktuellem Chailevels, führte Martin uns erst mal zum Haupthaus, wo wir uns wieder runter leveln konnten und die Bäckerei besichtigen.

Wer die Bank hält, muss der Bank nicht mehr dienen.

MOPPEL NAMEN.

Wer denn nun sein Haupt auf einem Stempelkissen zur Ruhe beten will, sollte nicht ohne Tipp Ex zu Bett gehen, denn Fehler kann man nur so lange machen, wie man sie auch wieder löschen kann. Trotzalledem bleiben Spuren im digitalen Traum und ohne die Sünden der Vergangenheit, kann die Zukunft nicht überleben. Von Nichts kommt nichts und Nichts ist nichts. Wir kümmern uns nicht um die Folgen und folgen weiterhin unserem Traum, der nur uns gehört. An den Grenzen des Traumes lauert das Vergessen des Tiefschlafes und die wahnsinnige Hellsichtigkeit der Vision. Glücklich wer durch seine Träume wandeln kann, ohne zu vergessen oder den Verstand zu verlieren. Wo Fische mit Flügeln Regentropfen sammeln und Pferde mit Flügeln über den Regenbogen springen, werden kleine, goldene Sonnen geschmiedet und Träume wiedergeboren.

Der erste, den er uns vorstellte, war der nicht ganze koschere Mönch von den Mittelaltermärkten. Passenderweise hieß er, wie der skeptische Apostel, Thomas und zu seiner dunkelbraunen Kutte, die nicht mit einer Kordel, sondern mit einem extra breiten, von Türkisen verziertem Ledergürtel zusammen gehalten wurde, trug der Cowboymönch einen Cowboyhut aus Leder, ebenfalls mit Türkisen und auffällig bestickte, giftgrüne Cowboystiefel. Er war völlig bekifft, voran wahrscheinlich die stattliche Wasserpfeife, die er mit sich führte, nicht ganz unschuldig war, zu der er uns sofort einlud. Obwohl Martin solchen Angeboten grundsätzlich zugetan war, lehnten wir ab, denn die Führung über den Zeltplatz hatte gerade erst bekommen und Martin wollte uns noch ein paar seiner Freunde und Kollegen von den Mittelaltermärkten vorstellen. Als Thomas außer Sichtweite war, klärte Martin uns darüber auf, dass die Wildwestzitate seines Kostüms, während der Arbeitszeit auf den Mittelaltermärkten, nicht zugelassen waren. Thomas war eine Zeit lang mit einer Wildwestshow auf Jahrmärkten aufgetreten, aber sein Arbeitgeber hatte ihn schlecht und unregelmäßig bezahlt und so nahm er das Angebot, die Rolle des unkoscheren Mönches zu spielen gerne an, denn der Mittelaltermarkt zahlte besser und vor allen regelmäßig und außerdem war er sozialversichert. Er lebte die Rolle des unkoschern Mönches mit Leib und Seele, aber die Klamotten fand der furchtbar. Die Cowboykluft mit den langen Lederfransen und den ganzen Türkisen gefiel ihm tausendmal besser und wann immer es möglich war, trug er zumindest Teile davon. Ein wenig abseits von den Zelten stand ein altmodischer Zigeunerwagen, bei dem vier Pferde grasten. Auf den Stufen zum Inneren des Wagens saß ein langhaariger Hüne mit Stirnband, den Martin uns als Wotan, Hufschmied auf Mittelaltermärkten vorstellte. Wotan war tatsächlich gelernter Hufschmied und wenn es irgendwie möglich war, reiste er mit seinem von Pferden gezogenem Zigeunerwagen. Er hatte über zwanzig Jahre in Spanien und Südfrankreich gelebt und Pferde beschlagen wo seine Dienste gefragt waren. Auf den Mittelaltermärkten kümmerte er sich um die Pferde und Waffen der Ritter, um Sättel und Zaumzeug und außerdem präsentierte er seine Schmiedekünste dem Publikum. Seine Haare waren schon Grau, aber wie Martin uns ein wenig neidisch erzählte, kam Wotan bei den Frauen glänzend an. Meiner Vermutung, dass es an den Pferden liegen könnte, gewann Martin durchaus etwas ab. Wotan lud uns in seinen erstaunlich komfortablen Zigeunerwagen ein und bot uns von seinem Zigeunerchai an, den er sehr poetisch Schweif des Windpferdes nannte. Während er uns den Schweif des Windpferdes kredenzte, entfaltete Wotan seinen ganzen Charme und ich begann zu ahnen, warum er bei meinen Geschlechtsgenossinnen so gut ankam. Jutta, die Schwester des großen Stefan, reagierte sichtlich geschmeichelt und der kleine Stefan, der Jutta schon seit Jahren, ohne jede Aussicht auf Erfolg verehrte, sichtlich verärgert. Martin, der solche Situation nicht zum ersten Mal in Wotans Zigeunerwagen erlebte, drängte ganz schnell zum Aufbruch, aber Wotan ließ sich nicht beirren und flüsterte Jutta zum Abschied etwas ins Ohr, was ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte, dem kleinen Stefan jedoch, zauberte Juttas Lächeln Zornesröte auf die Wangen. Ganz schnell lotste Martin uns weg von Wotans Pferdewagen, hin zu einem der prächtigsten Zelte auf der Wiese. Das ziemlich große Zelt war rundum mit bunten Teppichen behängt. Auf den Teppichen tummelten sich allerhand Fabelwesen und astrologische Symbole. Der Eingang wurde auf der einen Seite, von einem Drachen, mit einer Kette aus Sternen um den Hals und der anderen Seite von einem Einhorn, mit strahlend blauen Augen flankiert. Das Zelt der Kartenlegerin.

Wer vom Stempel geküsst wird, trägt schwer daran.

SCHALL BURSCHEN.

Die Idee, alles im Leben aussitzen zu können ist zugegebenermaßen faszinierend, aber sie funktioniert nicht mehr. Das Virus lässt sich nicht aussitzen, es lässt uns nur nachsitzen und mutiert munter weiter. Virenjäger verirren sich im finsteren Wald, oder gehen in Quarantäne, weil sie dem Virus zu nahe gekommen sind. Wer nicht mutieren will, muss zur Rückenschule gehen und ausweichen lernen, denn Rückhalt gibt es nur noch ganz selten. Frisch verschnürt tanzen die Gedanken aus der Reihe und schlagen einen gewaltigen Bogen von Reihenhäusern, bis zu Zahlenfolgen und wer zahlt bestimmt. Ohne bis zehn zu zählen, wechseln Wirrköpfe die Seite, weil sie gar nicht so wirr sind. Wir scheren alle Hohlköpfe über einen Kamm und zählen Schafe nicht nur zum einschlafen, sondern auch zum aufwachen, damit der Bock nicht zum Gärtner wird.

In mitten eines gediegen bürgerlichen Ambiente vom Ende der sechziger Jahre, mit viel auf Hochglanz poliertem Holz, genossen wir die Aussicht über den Marktplatz, umgeben von alten Fachwerkhäusern und den gekreuzten Pferdeköpfen an den Giebeln. Während der Fahrt über die Dörfer waren mir immer wieder, die mit Giebelsprüchen versehenen, alten Niedersachsenhäuser ins Auge gefallen. Die Sprüche faszinierten mich, ihre einfachen Lebensweisheiten, wie, „Ein fröhlich Herz, ein friedlich Haus, das macht das Glück des Lebens aus“, ihr Lokalstolz, der sich dann so äußerte, „Solange noch die Eichen wachsen, in alter Kraft um Hof und Haus, solange stirbt in Niedersachsen die alte Stammesart nicht aus“, ihre manchmal recht archaischen Ansichten, „Ehret die Alten und folgt ihren Brauch, wie sie es gehalten, so haltet es auch“. Die Alten und das Alte zu ehren, zog sich wie ein roter Faden durch etliche der Giebelsprüche, aber es gab auch Ausnahmen, wie, „ Die Zeit entflieht, nutze den Tag“ oder „Erfahrungen vererben sich nicht, jeder muss sie selber machen“. Außer Ivo teilte keiner der Anwesenden meine Leidenschaft für die altmodischen Sinnsprüche. Während seiner Heidelberger Jahre mit der Gräfin, hatte Ivo immer wieder den Erzählungen obdachloser Spinner gelauscht, ihren übersinnlichen Erfahrungen, ihren Wahngesichtern, ihrer Verbundenheit mit dem Wald und den Wiesen, den wilden Bewohnern unserer Welt und er hielt unendlich vieles für möglich, wie ich auch. Wir zahlten und verfuhren ins erst mal. Das opulente Mittagsmahl hatte uns alle etwas schläfrig gemacht, Ivo hatte eine Tüte gebaut, Ossi hatte nicht mehr aufgepasst, Jörn war einfach immer weiter gefahren und Hasy mit den beiden Stefans und der Schwester hinterher. Als ich anfing zu mosern, weil wir meinen Berechnungen nach, schon lange unser Ziel erreicht hätten sollen, wurde Ossi endlich wieder wach und ließ uns auf dem nächsten Parkplatz umkehren. Am späten Nachmittag kamen wir dann auf dem Gelände der Bäckerei Kooperative an und wurden sofort in Martins Tippi entführt. Martin kredenzte uns seinen berühmten Quacksalber Chai und ließ das Chillum kreisen. Stilecht zog der Rauch in die Höhe und durch das Hexenloch an der Spitze in den Himmel. Natürlich war das Tippi so originalgetreu, wie nur irgend möglich gebaut worden und Elke hatte die Planen für die Außenhülle genäht. Wenn auch nicht aus Büffelhaut, so doch aus einem Leinenstoff, der vom Weber eines Mittelaltermarktes in Handarbeit hergestellt worden war. Billig war das Tippi nicht gewesen. Nach dieser Begrüßungszeremonie zeigte Martin uns das ganze Anwesen, das Haupthaus der Bäckerei Kooperative, mit einer riesigen Wohnküche und sanitären Anlagen, die für die Dauer es Festes auch von den Gästen genutzt werden konnten. Elkes perfekt ausgebauter Bauwagen, nicht das einzige Schmuckstück im alten Obstgarten und ein zweiter, renovierungsbedürftiger Bauwagen. So erfuhren wir ganz nebenbei, dass Martin nochmal Vater werden würde, denn Elke war wieder schwanger geworden und Martin hatte sich in sein Schicksal gefügt und ganz schnell noch einen Bauwagen erworben, um ihn zum Kinderzimmer auszubauen, damit sein Möbelwagen tabu blieb. Außer Ossi, der aussah als hätte er gerade eine Kröte von beachtlichen Ausmaßen verschlucken müssen, ignorierten alle anderen, ihre ganz nebenbei erworbenen Kenntnisse über Martins veränderten Familienstand und Martin führte uns weiter zum Zeltplatz der Gäste. Die Wiese glich einer Miniatur Ausgabe des Zeltplatzes in Roskilde. Martins Freunde von den Mittelaltermärkten, hatten ihre mittelalterlichen Zelte mit den bunten Stoffen und den fantasievollen Fahnen aufgestellt und trotz etlicher, ganz profaner Zelte, dominierten sie das Bild.

Schokolade hat nur Schokoladenseiten.

SCHIMPF PRIORITÄT.

Organisation war gestern, Ohnmacht heute. Was ist von einem Gemeinwesen zu halten, das seine Bürger und Bürgerinnen dazu zwingt, jeden Tag wieder, erfolglos, einen Impftermin anzufragen. So versinkt die Solidarität im Nebel der Nebentätigkeiten und wer noch keinen Impftermin hat, kauft sich ein Jahreslos der Glücksspirale. Spannender wir es nicht mehr werden und um die Spannung zu halten, spucken die Geister in den Wind. Mit einer Windmaschine kann man die Haare des Sturmes kämen, aber wirklich glatt werden sie davon nicht. Wilde Walküren reiten auf Bügeleisen um die Ecke und finden den Scherz in der Finsternis. Das es so gehen kann, glaubt nicht mal der Mann im Mond, aber die Frau hinterm Mond räumt einfach auf und macht weiter. Hinterwäldler bleiben auf ihrem Hintern sitzen, denn hinterher hinken will keiner.

Bevor Martin und Elke in die Tiefen der niedersächsischen Provinz verschwanden, um auf dem Gelände der Bäckereikooperative den Quacksalberstand für die bevorstehenden Mittelaltermärkte vorzubereiten, luden sie uns noch auf das alljährliche Sommerfest der Bäckereikooperative ein. Martin schwärmte enthusiastisch, von den extra für die uralte Thematik der Sommersonnenwende entwickelten Darbietungen, die sich über die ganze Nacht, bis zum Aufgang der Sonne erstrecken sollten. Er schilderte uns eine Szene, in der, der gehörnte König im nebligen Morgengrauen stirbt, um mit der Sonne wieder wieder aufzuerstehen, umgeben von tanzenden Elfen. Ich zweifelte nicht daran, dass die tanzenden Elfen Martin am nachhaltigsten beeindruckt hatten. Das Fest, das schon seit den recht chaotischen Anfängen der Bäckereikooperative, immer zur Sommersonnenwende gefeiert wurde, war mittlerweile in der ganzen Region bekannt. Das Programm wurde allerdings größtenteils von auswärtigen Gästen bestritten, unter denen sich auch einige Teilnehmer der Mittelaltermärkte befanden. Da viele Gäste und Darsteller sich schon Tage vor Beginn des Festes einfanden, hatte die Bäckereikooperative extra eine Wiese für Zelte und Wohnmobile zur Verfügung gestellt, für Dixieklos und Waschgelegenheiten war auch gesorgt worden. Martins Ausführungen erinnerten mich sehr an das mittelalterlich angehauchte Fantasygame, zu dem Gereon mich eingeladen hatte, damit ich das Spektakel filmen sollte und ließen mich schwer am Komfort der Übernachtungsmöglichkeiten zweifeln. Um meine Zweifel auszuräumen, sicherte Martin mir einen Schlafplatz in Elkes Bauwagen zu und die Benutzung der sanitären Anlagen der Bäckereikooperative. Am späten Vormittag des einundzwanzigsten Juni brachen wir von Hamburg auf. Wir fuhren mit zwei Wagen, Ivo und Ossi, Jörn und ich in einem, Hasy, der kleine und der große Stefan und die Schwester des großen Stefan im anderen Fahrzeug. Ossi, der mit der Strecke gut vertraut war, gab die Route vor und unterhielt uns mit seiner neusten Geschäftsidee. Vor ein paar Monaten war sein Möbelwagenmonster, mit einem Motorschaden, am Straßenrand liegengeblieben. Da Ossi völlig blank war, konnte er den Schaden erst mal nicht beheben lassen und campierte deswegen auf einem Parkplatz, kurz vorm Ortschaftsschild der nächsten Kleinstadt. Der finanzielle Engpass dauerte an und während Ossi seinen Winterschlaf auf dem Parkplatz machte, kam ihm die Idee ein mobiles Kino in seinem Möbelwagen zu installieren. Während der Parkplatzdiaspora war Ossi aufgefallen, dass es in der Kleinstadt kein einziges Kino mehr gab und er stellte sich vor, mit seinem Möbelwagen über die Dörfer zu touren und Filmvorführungen, insbesondere für Kinder anzubieten. Wir hatten uns schon lange abgewöhnt, irgendwelche Einwände gegen Ossis Geschäftsideen vorzubringen, weil es völlig sinnlos war und außerdem jammerte Ossi nicht, wenn seine genialen Projekte baden gingen. Ossi wartete einfach ab, bis das Glück ganz zufällig vorbei kam und griff zu. Er lotste uns durch die Provinz zwischen Hamburg und Bremen und weil wir ohne Frühstück auf gebrochen waren, hielten wir auf einem Marktplatz, umgeben von mit holzgeschnitzten, gekreuzten Pferdeköpfen an den Giebeln, verzierten Fachwerkhäusern und gönnten uns ein ganz klassisches Mittagsmenü. Es gab eine Suppe vorweg, Rouladen und Wildschweinbraten, Rotkohl und Kroketten, viel Soße und Kartoffeln und zum Nachtisch Schololadenpudding mit Vanillesoße, oder die klassische Dreierkombination aus Erdbeer, Schoko und Vanilleeis.

Lieber auf Wolken gebettet, als in Watte gepackt.