STUSS
     MUND

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27.05.21 24.05.21 21.05.21 18.05.21 15.05.21 12.05.21 03.05.21
PHRASEN HÜTER.

Tourismus tötet, die Umwelt und die Infrastruktur der Einheimischen. Wahrscheinlich wäre es wirklich besser, wenn die Engländer in England, die Franzosen in Frankreich, die Spanier in Spanien und die Deutschen in Deutschland, Urlaub machen würden. Für Dänen und Österreicher, Belgier und Holländer, sämtliche skandinavischen und osteuropäischen Länder und Russland und den ganzen gigantischen Rest des Planeten, gilt das auch. Macht den Himmel wieder frei, für frei fliegende Vögel und hoch fliegende Gedanken. Bleibt zu hause und pflegt eure Umwelt, oder eure Umwelt wird euch fressen, es ist kurz davor. Wie krank ist das eigentlich, irgendwo auf der Welt, wo man wirklich wunderschön und schön billig leben kann, auf Kosten einer super kranken Weltwirtschaftsordnung, seinem Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen. Ganz dezent. Ohne Tränenflüsse, ohne um die Ecke zu denken, einfach so.

Damit sich die Angelegenheit auch lohnte, startete das Fest am Nachmittag des Freitag und endete am frühen Abend des Sonntag. Im Eingang des Torwegs zum Hinterhof, flatterte schon seit Tagen ein selbst gemaltes Banner, auf dem das Fest angekündigt wurde. Der Hinterhofgarten war von Kachel Jörg, einem gelernten Gärtner auf Vordermann gebracht worden, die große Sandkiste schön geharkt und im kleinen Teich schwammen vor kurzem ausgesetzte Goldfische, ihre Vorgänger und Vorgängerinnen hatten den Winter nicht überlebt. Auf der Terrasse direkt an der Hinterfront der „Margarete“ standen lange Tische und Bänke und in ausgesucht lauschigen Nischen, rund um den Teich, waren ein paar Tische und Stühle untergebracht. Das waren die schönsten Plätze und zum Teil so uneinsehbar, dass man sogar ganz dezent eine Tüte rauchen konnte. Zuerst erschienen Mütter und wenige Väter aus der Nachbarschaft und dem Umfeld der Vereins, mit ihren Kindern. Hunde waren grundsätzlich nicht im Hinterhofgarten zugelassen, aber nicht alle Hundehalter und Hundehalterinnen hielten sich daran. Das Programm orientierte sich am Publikum, auf der Bühne produzierten sich Hobby Zauberer und Clowns. Den Kindern gefiel es, sie tobten in der Sandkiste, rannten um den Teich und manchmal fiel im Eifer des Gefechts, ein Kind in den Teich. Kachel Jörg hatte den Teich so angelegt, dass die Fische kindersichere Rückzugsmöglichkeiten besaßen. Es gab selbstgebackene Kuchen, Quarkspeisen, Obstsalat, Schockladenpudding mit Vanillesoße und Zwiebelkuchen, alles mitgebracht von Gästen und Vereinsmitgliedern, als kostenloses Büfett und am Fenster zum Hinterhof wurden Getränke verkauft. Das Fenster schwebte hoch über dem Hinterhof und war über eine, von Kachel Jörg konstruierte und gebaut Holztreppe zu erreichen. Oben auf der Plattform stand man direkt am Fenster zum Tresenraum und konnte seine Bestellungen aufgeben und abholen. Es empfahl sich, beim Erklimmen der Treppe nicht allzu berauscht zu sein. Sicherer war der Weg zum Tresen durch den Keller, denn die Treppe nach oben war zwar steil, aber so eng, dass man gar nicht richtig umfallen konnte. Etliche Vereinsmitglieder waren schon da, ein paar in ihrer Vaterrolle, die sie dann meistens ganz schnell, in ihrer Rolle als Vereinsmitglieder aufgehen ließen. Es gab noch allerhand zu organisieren und außerdem galt es die Anwohner des Hinterhofgartens, die natürlich alle ganz herzlich eingeladen waren, sofern sie gekommen waren, zu umgarnen und milde zu stimmen, denn das Fest würde erfahrungsgemäß noch recht laut werden. Hinzu kam, dass um zweiundzwanzig Uhr Schluss sein sollte mit der elektrisch verstärkten Musik, was erfahrungsgemäß auch nicht immer richtig gut klappte, aber der Kulturverein war auf das Wohlwollen der Nachbarschaft angewiesen. Johannes und Fritz legten sich mächtig ins Zeug und erläuterten jedem halbwegs interessierten Anwohner ihr Wandbild. Nach den Clowns und Zauberkünstlern, produzierte Stefan sich mit der Akustikgitarre auf der Bühne und sang dazu. Stefan war siebzehn Jahre alt, Sohn einer alleinerziehenden Hippiemutter und wohnte in der direkten Nachbarschaft. Er trug die Haare lang und war echt süß, alle weiblichen Vereinsmitglieder liebten ihn.

Nach freiwillig kommt unfreiwillig.

TRAUM SCHLÄGER.

Es ist schon ein bisschen grenzwertig, wenn ungefähr fünfzehn Meter unter deinem Fenster, völlig enthemmte Massen, jugendlich bis semijugendlich, sich durch die Straße wälzen. Ohne Mundschutz, ohne Abstand, ohne Verstand. Es ist nicht schön, es ist beängstigend, weil es total blöd ist. Wohin die Reise geht weiß ich nicht, aber unter meinen Fenstern wird weder Abstand gehalten, noch Maske getragen. So setzt das Virus denn weiterhin auf die allgegenwärtige Dummheit unserer Spezies und mutiert fröhlich voran. Wer nicht zum Virenjäger bestimmt ist, spezialisiert sich auf Vampire, Mondkälber und Sonnensteine. Über den Regenbogen kann man nicht streiten, man kann ihn wie einen Regenschirm aufspannen, darunter flüchten und zusehen was kommt. Wo Disteln blühen erübrigt sich die Frage nach dem perfekten Lila und traumschöne Weidenröschen geben dem Frühling einen angemessen Rahmen.

Am Tresen der „Margarete“ wurde nicht mehr über das Beziehungsdrama getratscht, denn das alljährliche Sommerfest in der Kneipe und im Hinterhofgarten, mit dem von Johannes Gruppe entworfenem und gemalten Wandbild, beschäftigte den ganzen „Kulturverein Margarete“. Um das künstlerische Programm des Festes, hatte es erbitterte Auseinandersetzungen gegeben, die meisten Mitglieder des Vereins waren Maler oder Malerinnen, sie fotografierten, klebten Kollagen zusammen, entwarfen Mobiles und ein paar von ihnen versuchten sich auch in der bildenden Kunst. Außer Gaby, HaHe und Andre, der politisch war, waren eigentlich alle Vereinsmitglieder irgendwie Künstler. Der Präsentationsplatz an den Wänden „Margarete“ war allerdings begrenzt und im Tresenbereich musste hoch gehängt werden, weil es dort ziemlich eng war und schnell zu Gedränge kommen konnte, wodurch die Kunstwerke gefährdet wurden. Ein Exponat pro Person wurde schnell verworfen, denn die Produzenten kleinformartiger Werke, fühlten sich den Produzenten großformartiger Kunst gegenüber benachteiligt und außerdem gab es auch noch ein paar auszustellende Ton und Speckstein Figuren. So wurde denn um jeden Zentimeter hart gefeilscht und letztendlich hingen viel zu viele Kunstwerke an den Wänden, die im keinster weise miteinander korrespondierten. Ebenfalls problematisch war die Frage des musikalischen Programms. Im Hinterhof wurde anlässlich des Festes eine kleine Bühne aufgebaut und eine fette Verstärkeranlage samt, zumindest äußerlich, beeindruckenden Boxen herbei geschafft. Auf der Hinterhofbühne traten meisten private, oder semiprofessionelle Bands aus dem nähren Umfeld des Kulturvereins auf, derer es einige gab. HaHe fand die zu Disposition stehenden Gruppen allesamt echt scheiße dilettantisch und scheute sich auch nicht, dass deutlich auszusprechen, er hätte lieber eine etwa professionellere Band engagiert, was durchaus im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Kulturvereins gelegen hätte, schließlich bekamen sie Geld von der Stadt und mit dem Kneipenbetrieb verdienten sie steuerfrei dazu. HaHe wurde überstimmt, denn das Geld von der Stadt floss in die dezente Honorierung etlicher Vereinsmitglieder, für ihre Bemühungen um den Verein und für die Anschaffung von Materialien des künstlerischen Bedarfs. Die Kneipe lief gut, aber sämtliche Vereinsmitglieder soffen auf Zettel und das tat dem Gewinn nicht so gut. Auf der Suche nach Verbündeten, blieb HaHe nichts anderes über, als sich mit Fritz zusammen zu tun, dessen moralisches Empfinden finanzielle Mauscheleien vehement ablehnte. Das mit dem Zettel war schon schwieriger, Fritz hatte einen, Johannes, mit dem er sich ganz gut verstand, er hielt seine Schwester für ziemlich hysterisch, hatte auch einen und so legte HaHe sich denn ganz einfach einen Zettel zu. Das machte die Diskussionen um die Zettel Ausstände überflüssig und HaHe konnte Fritz und Johannes ohne alle Vorbehalte bearbeiten, um sie auf seine Seite zu ziehen, denn trotzdem er total zynisch war, glaubte HaHe doch an die Kunst. Sein musikalischer Traum war eher jazzig und er verehrte Sugarcane Harris sehr.

Was man auf dem Zettel hat, muss man nicht mehr ankreuzen.

LÜCKEN MASSAGE.

Freiwillige Selbstverpflichtung ist wie freiwillige Selbstveränderung und findet niemals freiwillig statt. Das hält man aus, oder nimmt sich freiwillig einen Strick und Frau wollen wir gar nicht erst zumuten, das auszuhalten. Ich mag die Sprachpolizei nicht. Ich will Kapriolen schlagen können, ich will vom Weg abweichen, unlogisch und intuitiv sein. Ungelogen und über den Daumen gepeilt, der Weg ist das Spiel. Lesen und Leben. Wer seltene Erden besingen will, muss den Mehrwert ganz elegant aus seinem Leben verabschieden und Trashtauchen gehen. Ich gehe immer mit, mit den Wörtern, die mich leiten, mit den Gedanken, die fliegen, weit über die Grenze hinaus. So ist die Grenze denn kein Tabu, aber ein Mysterium, das dringend erforscht werden muss und ohne Forschungsgelder geht es nicht. Das man mit einer Schreckschusspistole nicht das Blaue vom Himmel holen wird, muss hier nicht erklärt werden, aber der Schrecken ist nicht ohne Ende.

Als die Wandmalergruppe einen neuen großen Auftrag an Land zog, bestand Johannes darauf, Johanna mit ins Team zu nehmen. Fritz und Hannah waren nicht wirklich davon begeistert, aber sie konnten auch nicht nein sagen, denn dann wäre Johannes aus der Gruppe ausgetreten und ohne ihn ging es nicht. Er war der kreative Kopf der Gruppe, er dachte sich die Motive der Wandbilder aus und überzeugte die Kunden davon. Fritz war eher kantig und neigte zur Schroffheit im Umgang mit anderen Menschen. Hannah verehrte Fritz abgöttisch und tat alles für ihn. In seinen Ansichten radikal, leistete Fritz sich ziemlich moralische Beurteilungen seiner Mitmenschen und er mochte Johanna überhaupt nicht, ihre dramatischen Auftritte waren pure Hysterie für ihn und dass sie Liebhaber hatte, fand er total unmoralisch. Johannes übrige Künstlerfreunde und auch die meisten Mitglieder des „Kulturverein Margarete“, sahen das mit der Hysterie genauso, aber mit Fritz moralischem Getue hatten sie nicht das geringste am Hut und spotteten hinter seinem Rücken über ihn. HaHe nannte ihn nur den Pastor. Fritz und Hannah wollten eigentlich Filme machen, aber die Wandbilder wurden anständig bezahlt und das Geld, das sie verdienten, steckten sie in eigene Kurzfilmproduktionen. Johanna hatte Jahre lang Malkurse besucht, ein Kunststudium lehnte ihre Familie ab und Johanna studierte brav Pädagogik, wie ihre Mutter, die bis in die ersten Jahre ihrer Ehe am Gymnasium unterrichtet hatte. Sie war künstlerisch und handwerklich begabt und daher durchaus dafür geeignet, in der Wandmalergruppe mitzuarbeiten, zumal es schnell gehen sollte. Der Auftrag wurde sehr gut bezahlt, war rein kommerziell und nicht von der Stadt oder irgendwelchen Trägervereinen finanziert. An ihrem ersten Arbeitstag erschien Johanna Stunden zu spät. Der Auftrag für das Wandbild kam nicht aus Hamburg, sondern aus Lübeck und wer morgens um acht in Lübeck zur Arbeit erscheinen will, muss recht früh in Hamburg starten. Fritz und Hannah waren genervt, aber bei der Arbeit machte Johanna sich dann überraschend gut und letztendlich war es aber auch nicht all zu anspruchsvoll, was von ihr verlangt wurde. Mit einem Diaprojektor wurden die Umrisse der wichtigsten Motive, um ein vielfaches vergrößert, an die Wand geworfen und dann mit den entsprechenden Farben ausgefüllt. Die Kunst bestand in der Vergrößerung und das war Johannes Metier. Zu Kontroversen führten nur die bisher unausgefüllten Lücken der Wandbilder, für die Johanna einen Haufen Ideen hatte, die Fritz erst mal kategorisch ablehnte. Obwohl es ihm schwer fiel, war Johannes klug genug, Johannas Ideen zu verteidigen und aufzunehmen, für die Beziehung und für das Wandbild. Am Ende der ersten Arbeitswoche waren alle glücklich, dass Wandbild war planmäßig voran gekommen, Johanna bis zum Ende der Woche pünktlich zur Arbeit erschienen und in der Gruppe war es friedlich geblieben. Zurück in Hamburg äußerte sich Johanna zu ersten mal positiv über Fritz und Hannah.

Wer alles auf der Rolle hat, muss noch lange nicht auf der Rolle sein.

QUAK BUCHT.

Mein Vorschlag für das Unwort des Jahres 2012 ist Impfneid, lupenreines Produkt der sozialen Medien. Wo er auch auftaucht, wird der Impfneid gehätschelt, aufgebauscht und breit getreten, denn den Geimpften gehört die Welt und ohne Impfverweigerer wäre die Freiheit nur halb so schön. Begleitet wird der Impfneid vom Impfpass, der aber nicht fälschungssicher ist, weder auf Papier, noch digital. Da lacht sich der Impfnerd ins Fäustchen und lässt sich eine Impfbrause liefern, denn sein Rechner ist seine Burg. Wir impfen unseren Sauerteig und lassen das diffuse Gedankengemisch ordentlich durch gären, bis die Blase platzt und den Blick wieder frei gibt. Überhaupt ist das Blasenproblem ja immer noch nicht gelöst und in der Blasenwelt müssen noch viele Blasen platzen. Den Marsch wollen wir aber nicht blasen, außer mit Strohhalmen im Wasserglas, denn das Blasenpflaster nur sehr bedingt helfen, wissen sogar Blasenhelfer und der letzte bläst das Licht aus.

Als Johanna am nächsten Nachmittag wieder im Schulterblatt auftauchte, ging sie sofort zum Angriff über und machte Johannes eine filmreife Szene. Sie warf ihm vor, dass er sie während der Auseinandersetzung mit Schneewittchen im Stich gelassen hätte und fing hysterisch an zu weinen. Solcherart überrumpelt, traute Johannes sich gar nicht erst, nach ihrem weiteren Verbleib in der vergangenen Nacht zu fragen, sondern rechtfertigte sich und damit hatte er so gut wie verloren. Seine Rechtfertigungsversuche wurden zurück gewiesen, aus Weinen wurde Wut und Johannes trat den Rückzug an. Die Choreographie des Dramas kannte ich schon, natürlich mit wechselnden Akteuren in der Rolle des heimlichen Liebhabers. Johanna würde ungefähr eine Woche schwer beleidigt sein, was ihr den Freiraum für ein kleines Techtelmechtel mit Balu verschaffen würde. Johannes würde jeden Abend mit seinen Wandmalerfreuden in der „Margarete“ am Tresen sitzen, zu viel trinken und seine Freunde und Kollegen würden ihm dazu raten, die Verrückte endlich in den Wind zu schießen, aber Johannes war immer noch sehr verliebt. Außerdem war es auch mal wieder ganz schön, den Abend nur mit den Freunden zusammen zu verbringen, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der jugendlichen Geliebten zu nehmen. Solche Nächte endeten oft bei „Erika“ und machten das Leben auf seltsame Weise lebendiger, wahrscheinlich noch ein Grund, die Drama Queen anzuhimmeln, langweilig wurde es mit ihr nicht. Nach ungefähr einer Woche, platzte Johanna dann völlig unerwartet in die Runde am Tresen und machte dem fröhlichen Treiben ein Ende. Johannes entschuldigte sich tausend Mal, Johanna weinte noch ein bisschen, ein langer, nächtlicher Spaziergang, ein romantisches Frühstück und die Versöhnung stand. Obwohl, oder wahrscheinlich weil, sie notorisch zu Seitensprüngen und zweit oder dritt Verhältnissen neigte, war Johanna außerordentlich eifersüchtig. Ganz besonders Johannes Verflossene, derer es einige gab, schließlich hatte er ihr ja fast zwei Jahrzehnte Beziehungsleben voraus, waren Johanna ein Dorn im Auge. Am meisten machte ihr Martina zu schaffen, denn mit Martina hatte Johannes ein gemeinsames Kind. Wenn das Mädchen, mittlerweile schon in der Pubertät, bei Johannes war, was eher selten vorkam, hatte er keine Zeit für Johanna. Da ihr klar war, dass wirklich niemand Verständnis dafür gehabt hätte, wenn sie auf Johannes Kind eifersüchtig gewesen wäre, tobte sie sich an Martina aus und verdächtigte sie, immer noch in Johannes verliebt zu sein, oder umgekehrt bezichtigte sie Johannes, immer noch in Martina verliebt zu sein. Das war einer der Gründe, aus dem Johannes Freunde sie nicht leiden konnten, denn ihre Verdächtigungen waren lächerlich. Johannes und Martina hatten sich schon vor über zehn Jahren getrennt, Martina war glücklich verheiratet und führte mit ihrem Mann ein erfolgreiches Architekturbüro, aber sie sah verdammt gut aus.

Keine Luftblase ohne Luftdruck.

SCHLUMPF KÖPFE.

Das Grundrechte nicht gleich Gerechtigkeit sind, müssen wir dieser Tage leider lernen. Es gefällt mir nicht, aber unsere Verfassung blendet die Gerechtigkeit in weiten Feldern aus und ersetzt sie durch graue Nebel. Wer dann nicht seltsam wandern will, muss Farbe bekenne, den Nebel küssen, durch den Nebel sehen und König oder Königin werden. Das, das ganz einfach geht, beweist die weitere Entwicklungsgeschichte des roten Faden, der keineswegs immer aus Seide sein muss. Rote Linien schreien nach Überschreitung, weil sie sonst keine roten Linien mehr wären und Rot sehen kann man auch ohne eine rosarote Brille im Gesicht zu tragen. Wo doppelte Verneinung Bejahung bedeutet, sind zwei Schritte zurück, ein Schritt in die richtige Richtung und wer den Ton angeben will, muss ihn erst mal finden. So fliegen die Fetzen denn erst aus der Tonspur und dann aus dem Tonstudio und kommen den guten Ton doch nicht auf die Spur. Mit der Spur der Elemente hat das nichts zu tun.

Das Totenkopf Dirk zum Film wollte, wusste ich schon aus Ivos Salon. Nicht als Schauspieler, aber er war kreativ, handwerklich begabt und konnte gut organisieren, sein Traum war es Filme zu organisieren, dass gesamte Drumherum, dass Catering und den Fahrservice und gerne die Requisiten und Kostüme. Er liebte die Atmosphäre am Filmset und erfüllte ohne Probleme exklusivere Wünsche jeder Art. Das war seine Spezialität. Er war bestens vernetzt, nicht nur in Hamburg, sein Spinnennetz reichte bis nach Berlin, Frankfurt und München und geschäftstüchtig war er sowieso. Er trat gerne sehr stylisch auf und nähte sich seine Klamotten zum Teil sogar selbst. Hals und Handgelenke waren mit allen möglichen, magischen Amuletten behängt und zu jedem einzelnen Teil konnte Totenkopf Dirk eine fantastische Geschichte erzählen. Ich mochte diese Geschichten, auch wenn sie manchmal sehr schlampig erzählt waren, aber Totenkopf Dirk stand dazu. Leider stürzte er immer wieder ganz furchtbar ab, weswegen es ihm unmöglich war, eine längere Ausbildung durchzuhalten. Filmprojekte dauern nicht ewig und ein paar Monate konnte Totenkopf Dirk schon bis zum nächsten Absturz unauffällig bleiben, aber ganz und gar optimal waren Werbeclips, mit ihren relativ kurzen Produktionszeiten. Dem Fürsten gefiel das alles sehr, der Umgang mit Totenkopf Dirk verlieh „Street Credibility“, zumindest im Umfeld seines Werbekosmos und Totenkopf Dirks Abstürze ließen ihn völlig kalt, solange sie nicht seine Projekte störten. Der Morgen graute schon, auf den Stufen des besetzten Haus an der Brücke über die Bahngleise, saß Ingrid und kraulte Johannas Hund Ratz Fatz. Ingrid war klein und dick, sehr ungewaschen und ihre tausend mal gefärbten Dreadlocks, reichten ihr bis zur Hüfte und machten ungefähr die Hälfte ihrer Persönlichkeit aus. Ingrids Eltern waren geschieden, über den Vater wussten wir nichts, aber ihre Mutter, eine Diamantenhändlerin, war reich. Sie hatte Ingrid und Ingrids Freunden, schon etliche Male aus der Patsche geholfen und weil alle das wussten, hatte Ingrid immer einen Freund. Ingrid war total lieb, ließ sich von jedem ausnutzen und liebte Hunde über alles und außer Hunden liebte sie Balu, der wie ein Hund roch und wie ein Engel aussah. Das war auch Johanna aufgefallen, als sie Ratz Fatz abholen wollte und dann doch lieber bei Balu blieb. Mit Balus nach Hund stinkender Attraktivität musste Ingrid leben. Auf den Stufen des alten Haus an der Brücke über die Bahngleise, hörte ich mir Ingrids Geschichten an, tröstete sie, weil Balu mit Johanna gegangen war, rauchte mit ihr und versicherte ihr, dass Balu sie ganz gewiss am meisten lieben würde. Dann gingen wir über den funkelnden Glassplit der Brücke, rüber zur Schanze und zu Ivos Haus, wo Baumer und Zorro mir Ingrid abnahmen. Mit Ratz Fatz kam ich zurück ins Schulterblatt, wo Johannes schon wartete und gab den Hund bei ihm ab. Über Johannas Verbleib konnte ich ihm leider nichts mitteilen und fiel in mein Bett.

Wer auf den Punkt kommt, muss nicht mehr um den heißen Brei reden.

RATTEN TEKTONIK

Erst Impfangst, dann Impfengpass, dann Impfneid und dann Impfpass. Die Boulevardpresse überschlägt sich mit Impfbulletins und Impfgegner feiern das Impfchaos. Wer geimpft wird lebt noch und wer die Impfung überlebt, wird länger leben. So sind wir denn Gibis oder Shadoks und das Universum tanzt sowieso nur für die, die tanzen wollen. Reihenhäuser, Reihenuntersuchungen, wer aus der Reihe fallen will, muss sich erst einreihen und dann Fliegen lernen. Wer lacht flucht nicht und darum verfluchen wir gar nichts. Viel lieber lassen wir uns vom Augenblick küssen und sparen uns, den Blick in die Abgründe der Zukunft. Ob das wirklich gebongt ist, steht nicht zur Sache, aber Bonuspunkte sollten gespendet werden und wo kein Hahn kräht, könnte bald wieder einer krähen. Krähenvögel verbünden sich mit Krallentieren und Singvögel müssen auch nicht immer für die Katz singen. Sowieso muss der Sinn der Sache jeden Mai wieder neu verhandelt werden, wenn der Winter endlich schlafen geht.

Das war wirklich mutig, denn Johanna hatte sich im Zorn durchaus schon an mehr als dem Geschirr vergriffen und Schneewittchen war berüchtigt dafür, ihrer Wut recht feurig Ausdruck zu verleihen, Wenn ihre Liebesaffären sich nicht so entwickelten, wie sie es sich vorgestellt hatte, oder sie sich nicht genügend beachtet fühlte, mischte sie die Situation gerne mal auf und setzte eine Mülltonne oder einen Papierkorb in Brand. Bevor die Situation vollends eskalieren konnte, tauchte, wahrscheinlich von Balu alarmiert, Totenkopf Dirk, Chef des besetzten Hauses an der Fußgängerbrücke über die Bahngleise zur Schanze, begleitet von paar recht kräftigen Mitstreitern auf. Die mit knallbunten Iros bewehrten Punker, packten Schneewittchen an beiden Armen und zerrten sie, unter einem Schwall wüster, ganz und gar nicht jugendfreier Beschimpfungen aus dem Hinterhof. Mit Frauen und Männern am Rande des Nervenzusammenbruchs kannte Totenkopf Dirk sich gut aus, in seinem Haus tummelte sich eine erlesene Schar ziemlich neurotischer Exzentriker. Von ihren Eltern oder ihrem Umfeld schwer geschädigt, glichen sie ihre emotionalen und/oder intellektuellen Schäden mit wenig Gesellschaftskompatiblen Verhaltensweisen aus. Ein stattlicher Drogenkonsum gehörte fast unverzichtbar dazu und weil Totenkopf Dirk die besten Beziehungen, zu allerhand Quellen der unterschiedlichsten Stimulanzien besaß, war er ganz schnell zum Chef des Hauses aufgestiegen. Der Fürst lud Totenkopf Dirk an seinen Tisch ein und Totenkopf Dirk revanchierte sich mit einer fetten Tüte. Angesichts von Schneewittchens Schicksal, hatte Johanna sich ganz schnell wieder beruhigt und den Hinterhof freiwillig verlassen, allerdings ohne Johannes, der dem Fürsten mittlerweile seinen kommerziellen Erfolg verziehen hatte und sich von Totenkopf Dirk zur nächsten Tüte mit einladen ließ. Ich kannte Totenkopf Dirk schon länger aus Ivos Salon, er war groß und hager, sehnig und muskulös, im Gesicht kreidebleich, mit tiefen Schatten unter den Augen, im Kopf blitzschnell, leidlich gebildet, charmant und geistreich. Mit einem schwarzen Zylinderhut, aber das war unter seiner Würde, hätte er jederzeit als Baron Samedi durch gehen können. Es empfahl sich allerdings, in seiner Gegenwart sehr wachsam zu sein, um nicht als Maus in den Fängen einer Grinsekatze zu landen und die meisten seiner Mitbewohner, hatte Totenkopf Dirk schon lange eingefangen. Er war genauso großzügig wie Ivo, nicht ganz so erfolgreich bei den Frauen, aber Skrupelloser und weniger sentimental. Den Fürsten, kannte er anscheinend schon länger und wahrscheinlich war es, mal abgesehen von dem Unfall mit Schneewittchen, eine für beide Seiten sehr inspirierende Bekanntschaft. Totenkopf Dirk besorgte dem Fürsten, was immer er an kreativen Katalysatoren benötigte und der Fürst verschaffte Totenkopf Dirk und seinen Mitbewohnern, Komparsenrollen in Werbefilmen. So waren denn des Fürsten Kollegen und Totenkopf Dirks Gefolgschaft schwer beeindruckt, eine klassische Win-win Situation.

Jung ist man, alt muss man werden.

SCHIMPF PRIVILEGIEN.

Locker wollten wir ja eigentlich alle bleiben, was damit endete, dass niemand mehr locker ist und wo gelockert wird, wird es auch nicht wirklich lockerer. So folgt dem Lockruf der Lockerungen, kein fröhliches Vogelgezwitscher und auch kein Lockruf der Wildnis, denn wild war sowieso gestern, heute ist fest verbeamtet und auf der sicheren Seite des untergehenden Systems. Systemkritiker besorgen sich einen Gedankenfilter, denn vermummen muss man sich ja mittlerweile sowieso und Maskenbälle sind immer noch verboten. Wer alles richtig machen will, entscheidet sich für eine Gurkenmaske, schmiert sich die Avocadocreme aufs Brot und die Kokosmilchcreme ins Haar. Wir lassen dem Gemüse seine Freiheit und bauen es nicht an, sondern säen es einfach aus. So segeln die Samen denn mit dem Wind, in die große, weite Welt hinaus und hoffen auf Hilfe. Das Süße muss man sowieso nicht vom Sauren trennen, sowenig wie die Kokosnuss von ihrer Milch.

Ein wenig lautstark allerdings, Schneewittchen war ihrem Glassarg entstiegen, aus den Ebenholz schwarzen Haaren waren dunkelblau gefärbte Dreadlocks geworden, die ihr kalkweißes Gesicht, mit den genauso dunkelblau bemalten Lippen, dekorativ umrahmten. Rot war nur der Wein, von dem sie wahrscheinlich schon einiges zu sich genommen hatte, bevor sie die Flasche auf dem Tisch umwarf und die Kunstwerke ungefragt einfärbte. Aber nicht nur die genialischen Hinterlassenschaften waren in Mitleidenschaft gezogen worden, Johannes Hose auch. Schneewittchen zeigte Haltung, entschuldigte sich und organisierte einen ganzen Stapel Papierservietten vom geplünderten Büfett und begann Johannes Hose trocken zu reiben. Da Johannes immer noch in seiner Hose stecke, konnte die Trocknungsaktion auch missverstanden werden, was prompt geschah. Obwohl Johanna völlig entrückt getanzt hatte, war ihr doch nicht entgangen, dass Johannes von einer durchaus attraktiven Frau bearbeitet wurde. Das Johanna und Schneewittchen in diesem Leben nicht Freundinnen werden würden und wahrscheinlich noch nicht mal im nächsten oder übernächsten Leben, war sofort klar. Laut schreiend stieß Johanna, die mindestens genauso viel Wein getrunken hatte, wie ihre eingebildete Rivalin, Schneewittchen einfach weg und nach einem winzigen Moment der Überrumpelung, schrie Schneewittchen genauso laut zurück und zu allem Überfluss fing Ratzfatz an hysterisch zu bellen. Johannas selbstständiger Hund hatte sich bestens damit unterhalten, sämtlich dafür offene Gäste um Essen anzubetteln und mit den Hunden der Punker anzubandeln, aber er war ein fürchterlicher Schisshase. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, außer mit seiner Stimme, in eine Auseinandersetzung seines Frauchens einzugreifen. Stimmlich konnte er es mit den beiden Furien allerdings ohne weiteres aufnehmen. Vor dieser akustischen Kakophonie kapitulierte selbst die „Bang & Olufsen“ Anlage, fast die gesamte Festgesellschaft hatte sich eingefunden und nach Sympathie Präferenzen um die beiden Kontrahentinnen gruppiert. Bevor Ratzfatz völlig durchdrehte, schnappte Balu, einer der Punker aus Totenkopf Dirks Haus, sich den Hund und brachte ihn weg. Balu, der einem siebenköpfigen Hunderudel vorstand und meistens auch wie ein Hund roch, galt allgemein als Hundeflüsterer. Johanna und Schneewittchen zu deeskalieren, war allerdings nicht ganz so einfach, zumal ein Teil der Gäste nichts dagegen hatte dabei zuzusehen, wie die beiden Streithennen sich schlagen würden. Nun macht es allerdings einen Unterschied, ob die Ladys Frenchy und Lily, in „Der Große Bluff“. sich zur Freude des überwiegend männlichen Publikums, im Saloon an den Haaren reißen und von Stunt Doubles vertreten, über die Stühle und Tische schmeißen, oder zwei betrunkene Neurotikerinnen aufeinander los gehen. Weder Johannes noch der Fürst wollten Blut fließen sehen und warfen sich heldenhaft zwischen die beiden Frauen.

Wer still halten will, sollte sich nicht in Stellung bringen.